Begriff und Grundlagen der BRRD
Die Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD, deutsch: Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen) ist eine wegweisende europäische Rechtsvorschrift, die den Rechtsrahmen für das Krisenmanagement im Bankensektor der Europäischen Union festlegt. Mit der Richtlinie 2014/59/EU schuf der europäische Gesetzgeber einheitliche Vorgaben zur Prävention, Bewältigung und Abwicklung von Bankenkrisen, um die Stabilität des Finanzsystems zu sichern und die Steuerzahler im Falle einer Bankeninsolvenz zu schützen.
Die BRRD ist seit dem 1. Januar 2015 in der Europäischen Union verbindlich und wurde über nationale Umsetzungsgesetze, wie beispielsweise das deutsche Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG), in das jeweilige nationale Recht integriert.
Zielsetzung und Systematik der BRRD
Hauptziele der BRRD
- Vermeidung von Bankenrettungen durch den Staat: Durch die BRRD soll verhindert werden, dass Verluste und Risiken aus Bankenzusammenbrüchen auf öffentliche Mittel abgewälzt werden.
- Stärkung der Finanzstabilität: Einheitliche Instrumente und Verfahren sollen systemische Krisen vermeiden und das Bankensystem widerstandsfähiger machen.
- Gläubigerbeteiligung: Gläubiger und Anteilseigner werden im Insolvenzfall zur Verantwortung gezogen, bevor öffentliches Geld eingesetzt wird („Bail-in statt Bail-out“).
Anwendungsbereich
Die BRRD gilt für alle Kreditinstitute und ausgewählte Wertpapierfirmen, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union tätig sind. Insbesondere betrifft sie Institute, deren Zusammenbruch einen systemischen Einfluss auf das Finanzsystem haben könnte.
Zentrale Elemente und Instrumente der BRRD
Präventive Maßnahmen
Sanierungs- und Abwicklungspläne
Gemäß BRRD sind Banken verpflichtet, präventive Sanierungspläne (recovery plans) zu entwickeln. Diese Pläne beschreiben die Strategie zur Wiederherstellung der Finanzstabilität im Krisenfall. Die Aufsichtsbehörden erstellen zudem Abwicklungspläne (resolution plans) für den Extremfall, dass die Institute abgewickelt werden müssen.
Frühinterventionsmaßnahmen
Frühinterventionsmaßnahmen geben den zuständigen Behörden das Recht, bei ersten Krisenanzeichen einzugreifen, um eine drohende Insolvenz möglichst frühzeitig zu verhindern. Hierzu zählen z.B. der Austausch der Geschäftsleitung oder das Verbot bestimmter Geschäfte.
Abwicklungsinstrumente
Im eigentlichen Abwicklungsfall stehen den Behörden vier zentrale Instrumente zur Verfügung:
- Instrument der Unternehmensveräußerung
– Teile oder das gesamte notleidende Institut werden auf einen privaten Käufer übertragen.
- Instrument der Brückenbank
– Das Institut oder bestimmte Vermögenswerte werden vorübergehend auf eine öffentlich kontrollierte Zweckgesellschaft übertragen.
- Instrument der Ausgliederung von Vermögenswerten
– Notleidende Vermögenswerte können auf ein spezielles Zweckunternehmen (bad bank) übertragen werden.
- Bail-in-Instrument
– Gläubiger und Anteilseigner werden per Zwangsumwandlung („haircut“) an Verlusten beteiligt, Eigenkapital und Verbindlichkeiten werden in Eigenkapital umgewandelt.
Rechtlicher Rahmen und Umsetzung der BRRD
Europarechtliche Grundlagen
Die BRRD wurde vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union am 15. Mai 2014 als Richtlinie 2014/59/EU erlassen. Da es sich um eine Richtlinie handelt, war die Umsetzung in nationales Recht in den einzelnen Mitgliedstaaten bis zum 31. Dezember 2014 erforderlich.
Nationale Umsetzung in Deutschland
Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG)
In Deutschland wurde die BRRD wesentlich durch das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) umgesetzt. Das SAG regelt funktional sämtliche Abläufe zur Sanierung und Abwicklung von Instituten und gibt der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) detaillierte Eingriffsrechte.
Zuständige Behörden
Die Durchführung und Überwachung der BRRD obliegen in Deutschland der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und bei systemrelevanten Banken der einheitliche Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM) in Zusammenarbeit mit der einheitlichen Abwicklungsbehörde (Single Resolution Board, SRB).
Gläubigerbeteiligung und Haftungskaskade
Grundprinzipien
Die BRRD schreibt vor, dass die Verluste eines Instituts zunächst von den Anteilseignern und Gläubigern getragen werden müssen, bevor öffentliche Mittel oder Einlagensicherungssysteme in Anspruch genommen werden können.
