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Bewusstsein der Rechtswidrigkeit


Begriff und Bedeutung des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit

Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ist ein zentrales Element in vielen Bereichen des deutschen Strafrechts und Ordnungswidrigkeitenrechts. Es beschreibt die Kenntnis oder das Wissen einer handelnden Person darüber, dass ihr Verhalten gegen geltendes Recht verstößt. Diese innere Tatseite ist insbesondere für die Frage der Schuld und im Rahmen bestimmter Rechtsfolgen von erheblicher Relevanz.

Rechtsdogmatische Einordnung

Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit wird grundsätzlich als besondere Ausprägung des allgemeinen Schuldprinzips betrachtet. Nach diesem Prinzip soll niemand für ein Verhalten bestraft werden, das er nicht als Unrecht erkennen konnte. Es stellt daher einen wichtigen Bestandteil der persönlichen Vorwerfbarkeit im Strafrecht dar.

Im Unterschied zum Vorsatz, der das Wissen und Wollen sämtlicher objektiver Tatumstände umfasst, bezieht sich das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ausschließlich auf die rechtliche Bewertung des eigenen Handelns. Während „Vorsatz“ das Wissen um die Tatbestandsverwirklichung verlangt, fordert das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit das Erkennen, dass das Verhalten rechtswidrig ist.

Funktion im Strafrecht

Bedeutung im Rahmen des Schuldvorwurfs

Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit wirkt sich auf der Ebene der Schuld aus. Nach herrschender Meinung im Strafrecht ist das Unrechtsbewusstsein ein Teil der Schuldform „Vorsatzschuld“. Fehlt dem Täter das Unrechtsbewusstsein, ohne dass ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann, liegt ein sogenannter unvermeidbarer Verbotsirrtum vor, der die Schuld – und damit die Strafbarkeit – entfallen lässt (§ 17 Satz 1 StGB).

Abgrenzung: Verbotsirrtum

Das deutsche Strafrecht unterscheidet zwischen dem Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB) und dem Verbotsirrtum (§ 17 StGB):

  • Tatbestandsirrtum: Betrifft das Nichtkennen eines objektiven Tatbestandsmerkmals.
  • Verbotsirrtum: Betrifft das Fehlen des Unrechtsbewusstseins, also die Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des eigenen Handelns.

Vermeidbarer und unvermeidbarer Verbotsirrtum

  • Vermeidbarer Verbotsirrtum (§ 17 Satz 2 StGB): War der Irrtum vermeidbar, so kann die Strafe gemildert werden.
  • Unvermeidbarer Verbotsirrtum (§ 17 Satz 1 StGB): Ist der Irrtum nicht vermeidbar, entfällt die Strafbarkeit.

Die Vermeidbarkeit beurteilt sich nach den Fähigkeiten und Kenntnissen eines durchschnittlichen Menschen in der konkreten Situation des Täters. Maßgeblich ist, ob von der handelnden Person verlangt werden kann, sich über die rechtliche Bewertung ihres Verhaltens zu vergewissern.

Beispielhafte Anwendung

Ein klassischer Anwendungsfall ist das Verbot bestimmter Handlungen, deren Rechtswidrigkeit Laien nicht ohne weiteres erkennen können. Wer etwa ohne besondere Kenntnisse eine ausländische Antiquität einführt und nicht weiß, dass hierfür eine Genehmigung erforderlich ist, kann einem Verbotsirrtum unterliegen.

Bewusstsein der Rechtswidrigkeit im Ordnungswidrigkeitenrecht

Im Ordnungswidrigkeitenrecht ist das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ebenfalls als Teil des Schuldvorwurfs bedeutsam. Fehlt dem Betroffenen das Bewusstsein, rechtswidrig zu handeln und war dies auch nicht vermeidbar, entfällt gemäß § 11 OWiG der Vorwurf der Schuld. Die Vorschrift regelt insoweit die Unrechtsbewusstseinsproblematik analog zum Strafrecht.

