Definition und Grundlagen des Besteuerungsverfahrens
Das Besteuerungsverfahren bezeichnet die Gesamtheit der rechtlichen Regelungen und Abläufe, die zur Festsetzung, Erhebung und Durchsetzung von Steuern in Deutschland dienen. Die maßgebliche gesetzliche Grundlage bildet die Abgabenordnung (AO). Das Verfahren bestimmt, wie Steuerpflichtige und Finanzbehörden interagieren, welche Pflichten und Rechte bestehen und wie staatliche Steueransprüche entstehen sowie durchgesetzt oder bestritten werden können. Es handelt sich um ein Teilgebiet des Steuerrechts, das vor allem dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verpflichtet ist.
Rechtsgrundlagen des Besteuerungsverfahrens
Abgabenordnung (AO) als zentrales Gesetz
Kernstück des Besteuerungsverfahrens stellt die Abgabenordnung (AO) dar. Sie regelt insbesondere allgemeine Vorschriften, das Steuerverwaltungsverfahren, steuerliche Nebenleistungen, Vollstreckung und das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren. Einzelausführungen erfolgen in spezialgesetzlichen Bestimmungen etwa im Einkommensteuergesetz (EStG), Körperschaftsteuergesetz (KStG), Umsatzsteuergesetz (UStG) und weiteren Steuergesetzen.
Weitere relevante Regelungswerke
- Steuerdatenübermittlungsverordnung (StDÜV)
- Finanzgerichtsordnung (FGO) im Rahmen gerichtlicher Überprüfung
- Einsatz der Abgabenordnungs-Durchführungsverordnungen
- Besonderheiten im Bereich der Zollverwaltung und EU-Rechtsakte (insb. Zollkodex)
Phasen des Besteuerungsverfahrens
Das Besteuerungsverfahren gliedert sich klassischerweise in mehrere Verfahrensabschnitte, die jeweils eigenständigen rechtlichen Vorgaben unterliegen.
1. Ermittlungsverfahren
Zu Beginn steht das Ermittlungsverfahren (§§ 85-89 AO). Die Finanzbehörden sind verpflichtet, den steuerlichen Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (Amtsermittlungsgrundsatz). Hierzu werden Steuererklärungen, Steueranmeldungen, Buchhaltungsunterlagen, Belege sowie Auskünfte, auch von Dritten, herangezogen.
Mitwirkungspflichten
Die Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen ergeben sich insbesondere aus den §§ 90 ff. AO. Diese umfassen u. a. die umfassende Auskunfts- und Vorlagepflicht, die Pflicht zur Führung von Aufzeichnungen sowie besondere Pflichten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten (insbesondere beim internationalen Informationsaustausch).
Grenzen der Ermittlung
Dem entgegen stehen grundrechtliche Schutzmechanismen wie das Steuergeheimnis (§ 30 AO) und das verfassungsrechtliche Übermaßverbot. Die Finanzbehörden haben stets auch die Entlastungsmomente zu ermitteln und die Verhältnismäßigkeit zu wahren.
2. Festsetzungsverfahren
Nach vollständiger Sachverhaltsermittlung folgt das Festsetzungsverfahren (§§ 155-157 AO). Die Steuer wird im Regelfall durch Steuerbescheid festgesetzt, der als Verwaltungsakt ergeht. Erforderlich sind eine eindeutige Adressierung, Begründung sowie ordnungsgemäße Bekanntgabe.
Arten von Steuerbescheiden
Unterschieden werden endgültige Steuerbescheide, vorläufige Bescheide (§ 165 AO), Steuerbescheide unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) sowie geänderte Steuerbescheide (Korrektur- bzw. Änderungsbescheide).
Bekanntgabe und Bestandskraft
Die ordnungsgemäße Bekanntgabe des Steuerbescheids ist Wirksamkeitsvoraussetzung (§ 122 AO). Der Bescheid entfaltet Bindungswirkung (Bestandskraft), sofern kein Rechtsbehelf eingelegt wird.
