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Besitzstörung


Begriff und Bedeutung der Besitzstörung

Die Besitzstörung ist ein zentraler Begriff im Sachenrecht und bezeichnet eine widerrechtliche Beeinträchtigung des unmittelbaren Sachbesitzes durch einen Dritten. Sie spielt sowohl im deutschen Zivilrecht als auch im österreichischen Recht eine bedeutende Rolle für den Schutz faktischer Besitzverhältnisse, unabhängig von etwaigen Eigentumsrechten. Der Schutz vor Besitzstörung dient der Wahrung des Rechtsfriedens sowie der schnellen, unkomplizierten Wiederherstellung eines bestehenden Besitzstandes.


Gesetzliche Grundlagen

Deutschland: Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Im deutschen Recht ist die Besitzstörung hauptsächlich in den §§ 858 ff. BGB geregelt. § 858 Abs. 1 BGB definiert den „verbotenen Eigenmacht“ als Besitzstörung oder Besitzentziehung ohne den Willen des Besitzers. Neben der Störung steht die Besitzentziehung, also die vollständige Beseitigung des Besitzes.

Österreich: Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)

Das österreichische Recht regelt Besitzstörungen insbesondere in den §§ 339-367 ABGB. Die Konzeption ähnelt dem deutschen Recht, weicht aber in bestimmten Verfahrensfragen und im Umfang des Störungsschutzes ab.


Voraussetzung und Arten der Besitzstörung

Voraussetzungen einer Besitzstörung

Eine Besitzstörung setzt voraus, dass ein bestehender Besitz gegen den Willen des Besitzers widerrechtlich beeinträchtigt wird. Der Begriff „Besitz“ meint hierbei jede tatsächliche Sachherrschaft, unabhängig von berechtigten Ansprüchen Dritter oder dem Eigentum.

Wesentliche Merkmale:

  • Vorliegen eines unmittelbaren Besitzes
  • Beinträchtigung oder Entziehung durch Dritte
  • Widerrechtlichkeit der Handlung
  • Ohne oder gegen den Willen des Besitzers

Typen der Besitzstörung

Besitzstörungen können sich in vielfältiger Weise äußern, beispielsweise durch:

  • Physische Eingriffe: Veränderung, Verstellen oder Beschädigung einer Sache
  • Entziehung: Wegnahme oder dauerhafte Verbringung einer Sache
  • Beeinträchtigung: Zufügung von Lärm, Immissionen, wiederholtes Betreten

Je nach Intensität wird unterschieden zwischen einer einfachen Besitzstörung und einer vollständigen Besitzentziehung.


Rechtsschutz bei Besitzstörung

Abwehransprüche des Besitzers

Selbsthilfe gemäß § 859 BGB

Das deutsche Recht gestattet dem Besitzer unter engen Voraussetzungen die sofortige Wiederherstellung des Besitzstandes durch Selbsthilfe. Voraussetzungen sind die Unmittelbarkeit der Gefahr und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Das österreichische Recht sieht ebenfalls eine beschränkte Selbsthilfemöglichkeit nach § 344 ABGB vor.

Besitzschutzklage (BGB: § 861, ABGB: § 339 ff.)

Der wichtigste Rechtsbehelf ist die Besitzschutzklage, im deutschen Recht als Rückgabeanspruch aus verbotener Eigenmacht gemäß § 861 BGB. Der aktuelle Besitzer kann die Wiedereinräumung des Besitzes verlangen. Die Klage ist innerhalb einer Frist von einem Jahr ab Kenntniserlangung der Störung zu erheben.

In Österreich wird zwischen der Besitzstörungsklage (§ 339 ff. ABGB) und der Besitzentziehungsklage unterschieden. Die Störungsklage muss binnen 30 Tagen ab Kenntnis der Störung eingebracht werden.

Unterlassungsanspruch

Besteht die Gefahr weiterer Störungen, kann der Besitzer einen Anspruch auf Unterlassung gegenüber dem Störer geltend machen. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 862 BGB oder den Besitzschutzbestimmungen im ABGB.


Einschränkungen und Ausschluss des Besitzschutzes

Rechtmäßiges Handeln

Eine Besitzstörung ist dann nicht gegeben, wenn die Handlung auf einer gesetzlichen Grundlage oder einer richterlichen Anordnung beruht (z. B. polizeiliche Maßnahmen, Vollstreckungstitel). Auch Handlungen des Eigentümers im Rahmen der Selbsthilfe schließen einen Besitzschutz aus.

