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Bürgerkriegsflüchtlinge


Begriff und rechtlicher Rahmen von Bürgerkriegsflüchtlingen

Der Begriff Bürgerkriegsflüchtlinge bezeichnet Menschen, die aufgrund bewaffneter Konflikte, insbesondere nicht-internationaler bewaffneter Auseinandersetzungen (Bürgerkriegen), aus ihrem Heimatland fliehen. Die in der Rechtswissenschaft und Verwaltungspraxis verwendete Bezeichnung ist jedoch nicht durchgängig deckungsgleich mit völker- oder europarechtlichen Begriffsdefinitionen und besitzt unterschiedliche rechtliche Auswirkungen. Die nachfolgende Darstellung beleuchtet umfassend die rechtlichen Grundlagen, Definitionen, Schutzmöglichkeiten, sowie die praktische Bedeutung von Bürgerkriegsflüchtlingen im nationalen, europäischen und internationalen Kontext.


Abgrenzung: Bürgerkriegsflüchtlinge und andere Schutzsuchende

Unterschied zu Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention

Bürgerkriegsflüchtlinge sind häufig nicht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) anzusehen. Die Konvention von 1951 schützt Personen, die aus begründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Überzeugung ihr Land verlassen haben. Die Flucht aus einem Bürgerkrieg begründet nach traditioneller Auslegung nicht automatisch die individuell gerichtete Verfolgung im Sinne der GFK.

Subsidiärer Schutz und humanitäre Aufenthaltstitel

Oft fällt der Schutz von Bürgerkriegsflüchtlingen unter sogenannte subsidiäre Schutzformen oder humanitäre Aufenthaltsregelungen, da die Voraussetzungen der Konvention nicht vorliegen, aber ein Rückkehrhindernis aufgrund drohender schwerwiegender Gefahren existiert.


Rechtliche Grundlagen für Bürgerkriegsflüchtlinge

Internationales Recht

Genfer Flüchtlingskonvention und Protokolle

Im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention wird der Begriff Bürgerkriegsflüchtling nicht ausdrücklich verwendet. Vielmehr wird wie oben erläutert auf individuelle Verfolgung abgestellt. Personen, die „nur“ vor Bürgerkrieg fliehen, sind damit formell nicht automatisch Konventionsflüchtlinge. In Einzelfällen kann jedoch auch im Kontext eines Bürgerkrieges eine individuelle Verfolgung vorliegen, etwa durch besondere Gefährdung einzelner Personengruppen.

Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

Die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) können bedeuten, dass eine zwangsweise Rückführung in Bürgerkriegsgebiete gegen das Non-Refoulement-Prinzip (Verbot der Abschiebung in Folter- und Todesgefahr) verstoßen kann.

Weitere völkerrechtliche Instrumente

Zusätzlichen Schutz bieten einzelne Bestimmungen in der Konvention gegen Folter (CAT) und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), wenn im Herkunftsland erhebliche Menschenrechtsverletzungen im Kontext eines Bürgerkrieges drohen.

Europäisches Recht

Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU)

Auf europäischer Ebene ist die Qualifikationsrichtlinie maßgeblich. Artikel 15 gewährt subsidiären Schutz bei ernsthaften, individuellen Bedrohungen infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes. Damit sind explizit auch Bürgerkriegsflüchtlinge erfasst, sofern ihnen durch die bloße Anwesenheit in einem Kriegsgebiet eine individuelle Gefährdung droht.

Dublin-III-Verordnung

Die Dublin-III-Verordnung klärt, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung eines Schutzgesuchs zuständig ist und hat indirekte Auswirkungen auf die Behandlung von Bürgerkriegsflüchtlingen in der Europäischen Union.

Deutsches Recht

Asylgesetz (AsylG)

Nach dem deutschen Asylgesetz ist ein Asylanspruch für Bürgerkriegsflüchtlinge in aller Regel nicht gegeben, weil das Asylrecht – wie die Genfer Flüchtlingskonvention – eine individuelle Verfolgung voraussetzt.

Subsidiärer Schutz (§ 4 AsylG)

Gemäß § 4 Absatz 1 Nummer 3 AsylG erhalten Personen subsidiären Schutz, wenn ihnen „ernsthafter Schaden“ durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Damit werden Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland häufig unter subsidiären Schutz gestellt.

Abschiebungsverbote (§ 60 AufenthG)

Weitere Schutzmöglichkeiten bestehen über sogenannte nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 Aufenthaltsgesetz für Fälle, in denen erhebliche konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit wegen der allgemeinen Lage im Herkunftsland bestehen, auch wenn ein Schutzstatus nach § 4 AsylG nicht begründet ist.

