Begriff und rechtliche Einordnung von Blindenwaren
Definition
Blindenwaren sind Produkte, die im Sinne der einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften von blinden oder sehbehinderten Menschen hergestellt oder bearbeitet werden. Das Ziel dieser gesetzlich geschützten Warenklasse ist es, die wirtschaftliche und berufliche Teilhabe blinder Menschen zu fördern und ihnen spezielle arbeitsrechtliche Privilegien und Absatzchancen einzuräumen.
Gesetzliche Grundlagen
Sozialgesetzbuch (SGB IX) und Blindenwarenvertriebsgesetz
Die maßgeblichen rechtlichen Regelungen zu Blindenwaren finden sich im deutschen Blindenwarenvertriebsgesetz (BWarenVertrG) sowie im Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Das BWarenVertrG und begleitende Verordnungen regeln insbesondere die Herstellung, die Anerkennung, den Vertrieb und die bevorzugte Berücksichtigung von Blindenwaren bei öffentlichen Aufträgen. Sie dienen in erster Linie dem Schutz und der Förderung von Blindenwerkstätten und blinden Einzelunternehmern.
Blindenwarenverordnung (BlwV)
Die Blindenwarenverordnung (BlwV) konkretisiert die Anforderungen an die Produktion und den Vertrieb und enthält den Blindenwarenkatalog – eine abschließende Aufzählung jener Warenarten, die als Blindenwaren gelten.
Voraussetzungen für Blindenwaren
Persönliche Voraussetzungen
Blindenwaren dürfen ausschließlich von Blinden oder erheblich Sehbehinderten im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen hergestellt oder in wesentlichen Teilen bearbeitet werden. Die genaue rechtliche Definition von Blindheit ergibt sich dabei aus § 72 SGB IX, wonach als blind gilt, wer auf dem besseren Auge nicht mehr als ein Restsehvermögen von 2 % hat.
Betriebliche Voraussetzungen
Herstellende Einheiten sind ausschließlich anerkannte Blindenwerkstätten oder entsprechend anerkannte blinde Selbständige. Eine Anerkennung erfolgt durch die zuständigen Versorgungsämter oder Integrationsämter. Die Anzahl der nicht-blinden Hilfskräfte darf einen gesetzlich vorgegebenen Anteil nicht überschreiten, damit die Blindenwaren-Eigenschaft erhalten bleibt.
Sachliche Voraussetzungen – Produktkatalog
Nur bestimmte, in der Blindenwarenverordnung gelistete Warengruppen können als Blindenwaren anerkannt werden. Hierzu zählen Produkte wie Bürsten, Besen, textile Artikel, Korbwaren, Bürstenwaren, Matten oder Papierprodukte. Die Verarbeitung muss in einem Umfang erfolgen, der einen maßgeblichen Arbeitseinsatz blinder Arbeitnehmer voraussetzt.
Rechtliche Wirkungen der Anerkennung von Blindenwaren
Bevorzugter Vertrieb und Marktstellung
Durch die Anerkennung als Blindenware entstehen besondere vertriebsrechtliche Privilegien: Öffentliche Auftraggeber, wie Behörden und andere Einrichtungen der öffentlichen Hand, sind nach den Vorschriften der Vergabeordnung (insbesondere § 118 GWB und § 224 Abs. 2 SGB IX) verpflichtet, bei Beschaffungen Blindenwaren bevorzugt zu berücksichtigen. Sie sind gehalten, bei der Vergabe von Lieferaufträgen Blindenwerkstätten oder selbständigen blinden Unternehmern Vorrang einzuräumen, sofern Preis und Qualität vergleichbar sind.
Kennzeichnung und Kontrolle
Das Blindenwarenzeichen ist ein gesetzlich geschütztes Güte- und Herkunftszeichen, das nur von anerkannten Herstellern geführt werden darf. Die Überwachung erfolgt durch die Blindenwarenprüfstellen der zuständigen Landesbehörden. Verstöße, beispielsweise die unberechtigte Verwendung des Blindenwarenzeichens oder Verstöße gegen Reliefbedingungen, können als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
Verwaltungsverfahren zur Anerkennung und Überwachung
Anerkennungsverfahren
Blindenwerkstätten oder selbständige blinde Hersteller müssen eine Anerkennung beantragen. Das Verfahren beinhaltet die Prüfung der persönlichen und betrieblichen Voraussetzungen sowie eine regelmäßige Überwachung der betrieblichen Abläufe durch die zuständige staatliche Stelle.
