Definition und Begriffserklärung der Besonderen Haverei
Der Begriff Besondere Haverei bezeichnet im Seehandelsrecht ein spezifisches Schadensereignis, das im Zusammenhang mit der Seefracht und der Schifffahrt zu komplexen rechtlichen Folgen führt. Die Besondere Haverei unterscheidet sich von der Allgemeinen Haverei durch Art und Umfang ihrer Schadensregelung und hat insbesondere Bedeutung im Bereich der Güterbeförderung zur See. Die Vorschriften zur Besonderen Haverei finden sich in verschiedenen nationalen und internationalen Rechtsnormen, insbesondere im Vierten Buch des Handelsgesetzbuchs (§§ 700 ff. HGB) sowie in internationalen Abkommen wie den Haager Regeln und den York-Antwerp Rules.
Rechtsgrundlagen der Besonderen Haverei
Besondere Haverei im nationalen Recht
Nach deutschem Recht ist die Besondere Haverei in § 701 HGB geregelt. Sie bezieht sich auf Schäden, die bei der Beförderung von Gütern auf See an Bord des Schiffes oder an dem Schiff selbst entstehen und nicht unter die Voraussetzungen der Allgemeinen Haverei fallen. Zentrale Voraussetzung ist, dass der Schaden nicht gemeinschaftlich, sondern ausschließlich oder überwiegend im Interesse eines bestimmten Beteiligten herbeigeführt wurde.
Unterscheidung zur Allgemeinen Haverei
Die Allgemeine Haverei bezeichnet ein freiwilliges außergewöhnliches Opfer oder eine Aufwendung, die zur Rettung von Schiff, Ladung und Fracht aus einer gemeinsamen Gefahr gemacht wird und deren Kosten nach bestimmten Regeln auf die Beteiligten verteilt werden. Die Besondere Haverei hingegen ist ein individueller Schaden, der nicht auf der gemeinschaftlichen Risikoabwägung beruht.
| Kriterium | Allgemeine Haverei | Besondere Haverei |
|——————–|—————————–|—————————–|
| Zweck | Gemeinsame Rettung | Individuelles Interesse |
| Kostenverteilung | Gemeinschaftlich | Trägt der Einzelne |
| Rechtsgrundlage | §§ 588 ff. HGB, York-Antwerp Rules | § 701 HGB |
Internationale Rechtsnormen
Die internationale Bedeutung der Besonderen Haverei ergibt sich insbesondere durch die Anwendung der York-Antwerp Rules sowie der Haager Regeln und der Haager-Visby Regeln, die ebenfalls Bestimmungen zu Schadensfällen während der Seebeförderung enthalten. Die inter- und supranationale Dimension führt dazu, dass im Einzelfall das anwendbare Recht zur Klärung gezogen werden muss, um eine richtige Bestimmung des Umfangs und der Voraussetzungen vorzunehmen.
Merkmale der Besonderen Haverei
Voraussetzungen
Die Anerkennung eines Falles der Besonderen Haverei setzt voraus:
- Das Vorliegen eines Schadensereignisses während des Seetransports,
- Kein gemeinschaftlicher Charakter des Schadens (Abgrenzung von der Allgemeinen Haverei),
- Das Schadenereignis betrifft ausschließlich oder überwiegend das Interesse eines einzelnen Beteiligten,
- Die Ursache ist nicht durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit eines Beteiligten herbeigeführt.
Typische Beispiele
Typische Fälle der Besonderen Haverei umfassen Beschädigungen oder den Verlust von Ladung, die lediglich einzelne Beteiligte (z. B. bestimmte Verlader oder Empfänger) betreffen, etwa bei unsachgemäßer Stauung oder durch klare Sorgfaltspflichtverletzungen bei der Verladung.
Schadensabwicklung und Versicherungsschutz
Im Unterschied zur Allgemeinen Haverei ist bei der Besonderen Haverei keine kollektive Schadenstragung vorgesehen. Die Anspruchsregelung erfolgt zwischen dem geschädigten Beteiligten (beispielsweise dem Eigentümer der betreffenden Ladung) und dem Schadensverursacher. Die Deckung der Schäden erfolgt häufig durch besondere Seekaskoversicherungen oder Transportversicherungen, die spezielle Regelungen für den Eintritt von Schadensfällen der Besonderen Haverei enthalten.