Folgen bei fehlendem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit

Fehlt das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit, kann dies in der Rechtsfolge unterschiedlich bewertet werden:

  • Unvermeidbarer Verbotsirrtum: Keine Schuld, daher straflos.
  • Vermeidbarer Verbotsirrtum: Schuld liegt vor, aber Möglichkeit der Strafmilderung.

Dies gilt sowohl im Erwachsenenrecht als auch bei heranwachsenden und jugendlichen Tätern im Rahmen des Jugendstrafrechts.

Rechtsprechung und praktische Handhabung

Die Rechtsprechung geht davon aus, dass grundsätzlich jeder wissen sollte, dass sein Verhalten verboten ist („Rechtsunkenntnis schadet“). Nur Ausnahmefälle rechtfertigen die Annahme eines fehlenden Unrechtsbewusstseins, etwa bei extrem unübersichtlicher Rechtslage oder irreführender behördlicher Beratung.

Das Gericht prüft im Einzelfall, ob dem Handelnden das Fehlen des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit persönlich vorwerfbar ist und welche Prüfungs- und Erkundigungspflichten bestanden haben.

Literatur- und Quellenhinweise

Zur Vertiefung werden folgende Standardwerke empfohlen:

  • Fischer, Strafgesetzbuch und Kommentar
  • Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil
  • LK-StGB, § 17
  • Göhler, OWiG-Kommentar

Zusammenfassung

Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ist ein bedeutsamer Begriff für die Beurteilung der individuellen Schuld im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht. Es schützt das Schuldprinzip, indem es Personen von Strafe freistellt, die sich trotz aller zumutbaren Bemühungen nicht bewusst sein konnten, Unrecht zu begehen. Die genaue Prüfung erfolgt stets im Einzelfall und ist für das Verständnis des Schuldaufbaus in der deutschen Rechtsordnung unerlässlich.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit bei der Strafbarkeit?

Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit stellt im deutschen Strafrecht ein persönliches Element der Schuld dar. Es ist dabei nicht notwendiger Bestandteil des objektiven oder subjektiven Tatbestands, sondern Teil der so genannten persönlichen Vorwerfbarkeit im Rahmen der Schuld. Fehlt einem Täter das Bewusstsein, dass sein Verhalten rechtswidrig ist, kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB vorliegen. Dadurch entfällt nicht die Strafbarkeit, sofern der Irrtum vermeidbar war. War der Irrtum jedoch unvermeidbar und handelte der Täter ohne rechtliche Vorwerfbarkeit, so kann die Schuld entfallen. Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ist daher von entscheidender Bedeutung, da es darüber mitentscheidet, ob eine strafbare Handlung wirklich vorwerfbar und damit schuldhaft begangen wurde.

Wie unterscheidet sich das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit vom Vorsatz?

Der Vorsatz bezieht sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes, also auf Kenntnis und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit hingegen betrifft die Einsicht, dass das eigene Verhalten durch das Recht verboten ist. Ein Täter kann demnach vorsätzlich handeln, ohne das Bewusstsein zu haben, dass sein Handeln auch rechtswidrig ist, beispielsweise bei sogenannten indirekten Verbotsirrtümern. In solchen Fällen liegt Vorsatz bezüglich der Tatbestandsverwirklichung vor, jedoch fehlt die Überzeugung, Unrecht zu tun. Dies kann dazu führen, dass trotz vorsätzlichen Handelns die Schuld hinsichtlich der Tat entfällt, sofern der Irrtum über die Rechtswidrigkeit unvermeidbar war.

Wann liegt ein fehlendes Bewusstsein der Rechtswidrigkeit im Sinne des Strafrechts vor?