Humanitäre Aufenthaltstitel (§§ 23, 24 AufenthG)

Darüber hinaus ermöglichen die Vorschriften zum humanitären Aufenthalt, insbesondere § 23 und § 24 AufenthG, im Falle regionaler oder gesamthafter Aufnahmeprogramme oder bei vorübergehendem internationalen Schutz temporäre Aufenthaltstitel für Bürgerkriegsflüchtlinge.


Praktische Umsetzung und Anerkennungspraxis

Maßgebliche Prüfungskriterien

Die Prüfungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Deutschland orientieren sich an individuellen, aber auch gruppenspezifischen Gefahrenlagen im Herkunftsland. Entscheidende Kriterien sind das Ausmaß der allgemeinen Gewalt, die spezifische Betroffenheit im Einzelfall und die Möglichkeit innerstaatlicher Fluchtalternativen.

Verfahrensablauf und Rechtsmittel

Bürgerkriegsflüchtlinge stellen einen Antrag auf Schutz (Asylgesuch), woraufhin in mehreren Schritten geprüft wird, ob ein Schutzstatus (GFK, subsidiärer Schutz, Abschiebungsverbot, humanitärer Aufenthalt) vorliegt. Ablehnungsbescheide können gerichtlich angefochten werden. Das gerichtliche Verfahren beinhaltet eine Würdigung der humanitären Situation im Herkunftsland.


Begriffsgeschichte und terminologische Entwicklung

Der Ausdruck Bürgerkriegsflüchtling stellt einen Oberbegriff der wissenschaftlichen, medien- und verwaltungspraktischen Einordnung dar und hat keine feststehende Definition in den oben genannten völker- oder europarechtlichen Regelwerken. Die faktische Bedeutung hat er jedoch durch die fortwährende Fluchtbewegung aus Bürgerkriegsländern (beispielsweise Jugoslawien, Syrien, Afghanistan, Sudan) erhalten.

In amtlichen deutschen Statistiken sowie internationaler Flüchtlingsberichterstattung der UNHCR wird der Begriff verwendet, um Kontexte massenhafter Fluchtbewegungen aufgrund innerstaatlicher Konflikte zu verdeutlichen.


Zusammenfassung: Rechtliche Behandlung von Bürgerkriegsflüchtlingen

Bürgerkriegsflüchtlinge bilden eine relevante Gruppe innerhalb der international Schutzsuchenden. Völkerrechtlich werden sie – je nach Einzelfall – durch die Genfer Flüchtlingskonvention, subsidiären Schutz nach EU-Richtlinien und nationale Zusatzregelungen erfasst. Im Vordergrund stehen Schutzgewährung vor allgemeiner Gefährdungslage, menschenrechtliche Verbote der Rückführung und flexible Formen temporären Aufenthalts. Die rechtliche Behandlung ist vielschichtig und von der ständigen Weiterentwicklung durch Gesetzgebung, Verwaltungsanwendung und Gerichtsentscheidungen geprägt.


Literatur und weiterführende Quellen

  • BVerwG, Urteil v. 24. Juni 2008 – 10 C 43.07
  • Europäische Union: Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU
  • UNHCR: Guidelines on International Protection No. 12 (2016)
  • Asylgesetz (AsylG) und Aufenthaltsgesetz (AufenthG)

Diese Darstellung bietet einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Aspekte des Begriffs Bürgerkriegsflüchtlinge und deren Behandlung im Rechtsrahmen Deutschlands, Europas und international.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Schutzmöglichkeiten gibt es für Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland?

Bürgerkriegsflüchtlinge haben in Deutschland grundsätzlich mehrere rechtliche Möglichkeiten, Schutz zu erlangen. Die wichtigste Rechtsgrundlage bildet das Asylgesetz (AsylG). Ein Asylantrag kann gestellt werden, wobei vorrangig geprüft wird, ob die Voraussetzungen der Genfer Flüchtlingskonvention (Flüchtlingsschutz gemäß § 3 AsylG) vorliegen. Dabei geht es um individuell gerichtete Verfolgung; reine Bürgerkriegssituationen begründen jedoch meist keinen Flüchtlingsschutz, da sie häufig nicht gezielt auf einzelne Personen gerichtet sind. Als zweite Schutzform kommt der sogenannte subsidiäre Schutz in Betracht (§ 4 AsylG), der greift, wenn ernsthafter Schaden im Herkunftsland droht – insbesondere durch willkürliche Gewalt infolge eines bewaffneten Konflikts. Darüber hinaus kann ein nationales Abschiebungsverbot (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) ausgesprochen werden, wenn die Rückkehr zu einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben führen würde. Die Schutzgewährung ist stets einzelfallbezogen und richtet sich nach den konkreten Umständen des Herkunftslands und der individuellen Gefährdungslage.

