Legal Lexikon

Bewusstseinsstörung


Begriff und Definition der Bewusstseinsstörung

Eine Bewusstseinsstörung ist ein Zustand, in dem das normale klar bewusste Erleben und Verhalten einer Person vorübergehend oder dauerhaft aufgehoben oder eingeschränkt ist. Im rechtlichen Kontext wird die Bewusstseinsstörung vornehmlich im Strafrecht und Zivilrecht, teilweise auch im Sozialrecht und Versicherungsrecht, verwendet, um die Zurechnungsfähigkeit, Willensbildung sowie die Geschäftsfähigkeit von Personen zu beurteilen. Der Begriff umfasst verschiedene Ausprägungen, darunter quantitative Störungen wie Bewusstlosigkeit sowie qualitative Störungen wie Verwirrtheit, Dämmerzustände oder tranceartige Zustände.

Bewusstseinsstörungen können durch unterschiedliche Ursachen wie Erkrankungen, psychische Störungen, Substanzkonsum (z. B. Alkohol, Drogen), Traumata oder neurobiologische Prozesse ausgelöst werden. Sie sind sowohl im medizinischen Kontext als auch für rechtliche Bewertungen von maßgeblicher Bedeutung.


Rechtliche Bedeutung und Einordnung

Relevanz im Strafrecht

Im Strafrecht spielt die Bewusstseinsstörung eine entscheidende Rolle bei der Feststellung der Schuldfähigkeit einer Person nach §§ 20, 21 StGB (Strafgesetzbuch). Gemäß § 20 StGB ist eine Person schuldunfähig, wenn sie „wegen einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, wegen Schwachsinns oder wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit“ das Unrecht der Tat nicht einsehen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Auch akute Intoxikationszustände, beispielsweise durch Alkoholmissbrauch, fallen, soweit sie zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung führen, unter diesen Rechtsbegriff.

Bei der Beurteilung, ob eine Bewusstseinsstörung eine Schuldunfähigkeit begründet (§ 20 StGB) oder die Schuldfähigkeit erheblich vermindert ist (§ 21 StGB), ist stets eine konkrete Prüfung und Abwägung im jeweiligen Einzelfall erforderlich. Die tiefe Bewusstseinsstörung muss so gravierend sein, dass die Hemmungsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt ist. Typische Fallbeispiele im Strafrecht sind Delikte während eines Deliriums oder infolge einer Intoxikation.

Einfluss auf die Geschäftsfähigkeit im Zivilrecht

Im Zivilrecht ist die Bewusstseinsstörung vor allem im Zusammenhang mit der Geschäftsfähigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB – Bürgerliches Gesetzbuch) und der Anfechtung von Willenserklärungen (§ 105 BGB) von Bedeutung. Personen, die sich bei Abgabe einer Willenserklärung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, sind geschäftsunfähig. Willenserklärungen solcher Personen sind nichtig.

Darüber hinaus erlaubt § 138 BGB Anfechtung von Rechtsgeschäften, wenn durch eine Bewusstseinsstörung, etwa durch Drogenkonsum, die freie Willensbildung ausgeschlossen war. Die Feststellung, ob eine Bewusstseinsstörung im Zeitpunkt der Handlung bestand und welche Auswirkungen dies auf die Willensbildung hatte, ist zentral für die rechtliche Bewertung der Wirksamkeit von Verträgen oder sonstigen Erklärungen.

Bedeutung im Familienrecht

Im Familienrecht spielt die Bewusstseinsstörung bei Entscheidungen über Betreuung und Vormundschaft (§ 1896 BGB ff.) eine Rolle. Wenn eine volljährige Person wegen einer Bewusstseinsstörung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen kann, kann das Betreuungsgericht die Bestellung eines Betreuers anordnen. Auch für Ehenichtigkeitsverfahren (§ 1314 BGB) ist relevant, ob zum Zeitpunkt der Eheschließung eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung vorlag und somit keine wirksame Einwilligung zur Eheschließung möglich war.


Abgrenzung zu anderen Störungsbildern

Tiefgreifende Bewusstseinsstörung versus „normale“ Bewusstseinseintrübung

Die tiefgreifende Bewusstseinsstörung im rechtlichen Sinn ist abzugrenzen von alltäglichen oder weniger schweren Bewusstseinseintrübungen wie Müdigkeit, Ablenkung oder Unachtsamkeit. Im Fokus stehen solche Störungen, die pathologisch bedingt sind und die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln erheblich beeinträchtigen oder aufheben.

Abgrenzung zu psychischen Erkrankungen

Obwohl es Überschneidungen zwischen Bewusstseinsstörungen und psychischen Erkrankungen gibt, ist eine klare Unterscheidung notwendig. Nicht jede psychische Störung führt zu einer rechtlich relevanten Bewusstseinsstörung. Entscheidend ist das Ausmaß der Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit im konkreten Fall.


Voraussetzungen und Nachweis im Rechtsverfahren

Medizinische Begutachtung

Das Vorliegen und der Umfang einer Bewusstseinsstörung werden regelmäßig durch eine medizinische oder psychiatrische Begutachtung festgestellt. Hierbei sind die Ursachen, Verlauf und die Auswirkungen auf die Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit zu dokumentieren. Gerichtliche Sachverständige stützen ihre Beurteilung auf klinische Untersuchungen, Beobachtungen sowie aktenkundliche Vorgänge und nehmen eine Einschätzung zum Einfluss der Störung auf die jeweilige Handlungsfähigkeit vor.

Beweislast und Darlegungslast

Grundsätzlich ist derjenige, der sich auf eine Bewusstseinsstörung beruft und daraus Rechtsfolgen ableitet, für deren Vorliegen beweisbelastet. Dies gilt sowohl im Straf- wie auch im Zivilverfahren. Die Anforderungen an die Darlegung sind hoch, insbesondere wenn die Behauptung das tragende Fundament eines Freispruchs oder der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts bilden soll.


Ausgewählte Anwendungsbeispiele

Bewusstseinsstörung durch Alkohol- oder Drogenintoxikation

Akute Rauschzustände durch den Konsum von Alkohol, Drogen oder Medikamenten können zur tiefgreifenden Bewusstseinsstörung führen. Im Strafrecht gilt, dass ein selbstverschuldeter Ausschluss der Steuerungsfähigkeit eine Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) ausschließen kann, jedoch der sogenannte „Rausch“ nach § 323a StGB selbst strafbar ist.

Pathologische Zustände (z. B. Delirium, Demenz)

Bei fortgeschrittenen Demenzformen, Delirien oder anderen neurokognitiven Erkrankungen können die Betroffenen nicht mehr eigenverantwortlich handeln. Die rechtlichen Folgen sind weitreichend, von der Nichtigerklärung von Willenserklärungen über die Anordnung einer Betreuung bis zu Einschränkungen im Erbrecht.


Relevante Rechtsprechung zur Bewusstseinsstörung

Die Rechtsprechung behandelt die Bewusstseinsstörung in zahlreichen Entscheidungen, insbesondere zur Schuldfähigkeit, Geschäftsfähigkeit und Anordnung einer Betreuung. Maßgeblich ist stets die Feststellung einer konkreten, zum maßgeblichen Zeitpunkt bestehenden und den freien Willen ausschließenden Störung. Der Bundesgerichtshof (BGH) und die Oberlandesgerichte setzen hierbei enge Kriterien an die Annahme einer tatbestandsmäßigen tiefgreifenden Bewusstseinsstörung.


Zusammenfassung und Bedeutung im Rechtswesen

Die Bewusstseinsstörung ist ein zentrales Rechtskonzept mit weitreichenden Folgen, insbesondere für die Beurteilung der Straf- und Geschäftsfähigkeit sowie der Eigenverantwortlichkeit von Personen. Sie kann zu Schuldfähigkeitseinschränkungen, Nichtigkeit von Rechtsgeschäften und der Notwendigkeit rechtlicher Betreuung führen. Die Feststellung einer rechtlich relevanten Bewusstseinsstörung erfordert eine sorgfältige medizinische und rechtliche Bewertung im Einzelfall und bildet eine der komplexesten Schnittstellen zwischen Recht und Medizin.