Reihenfolge der Haftung (Haftungskaskade)
- Eigenkapitalgeber
- Nachrangige Verbindlichkeiten
- Nicht-nachrangige Verbindlichkeiten
- Ungesicherte Einlagen von Unternehmen
- Gesicherte Einlagen (bis 100.000 EUR geschützt)
Unter bestimmten Umständen können Ausnahmen verfügt werden, um eine Finanzmarktstabilität zu bewahren oder kritische Funktionen der Bank aufrechtzuerhalten.
Maßnahmen zum Einlegerschutz
Einlagen bis 100.000 EUR pro Einleger und Institut bleiben auch im Insolvenzfall durch die nationale Einlagensicherung geschützt. Die BRRD betont ausdrücklich, dass der Einlegerschutz auch in Abwicklungsszenarien unangetastet bleibt.
Weiterentwicklung und Revision der BRRD
Überarbeitung (BRRD II)
Mit der Richtlinie (EU) 2019/879 erfolgte eine wesentliche Überarbeitung der BRRD (sog. BRRD II). Ziel war insbesondere die Harmonisierung von Mindestanforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (MREL), die Abstimmung mit dem internationalen TLAC-Standard sowie die Stärkung der Gläubigerschutzmechanismen.
Bedeutung für die Finanzaufsicht
Die BRRD und deren Weiterentwicklungen sind zentrale Säulen der Bankenunion in Europa und tragen maßgeblich zu einem einheitlichen Vorgehen im Krisenfall, zur Prävention und zur Bewältigung möglicher Finanzkrisen bei.
Literatur und weiterführende Rechtsquellen
- Richtlinie 2014/59/EU (BRRD)
- Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG)
- Single Resolution Mechanism Regulation (Verordnung (EU) Nr. 806/2014)
- Richtlinie (EU) 2019/879 (BRRD II)
Zusammenfassung:
Die BRRD bildet den Kern des europäischen Abwicklungsrechts für Banken. Sie legt detaillierte Anforderungen und Verfahren für die Sanierung und Abwicklung von Banken in der Europäischen Union fest und definiert einen Rechtsrahmen, der sowohl präventive Maßnahmen als auch verbindliche Abwicklungsinstrumente umfasst. Im Zentrum stehen der Schutz der Finanzstabilität, die Gläubigerbeteiligung und die Absicherung der Einlagen. Die laufende Weiterentwicklung der BRRD spiegelt die Bedeutung wider, die diesem Mechanismus im Rahmen der Bankenunion zukommt.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Verpflichtungen ergeben sich für Kreditinstitute aus der BRRD hinsichtlich der Erstellung und Aktualisierung von Sanierungsplänen?
Kreditinstitute sind gemäß der BRRD (Bank Recovery and Resolution Directive) verpflichtet, Sanierungspläne (Recovery Plans) zu erstellen und regelmäßig zu aktualisieren. Diese Pläne müssen detaillierte Strategien und Maßnahmen enthalten, wie das Institut bei auftretenden finanziellen Schwierigkeiten seine Geschäftstätigkeit fortführen oder wiederherstellen kann, ohne dabei auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein. Die rechtliche Verpflichtung umfasst insbesondere die regelmäßige Überprüfung und, falls erforderlich, Anpassung der Pläne, damit diese stets den aktuellen Gegebenheiten und Risikoprofilen genügen. Die zuständigen Aufsichtsbehörden (in Deutschland z.B. die BaFin in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank) kontrollieren diese Prozesse und können Nachbesserungen oder eine Neubewertung verlangen, sofern die Pläne als unzureichend erachtet werden. Die Institute müssen hierbei sowohl interne als auch externe Faktoren, wie Marktentwicklungen oder regulatorische Änderungen, berücksichtigen. Eine Nichterfüllung der Verpflichtung kann zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen bis hin zu Bußgeldern führen.
Welche Anforderungen stellt die BRRD an die Mindestanforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (MREL)?
Die BRRD verpflichtet Banken zur Einhaltung der sogenannten Mindestanforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities, MREL). Diese regulatorische Anforderung dient dazu, im Falle der Abwicklung ausreichend Verluste absorbieren und Banken rekapitalisieren zu können, ohne dass Steuergelder eingesetzt werden müssen. Die konkrete Höhe und Zusammensetzung der MREL-Anforderungen legt die jeweilige Abwicklungsbehörde – in Deutschland die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) – auf Basis eines individuellen, risikoorientierten Ansatzes fest. Dabei werden u.a. Geschäftsmodell, Risikoprofil, Systemrelevanz und institutspezifische Faktoren betrachtet. Rechtlich bindend muss das Institut sicherstellen, dass der Anteil an qualifizierten Eigenmitteln und schuldrechtlichen Verbindlichkeiten zu jedem Zeitpunkt die vorgegebene Mindestanforderung erfüllt. Verstöße gegen die Vorgaben können zu erheblichen aufsichtsrechtlichen Sanktionen führen.
