Begriff und Definition von Biozidprodukten
Biozidprodukte sind Stoffe oder Gemische, die dazu bestimmt sind, auf andere Weise als ausschließlich durch physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu zerstören, unschädlich zu machen, deren Wirkung zu verhindern oder sie auf andere Weise zu bekämpfen. Die rechtliche Grundlage für die Einstufung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Biozidprodukten in der Europäischen Union bildet die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (Biozid-Verordnung – BPR), welche seit dem 1. September 2013 in Kraft ist.
Biozidprodukte umfassen eine breite Palette an Produkten, darunter Desinfektionsmittel, Schädlingsbekämpfungsmittel, Holzschutzmittel, Konservierungsmittel und viele weitere Substanzklassen.
Regulatorischer Rahmen: Die Biozid-Verordnung (BPR)
Zielsetzung und Anwendungsbereich
Die Biozid-Verordnung (EU) Nr. 528/2012 regelt das Inverkehrbringen und die Verwendung von Biozidprodukten auf dem EU-Binnenmarkt. Ziel der Verordnung ist es, sowohl den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt vor den Risiken zu gewährleisten, die beim Gebrauch dieser Produkte entstehen können, als auch einen funktionierenden europäischen Markt für Biozidprodukte sicherzustellen.
Die Regelungen erfassen
- Fertige Biozidprodukte und behandelte Waren,
- den Herstellungs- und Vertriebsweg,
- sowie die Verwendung dieser Produkte.
Nicht erfasst sind Produkte, die bereits unter spezifische Regelungen anderer EU-Gesetzgebung fallen, wie z.B. Arzneimittel oder Pflanzenschutzmittel.
Definitionen und Abgrenzungen
Biozidprodukt
Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. a der BPR ist ein Biozidprodukt jeder Stoff oder jedes Gemisch, das eines oder mehrere Wirkstoffe enthält oder erzeugt und dazu bestimmt ist, Schadorganismen durch chemische oder biologische Mittel zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen oder zu kontrollieren.
Schadorganismus
Ein Schadorganismus ist jedes Lebewesen, einschließlich schädlicher Mikroorganismen, das sich nachteilig auf die Gesundheit von Menschen, Tieren oder auf natürliche oder erzeugte Gegenstände/Energie auswirkt.
Wirkstoff
Ein Wirkstoff im Sinne der BPR ist jeder Stoff oder Mikroorganismus, einschließlich Viren oder Pilze, der eine Wirkung auf Schadorganismen ausübt.
Produktarten
Die BPR klassifiziert Biozidprodukte in vier Hauptgruppen mit insgesamt 22 Produktarten (siehe Anhang V der Verordnung):
- Desinfektionsmittel,
- Konservierungsmittel,
- Schädlingsbekämpfungsmittel,
- Sonstige Biozidprodukte (z.B. Antifouling-Produkte).
Jede Produktart unterliegt spezifischen Zulassungsanforderungen und Anwendungsbeschränkungen.
Zulassung und Genehmigungsverfahren
Genehmigung von Wirkstoffen
Vor der Zulassung eines Biozidprodukts muss der darin enthaltene Wirkstoff auf EU-Ebene genehmigt sein. Die Genehmigung erfolgt auf Grundlage einer umfassenden Bewertung durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA), bei der insbesondere die Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier sowie die Umwelt betrachtet werden.
Zulassung von Biozidprodukten
Nationale Zulassung
Die Zulassung eines Biozidprodukts erfolgt in der Regel auf nationaler Ebene durch die zuständige Behörde des jeweiligen Mitgliedstaates. Dabei sind umfangreiche Antragsunterlagen einzureichen, die Daten zur Wirksamkeit, zu physikalisch-chemischen Eigenschaften, zu toxikologischen und ökotoxikologischen Risiken sowie Vorschläge für Anwendungsbedingungen enthalten.
Unionale Zulassung
Alternativ besteht die Möglichkeit der EU-weiten (unionale) Zulassung eines Biozidprodukts, wenn das Produkt in allen Mitgliedstaaten bereitgestellt und verwendet werden soll. Die unionale Zulassung wird zentral von der Europäischen Kommission erteilt.
Gegenseitige Anerkennung
Ein in einem Mitgliedstaat zugelassenes Biozidprodukt kann auf Antrag auch in anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden, sofern keine spezifischen nationalen Einwände bestehen.
Anforderungen an Produkte und Etikettierung
Biozidprodukte dürfen nur dann in Verkehr gebracht oder verwendet werden, wenn sie ordnungsgemäß zugelassen sind. Sie müssen
- die beschriebene Wirksamkeit aufweisen,
- keine unannehmbaren Risiken für Mensch, Tier und Umwelt verursachen,
- korrekt etikettiert und verpackt sein.
Die Etikettierung unterliegt strengen Vorgaben (Art. 69 BPR) und muss u.a. die Identität aller Wirkstoffe, Verwendungszwecke, Gefahrenhinweise und Anwendungsbestimmungen aufführen.