Häufig gestellte Fragen

Was sind die rechtlichen Konsequenzen einer Bewusstseinsstörung im Strafrecht?

Eine Bewusstseinsstörung kann im Strafrecht erhebliche Auswirkungen auf die Strafbarkeit einer Person haben. Nach § 20 StGB (Strafgesetzbuch) kann die Schuldfähigkeit ausgeschlossen sein, wenn eine Person im Zustand einer krankhaften seelischen Störung, tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit eine rechtswidrige Tat begeht. Das bedeutet, wenn eine Bewusstseinsstörung so weit reicht, dass die Fähigkeit zur Einsicht in das Unrecht der Tat oder nach dieser Einsicht zu handeln aufgehoben war, ist die betroffene Person nicht schuldfähig und kann daher nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Allerdings wird genau geprüft, ob und in welchem Ausmaß die Bewusstseinsstörung tatsächlich vorlag. Es können Gutachten eingeholt und medizinische Beweise angefordert werden. Auch Situationen wie akute Intoxikation oder epileptische Anfälle können hierunter fallen, wenn sie die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen.

Welche Bedeutung hat eine Bewusstseinsstörung im Zivilrecht, z.B. bei Vertragsabschlüssen?

Im zivilrechtlichen Kontext, insbesondere bei Vertragsabschlüssen, kann eine Bewusstseinsstörung die Geschäftsfähigkeit beeinträchtigen oder ausschließen. Nach § 104 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) ist nicht geschäftsfähig, wer sich in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern der Zustand nicht vorübergehend ist. Aber auch eine nur vorübergehende Störung kann nach § 105 Abs. 2 BGB zur Nichtigkeit von Willenserklärungen führen. Liegt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine Bewusstseinsstörung vor, ist die abgegebene Willenserklärung nichtig, da das erforderliche Bewusstsein und die Willensbildung nicht gegeben waren. In der Praxis ist dies oft Gegenstand von Streitigkeiten und erfordert regelmäßig eine genaue medizinische Einschätzung zum Zustand des Betroffenen in dem relevanten Moment.

Wie werden Bewusstseinsstörungen gerichtlich festgestellt?

Die gerichtliche Feststellung einer Bewusstseinsstörung basiert im Regelfall auf einer Kombination aus sachverständigen Gutachten, Zeugenbefragungen und der Prüfung medizinischer Dokumente. Besonders wichtig sind forensisch-psychiatrische Gutachten, die sowohl den Zustand des Betroffenen zum Zeitpunkt des relevanten Ereignisses als auch dessen Auswirkungen auf Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bewerten. Das Gericht ist an die Gutachten nicht gebunden, lässt diese aber in die Gesamtwürdigung einfließen. Die Beteiligung von Sachverständigen ist vor allem in Strafprozessen und bei komplizierten zivilrechtlichen Fragestellungen üblich und entscheidend, um die Tragweite der Bewusstseinsstörung rechtssicher zu klären.

Kann eine Bewusstseinsstörung als Entschuldigungsgrund anerkannt werden?

Im Strafrecht kann eine Bewusstseinsstörung als Entschuldigungsgrund anerkannt werden, wenn dadurch die Schuldfähigkeit ausgeschlossen oder erheblich vermindert wurde. Dies regeln vor allem § 20 und § 21 StGB. Liegt eine vollständige Schuldunfähigkeit vor, führt dies zum Freispruch in Bezug auf die strafrechtliche Verantwortung. Ist die Schuldfähigkeit nur vermindert, kann das Strafmaß gemildert werden. Im Ordnungswidrigkeitenrecht (z.B. Verkehrsrecht) gelten ähnliche Grundsätze: Ist der Betroffene durch eine Bewusstseinsstörung vorübergehend handlungsunfähig, kann er nicht für eine Ordnungswidrigkeit belangt werden. In allen Fällen gilt aber eine hohe Darlegungslast, das heißt, die Bewusstseinsstörung muss zweifelsfrei nachgewiesen werden.