Welche Haftungsstufen (Bail-in-Hierarchie) sind durch die BRRD gesetzlich vorgegeben?
Die BRRD schreibt eine klare Rangfolge bei der Heranziehung von Gläubigern im Rahmen eines Bail-in vor. Zunächst werden die Verluste auf die Eigenkapitalgeber (Aktionäre) verteilt. Anschließend werden nach der gesetzlichen Reihenfolge nachrangige Schuldinstrumente, bevorrechtigte (nicht gedeckte) Verbindlichkeiten sowie andere berücksichtigungsfähige Gläubiger herangezogen, bevor Einleger – sofern überhaupt – in die Haftung genommen werden. Bevorzugte Einlagen, wie z.B. Einlagen von Privatpersonen oder kleinen sowie mittleren Unternehmen bis zur gesetzlichen Sicherungsgrenze, sind durch die BRRD ausdrücklich geschützt und werden nachrangig betrachtet. Diese Haftungskaskade ist zwingend einzuhalten, um eine faire und transparente Lastenverteilung im Bankabwicklungsfall zu gewährleisten und Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.
Welche Vorgaben macht die BRRD zur Informationspflicht gegenüber Gläubigern und der Öffentlichkeit?
Die BRRD sieht umfassende Informations- und Kommunikationspflichten vor: Banken und Abwicklungsbehörden müssen im Krisenfall sämtliche betroffenen Gläubiger sowie die breite Öffentlichkeit rechtzeitig über relevante Entwicklungen, getroffene Abwicklungsmaßnahmen und die Auswirkungen auf Forderungen informieren. Diese Informationspflicht umfasst u. a. die Darstellung der angewendeten Maßnahmen, deren rechtlichen Rahmen, die Rangfolge der Haftung sowie gegebenenfalls die Auswirkungen auf bestehende Verträge und Forderungen. Es ist sicherzustellen, dass alle Informationen verständlich, vollständig und zeitgerecht veröffentlicht werden. Darüber hinaus sind den betroffenen Gläubigern rechtliche Möglichkeiten zur Einlegung von Rechtsmitteln und zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen aufzuzeigen. Eine Missachtung dieser Vorgaben kann zu rechtlichen Konsequenzen für das Institut sowie zu möglichen Anfechtungen der Abwicklungsmaßnahmen führen.
Wie erfolgt die gerichtliche Kontrolle von Abwicklungsmaßnahmen nach BRRD?
Die BRRD räumt Betroffenen das Recht ein, gerichtliche Überprüfungen von Abwicklungsmaßnahmen durch nationale Gerichte zu beantragen. Die gerichtliche Kontrolle ist allerdings auf bestimmte Aspekte beschränkt, um schnelle und effiziente Verfahren sicherzustellen: Die Überprüfung konzentriert sich im Wesentlichen auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, das rechtliche Gehör der Betroffenen sowie auf die Rechtmäßigkeit und Angemessenheit der getroffenen Maßnahmen. Allerdings darf diese Kontrolle die Wirksamkeit bereits eingeleiteter Abwicklungsmaßnahmen oder die Erfüllung der aufsichtsrechtlichen Ziele nicht beeinträchtigen. Entschädigungsansprüche können über gesonderte Gerichtsverfahren geltend gemacht werden, falls die Maßnahmen im Nachhinein als rechtswidrig beurteilt werden. Die nationalen Rechtsmittel sind im Einklang mit europäischen Vorgaben zu gestalten.
Welche rechtlichen Herausforderungen ergeben sich bei grenzüberschreitenden Abwicklungsfällen im Rahmen der BRRD?
Die BRRD enthält spezielle Regelungen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei Banken mit Geschäftsbeziehungen oder Zweigniederlassungen in mehreren EU-Mitgliedstaaten. Im Abwicklungsfall ist eine enge Abstimmung zwischen den jeweiligen nationalen Abwicklungsbehörden erforderlich. Hierfür sind sog. Abwicklungskollegien („resolution colleges“) vorgesehen, die eine Koordination rechtlicher und operativer Maßnahmen sicherstellen. Unterschiede in nationalen Insolvenzregelungen, Bewertungsstandards sowie die Anerkennung und Durchsetzung von Abwicklungsentscheidungen können jedoch rechtliche Herausforderungen und Unsicherheiten mit sich bringen. Die BRRD verpflichtet die Mitgliedstaaten, Mechanismen für die Anerkennung und Vollstreckung grenzüberschreitender Abwicklungsmaßnahmen zu schaffen und dabei unionsrechtlichen Prinzipien zu folgen. In der Praxis kommt es hierbei dennoch häufig zu komplexen Abstimmungsprozessen und potenziellen Konflikten zwischen unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen.