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Besonderes Verhandlungsgremium

Besonderes Verhandlungsgremium: Begriff, Zweck und Einordnung

Das Besondere Verhandlungsgremium ist ein befristet eingesetztes Gremium der Arbeitnehmerseite, das mit der zentralen Leitung eines Unternehmens Verhandlungen über die Beteiligung der Beschäftigten auf europäischer Ebene führt. Es entsteht typischerweise bei grenzüberschreitenden Unternehmensformen oder -umwandlungen, um einvernehmlich zu regeln, wie Information, Anhörung und gegebenenfalls Mitbestimmung der Arbeitnehmer künftig organisiert werden. Ziel ist eine verbindliche Vereinbarung, die die Interessen der Belegschaften aus mehreren Staaten bündelt und rechtssicher festlegt.

Anwendungsbereiche in der Praxis

Europäische Gesellschaft (SE)

Bei der Gründung einer Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea, SE) ist das Besondere Verhandlungsgremium das zentrale Forum, in dem die Arbeitnehmerseite über europaweite Informations- und Anhörungsrechte sowie über eine mögliche Beteiligung auf Leitungsebene verhandelt. Dies betrifft insbesondere Fälle der Gründung durch Verschmelzung, Holding- oder Tochtergründung sowie Umwandlung.

Europäische Genossenschaft (SCE)

Auch bei der Gründung einer Europäischen Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea, SCE) koordiniert das Besondere Verhandlungsgremium die Interessen der in verschiedenen Ländern beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und verhandelt über ihre künftige Beteiligung.

Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge

Bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechseln von Gesellschaften dient das Besondere Verhandlungsgremium der rechtssicheren Gestaltung von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer. Dies soll gewährleisten, dass bestehende Rechte in einem neuen, grenzüberschreitenden Zuschnitt angemessen fortgeführt oder weiterentwickelt werden.

Zusammensetzung und Bestellung

Sitzverteilung und Wahl/Entsendung

Die Mitglieder des Besonderen Verhandlungsgremiums werden aus den betroffenen Unternehmen und Betrieben in den beteiligten Staaten entsandt oder gewählt. Die Sitzverteilung orientiert sich grundsätzlich an der Beschäftigtenzahl je Staat, um die Belegschaften proportional abzubilden. Die konkrete Bestellung erfolgt nach den jeweils anwendbaren nationalen Regeln zur Arbeitnehmervertretung. Ersatzmitglieder können vorgesehen sein.

Mandat und Amtszeit

Das Gremium besteht nur für die Dauer der Verhandlungen. Sein Mandat beginnt mit der Einsetzung durch die zentrale Leitung und endet mit Abschluss einer Vereinbarung, der Anwendung von Auffangregelungen oder einer formalen Entscheidung, die Verhandlungen nicht aufzunehmen oder zu beenden.

Rechte der Mitglieder

Mitglieder haben Anspruch auf die zur Aufgabenerfüllung notwendige Information, Arbeitszeit, Freistellung und auf angemessene Schulung. Sie unterliegen Vertraulichkeitspflichten und genießen Schutz vor Benachteiligung. Die Kosten der Tätigkeit trägt in der Regel die zentrale Leitung in angemessenem Umfang.

Aufgaben und Verfahrensablauf

Einsetzungsprozess und Fristen

Nach einem unternehmerischen Beschluss über eine SE/SCE-Gründung oder einen grenzüberschreitenden Umwandlungsvorgang wird das Besondere Verhandlungsgremium zeitnah gebildet. Die Verhandlungen beginnen, sobald das Gremium ordnungsgemäß konstituiert ist. Für die Verhandlungen gilt üblicherweise eine feste Frist von sechs Monaten, die auf insgesamt bis zu ein Jahr verlängert werden kann.

Verhandlungsgegenstände

Information und Anhörung

Zu regeln ist, wie die Arbeitnehmervertreter grenzüberschreitend regelmäßig informiert und vor Entscheidungen angehört werden, etwa zu Struktur, wirtschaftlicher Lage, Beschäftigungsentwicklung, Standortfragen und wesentlichen Veränderungen.