Nachweisführung und Dokumentationspflichten
Es bestehen umfangreiche Dokumentationspflichten hinsichtlich der hergestellten Warenmengen, der Beschäftigungsverhältnisse sowie der Arbeitsanteile blinder Mitarbeiter. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird in regelmäßigen Abständen von den Prüfstellen kontrolliert.
Abgrenzung zu anderen Schutzsystemen und Kritik
Differenzierung von anderen geschützten Betrieben
Blindenwaren und die entsprechende Gesetzgebung sind abzugrenzen von anderen Regelungen zur Förderung behinderter Menschen, etwa den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) oder geschützten Betrieben nach anderer Rechtsgrundlage. Die Blindenwarenregelungen sind speziell auf die berufliche Teilhabe blinder Personen zugeschnitten und betreffen einen eindeutigen, gesetzlich definierten Produktbereich.
Aktuelle Diskussion und Novellierungstendenzen
Die soziale und wirtschaftliche Bedeutung der Blindenwarenregelung ist fortlaufend Gegenstand politischer und rechtlicher Debatten. Kritiker fordern mitunter Anpassungen, um Missbräuche zu verhindern oder die Marktchancen blinder Selbständiger und Werkstätten zu modernisieren, insbesondere angesichts technischer Entwicklungen und des digitalen Wandels.
Zusammenfassung
Blindenwaren stellen eine besonders geschützte Warengattung im deutschen Sozial- und Wirtschaftsrecht dar. Die Spezialregelungen dienen der gezielten Förderung blinder Menschen durch Schaffung von Beschäftigungs- und Absatzchancen und sind umfassend rechtlich geregelt. Der privilegierte Zugang zum öffentlichen Beschaffungsmarkt und die gesetzlich überwachte Herkunfts- und Qualitätskennzeichnung stellen wesentliche Merkmale der Blindenwarenregelung dar. Die regelmäßige Überprüfung und Kontrolle sichern die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen, gewährleisten Missbrauchsschutz und ermöglichen die nachhaltige Teilhabe blinder Menschen am Arbeitsleben.
Häufig gestellte Fragen
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Waren als Blindenwaren im rechtlichen Sinne anerkannt werden?
Im rechtlichen Kontext – insbesondere im Hinblick auf steuerliche und sozialrechtliche Sonderregelungen – müssen Waren als „Blindenwaren“ anerkannt werden, damit Blindenwerkstätten und berechtigte Personen von Vergünstigungen oder geförderten Vertriebswegen profitieren können. Zentrale Voraussetzung ist in Deutschland die tatsächliche Herstellung der Ware durch blinde oder hochgradig sehbehinderte Menschen in einer anerkannten Werkstatt für Blinde (§ 9 Abs. 1 BlindenwarenlieferungsG – BlinWLG). Darüber hinaus muss die aktive Mitwirkung blinder Personen die wirtschaftlich wesentliche Vergütung begründen, was in der Praxis durch konkrete Arbeitsprozesse, wie Herstellung, Montage oder Verpackung, nachgewiesen sein muss. Die Anerkennung erfolgt üblicherweise durch eine entsprechende Bestätigung der Landesbehörde oder nach Vorlage amtlicher Nachweise. Dabei ist die Beschränkung nicht auf bestimmte Branchen, doch muss bei Mischbetrieben die Produktionskette eindeutig nachvollziehbar und dokumentiert werden, wobei oft auch Kontrolllisten oder Zertifikate eingefordert werden. Nur so kann ein Missbrauch oder eine unzulässige Vermischung regulärer Waren mit Blindenwaren ausgeschlossen werden.
Wie erfolgt die steuerliche Behandlung von Blindenwaren?
Blindenwaren genießen in Deutschland eine besondere steuerliche Behandlung, insbesondere nach § 4 Nr. 19 UStG, wonach die Lieferung von Waren, die in anerkannten Blindenwerkstätten von Blinden oder hochgradig Sehbehinderten selbst hergestellt wurden, von der Umsatzsteuer befreit sein kann. Es gelten jedoch enge Voraussetzungen: Der Arbeitgeber (beziehungsweise die Werkstatt) muss nachweisen können, dass die Überwiegende Wertschöpfung – oft mindestens 50 % – durch blinde Menschen erbracht wurde. Die steuerlichen Begünstigungen erstrecken sich auf Produktion, Bearbeitung, Verarbeitung und Montage, nicht aber auf bloßen Handel mit Ware, die nicht von Blinden gefertigt wurde. Der Nachweis gegenüber dem Finanzamt erfolgt üblicherweise durch Anerkennungsbescheide und detaillierte Produktionsprotokolle. Zudem können besondere Kennzeichnungen oder Seriennummern verlangt werden, um zu verhindern, dass steuerbefreite mit regulären Waren vermischt werden.