3. Erhebungsverfahren
Das Erhebungsverfahren (§§ 218 ff. AO) umfasst die Einziehung der festgesetzten Steuerbeträge. Hierzu dienen Zahlungsaufforderungen, festgelegte Fälligkeitstermine, Stundung (§ 222 AO), Erlass (§ 227 AO) und Säumniszuschläge (§ 240 AO). Bei Nichtzahlung greifen Vollstreckungsmaßnahmen (s. Vollstreckungsverfahren).
4. Vollstreckungsverfahren
Kommt der Steuerpflichtige seiner Zahlungspflicht nicht nach, wird das Vollstreckungsverfahren (§§ 249 ff. AO) eingeleitet. Staatliche Zwangsmittel reichen von Mahnungen über Kontopfändung bis zur Zwangsversteigerung.
Rechtsbehelfsverfahren und gerichtliche Kontrolle
Gegen Verwaltungsakte der Finanzbehörden steht das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren offen (§§ 347 ff. AO), in der Regel der Einspruch. Das Ausgangsfinanzamt überprüft die Entscheidung erneut. Nach erfolglosem Einspruch ist der Rechtsweg zu den Finanzgerichten eröffnet (FGO), wobei zunächst das Finanzgericht und im Revisionsverfahren der Bundesfinanzhof (BFH) über die Angelegenheit entscheiden.
Bedeutung von Fristen und Verjährung
Das Besteuerungsverfahren ist von verschiedenen Fristen geprägt. Entscheidende Bedeutung haben dabei:
- Festsetzungsverjährung (§§ 169-171 AO): Zeitraum, in dem eine Steuerfestsetzung zulässig ist, meist vier Jahre ab Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.
- Zahlungsverjährung (§§ 228-232 AO): Grundsätzlich fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer erstmals fällig war.
- Einspruchsfristen und Klagefristen (§§ 355 AO, § 47 FGO): Im Regelfall ein Monat ab Bekanntgabe des Steuerbescheids.
Besondere Verfahren
Steuerstrafverfahren und Steuerordnungswidrigkeiten
Bei Verdacht auf Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) treten steuerliche Ermittlungsmaßnahmen mit strafprozessualem Einschlag hinzu: etwa Durchsuchungen, Beschlagnahmen oder vorläufige Sicherungsmaßnahmen.
Außenprüfung
Die Außenprüfung (§§ 193 ff. AO), umgangssprachlich Betriebsprüfung, dient der nachträglichen Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse zahlreicher Steuerpflichtiger, insbesondere von Unternehmen.
Internationales Besteuerungsverfahren
Im Rahmen grenzüberschreitender Steuerfälle gewinnen Verfahren wie zwischenstaatlicher Informationsaustausch, Verständigungsverfahren gemäß Doppelbesteuerungsabkommen (§ 2 DStAÜG) sowie das EU-einheitliche Mehrwertsteuerverfahren an Bedeutung.
Reform und Entwicklung des Besteuerungsverfahrens
Digitalisierung, Automatisierung der Steuerverwaltung und internationale Entwicklungen (z. B. DAC-Richtlinien der EU, BEPS der OECD) verändern das klassische Besteuerungsverfahren stetig. Insbesondere elektronische Verfahren (ELSTER, elektronische Steuerakte, automationsgestützte Prüfungen) rücken in den Vordergrund.
Fazit
Das Besteuerungsverfahren steuert als komplexes und vielschichtiges Rechtssystem die Erhebung und Durchsetzung von Steuern. Die Regelungen gewährleisten einen rechtsstaatlichen, transparenten und effizienten Ablauf, der die Rechte der Steuerpflichtigen wie auch die Interessen des Staates schützt. Eine genaue Kenntnis der verschiedenen Phasen, Rechte, Pflichten und Fristen ist entscheidend, um die jeweiligen Verfahren korrekt und rechtssicher zu gestalten.
