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Bezirksverordnetenversammlung


Begriff und rechtliche Einordnung der Bezirksverordnetenversammlung

Die Bezirksverordnetenversammlung (kurz: BVV) ist ein zentrales Organ der bezirklichen Selbstverwaltung in den deutschen Stadtstaaten Berlin und Hamburg. Sie nimmt eine bedeutende Rolle in der kommunalen Demokratie ein und ist – insbesondere in Berlin – als parlamentarisch-demokratisch gewähltes Gremium für die bezirklichen Angelegenheiten zuständig. Rechtlich gesehen stellt die BVV ein eigenständiges Organ der bezirklichen Verwaltung dar, das auf landesrechtlicher Grundlage tätig wird.

Historische Entwicklung und verfassungsrechtlicher Hintergrund

Die Bezirksverordnetenversammlung hat ihren Ursprung in der preußischen Kommunalverfassung des 19. Jahrhunderts. Mit der Bildung von Groß-Berlin im Jahr 1920 und anschließend im Berliner Landesrecht fand die Institution Einzug in die moderne Kommunalgesetzgebung. Ihre heutige Ausgestaltung ergibt sich in Berlin aus dem Grundgesetz (insbesondere Art. 28 Abs. 1 GG) sowie insbesondere dem Berliner Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG).

Rechtsstellung und Aufgaben der Bezirksverordnetenversammlung

Rechtsgrundlagen

Die rechtliche Grundlage der Bezirksverordnetenversammlung ist in Berlin das Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG) sowie das Landeswahlgesetz Berlin, ergänzt durch weitere kommunalrechtliche Vorschriften. In Hamburg ist die Bezirksversammlung nach dem Bezirksverwaltungsgesetz Hamburg geregelt. Das Gremium ist keine eigenständige Gebietskörperschaft, sondern vielmehr ein Organ ohne eigene Rechtspersönlichkeit in der Verwaltung des jeweiligen Bezirks.

Stellung im System der bezirklichen Verwaltung

Die BVV ist das Repräsentationsorgan der Bevölkerung auf Bezirksebene. Sie steht insoweit zwischen der zentralen Verwaltung des Landes und den Einwohnerinnen und Einwohnern des Bezirks. Als beschlussfassendes Organ verfügt sie über das Initiativrecht, Kontrollfunktionen sowie wichtige Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte gegenüber dem Bezirksamt.

Zusammensetzung und Wahl

Die Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlung (Bezirksverordnete) werden auf Basis eines Listenwahlrechts alle fünf Jahre gemeinsam mit den Berliner Abgeordnetenhauswahlen gewählt (vgl. § 36 BezVG). Die Anzahl der Bezirksverordneten richtet sich nach der Einwohnerzahl des Bezirks und liegt meist zwischen 45 und 55 Mandaten. Wahlberechtigt sind deutsche Staatsangehörige und nach dem Unionsrecht auch EU-Bürgerinnen und -Bürger ab 16 Jahren mit Wohnsitz im jeweiligen Bezirk.

Fraktionen und Ausschüsse

Die in die BVV gewählten politischen Gruppierungen können Fraktionen bilden. Die BVV richtet zudem thematisch spezialisierte Ausschüsse ein, etwa für Stadtentwicklung, Soziales oder Haushalt. Diese dienen der Vorbereitung von Beschlüssen und der Kontrolle der Verwaltung.

Aufgaben, Zuständigkeiten und Verwaltungsbefugnisse

Mitwirkungs- und Kontrollrechte

Die Bezirksverordnetenversammlung verfügt über weitreichende Mitwirkungsrechte bei der Verwaltung der bezirklichen Angelegenheiten (§§ 8 ff. BezVG). Diese umfassen vor allem:

  • Erarbeitung und Beschluss von Grundsatzentscheidungen zur Verwaltung des Bezirks
  • Kontrolle der Tätigkeit des Bezirksamts
  • Beratung und Beschluss über den bezirklichen Haushalt (Haushaltsrecht)
  • Initiierung bezirklicher Angelegenheiten durch Anträge und Empfehlungen

Die BVV kann das Bezirksamt auffordern, beratende Stellungnahmen auszuarbeiten und Handlungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Sie besitzt jedoch kein materielles Weisungsrecht gegenüber dem Bezirksamt, sondern nimmt eine sachliche Kontrolle und beratende Funktion wahr.

Antrags- und Beteiligungsverfahren

Einzelne Bezirksverordnete sowie Fraktionen können Anträge einbringen, die in den zuständigen Ausschüssen vorberaten und anschließend im Plenum entschieden werden. Die BVV muss bei wichtigen Bezirksangelegenheiten – etwa bei Bauleitplanungen, Stadtentwicklungsprojekten, Haushalt oder sozialpolitischen Themen – beteiligt werden.

Befugnisse im Rahmen der Gemeindeordnung

Die Aufgaben der BVV sind aufgrund des Berliner Landesrechts auf Angelegenheiten mit „örtlicher Relevanz“ beschränkt, die dem Bezirk zur eigenverantwortlichen Verwaltung durch Gesetz zugewiesen wurden (Artikel 66 Absatz 2 VvB, § 3 Abs. 1 BezVG). Hierzu zählen typischerweise Bereiche wie öffentliche Grün- und Spielflächen, unterhalt von Straßen, Bibliotheken, Jugend-, Sozial- und Kulturangelegenheiten.

Verhältnis zum Bezirksamt

Das Bezirksamt ist das vollziehende Organ der Bezirksverwaltung, während die Bezirksverordnetenversammlung das parlamentarische Organ darstellt. Die BVV wählt die Mitglieder des Bezirksamtes und kann diese durch ein konstruktives Misstrauensvotum abberufen (§ 41 BezVG). Sie ist ferner berechtigt, Anfragen und Anträge an das Bezirksamt zu richten und dessen Berichte entgegenzunehmen.

Rechtlicher Schutz, Öffentlichkeit und Geschäftsordnung

Rechte und Pflichten der Bezirksverordneten

Bezirksverordnete genießen im Rahmen ihrer Tätigkeit besondere Schutzrechte, etwa das Recht auf Auskunft vom Bezirksamt, Rede- und Antragsrecht in der BVV sowie Schutz vor Entlassung aus ihrem Arbeitsverhältnis (§ 7 BezVG).

Öffentlichkeit und Transparenz

Die Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung sind grundsätzlich öffentlich (§ 12 BezVG). Dies dient der demokratischen Kontrolle durch die Bevölkerung und gewährleistet Transparenz im politischen Prozess.

Geschäftsordnung

Die BVV gibt sich eine eigene Geschäftsordnung, in welcher Ablauf, Rechte und Pflichten der Mitglieder, Einbringung von Anträgen, Redezeiten, Abstimmungsverfahren und die Bildung von Ausschüssen geregelt werden (§ 10 BezVG).

Rechtsaufsicht und gerichtliche Kontrolle

Rechtsaufsicht

Die Bezirksverordnetenversammlung unterliegt der Rechtsaufsicht des Landes Berlin. Die Landesaufsicht prüft, ob die BVV im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt, kann Beschlüsse aber nur aus rechtlichen, nicht aus politischen Erwägungen beanstanden (§ 25 BezVG).

Verwaltungskontrolle und Rechtsschutz

Rechtsstreitigkeiten, die die Tätigkeit oder Beschlüsse der BVV betreffen, unterliegen der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte (§ 40 VwGO). Klageberechtigt sind u. a. Bezirkseinwohner sowie andere von den Entscheidungen Betroffene, sofern sie in eigenen Rechten verletzt werden.

Abgrenzung zur Gemeindevertretung in Flächenländern

Im Unterschied zu Gemeindevertretungen in anderen Bundesländern ist die BVV kein Organ einer eigenständigen kommunalen Gebietskörperschaft. Berlin ist rechtlich eine Einheitsgemeinde, sodass die Bezirke ausschließlich Verwaltungseinheiten ohne eigene Rechtspersönlichkeit sind. Die BVV ist somit in ihrer Funktion und rechtlichen Stellung beschränkt auf die vom Land Berlin übertragenen Aufgaben.


Zusammenfassung:
Die Bezirksverordnetenversammlung ist das maßgebliche Gremium für die bezirkliche Selbstverwaltung in Berlin (und vergleichbar in Hamburg). Als demokratisch gewähltes Organ erfüllt sie Kontroll-, Beratungs- und Beschlussfunktionen. Ihre Rechte und Pflichten sowie das Verhältnis zum Bezirksamt sind umfassend im Berliner Bezirksverwaltungsgesetz geregelt. Sie steht unter der Rechtsaufsicht des Landes und unterliegt gerichtlicher Kontrolle. Die BVV bildet damit einen zentralen Baustein der kommunalen Demokratie und flächendeckenden Selbstverwaltungskräfte in der Hauptstadt.

Häufig gestellte Fragen

Wie ist die rechtliche Grundlage der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) geregelt?

Die rechtliche Grundlage der Bezirksverordnetenversammlung ergibt sich aus der Verfassung von Berlin (Artikel 68 ff.) sowie dem Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG) des Landes Berlin. Die BVV ist ein Verfassungsorgan auf Bezirksebene mit eigener Zuständigkeit und Rechten, jedoch ohne unmittelbare Exekutivkompetenzen. Sie ist kein kommunales Parlament im Sinne des Grundgesetzes, sondern Teil der zweistufigen Verwaltung des Landes Berlin. Die BVV erlangt ihre Aufgaben und Kompetenzen durch landesgesetzliche Regelungen, insbesondere durch das Bezirksverwaltungsgesetz, das sowohl Struktur, Wahlverfahren, Zuständigkeiten, Kontrollrechte, innere Organisation und Arbeitsweise regelt. Die rechtliche Verankerung bestimmt zudem, dass die BVV nur im Rahmen der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben handeln kann und deren Entscheidungen der Rechtsaufsicht des Senats unterliegen.

Welche Kontrollrechte stehen der BVV gegenüber dem Bezirksamt zu?

Die BVV hat umfangreiche Kontrollrechte gegenüber dem Bezirksamt, die im Bezirksverwaltungsgesetz normiert sind. Sie kann das Bezirksamt zur Berichterstattung und Aktenvorlage verpflichten, Anfragen an das Bezirksamt richten (Einzel- und Große Anfragen) und Auskünfte in öffentlichen Sitzungen einfordern. Besondere Rechte bestehen in Form der Ausspreche von Empfehlungen und Ersuchen, auf deren Umsetzung das Bezirksamt reagieren muss; bei Ablehnung muss diese umfassend schriftlich und nachvollziehbar begründet werden. Das Bezirksamt ist ferner verpflichtet, in regelmäßigen Abständen mündliche und schriftliche Zwischen- sowie Endberichte abzugeben. Kontrollrechte der BVV umfassen allerdings keine Eingriffsrechte in die eigenverantwortliche Geschäftsführung des Bezirksamtes, sondern beschränken sich auf Überwachung und Beratung.

Wie wird das Verhältnis zwischen der BVV und dem Bezirksamt rechtlich geregelt?

Das Verhältnis zwischen BVV und Bezirksamt ist ausdrücklich in Art. 72 der Berliner Verfassung sowie im Bezirksverwaltungsgesetz festgelegt. Die BVV ist das Organ der bezirklichen Vertretung und Kontrolle und nimmt die Interessenvertretung der Einwohner wahr. Das Bezirksamt ist die Verwaltungsbehörde des Bezirks und führt die laufenden Geschäfte. Die BVV wirkt durch Empfehlungen und Ersuchen an der Verwaltungstätigkeit mit, ohne jedoch selbst Verwaltungsakte oder -entscheidungen erlassen zu dürfen. Das Bezirksamt wiederum ist der BVV zur Auskunft verpflichtet, kann jedoch in Haushalts- und Personalangelegenheiten eigenständig entscheiden, sofern keine grundlegenden Vorgaben der BVV entgegenstehen. Diese rechtliche Trennung gewährleistet eine Kontrolle der Verwaltung durch die Bürgervertretung, ohne deren Exekutivbefugnisse unangemessen einzuschränken.

Wie sind die Rechte und Pflichten der BVV-Mitglieder rechtlich ausgestaltet?

Die Mitglieder der BVV sind Ehrenbeamte und unterliegen den Regelungen des Bezirksverwaltungsgesetzes und ergänzend den allgemeinen beamtenrechtlichen Vorschriften, sofern keine spezielleren Regelungen bestehen. Sie sind bei der Ausübung ihres Mandats an Aufträge und Weisungen nicht gebunden (freies Mandat). Ihre Rechte umfassen Rede-, Antrags-, Initiativ- und Fragerechte sowie den Zugang zu erforderlichen Informationen und Unterlagen der Bezirksverwaltung. BVV-Mitglieder sind verpflichtet, an den Sitzungen teilzunehmen und unterliegen straf- und haftungsrechtlichen Besonderheiten (z.B. Verschwiegenheitspflichten, Auskunftspflichten gegenüber den Aufsichtsbehörden). Interessenkonflikte müssen angezeigt werden, und es gelten die Vorschriften zur Befangenheit sowie Mitwirkungsausschluss.

Welche rechtlichen Vorschriften gelten für die Öffentlichkeit und Nichtöffentlichkeit der BVV-Sitzungen?

Die Sitzungen der BVV sind grundsätzlich gemäß Bezirksverwaltungsgesetz öffentlich, um Transparenz und demokratische Kontrolle zu gewährleisten. Nichtöffentlichkeit kann in besonderen Fällen beschlossen werden, etwa bei Angelegenheiten mit personenbezogenen Daten, vertraulichen Personalangelegenheiten oder wenn das Wohl des Bezirks oder Dritter es verlangt. Die Vorschrift zur Herstellung der Öffentlichkeit ist zwingend und hat verfassungsrechtliche Bedeutung. Über die Nichtöffentlichkeit entscheidet die BVV in einem gesetzlich geregelten Verfahren durch Beschluss. Protokolle nichtöffentlicher Sitzungen unterliegen besonderen Geheimhaltungsverpflichtungen und dürfen nur in gesetzlich definierten Ausnahmefällen eingesehen werden.

Welche rechtlichen Vorgaben gelten für die Einberufung und Beschlussfassung der BVV?

Die Einberufung der BVV ist streng durch das Bezirksverwaltungsgesetz geregelt: Einberufungen erfolgen durch die Vorsteherin oder den Vorsteher der BVV nach Maßgabe der gesetzlichen Fristen unter Angabe von Tagesordnung und Beratungsgegenständen. Die Einberufungsfrist und -form ist zwingend einzuhalten, bei Missachtung sind gefasste Beschlüsse in der Regel nichtig. Die BVV ist beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der gesetzlichen Mitglieder anwesend ist. Beschlüsse werden mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefällt, sofern keine qualifizierte Mehrheit oder andere Anforderungen durch Gesetz oder Geschäftsordnung vorgesehen sind.

Wie ist die Rechtskontrolle und Anfechtbarkeit von BVV-Beschlüssen geregelt?

Die Rechtskontrolle über die Beschlüsse der BVV obliegt der Kommunalaufsicht des Landes Berlin oder ggf. der Senatsverwaltung für Inneres. Beschlüsse, die gegen übergeordnetes Recht, insbesondere die Berliner Verfassung, Landesgesetze oder die Hauptsatzung des Bezirks, verstoßen, können von der Aufsichtsbehörde beanstandet und ggf. aufgehoben werden. Innerhalb der BVV besteht die Möglichkeit, dass einzelne Mitglieder Einwendungen gegen die formelle Rechtmäßigkeit eines Beschlusses erheben; diese werden protokolliert und können zur nachträglichen Überprüfung führen. Externe gerichtliche Anfechtung ist grundsätzlich ausgeschlossen, da die BVV keine Außenwirkung entfaltet, es sei denn, der Beschluss wirkt sich direkt auf schutzwürdige Rechtspositionen Dritter aus; in diesem Fall ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.