Pflichten und Verantwortlichkeiten der Marktteilnehmer
Hersteller und Importeure
Hersteller und Importeure sind verpflichtet, nur zugelassene Produkte in den Verkehr zu bringen und zu gewährleisten, dass allen regulatorischen Anforderungen entsprochen wird. Dazu gehören Meldungen an Behörden, regelmäßige Überwachung und die sofortige Meldung von Vorkommnissen an die zuständigen Stellen.
Verwender und Vertrieb
Verwender und Vertreiber müssen die Bestimmungen der Biozid-Verordnung beachten. Die Anwendung darf ausschließlich gemäß der Zulassung und der festgelegten Anwendungsbedingungen erfolgen. Verstöße können zu umfassenden Marktüberwachungsmaßnahmen oder Rückrufen führen.
Meldepflichten
Marktteilnehmer sind verpflichtet, bestimmte Daten zu melden, darunter
- Verkaufs- und Verwendungsdaten,
- Unerwünschte Nebenwirkungen,
- Rückrufe und sonstige sicherheitsrelevante Ereignisse.
Besonderheiten: Treated Articles (Behandelte Waren)
Behandelte Waren (sog. „treated articles“) sind Produkte, Stoffe oder Gemische, die mit einem oder mehreren Biozidprodukten behandelt wurden oder diese enthalten. Für sie gelten besondere Kennzeichnungspflichten und Einsatzbeschränkungen, sofern der in der Ware eingesetzte Wirkstoff in der EU nicht genehmigt wurde (Art. 58 BPR).
Überwachung und Sanktionen
Die Marktüberwachung erfolgt auf nationaler Ebene durch zuständige Behörden. Sanktionen bei Verstößen bewegen sich von Rücknahme, Untersagung des Inverkehrbringens bis hin zu empfindlichen Bußgeldern und strafrechtlichen Maßnahmen.
Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften
Biozidprodukte unterliegen weiteren übergeordneten Vorschriften, insbesondere
- der CLP-Verordnung (Verordnung (EG) 1272/2008 zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen),
- der REACH-Verordnung (Verordnung (EG) 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe).
In zahlreichen Fällen muss ein Biozidprodukt gleichzeitig die Anforderungen dieser Regelungen erfüllen.
Zusammenfassung und Ausblick
Biozidprodukte sind eine besonders regulierte Produktgruppe mit einer Vielzahl an Anforderungen hinsichtlich Zulassung, Kennzeichnung, Vertrieb und Anwendung. Ziel des umfassenden europäischen Rechtsrahmens ist ein ausgewogener Schutz für Mensch, Tier und Umwelt bei gleichzeitiger Wahrung der Verfügbarkeit wirksamer Biozidprodukte. Die sich laufend weiterentwickelnde Rechtslage macht stete Überwachung und Anpassung der Herstellung, des Vertriebs und der Anwendung erforderlich.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Anforderungen bestehen für die Inverkehrbringung von Biozidprodukten in der Europäischen Union?
Für das Inverkehrbringen von Biozidprodukten innerhalb der Europäischen Union gelten die Regelungen der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (Biozid-Verordnung, kurz BPR). Ein wesentliches rechtliches Erfordernis ist, dass ein Biozidprodukt vor dem erstmaligen Inverkehrbringen entweder eine nationale Zulassung eines EU-Mitgliedsstaates oder eine Unionszulassung gemäß der BPR erhalten haben muss. Darüber hinaus müssen sämtliche im Produkt enthaltenen Wirkstoffe bereits für die entsprechende Produktart genehmigt oder im Prüfverfahren befindlich sein. Für Zulassungsanträge sind umfangreiche Dossiers einzureichen, die insbesondere Angaben zu Wirksamkeit, Sicherheit für Mensch, Tier und Umwelt, Haltbarkeit sowie zur Kennzeichnungspflicht umfassen. Zusätzlich bestehen spezifische Vorgaben an die Kennzeichnung, Verpackung, Rückverfolgbarkeit und gegebenenfalls Werbeaussagen. Unternehmen stehen weiter in der Pflicht, alle maßgeblichen Änderungen nachträglich zu melden und unterliegen der periodischen Berichtspflicht an die zuständigen Behörden.
Wer ist für die rechtliche Zulassung und Überwachung von Biozidprodukten zuständig?
Die Verantwortung für die Zulassung und Überwachung von Biozidprodukten liegt in der EU zunächst auf nationaler Ebene bei den jeweiligen benannten Behörden (in Deutschland beispielsweise bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, BAuA). Bei einer Unionszulassung ist die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission und den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten federführend. Im Rahmen der Marktüberwachung prüfen die zuständigen Behörden regelmäßig, ob Biozidprodukte rechtmäßig zugelassen und entsprechend der geltenden Vorschriften gekennzeichnet sind und ob Werbung und Vertrieb den gesetzlichen Normen entsprechen. Verstöße werden mit entsprechenden Sanktionen belegt.