Kein Besitzschutz auf Besitzentziehung durch den Eigentümer

Das deutsche Recht (§ 861 Abs. 2 BGB) und das österreichische Recht sehen vor, dass bei Besitzentziehung durch den Eigentümer kein Besitzschutzverfahren eröffnet werden kann, sofern dem Eigentümer das bessere Recht zusteht und kein unerlaubtes Eigenmachtverhalten zu beanstanden ist.


Verhältnis zum Eigentumsschutz

Der Besitzschutz ist strikt von Eigentumsschutzansprüchen zu unterscheiden. Er schützt ausschließlich die tatsächliche Sachherrschaft und nicht das Recht am Sacheigentum. Ein Besitzer kann daher auch gegen den Eigentümer Schutz verlangen, soweit dieser widerrechtlich Besitzhandlungen vornimmt.


Praktische Beispiele für Besitzstörungen

  • Das Abstellen eines Fahrzeugs auf einem fremden Grundstück ohne Genehmigung
  • Unbefugte Nutzung eines Gartens durch Nachbarn
  • Versetzung oder Entfernen einer beweglichen Sache (Fahrrad, Fahrzeug) von einem Stellplatz
  • Störung der tatsächlichen Nutzung einer Immobilie durch Betreten oder Blockieren von Zugängen

Bedeutung im Rechtsverkehr

Das Besitzschutzrecht erfüllt im Rechtssystem mehrere Funktionen:

  • Sicherung des Rechtsfriedens durch sofortigen Schutz bestehender Besitzstände
  • Entlastung der Gerichte durch summarische und schnelle Verfahren
  • Beitrag zur Eigentumssicherung, indem faktische Sachherrschaft vor Selbstjustiz geschützt wird

Literatur und weiterführende Hinweise

Für eine vertiefende wissenschaftliche Auseinandersetzung bieten sich folgende Werke an:

  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar zu §§ 858-863 BGB
  • Koziol, Welser: Grundriss des bürgerlichen Rechts, Band I (Österreich)
  • MüKoBGB, Kommentar zu Besitz und Besitzschutz

Durch die so gewährleistete schnelle und umfassende Schutzwirkung der Besitzschutzvorschriften bleibt das Verhältnis faktischer und rechtlicher Herrschaft über Sachen klar strukturiert und sorgt damit für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im täglichen Leben.

Häufig gestellte Fragen

Wie kann ein Besitzstörungsverfahren eingeleitet werden?

Ein Besitzstörungsverfahren wird grundsätzlich durch eine sogenannte Besitzstörungsklage eingeleitet. Diese Klage kann jede Person einbringen, die sich in ihrem Besitz gestört fühlt, unabhängig von einem etwaigen Eigentum am betroffenen Objekt. Das Verfahren ist insbesondere darauf gerichtet, die Besitzlage rasch und effektiv zu sichern, ohne dabei bereits über das Eigentumsrecht zu entscheiden. Notwendig ist es, die Störung, den eigenen Besitz und die Widerrechtlichkeit des Eingriffs substantiiert darzulegen und zu beweisen. Die Klage muss grundsätzlich binnen 30 Tagen ab Kenntnis der Störung und des Störers erhoben werden, wobei diese Frist sehr streng gehandhabt wird. Das zuständige Bezirksgericht prüft in einem summarischen Verfahren im Rahmen einer mündlichen Verhandlung die Sach- und Rechtslage. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass das Gericht nicht von Amts wegen ermittelt, sondern die Parteien für die Darstellung und den Beweis aller relevanten Umstände verantwortlich sind.

Welche Abwehrmöglichkeiten stehen dem Besitzstörer zur Verfügung?

Dem Besitzstörer stehen im Besitzstörungsverfahren eingeschränkte Verteidigungsmöglichkeiten zu, denn das Verfahren ist darauf ausgerichtet, lediglich die aktuell bestehende Besitzlage zu schützen, ohne die materiellen Besitz- oder Eigentumsverhältnisse abschließend zu klären. Der Beklagte kann insbesondere einwenden, dass keine Besitzstörung vorliegt, dass der Kläger kein schutzwürdiger Besitzer ist (z.B. weil er selbst nur im Auftrag des Beklagten handelt), oder die angebliche Störung innerhalb der Klagefrist nicht rechtzeitig geltend gemacht wurde. Er kann ebenfalls einwenden, dass sein Vorgehen durch ein Notwehr- oder Notstandsrecht gerechtfertigt war. Darüber hinaus bleibt es aber dem Beklagten grundsätzlich verwehrt, geltend zu machen, dass er selbst der rechtmäßige Eigentümer ist – diese Fragen sind im Besitzstörungsverfahren nicht zu klären, sondern einem separaten Eigentums- oder Feststellungsverfahren vorbehalten.

Welche Fristen gelten für die Erhebung einer Besitzstörungsklage?