Häufig gestellte Fragen
Wie verläuft das Besteuerungsverfahren rechtlich gesehen?
Das Besteuerungsverfahren ist im deutschen Steuerrecht durch die Abgabenordnung (AO) geregelt und beschreibt den gesamten Rechtsweg von der Ermittlung des steuerlich relevanten Sachverhalts bis hin zur Festsetzung und Erhebung der Steuern sowie der abschließenden Rechtsbehelfe. Nach einer Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen im Rahmen der Steuererklärung (§ 149 AO) prüft das Finanzamt die Angaben, erhebt bei Bedarf weitere Beweise (§ 88 AO – Untersuchungsgrundsatz) und erlässt auf dieser Basis den Steuerbescheid (§ 155 AO). Der Steuerpflichtige hat die rechtliche Möglichkeit, gegen diesen Bescheid innerhalb eines Monats Einspruch einzulegen (§ 347 AO). Die formale Bekanntgabe durch das Finanzamt (§ 122 AO) markiert zugleich den Beginn der Rechtsmittelfrist. Im weiteren Verlauf können Streitigkeiten auch vor das Finanzgericht gebracht werden. Das Verfahren ist von verschiedenen Grundsätzen wie dem Legalitätsprinzip (§ 85 AO), dem Gleichbehandlungsgrundsatz sowie dem Grundsatz von Treu und Glauben geprägt. Jede einzelne Phase des Besteuerungsverfahrens unterliegt strikten formalen und materiellen gesetzlichen Regelungen, deren Missachtung erhebliche Rechtsfolgen, wie Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit von Bescheiden, nach sich ziehen kann.
Welche Mitwirkungspflichten bestehen für den Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren?
Die Mitwirkungspflichten werden primär durch §§ 90-101 AO definiert. Steuerpflichtige sind zur wahrheitsgemäßen, vollständigen und fristgerechten Offenlegung aller steuerrelevanten Tatsachen verpflichtet. Dies beginnt mit der Abgabe von Steuererklärungen und umfasst auf Anforderung das Vorlegen von Nachweisen, Belegen und Geschäftsunterlagen. Insbesondere bei Auslandssachverhalten ist der Steuerpflichtige nach § 90 Absatz 2 AO verpflichtet, eigenständig die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen aufzuklären. Bei fehlender Mitwirkung können Schätzungen (§ 162 AO), Zwangsgelder und in schwerwiegenden Fällen sogar strafrechtliche Konsequenzen folgen, wenn der Verdacht einer Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO vorliegt.
Wie wird ein Steuerbescheid rechtskräftig und welche Wirkung hat er?
Ein Steuerbescheid wird gemäß § 124 Absatz 1 AO mit Bekanntgabe an den Steuerpflichtigen wirksam und, sofern kein Einspruch innerhalb der Rechtsbehelfsfrist eingelegt wird, rechtskräftig (Bestandskraft, § 157 Absatz 1 AO in Verbindung mit § 355 AO). Die Rechtskraft schließt grundsätzlich weitere Änderungen oder Korrekturen aus, es sei denn, eine der in der Abgabenordnung geregelten Korrekturvorschriften greift (insb. §§ 129, 172 ff AO). Die Wirksamkeit des Steuerbescheids begründet die Zahlungspflicht des Steuerpflichtigen, auch dann, wenn der Bescheid fehlerhaft sein sollte, solange dieser nicht im Rechtsmittelweg aufgehoben oder geändert wurde.
Unter welchen Voraussetzungen kann ein Steuerbescheid geändert oder aufgehoben werden?