Unternehmensmitbestimmung auf Leitungsebene

Je nach Ausgangssituation kann auch die Bestellung von Arbeitnehmervertretern in Aufsichts- oder Verwaltungsorgane verhandelt werden. Dabei spielen die bisherigen Beteiligungsrechte in den beteiligten Gesellschaften und die gewählte Gründungsmethode eine maßgebliche Rolle.

Finanzielle und organisatorische Ressourcen

Verhandelt werden zudem Ausstattung, Sitzungsmodalitäten, Sprache und Übersetzung, sowie der Umfang der Kostentragung für Sitzungen, Reisen und notwendige Beratung.

Beschlussfassung und Quoren

Das Gremium fasst Beschlüsse grundsätzlich mit Mehrheit. Für grundlegende Entscheidungen, etwa die Beendigung der Verhandlungen ohne Vereinbarung, gelten erhöhte Quoren. Dabei ist regelmäßig sicherzustellen, dass sowohl die Mehrheit der Mitglieder als auch ein maßgeblicher Anteil der vertretenen Belegschaften und mehrere Staaten einbezogen sind.

Vertraulichkeit und Datenschutz

Die zentrale Leitung kann Informationen als vertraulich kennzeichnen, wenn schutzwürdige Interessen, zum Beispiel Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse, betroffen sind. Mitglieder des Gremiums haben entsprechende Geheimhaltungspflichten. Personenbezogene Daten sind nach den geltenden Datenschutzregeln zu behandeln.

Ergebnisse der Verhandlungen

Verhandlungsvereinbarung

Idealerweise endet der Prozess mit einer schriftlichen Vereinbarung. Diese legt unter anderem fest: Zusammensetzung und Zuständigkeiten des späteren Beteiligungsgremiums, Umfang und Verfahren der Information und Anhörung, eventuelle Beteiligung auf Leitungsebene, die Mittel- und Kostenregelung sowie die Laufzeit und Anpassungsmechanismen bei Strukturänderungen.

Auffang- bzw. Standardregelungen

Kommt innerhalb der Verhandlungsfrist keine Einigung zustande, können gesetzlich vorgegebene Standardregelungen zur Anwendung kommen. Diese sehen typischerweise ein grenzüberschreitendes Vertretungsorgan mit klaren Informations- und Anhörungsrechten vor und können unter bestimmten Voraussetzungen eine Beteiligung auf Leitungsebene vorsehen, insbesondere wenn solche Rechte bereits vor der Umstrukturierung bestanden.

Entscheidung, Verhandlungen nicht aufzunehmen oder zu beenden

Das Gremium kann mit qualifizierter Mehrheit beschließen, Verhandlungen nicht aufzunehmen oder zu beenden. In diesem Fall gelten grundsätzlich die bisher bestehenden nationalen Beteiligungsstrukturen fort; ein neues europäisches Vertretungsorgan entsteht dann nicht. Welche Folgen dies für eine Beteiligung auf Leitungsebene hat, hängt von der konkreten Gründungskonstellation und den zuvor bestehenden Rechten ab.

Verhältnis zu bestehenden Vertretungen

Nationale Arbeitnehmervertretungen

Das Besondere Verhandlungsgremium ersetzt keine nationalen Vertretungsorgane. Es koordiniert lediglich die grenzüberschreitende Verhandlung. Nationale Gremien bleiben für ihre gesetzlichen und tariflichen Aufgaben zuständig.

Europäischer Betriebsrat

Der Europäische Betriebsrat ist ein dauerhaftes Organ der Information und Anhörung in multinationalen Unternehmen. Das Besondere Verhandlungsgremium existiert demgegenüber nur vorübergehend, um eine maßgeschneiderte Vereinbarung für die konkrete europäische Rechtsform oder Umwandlung zu verhandeln. Eine bestehende EBR-Vereinbarung kann als Ausgangspunkt dienen, wird aber nicht automatisch zum späteren Organ.

Aufsichts- oder Verwaltungsrat

Die Beteiligung in Aufsichts- oder Verwaltungsorganen wird durch das Besondere Verhandlungsgremium nicht selbst ausgeübt, sondern nur verhandelt. Eine spätere Beteiligung erfolgt gemäß der geschlossenen Vereinbarung oder den anwendbaren Auffangregeln.

Kosten, Schulung und Schutz

Kostentragung

Die sachgerechten Kosten der Tätigkeit des Besonderen Verhandlungsgremiums trägt in der Regel die zentrale Leitung. Dazu zählen insbesondere Reise-, Sitzungs- und Übersetzungskosten sowie die Kosten notwendiger externer Beratung im angemessenen Rahmen.

Schulung und Sachmittel

Mitglieder haben Anspruch auf die zur Aufgabenerfüllung erforderliche Schulung und auf geeignete Sachmittel. Ziel ist, die Verhandlungen sachgerecht und auf Augenhöhe führen zu können.

Schutz vor Benachteiligung

Mitglieder genießen Schutz hinsichtlich Beschäftigung und Arbeitsbedingungen. Benachteiligungen aufgrund der Tätigkeit im Gremium sind unzulässig. Ein angemessener Kündigungsschutz und die Entgeltfortzahlung für die erforderliche Tätigkeit sind üblich.

Beendigung und Nachwirkungen

Auflösung des Gremiums

Mit Abschluss der Vereinbarung, der Anwendung von Auffangregeln oder einer Beendigungsentscheidung endet das Mandat. Das Gremium löst sich auf.

Überwachung der Umsetzung

Nach der Auflösung nimmt in der Regel das in der Vereinbarung vorgesehene Vertretungsorgan oder ein anderes benanntes Gremium Aufgaben der laufenden Umsetzung und Überwachung wahr. Das Besondere Verhandlungsgremium selbst hat danach keine Funktion mehr.

Neuverhandlungen bei Strukturänderungen

Erhebliche spätere Strukturänderungen können Anpassungsverhandlungen auslösen. Ob ein neues Besonderes Verhandlungsgremium zu bilden ist, richtet sich nach der jeweiligen Vereinbarung und den anwendbaren gesetzlichen Vorgaben für den konkreten Umwandlungsvorgang.

Häufig gestellte Fragen

Was ist ein Besonderes Verhandlungsgremium?

Es handelt sich um ein befristetes Gremium der Arbeitnehmerseite, das mit der zentralen Leitung grenzüberschreitender Unternehmen Verhandlungen über Information, Anhörung und gegebenenfalls Beteiligung in Leitungsorganen führt, insbesondere bei SE, SCE und grenzüberschreitenden Umwandlungen.

Wann wird ein Besonderes Verhandlungsgremium eingesetzt?

Es wird eingesetzt, wenn eine europäische Gesellschaftsform gegründet oder ein grenzüberschreitender Umwandlungsvorgang geplant ist und die Beteiligung der Arbeitnehmer für die künftige Struktur einheitlich geregelt werden muss.

Wie setzt sich das Gremium zusammen?

Die Mitglieder stammen aus den beteiligten Staaten und werden nach nationalen Regeln gewählt oder entsandt. Die Sitzverteilung spiegelt die Beschäftigtenzahlen je Staat wider, damit die Belegschaften angemessen repräsentiert sind.

Welche Fristen gelten für die Verhandlungen?

Die Verhandlungen laufen in der Regel sechs Monate und können auf insgesamt bis zu ein Jahr verlängert werden. Innerhalb dieser Zeit soll eine Vereinbarung erzielt werden.

Was verhandelt das Gremium konkret?

Verhandelt werden europaweite Verfahren der Information und Anhörung, die mögliche Beteiligung in Aufsichts- oder Verwaltungsorganen, die Zusammensetzung des späteren Vertretungsorgans sowie Ausstattung, Sprachenregelung und Kostentragung.

Was passiert, wenn keine Einigung erreicht wird?

Ohne Einigung können gesetzlich vorgegebene Standardregelungen greifen. Diese sichern Informations- und Anhörungsrechte und können unter bestimmten Voraussetzungen eine Beteiligung in Leitungsorganen vorsehen, insbesondere bei zuvor bestehender Beteiligung.

Worin unterscheidet sich das Besondere Verhandlungsgremium vom Europäischen Betriebsrat?

Das Besondere Verhandlungsgremium ist temporär und dient ausschließlich der Aushandlung einer Beteiligungsvereinbarung für eine konkrete europäische Rechtsform oder Umwandlung. Der Europäische Betriebsrat ist hingegen ein dauerhaftes Gremium für Information und Anhörung in multinationalen Unternehmen.