Für die Erhebung einer Besitzstörungsklage gilt grundsätzlich eine sehr kurze Frist von 30 Tagen. Diese Frist beginnt ab jenem Zeitpunkt zu laufen, zu dem der Besitz gestört wurde und der Kläger sowohl von der Störung als auch vom Störer Kenntnis erlangt hat. Die Einhaltung dieser Frist ist zwingend, eine Versäumung kann nur in allerengsten Ausnahmefällen (z.B. bei unverschuldeter Unkenntnis) gerechtfertigt sein. Die kurze Frist dient dem Zweck, die bestehende Besitzlage möglichst rasch und effektiv wiederherzustellen und längere Besitzkonflikte zu vermeiden. Nach Ablauf der Frist ist die Klage grundsätzlich unzulässig, es sei denn, die Störung dauert noch an oder wird fortgesetzt, dann kann von jedem neuen Störungsakt erneut eine Frist in Gang gesetzt werden.

Gegen welche Arten von Besitzstörungen kann man sich rechtlich wehren?

Rechtlich relevant sind alle Eingriffe, die den unmittelbaren Besitz an einer Sache beeinträchtigen. Dies umfasst Eingriffe, die den Besitz entziehen (z.B. Wegnahme einer beweglichen Sache) oder bloß stören (z.B. das Versperren einer Zufahrt, Verunreinigung eines Grundstückes, Lärm- oder Geruchsbelästigungen). Auch rein tatsächliche Eingriffe ohne rechtlichen Hintergrund sind erfasst, solange sie geeignet sind, den Besitz zu beeinträchtigen. Keinen Schutz bietet das Besitzstörungsverfahren hingegen bei rein vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen, bei bloßen Vertragsstreitigkeiten ohne Bezug zum Besitz oder bei Störungen, die nicht gegenwärtig, sondern bereits beendet sind, sofern die Klagefrist abgelaufen ist.

Welche Rechtsfolgen kann ein erfolgreiches Besitzstörungsverfahren haben?

Im Falle eines erfolgreichen Besitzstörungsverfahrens erhält der Kläger in der Regel einen Anspruch auf Wiederherstellung des vorigen Besitzstandes. Das kann bedeuten, dass der Beklagte zur Rückgabe der Sache, zur Unterlassung weiterer Störungen oder zur Beseitigung der Folgen der Störung verpflichtet wird. Das Gericht spricht dabei regelmäßig einen Unterlassungsanspruch aus und ordnet gegebenenfalls die Rückgängigmachung der Störung an. Dabei kann das Gericht auf Antrag auch Zwangsmaßnahmen verhängen, etwa eine Zwangsvollstreckung zur Rückgabe oder Entfernung eines störenden Gegenstandes. Darüber hinaus können dem Besitzstörer die Kosten des Verfahrens auferlegt werden. Schadensersatzansprüche werden im Besitzstörungsverfahren jedoch nicht behandelt, sie sind in einem gesonderten Zivilverfahren geltend zu machen.

Kann eine Besitzstörung auch strafrechtliche Konsequenzen haben?

Grundsätzlich ist das Besitzstörungsverfahren ein zivilrechtliches Verfahren und bezweckt ausschließlich die schnelle Wiederherstellung der Besitzlage. In gravierenden Fällen kann eine Besitzstörung aber auch strafrechtlich relevant sein, insbesondere wenn sie mit einer strafbaren Handlung wie Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch oder Diebstahl einhergeht. In diesen Fällen kann parallel zum zivilrechtlichen Verfahren auch ein Strafverfahren eingeleitet werden, wobei die beiden Verfahren unabhängig voneinander ablaufen. Die zivilrechtlichen Ansprüche werden durch das strafrechtliche Verfahren nicht ausgeschlossen, sodass beide Wege nebeneinander beschritten werden können.

Welche Bedeutung hat das Besitzstörungsverfahren für spätere Eigentumsstreitigkeiten?

Das Besitzstörungsverfahren trifft keine endgültigen Entscheidungen über das Eigentum an der gestörten Sache. Es ist ein vorläufiger und rein possessiver Rechtsschutz, der lediglich den letzten ruhigen Besitzstand sichert. Die Feststellungen des Gerichts entfalten daher für künftige Eigentumsprozesse keine Bindungswirkung; sie stellen keine Vorentscheidung über das Eigentumsrecht dar und können in einem späteren Eigentumsverfahren weder als Beweis noch als Präjudiz herangezogen werden. Dennoch kann das Besitzstörungsverfahren wichtig sein, um während eines laufenden Eigentumsstreits den Status quo zu sichern und eigenmächtige Veränderungen an der Besitzlage zu vermeiden.