Die Änderung oder Aufhebung eines Steuerbescheids ist nur in den durch die AO geregelten Ausnahmefällen möglich und orientiert sich unter anderem an § 129 AO (offensichtliche Unrichtigkeiten), § 173 AO (nachträglich bekannt gewordene Tatsachen oder Beweismittel), § 174 AO (rückwirkende Ereignisse) sowie § 175 AO (Folgebescheide). Die Änderungsbefugnis ist regelmäßig inhaltlich und zeitlich beschränkt; beispielsweise ist eine Änderung wegen neuer Tatsachen nur zulässig, solange Festsetzungsfrist (§§ 169-171 AO) noch nicht abgelaufen ist. Das Finanzamt kann darüber hinaus ein eigenes Ermessen im Fall von Billigkeitsmaßnahmen (§ 163 AO) ausüben, insbesondere wenn die Steuerfestsetzung im Einzelfall zu unbilligen Härten führen würde.
Welche Möglichkeiten des Rechtsschutzes hat der Steuerpflichtige?
Der Steuerpflichtige kann zunächst innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Einspruch gegen den Steuerbescheid einlegen (§ 347 AO). Das Einspruchsverfahren ist ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren, in dem das Finanzamt den Bescheid erneut prüft und gegebenenfalls abändert oder aufhebt. Wird dem Einspruch nicht oder nicht vollständig abgeholfen, kann Klage beim zuständigen Finanzgericht gemäß § 40 Finanzgerichtsordnung (FGO) erhoben werden. Dort erfolgt eine vollständige rechtliche und tatsächliche Überprüfung der streitigen Entscheidung. Der Gang zum Bundesfinanzhof (BFH) ist im Revisions- oder Beschwerdeverfahren unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen und nach Zulassung durch das Finanzgericht oder auf Nichtzulassungsbeschwerde möglich.
Wie sind Fristen und Festsetzungsverjährung im Besteuerungsverfahren geregelt?
Für das Besteuerungsverfahren gelten diverse Fristen, deren Einhaltung rechtlich zwingend ist. Die zentrale Festsetzungsfrist (Verjährung) beträgt grundsätzlich vier Jahre (§ 169 AO), kann sich bei Steuerhinterziehung auf zehn Jahre und bei leichtfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre verlängern (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Fristen zur Abgabe von Steuererklärungen, Einlegung von Rechtsmitteln sowie zur Zahlung von Steuerbeträgen sind in den jeweiligen Vorschriften (z. B. § 355 AO für Rechtsbehelfe, § 149 AO für Steuererklärungen) klar festgelegt. Die Nichteinhaltung führt zu Verspätungszuschlägen, Säumniszuschlägen oder dem Verlust von Rechtsmitteln.
Welche Rechtsfolgen ergeben sich aus Verstößen gegen das Besteuerungsverfahren?
Verstöße gegen formelle oder materielle Vorgaben des Besteuerungsverfahrens können erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Dies reicht von der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts (§ 125 AO), der Aufhebbarkeit (§ 130, 131 AO), Einleitung von Schätzungen (§ 162 AO) bis hin zu straf- und bußgeldrechtlichen Maßnahmen bei Steuerstraftaten (§§ 369 ff AO). Darüber hinaus kann die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung von Mitwirkungspflichten neben steuerlichen auch ordnungswidrigkeitenrechtliche Folgen nach sich ziehen (z. B. Bußgeldverfahren nach § 378 AO).
In welchen Fällen greift das Steuergeheimnis im Besteuerungsverfahren?
Das Steuergeheimnis ist im § 30 AO geregelt und verpflichtet alle am Besteuerungsverfahren beteiligten Personen zur Wahrung des Steuergeheimnisses. Es schützt sämtliche personenbezogenen und steuerlichen Daten vor unbefugter Offenbarung, sowohl im Rahmen der Festsetzung als auch bei der Erhebung und Vollstreckung von Steuern. Ausnahmen sind ausdrücklich gesetzlich vorgesehen, insbesondere bei Mitteilungen an andere Behörden zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben oder bei Einwilligung des Betroffenen. Ein Verstoß gegen das Steuergeheimnis kann strafrechtlich verfolgt werden.