Welche Ansprüche oder Rechte können Dritte bei einer Bewusstseinsstörung geltend machen?

Sofern eine Schlüsselperson durch eine Bewusstseinsstörung handlungsunfähig wird, können gesetzliche Vertreter, Betreuer oder Notvertretungsrechte greifen. Im Zivilrecht kann beispielsweise ein gesetzlicher Betreuer für die betroffene Person Willenserklärungen abgeben oder über Vermögenswerte verfügen, soweit dies zur Wahrung ihrer Interessen notwendig ist (§ 1896 ff. BGB). Im Familienrecht kann das Vormundschaftsgericht bestimmte Maßnahmen genehmigen, wenn eine vorübergehende oder dauerhafte Bewusstseinsstörung vorliegt. Auch im Medizinrecht kann eine Patientenverfügung zum Tragen kommen, wenn eine Person infolge einer Bewusstseinsstörung ihren Willen nicht mehr äußern kann.

Hat eine vorübergehende Bewusstseinsstörung Auswirkungen auf die Testierfähigkeit?

Ja, auch im Erbrecht spielt die Bewusstseinsstörung eine erhebliche Rolle. Die Testierfähigkeit nach § 2229 Abs. 4 BGB setzt voraus, dass der Erblasser bei Errichtung des Testaments frei von Störungen der Geistestätigkeit war, die seine Fähigkeit zur freien Willensbestimmung ausschließen. War zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine Bewusstseinsstörung vorhanden, ist das Testament nichtig. Die Feststellung dieser Umstände erfolgt erneut durch ärztliche Gutachten und Zeugenaussagen. Im Streitfall ist entscheidend, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Erklärung die Bedeutung und Tragweite seiner Verfügung vollständig überblicken konnte.

Wie wirken sich Bewusstseinsstörungen auf die Haftung im Straßenverkehr aus?

Im Verkehrsrecht können Bewusstseinsstörungen zur Unfähigkeit führen, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen (§ 316 StGB). Ist eine Person infolge einer Bewusstseinsstörung fahruntüchtig, darf sie kein Fahrzeug führen. Passiert dennoch ein Unfall, kann die Haftung entfallen, wenn die Person ohne eigenes Verschulden in diesen Zustand geraten ist („unvermeidbarer Bewusstseinsverlust“ etwa durch plötzliche Ohnmacht). Allerdings trifft den Fahrzeugführer eine hohe Sorgfaltspflicht: Wer trotz Vorankündigung einer möglichen Bewusstseinsstörung (z.B. bekannte Epilepsie) ein Fahrzeug führt, handelt grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich. In diesen Fällen bleibt die zivilrechtliche und ggf. strafrechtliche Haftung bestehen, insbesondere gegenüber Dritten.

Können Versicherungen die Leistung bei einer Bewusstseinsstörung verweigern?

Versicherungsrechtlich sind Bewusstseinsstörungen insbesondere bei Schadensfällen und bei Beantragung von Leistungen von Bedeutung. Viele Versicherungsverträge – insbesondere Unfall- oder Lebensversicherungen – sehen bei vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführten Bewusstseinsstörungen Ausschlüsse vor. Das heißt, ist die Bewusstseinsstörung durch Alkohol, Drogenmissbrauch oder Verletzung ärztlicher Verhaltensregeln selbstverschuldet, kann die Versicherung die Leistung verweigern. War die Bewusstseinsstörung hingegen nicht vorhersehbar und nicht vermeidbar, besteht in der Regel voller Versicherungsschutz. Im konkreten Einzelfall prüfen Versicherungen detailliert die Ursache der Bewusstseinsstörung und können ärztliche Nachweise oder Gutachten fordern.