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Besonderes Verhandlungsgremium


Besonderes Verhandlungsgremium

Das Besondere Verhandlungsgremium ist ein zentrales rechtliches Organ zur Arbeitnehmerbeteiligung auf europäischer Ebene, insbesondere im Zusammenhang mit der Gründung einer Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea, SE) oder eines Europäischen Betriebsrats. Es handelt sich dabei um eine von den Arbeitnehmern gewählte oder ausgewählte Vertretungseinrichtung, deren Hauptaufgabe in der Aushandlung von Modalitäten und Umfang der Arbeitnehmerbeteiligung besteht. Die rechtlichen Grundlagen regeln unter anderem die Zusammensetzung, Befugnisse, Verfahren und rechtlichen Auswirkungen der Handlungen des Besonderen Verhandlungsgremiums.


Rechtliche Grundlagen und Entstehung

Die Einführung des Besonderen Verhandlungsgremiums beruht auf EU-Richtlinien, insbesondere der SE-Richtlinie 2001/86/EG, ergänzt durch das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) sowie das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) und das Gesetz über Europäische Betriebsräte (EBRG). Diese Regelungen setzen die Vorgaben der Europäischen Union zur Förderung der Arbeitnehmerbeteiligung und der Mitbestimmungsrechte in grenzüberschreitend tätigen Unternehmen um.

Nationale Umsetzung

In Deutschland ist das SEBG die wesentliche Rechtsgrundlage für das Besondere Verhandlungsgremium. Daneben finden sich Regelungen im Drittelbeteiligungsgesetz, Mitbestimmungsgesetz und den jeweiligen Ausführungsgesetzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union.


Zusammensetzung und Bestellung

Bildung des Besonderen Verhandlungsgremiums

Das Besondere Verhandlungsgremium wird gebildet, sobald ein Unternehmen, eine Gesellschaftsgruppe oder ein Zusammenschluss einen Prozess plant, der eine grenzüberschreitende Unternehmensstruktur betrifft (z.B. die Gründung einer SE, einer Europäischen Genossenschaft oder eines Europäischen Betriebsrats). Die Unternehmensleitung muss in diesem Fall die Arbeitnehmerseite zeitnah zur Bildung eines solchen Gremiums auffordern.

Auswahl und Entsendung der Mitglieder

Die Mitglieder des Besonderen Verhandlungsgremiums werden nach den Vorgaben des jeweiligen nationalen Rechts gewählt oder bestellt. Der Auswahlprozess richtet sich in Deutschland nach §§ 8 ff. SEBG. Die Entsendung erfolgt im Verhältnis zur Arbeitnehmerzahl der jeweiligen Mitgliedstaaten innerhalb des betroffenen Unternehmens bzw. Konzerns, sodass die Belegschaft jedes betroffenen Landes entsprechend repräsentiert wird.

Anzahl der Vertreter

Die Anzahl der Mitglieder ist abhängig von der Gesamtzahl der in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer. Auf je angefangene bestimmte Zahl von Arbeitnehmern (z.B. je angefangene 10 % oder je angefangene 1.000 Arbeitnehmer, abhängig von den gesetzlichen Vorgaben) entsendet der jeweilige Staat mindestens ein Mitglied in das Gremium.


Aufgaben und Befugnisse

Verhandlungsauftrag

Das Besondere Verhandlungsgremium hat den gesetzlichen Auftrag, mit der zentralen Leitung des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe über sämtliche Modalitäten der Arbeitnehmerbeteiligung zu verhandeln. Dies umfasst insbesondere:

  • Informations- und Anhörungsrechte
  • Mitbestimmungsrechte in den Leitungs- oder Aufsichtsorganen
  • die Ausgestaltung eines Europäischen Betriebsrats oder eines vergleichbaren Gremiums

Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung

Ziel der Verhandlungen ist der Abschluss einer schriftlichen Vereinbarung über die Ausgestaltung der Arbeitnehmerrechte (sog. Beteiligungsvereinbarung). Diese Vereinbarung regelt unter anderem die Zusammensetzung, Befugnisse, Verfahren und innerbetriebliche Wirkung des Beteiligungsgremiums.