Inwiefern unterscheidet sich der Anspruch auf Asyl von Bürgerkriegsflüchtlingen und politisch Verfolgten?

Der Anspruch auf Asyl nach Artikel 16a Grundgesetz und § 3 AsylG richtet sich speziell an Personen, die individuell politisch verfolgt werden. Bürgerkriegsflüchtlinge fallen regelmäßig nicht darunter, da sie typischerweise vor allgemeiner Gewalt, nicht vor gezielter politischer Verfolgung fliehen. Ein Asylanspruch besteht daher in diesem Kontext kaum. Ihnen kann jedoch subsidiärer Schutz oder ein Abschiebungsverbot gewährt werden, sofern im Heimatland eine ernsthafte individuelle Bedrohung durch den bewaffneten Konflikt besteht, auch wenn keine gezielte Verfolgung einer bestimmten Gruppe oder Person stattfindet.

Welche konkreten Rechte erhalten Bürgerkriegsflüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus?

Wer den subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) erhält, besitzt Rechte, die sich grundsätzlich an denen von Flüchtlingen im Sinne der Genfer Konvention orientieren, jedoch mit gewissen Einschränkungen. Dazu zählen insbesondere der dreijährige Aufenthaltstitel und das Recht auf Familiennachzug – letzteres ist jedoch zahlenmäßig und durch Engpässe bei Visaerteilungen limitiert. Es besteht Zugang zum Arbeitsmarkt (nach Ermessen der Behörden, nach einem Jahr meist unbeschränkt), zu Integrationsmaßnahmen sowie zu Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, später ggf. nach dem SGB II/XII. Die Möglichkeit auf eine langfristige Niederlassungserlaubnis ist ebenfalls gegeben, allerdings unter erschwerten Bedingungen im Vergleich zu Flüchtlingen mit Konventionsschutz.

Welche Voraussetzungen müssen für ein nationales Abschiebungsverbot erfüllt sein?

Das nationale Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wird dann erteilt, wenn eine Abschiebung in das Herkunftsland eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bedeuten würde, ohne dass einer der höheren Schutzniveaus (Flüchtlingsstatus, subsidiärer Schutz) greift. Hierfür muss nachgewiesen werden, dass dem Antragsteller bei Rückkehr eine spezifische individuelle Gefahr droht, die über das allgemeine Risiko hinausgeht, das für die Gesamtbevölkerung im Bürgerkriegsland gilt. Dies betrifft etwa schwere Krankheiten (wenn eine Behandlung im Heimatland unmöglich ist) oder bestehende, persönliche Feindbilder im Kontext des Konflikts.

Wie beurteilt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die individuelle Gefährdungslage von Bürgerkriegsflüchtlingen?

Das BAMF prüft im Rahmen des Asylverfahrens detailliert die individuelle Gefährdung des Antragstellers. Dabei werden u. a. Herkunftsort, ethnische Zugehörigkeit, politische Aktivitäten, bisherige Fluchtgründe und das individuelle Verhalten während des Konflikts analysiert. Das BAMF stützt sich auf aktuelle Lageberichte, Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und gegebenenfalls auf Auskünfte von Menschenrechtsorganisationen sowie UN-Agenturen. Nur wenn die individuelle Gefährdung nachweisbar über das allgemeine Bürgerkriegsrisiko hinausgeht, kann ein Schutzstatus zugesprochen werden. Bei allgemeiner Gefahr wird der Schutz in der Regel nur bei besonders außergewöhnlicher Bedrohungslage (etwa alleinstehenden Frauen oder Minderheiten) gewährt.

Unterliegen Bürgerkriegsflüchtlinge besonderen Mitwirkungspflichten im Asylverfahren?

Ja, Bürgerkriegsflüchtlinge unterliegen wie alle Asylbewerber weitreichenden Mitwirkungspflichten im Asylverfahren. Dazu zählt insbesondere die Pflicht zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Darstellung der eigenen Fluchtgründe, Vorlage von Beweismitteln (sofern vorhanden) und aktives Mitwirken bei der Feststellung der Identität sowie der Staatsangehörigkeit. Teilweise werden Nachweise erschwert, wenn durch den Bürgerkrieg relevante Dokumente verloren gingen. Dennoch sind Flüchtlinge verpflichtet, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die für die Glaubhaftmachung ihrer Angaben zur Verfügung stehen. Eine Verletzung dieser Pflichten kann zu negativen Entscheidungen führen.