Welche Dokumentationspflichten bestehen für Betriebe, die Blindenwaren herstellen oder vertreiben?
Betriebe, die Blindenwaren herstellen oder vertreiben, unterliegen umfangreichen Dokumentationspflichten, um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die Berechtigung zu speziellen Vergünstigungen nachzuweisen. Es müssen lückenlose Aufzeichnungen über den Anteil blinder oder sehbehinderter Beschäftigter, deren konkrete Tätigkeit am betreffenden Produkt, die tägliche Arbeitszeit sowie die Produktionsmengen geführt werden. Zusätzlich sind Chargenlisten, Herstellungsnachweise sowie Abgabeprotokolle üblich. Die Dokumente dienen als Grundlage für Betriebskontrollen durch zuständige Behörden (z.B. Integrationsamt oder Zoll) und müssen meist mehrere Jahre archiviert werden (üblicherweise 6-10 Jahre, je nach einschlägigem Recht). Bei Mängeln in der Dokumentation drohen Entzug der Anerkennung als Blindenwerkstatt und Rückforderung gewährter Steuer- oder Sozialvergünstigungen.
Welche rechtlichen Folgen drohen bei Missbrauch der Blindenwarenprivilegien?
Ein Missbrauch der Privilegien rund um Blindenwaren, etwa durch fälschliche Deklaration oder ungenügende Mitwirkung blinder Menschen in der Wertschöpfungskette, zieht erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich. Dazu zählen insbesondere der Entzug der Anerkennung als Blindenwerkstatt, Rückforderungen gewährter steuerlicher Vorteile und der Ausschluss vom bundesweiten Blindenwarenvertrieb. In schweren Fällen können auch strafrechtliche Ermittlungen wegen Betrugs (§ 263 StGB) eingeleitet werden. Verwaltungsrechtlich relevant sind zudem Bußgelder nach dem Blindenwarenlieferungsgesetz oder dem Sozialgesetzbuch (SGB IX). Da die Missbrauchsüberwachung zumeist durch das Integrationsamt und die Finanzbehörden erfolgt, sind auch Zusammenarbeit und organisierte Prüfungen mit Zoll und weiteren Aufsichtsbehörden üblich.
Wer ist nach dem Gesetz berechtigt, Blindenwaren zu vertreiben?
Die Berechtigung zum Vertrieb von Blindenwaren ist auf bestimmte Personengruppen und Institutionen beschränkt. Explizit berechtigt sind anerkannte Blindenwerkstätten und Beschäftigungsinitiativen, die mehrheitlich blinde oder hochgradig sehbehinderte Menschen beschäftigen (§ 9 BlinWLG). Einzelne Blinde können auch direkt Waren vertreiben, sofern sie nachweisen, dass die Produkte ganz oder überwiegend von ihnen selbst hergestellt wurden. Dritte, die lediglich im Namen Blinder handeln, ohne dass ein aktiver Herstellungsanteil besteht, sind gesetzlich von den Privilegien ausgeschlossen. Für gewerbliche Zwischenhändler, die keine nachweislichen Produktionsanteile blinder Menschen nachweisen können, besteht ein explizites Vertriebsverbot als Blindenware.
Welche besonderen Kennzeichnungspflichten bestehen bei Blindenwaren?
Blindenwaren müssen nach geltender Rechtslage besonders gekennzeichnet sein, um sie eindeutig von herkömmlichen Waren unterscheiden zu können. Üblich sind spezielle Etiketten oder Prüfzeichen, die auf die Herstellung in einer anerkannten Blindenwerkstatt und den Anteil blinder Menschen an der Produktion hinweisen. Die Kennzeichnung kann zudem eine Registriernummer der Werkstatt, das Datum der Herstellung sowie einen Hinweis auf die steuerliche Sonderbehandlung enthalten. Verstöße gegen diese Kennzeichnungspflichten gelten als Ordnungswidrigkeit und können mit Bußgeldern sowie dem Entzug der Vertriebserlaubnis geahndet werden. In Einzelfällen sind die Kennzeichnungen auch in Blindenschrift angebracht, dies ist jedoch keine gesetzliche Pflicht, sondern hängt vom jeweiligen Produktbereich und den Anforderungen der Werkstätten ab.