Ein fehlendes Bewusstsein der Rechtswidrigkeit liegt vor, wenn der Täter davon ausgeht, dass sein Handeln durch das Recht erlaubt oder zumindest nicht verboten ist. Dies kann etwa der Fall sein, wenn eine Person objektiv einem Irrtum über die Rechtslage unterliegt, etwa weil sie eine bestehende Rechtfertigungsnorm falsch interpretiert oder von der Existenz einer solchen überzeugt ist. Es genügt hierbei bereits, wenn der Täter ernsthaft an die Rechtmäßigkeit seines Tuns glaubt. Das Gesetz unterscheidet dabei, ob dieser Irrtum vermeidbar war – also durch gehörige Sorgfalt hätte vermieden werden können – oder nicht. Ein unvermeidbarer Irrtum wird im Ergebnis wie ein Entschuldigungsgrund behandelt.

Wie prüft das Gericht, ob ein fehlendes Bewusstsein der Rechtswidrigkeit vorlag?

Die Gerichte prüfen im Rahmen der Feststellung der Schuld, ob beim Täter individuell ein Bewusstsein der Rechtswidrigkeit vorhanden war. Dies geschieht durch die Analyse des Geisteszustands des Täters im Tatzeitpunkt, wobei insbesondere die Umstände des Einzelfalls, die persönliche Vorbildung, eventuelle rechtliche Informationen und die Zugänglichkeit zu Beratungen Berücksichtigung finden. Maßgeblich ist zudem, inwiefern ein durchschnittlicher Mensch in der Lage gewesen wäre, den Irrtum zu vermeiden bzw. sich über die Rechtslage zu informieren. Dies schließt auch Aspekte wie den Vertrauensschutz in behördliche Auskünfte oder verbreitete Rechtsmeinungen ein.

Welche Bedeutung hat das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit im Verhältnis zu einem Verbotsirrtum (§ 17 StGB)?

Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ist das zentrale Kriterium beim Verbotsirrtum nach § 17 StGB. Wer ohne das Bewusstsein handelt, Unrecht zu tun, befindet sich in einem Verbotsirrtum. Der Verbotsirrtum entschuldigt den Täter aber nur, wenn er unvermeidbar war – also wenn der Täter auch bei Einsatz aller ihm zumutbaren Kräfte und erheblichen Bemühungen die Rechtswidrigkeit seines Handelns nicht hätte erkennen können. Ein vermeidbarer Irrtum führt nur zur Strafmilderung (§ 17 Satz 2 StGB). Somit ist das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit entscheidend für die Bestimmung, wie der Verbotsirrtum strafrechtlich zu behandeln ist.

Kann das Fehlen des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit auch im Zivilrecht relevant sein?

Im Zivilrecht spielt das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit eine deutlich geringere Rolle als im Strafrecht. Es kann jedoch in einzelnen Konstellationen bedeutsam sein, etwa im Deliktsrecht hinsichtlich der Beurteilung von Vorsatz oder bösem Glauben (§ 826 BGB) oder im Zusammenhang mit der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Eine bewusste Missachtung rechtlicher Vorgaben ist hier jedoch regelmäßig nicht Voraussetzung für die Anspruchsentstehung, sondern kann allenfalls für die Bewertung von subjektiven Elementen der Rechtsverletzung relevant sein.

Welche Beweislast besteht bezüglich des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit?

Grundsätzlich gilt im Strafprozess das Legalitätsprinzip, und die Staatsanwaltschaft muss alle für und gegen die Schuld sprechenden Umstände ermitteln. Hinsichtlich des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit trifft den Angeklagten die sekundäre Darlegungslast, weist dieser konkret auf Tatsachen hin, die ein fehlendes Rechtsbewusstsein stützen könnten, muss das Gericht diese Umstände sorgfältig prüfen und gegebenenfalls zu Lasten oder Gunsten bewerten. Die Beweisführung in Bezug auf subjektive Vorstellungen ist regelmäßig schwierig, weshalb in Zweifelsfällen die für den Angeklagten günstigere Annahme zu treffen ist (in dubio pro reo).