Haftung und Regress im Zusammenhang mit der Besonderen Haverei
Die Haftung bei der Besonderen Haverei richtet sich nach allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen, sofern keine spezialgesetzlichen Regelungen greifen. Der Schaden ist in der Regel von dem Beteiligten zu tragen, auf dessen Interesse oder Kosten die Maßnahme erfolgt ist bzw. der die Ursache gesetzt hat. Regressansprüche können sich ergeben, wenn Dritte im Zusammenhang mit der Schadensverursachung haftbar gemacht werden können.
Abgrenzung und Verhältnis zu weiteren havereirechtlichen Begriffen
Haverei im weiteren Sinne
Der Begriff Haverei umfasst grundsätzlich alle Schaden- oder Notfälle auf See, bei denen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergriffen werden müssen. Neben der Besonderen Haverei und der Allgemeinen Haverei gibt es weitere Erscheinungsformen wie die Große und Kleine Haverei, die im Sprachgebrauch jedoch oft synonym zu den Hauptbegriffen verwendet werden.
Bedeutung der Abgrenzung in der Praxis
Die klare Unterscheidung zwischen Allgemeiner und Besonderer Haverei ist für die richtige Anwendung der gesetzlichen und vertraglichen Regelungen unerlässlich. Fehlzuordnungen können erhebliche wirtschaftliche und rechtliche Folgen für alle Beteiligten haben, insbesondere hinsichtlich der Kostenverteilung und des Versicherungsschutzes.
Fazit
Die Besondere Haverei stellt einen zentralen Begriff des Seehandelsrechts dar, der eine Vielzahl von rechtlichen Fragestellungen aufwirft. Ihre genaue Definition, Abgrenzung und Handhabung sind maßgeblich für die Schadenregulierung im internationalen Seefrachtverkehr. Sie unterscheidet sich wesentlich von der Allgemeinen Haverei und hat erhebliche Relevanz für die Haftung, die Kostenverteilung sowie den Versicherungsschutz im Bereich des Seetransports.
Weiterführende Literatur:
- Handelsgesetzbuch (HGB), Viertes Buch: Seehandel
- York-Antwerp Rules (zuletzt revidiert 2016)
- Die Haager Regeln und Haager-Visby Regeln
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Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Geltendmachung der Besonderen Haverei erfüllt sein?
Für die Geltendmachung der Besonderen Haverei ist zunächst erforderlich, dass ein gemeinschaftliches maritimes Abenteuer, wie etwa eine Seereise, vorliegt, bei dem ein befördertes Schiff, die Ladung und gegebenenfalls weitere Beteilige einer gemeinsamen Gefahr ausgesetzt werden. Rechtlich muss nachgewiesen werden, dass eine außergewöhnliche und vorsätzliche Opfer- oder Rettungshandlung vollzogen wurde, die ausschließlich dem Zweck dient, das Schiff, die Ladung oder andere Teile des gemeinsamen Interesses vor einer unmittelbar drohenden Gefahr zu bewahren. Die Entscheidung zur Opferhandlung muss vom Schiffsführer in Notlage nach vernünftigem Ermessen und im Interesse aller Beteiligten getroffen werden. Die Rechtsgrundlage in Deutschland bildet insbesondere das Handelsgesetzbuch (HGB), dort §§ 588ff., das auch Verfahrensfragen und den Regress regelt. Zudem ist Voraussetzung, dass der Schaden in einem hinreichenden Zusammenhang mit der abgewendeten Gefahr steht und der eingetretene Verlust eine „Gemeinschaftshavarie“ im Rechtssinn darstellt, sodass kein individuell getragenes Risiko verwirklicht wird, sondern alle Beteiligten anteilig haften.
Wie erfolgt die rechtliche Feststellung und Abwicklung eines Besonderen-Haverei-Falles?
Die Feststellung, ob eine Besondere Haverei (Gemeinschaftshavarie) im Sinne der rechtlichen Vorgaben vorliegt, obliegt grundsätzlich einem Sachverständigen oder einem Havereikommissar, häufig unter Zuhilfenahme zertifizierter Average Adjuster (Dispacheure). Nach rechtlicher Anzeige des Schadens, die durch den Schiffsführer oder Reeder an sämtliche Beteiligten – einschließlich Ladungs- und Schiffseigentümer – erfolgen muss, werden sämtliche relevanten Dokumente, wie Manifest, Logbuchauszüge, Seeproteste und insbesondere das Havereiprotokoll gesammelt. Die Dispache, also die förmliche Schadens- und Aufteilungserklärung, wird dann gemäß den gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben erstellt. Streitigkeiten über die rechtliche Anerkennung einer Maßnahme als Besondere Haverei können vor den zuständigen See- und Handelsgerichten ausgetragen werden.
Welche Rechte und Pflichten ergeben sich für die betroffenen Parteien im Rahmen der Besonderen Haverei?
Alle am gemeinschaftlichen Seetransport beteiligten Parteien – hierzu zählen Reeder, Schiffseigner, Ladungs- und Frachtinteressen sowie gegebenenfalls Charterer – sind verpflichtet, im Fall einer anerkannten Besonderen Haverei einen anteiligen Haftungsbeitrag zu leisten. § 591 HGB regelt die entsprechenden Ersatzansprüche sowie die Berechnung der Anteile nach dem Verhältnis des geretteten Wertes von Schiff, Fracht und Ladung. Rechte der Parteien bestehen insbesondere in der Teilnahme am Verfahren zur Feststellung des Schadens und in der Geltendmachung etwaiger Einwendungen gegen die Schadensverteilung. Die Verpflichtung zur Stellung von Havereigarantien kann im Einzelfall durch Hinterlegung entsprechender Sicherheitsleistungen vor Entladung der Güter durchgesetzt werden.
Gibt es eine Verjährung für Ansprüche aus der Besonderen Haverei?
Ansprüche aus der Besonderen Haverei unterliegen der gesetzlichen Verjährung gemäß § 607 HGB. Nach aktueller Gesetzeslage beträgt die Verjährungsfrist grundsätzlich zwei Jahre, gerechnet ab dem Tag der Beendigung der Seereise, d. h. ab der tatsächlichen Ablieferung der Ladung oder dem Ende der Reise des Schiffes am Bestimmungshafen. Die Verjährungsvorschriften können jedoch durch besondere Vereinbarungen im Charter- oder Konnossementsvertrag modifiziert werden; weiterhin können Hemmungs- oder Unterbrechungstatbestände (z. B. gerichtliche Geltendmachung, Anerkenntnis oder schwebende Verfahren) eine Verlängerung bewirken.
Welches Recht findet auf Fälle der Besonderen Haverei Anwendung?
Bei internationalen Seetransporten ist das maßgebliche Recht für die Beurteilung der Besonderen Haverei einerseits von der vertraglichen Rechtswahl (insbesondere im Charterparty oder Konnossement) sowie vom Flaggenstaat des Schiffes und dem Berührpunkt zu den Beteiligten abhängig. Im internationalen Kontext wird häufig die „York-Antwerp Rules“ als vertragliche Grundlage bestimmt, die international anerkannte Regelungen zur Berechnung und Verteilung regeln. Liegen keine anderweitigen Vereinbarungen vor, findet subsidiär das nationale Recht des Registerstaates Anwendung, in Deutschland insbesondere das HGB als Spezialgesetz für die Schifffahrt.
Welche Rolle spielen Versicherungen im Zusammenhang mit der Besonderen Haverei?
Im Rahmen der Besonderen Haverei erstreckt sich der Versicherungsschutz aus Kasko- bzw. Ladungsversicherungen typischerweise auch auf die Beteiligung an Gemeinschaftshavarie-Schäden. Die Versicherer sind verpflichtet, innerhalb der versicherten Summen die fälligen Havereibeiträge zugunsten des Versicherungsnehmers zu regulieren. Der Versicherungsnehmer bleibt gegenüber den anderen Beteiligten jedoch zunächst selber zur Leistung verpflichtet; erst nach Ausgleich durch den Versicherer kommt es zu einer internen Abwicklung. Zudem kann die Versicherungsgesellschaft als Partei am Haverei-Verfahren auftreten, um die Angemessenheit der Schadensanerkennung, die Dispache und die Berechnung der einzelnen Ausgleichszahlungen zu überprüfen.
Welche Unterschiede bestehen zwischen Besonderer Haverei und Einfacher Haverei im rechtlichen Kontext?
Die Besondere Haverei unterscheidet sich rechtlich signifikant von der Einfachen Haverei (auch als „Partikularhavarie“ bezeichnet). Während bei der Besonderen Haverei gemeinschaftliche, notgedrungene Maßnahmen zur Gefahrenabwehr mit anschließender anteiliger Schadensteilung aller Beteiligten ergriffen werden, betrifft die Einfache Haverei ausschließlich individuelle Verluste oder Beschädigungen einzelner Parteien ohne Gemeinschaftsinteresse. Rechtsfolgen ergeben sich bei der Einfachen Haverei nur für den einzelnen Geschädigten, der den Schaden selbst zu tragen oder ggf. individuell zu versichern hat, ohne Rückgriff auf andere Interessenten. Dies ist insbesondere in den §§ 611 HGB geregelt und führt – anders als bei der Besonderen Haverei – nicht zur verpflichtenden Umlage auf alle Parteien.