Welche Pflichten ergeben sich für Hersteller und Vertreiber von Biozidprodukten aus der Biozid-Verordnung?
Hersteller und Vertreiber von Biozidprodukten sind rechtlich verpflichtet, ausschließlich zugelassene oder zur Zulassung angemeldete Wirkstoffe und Produkte in Verkehr zu bringen. Sie müssen sicherstellen, dass die Produkte vorschriftsgemäß gekennzeichnet sind, insbesondere was die Wirkstoffe, Warnhinweise, Gebrauchsanleitungen und Anwendungsbeschränkungen angeht. Ferner ist die Erstellung eines Sicherheitsdatenblatts in der jeweiligen Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem das Produkt in Verkehr gebracht wird, verpflichtend. Es besteht zudem eine Meldepflicht für schwerwiegende Vorfälle bei der Anwendung. Produktwerbung, die falsche oder irreführende Angaben hinsichtlich Risiken, Wirksamkeit oder Behandlungsmöglichkeiten macht, ist gemäß Art. 72 BPR verboten. Bei Änderungen im Produkt oder Herstellungsprozess sind die Behörden umgehend zu informieren.
Was ist unter dem Wirkstoffgenehmigungsverfahren im Rahmen der Biozid-Verordnung zu verstehen?
Das Wirkstoffgenehmigungsverfahren ist ein zentrales Element der Biozid-Verordnung. Es sieht vor, dass ein in einem Biozidprodukt enthaltener Wirkstoff zunächst auf europäischer Ebene genehmigt werden muss, ehe das Produkt selbst eine Zulassung erhalten kann. Für die Genehmigung sind umfangreiche wissenschaftliche Daten über Wirksamkeit, Toxizität, Umwelteigenschaften und Expositionsszenarien einzureichen. Die Bewertung wird durch einen Bericht erstattenden Mitgliedstaat durchgeführt, mit anschließender Risikobewertung durch die ECHA. Erst nach Genehmigung des Wirkstoffs für die jeweilige Produktart darf ein entsprechendes Biozidprodukt zur Zulassung eingereicht werden.
Wie sind Biozidprodukte zu kennzeichnen und welche rechtlichen Angaben sind verpflichtend?
Die Kennzeichnung von Biozidprodukten ist umfassend und unterliegt strengen gesetzlichen Bestimmungen gemäß Art. 69 BPR. Es müssen unter anderem Produktname, Zulassungsnummer, Name und Anschrift des Zulassungsinhabers, Art und Konzentration der enthaltenen Wirkstoffe sowie alle relevanten Gefahrenhinweise, Sicherheitshinweise und Anwendungsbeschränkungen angegeben werden. Hinzu kommen Hinweise auf Risiken für Mensch, Tier und Umwelt sowie klare Anweisungen zur sicheren und sachgerechten Anwendung in der beziehungsweise den zugelassenen Verwendungsarten. Nicht gestattet sind irreführende Aussagen wie „ungefährlich“, „ungiftig“, „natürlich“ oder ähnliche unbegründete Behauptungen, die das Risiko des Produktes verharmlosen könnten.
Welche Sanktionen drohen bei Verstößen gegen das Biozidrecht?
Bei rechtswidrigem Inverkehrbringen oder Verstoß gegen Bestimmungen der Biozid-Verordnung drohen unterschiedlich hohe Sanktionen, abhängig vom Schweregrad und den jeweiligen nationalen Gesetzgebungen. Im deutschen Recht regelt das Chemikaliengesetz (ChemG) insbesondere straf- und bußgeldbewehrte Tatbestände im Zusammenhang mit unerlaubtem Inverkehrbringen, Nichtbeachtung von Melde- und Kennzeichnungspflichten, falscher Werbung sowie fehlerhafter Information der Behörden. Sanktionen können von Bußgeldern bis zu mehreren zehntausend Euro und Vertriebsverboten bis zu strafrechtlichen Konsequenzen reichen, etwa wenn durch Missachtung der Vorschriften Gefährdungen für Mensch oder Umwelt entstehen.
In welchen Fällen ist eine Ausnahme von der Zulassungspflicht für Biozidprodukte möglich?
Das Biozidrecht sieht in bestimmten, eng definierten Situationen Ausnahmen für die Zulassungspflicht vor. So können nach Artikel 55 BPR in Notfallsituationen Ausnahmen für das befristete Bereitstellen nicht genehmigter Wirkstoffe oder Produkte genehmigt werden, beispielsweise bei Auftreten neuartiger Schädlinge oder Infektionskrankheiten, wenn keine geeigneten Alternativen vorliegen. Die vorübergehende Ausnahmegenehmigung wird jeweils auf nationaler Ebene ausgestellt, ist zeitlich beschränkt und erfordert eine nachträgliche Bewertung des Risikos durch die betroffenen Behörden. Außerhalb solcher Ausnahmefälle dürfen Produkte ohne Zulassung nicht rechtmäßig in Verkehr gebracht werden.