Entscheidungsmechanismen

Das Besondere Verhandlungsgremium entscheidet grundsätzlich mit absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen seiner Mitglieder, soweit das Gesetz keine andere Mehrheit vorsieht. Für bestimmte Beschlüsse, wie etwa den Abbruch der Verhandlungen, sind qualifizierte Mehrheiten erforderlich.


Verfahren und Ablauf der Verhandlungen

Einleitung und Dauer der Verhandlungen

Die zentralen Leitung muss das Besondere Verhandlungsgremium unverzüglich nach Entwurf oder Bekanntgabe des Plans zur Gründung einer SE oder ähnlichen Umstrukturierungen zur Aufnahme von Verhandlungen auffordern. Die Verhandlungsdauer beträgt grundsätzlich maximal sechs Monate; eine Verlängerung um weitere sechs Monate ist möglich, wenn beide Seiten dies vereinbaren (§ 21 SEBG).

Unterstützung durch Berater

Das Gremium kann sich bei den Verhandlungen durch zusätzlich bestellte Sachverständige unterstützen lassen. Grundsätzlich trägt die sogenannte „Leitung“ des Unternehmens die Kosten im Rahmen des Erforderlichen für die Sitzungen und die bei den Verhandlungen hinzugezogenen Sachverständigen (§ 25 SEBG).

Rechte und Pflichten während der Verhandlungen

Die Mitglieder und Berater des Besonderen Verhandlungsgremiums unterliegen hinsichtlich vertraulicher Unternehmensinformationen einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht. Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Gremium dürfen für Arbeitnehmer keine Benachteiligung zur Folge haben.


Ergebnis der Verhandlungen und Alternativen

Abschluss einer Vereinbarung

Können sich das Besondere Verhandlungsgremium und die zentrale Leitung des Unternehmens auf eine Beteiligungsvereinbarung einigen, so gilt grundsätzlich das Vereinbarte. Die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer werden dann gemäß der Vereinbarung ausgestaltet.

Scheitern der Verhandlungen – gesetzliche Auffangregelung

Kommt keine Einigung zustande und werden die Verhandlungen nach Ablauf der Verhandlungsfrist nicht verlängert, gelten automatisch die gesetzlichen Auffangregelungen (sogenannte „Subsidiäre Regelungen“, §§ 22 SEBG). Diese sind von den Mitgliedstaaten weitgehend einheitlich ausgestaltet und sehen unter anderem die Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats vor.

Ablehnung durch das Besondere Verhandlungsgremium

Das Besondere Verhandlungsgremium hat die Möglichkeit, mit qualifizierter Mehrheit zu beschließen, von Verhandlungen abzusehen. In diesem Fall besteht für einen bestimmten Zeitraum (meist zwei Jahre) kein Anspruch auf erneute Verhandlungen über Arbeitnehmerbeteiligung im Rahmen derselben grenzüberschreitenden Unternehmensgründung im betroffenen Bereich.


Beendigung und Nachwirkung

Mit Abschluss der Verhandlungen oder Beschlussfassung über deren Nichtaufnahme bzw. Beendigung endet das Mandat des Besonderen Verhandlungsgremiums. Die Rechte und Verpflichtungen gehen ab diesem Zeitpunkt auf das im Rahmen der Vereinbarung eingerichtete Beteiligungsorgan über. Im Falle subsidiärer Regelungen richtet sich die Geltung nach den Vorgaben der jeweiligen Gesetze.


Rechtliche Bedeutung und praktische Relevanz

Das Besondere Verhandlungsgremium ist ein wichtiges Instrument zur Wahrung der kollektiven Interessen von Arbeitnehmern bei komplexen, grenzüberschreitenden Unternehmensstrukturen im europäischen Binnenmarkt. Es gewährleistet die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Unternehmen, die über nationale Grenzen hinaus tätig sind, und ist essentiell für die Umsetzung europäischer Prinzipien der Arbeitnehmerpartizipation. Seine rechtliche Bedeutung ergibt sich unmittelbar aus der Sicherung der Beteiligungsrechte und der Harmonisierung von Unternehmensmitbestimmung innerhalb der Europäischen Union.


Literatur- und Rechtsquellen

  • SE-Beteiligungsgesetz (SEBG)
  • Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001
  • Gesetz über Europäische Betriebsräte (EBRG)
  • Drittelbeteiligungsgesetz, Mitbestimmungsgesetz
  • Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG)

Die hier dargestellten Informationen bieten eine umfassende Übersicht über die rechtliche Struktur und die Funktion des Besonderen Verhandlungsgremiums im Kontext der Arbeitnehmerbeteiligung in Europa.

Häufig gestellte Fragen

Welche gesetzlichen Grundlagen regeln die Bildung des Besonderen Verhandlungsgremiums?

Das Besondere Verhandlungsgremium (BVG) wird rechtlich maßgeblich durch das Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz – SEBG) sowie das Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) geregelt. Die EU-Richtlinie 2001/86/EG zur Ergänzung der Satzung der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer dient als vorrangige europarechtliche Grundlage. Im deutschen Kontext konkretisieren diese Gesetze die Zusammensetzung, Wahl, Aufgaben, Rechte und Pflichten des BVG. Die Regelungen bestimmen insbesondere, wie die Arbeitnehmervertreter aus den verschiedenen Mitgliedstaaten bestimmt werden, welche Vorgaben an die Zusammensetzung geknüpft sind und welche Verfahrensschritte zur wirksamen Einrichtung durchzuführen sind.

Welche Aufgaben hat das Besondere Verhandlungsgremium im rechtlichen Sinne?

Die Hauptaufgabe des Besonderen Verhandlungsgremiums ist es, mit der Unternehmensleitung einer SE oder eines an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Unternehmens Verhandlungen über die Beteiligung der Arbeitnehmer aufzunehmen und zu führen. Rechtlich ist das Gremium befugt, Verhandlungen über die Modalitäten der Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer zu führen. Es kann innerhalb dieser Verhandlungen insbesondere Regelungen zur Einrichtung eines SE-Betriebsrats, zum Verfahren der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan sowie zu den Rechten und Verfahren der Arbeitnehmervertretung treffen. Das Gremium ist gesetzlich verpflichtet, die Belegschaft angemessen zu informieren und hat das Recht, während der gesamten Verhandlungsphase rechtlichen Beistand und Sachverständige hinzuziehen sowie bei Ausbleiben einer Einigung die gesetzlichen Auffangregelungen herbeizuführen.

Wie erfolgt die Zusammensetzung und Bestellung der Mitglieder des Besonderen Verhandlungsgremiums nach den gesetzlichen Vorschriften?

Die Zusammensetzung des BVG richtet sich nach der Zahl der in den einzelnen Mitgliedstaaten innerhalb des betroffenen Unternehmens oder der Unternehmensgruppe beschäftigten Arbeitnehmer. Für je angefangene 10% der in den jeweiligen Ländern beschäftigten Arbeitnehmer wird ein Sitz im Gremium vergeben. Die jeweiligen Arbeitnehmervertreter werden nach den nationalen Vorschriften der entsendenden Länder gewählt oder bestellt, was in Deutschland regelmäßig durch die bestehenden Betriebsräte oder eine Arbeitnehmervertretungsversammlung geschieht. Bei Unternehmen mit Beschäftigten in mehreren EU-Mitgliedstaaten ist eine umfassende Koordination erforderlich, sodass die jeweiligen nationalen Wahl- oder Entsendungsmechanismen beachtet werden müssen. Ersatzmitglieder sind ebenso möglich und werden nach dem jeweiligen nationalen Recht bestellt.

Welche rechtlichen Fristen sind bei der Einberufung und Durchführung von Verhandlungen durch das Besondere Verhandlungsgremium zu beachten?

Das rechtliche Verfahren sieht vor, dass nach Einleitung des SE-Gründungsverfahrens oder der Anmeldung zur grenzüberschreitenden Verschmelzung die Unternehmensleitung das Einsetzungsverfahren des BVG unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb eines Monats, einzuleiten hat. Werden die Verhandlungen aufgenommen, bestehen grundsätzlich zeitliche Grenzen für deren Abschluss. So sieht das Gesetz eine Frist von maximal sechs Monaten ab Zusammentreten des BVG für die Verhandlung vor, die im Einvernehmen auf bis zu ein Jahr verlängert werden kann. Nach Ablauf der Frist sind die gesetzlichen Auffangregelungen zu beachten, sofern keine Einigung erzielt wurde.

Welche Rechte auf Unterstützung und Informationen stehen dem Besonderen Verhandlungsgremium rechtlich zu?

Dem BVG steht ein umfassender Informationsanspruch gegenüber der Unternehmensleitung zu, um die Verhandlungen ordnungsgemäß vorbereiten und durchführen zu können. Hierzu zählen insbesondere Auskünfte über Struktur, Arbeitnehmerzahlen, voraussichtliche Auswirkungen der geplanten Umwandlungsmaßnahme auf die Arbeitnehmerbeteiligung und andere wesentliche betriebsorganisatorische Informationen. Das Gremium hat das Recht, externe Sachverständige – darunter juristische Berater, Gewerkschaftsvertreter und Dolmetscher – hinzuzuziehen. Die hierbei entstehenden Kosten trägt die Unternehmensleitung, solange sie angemessen und erforderlich sind. Darüber hinaus bestehen Rechtsschutzmechanismen bei Verletzung dieser Rechte, etwa durch Anrufung der Arbeitsgerichte.

Wie wird mit den Ergebnissen der Verhandlungen rechtlich weiter verfahren?

Das Ergebnis der Verhandlungen zwischen dem BVG und der Unternehmensleitung mündet in einer verbindlichen schriftlichen Vereinbarung, die von den Verhandlungsparteien zu unterzeichnen ist. Diese Vereinbarung kann Regelungen zu Unterrichtung, Anhörung, Gründung eines SE-Betriebsrats sowie zu Mitbestimmungsrechten enthalten. Das BVG beschließt über das Verhandlungsergebnis mit der im Gesetz vorgegebenen qualifizierten Mehrheit seiner Mitglieder. Kommt keine Vereinbarung zustande, greifen zwingend die gesetzlichen Auffangregelungen, die eine Mindestbeteiligung der Arbeitnehmer sicherstellen. Die getroffenen Vereinbarungen sind rechtsverbindlich und unterliegen gegebenenfalls der arbeitsgerichtlichen Kontrolle.

Welche rechtlichen Folgen hat das Scheitern der Verhandlungen im Besonderen Verhandlungsgremium?

Führen die Verhandlungen innerhalb der gesetzlichen Frist zu keiner Einigung zwischen dem BVG und der Unternehmensleitung, treten automatisch die gesetzlichen Auffangregelungen in Kraft. Diese sind im SEBG beziehungsweise MgVG detailliert geregelt und sehen insbesondere die Mindeststandards der Arbeitnehmerbeteiligung sowie Mitbestimmung vor. Die Auffangregelungen gehen auf die bisherigen Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer im Ursprungsunternehmen oder in beteiligten Unternehmen zurück und sichern diese für die neu geschaffene Gesellschaftseinheit. Das BVG hat nach Eintritt dieses Falls keine weitere Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung. Gegebenenfalls bleibt lediglich die Überwachung der Umsetzung den zuständigen Gremien, insbesondere dem SE-Betriebsrat.