Begriff und Einordnung der Besitzkehr
Besitzkehr bezeichnet die gesetzlich anerkannte Möglichkeit, eine Sache unmittelbar nach einer verbotenen Entziehung des Besitzes mit angemessener körperlicher Einwirkung zurückzunehmen. Sie ist eine Form der Selbsthilfe zum Schutz des Besitzes und zielt darauf, den vorherigen Besitzstand kurzfristig wiederherzustellen, ohne sofort den Weg über staatliche Stellen zu nehmen. Besitzkehr knüpft stets an eine aktuelle, frische Situation an und ist zeitlich eng begrenzt.
Abgrenzung zu verwandten Begriffen
Besitz und Eigentum
Besitz ist die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache; Eigentum ist die rechtliche Zuordnung. Besitzkehr schützt den Besitz als solchen und steht nicht nur Eigentümerinnen und Eigentümern, sondern jeder besitzenden Person zu, deren Besitz ohne Erlaubnis entzogen wurde.
Besitzwehr und Besitzkehr
Besitzwehr dient der Abwehr einer laufenden Störung, solange der Besitz noch besteht. Besitzkehr setzt bereits eingetretenen Besitzverlust voraus und ermöglicht die sofortige Rücknahme der Sache. Beide Institute sollen den faktischen Zustand sichern, unterscheiden sich aber in Zeitpunkt und Zielrichtung.
Verbotene Eigenmacht
Verbotene Eigenmacht liegt vor, wenn jemand ohne Einverständnis der besitzenden Person und ohne rechtliche Befugnis in deren Besitzposition eingreift, etwa durch Wegnahme, Verdrängung oder Ausschluss vom Zugriff. Besitzkehr setzt eine solche unbefugte Entziehung voraus.
Voraussetzungen der Besitzkehr
Vorheriger Besitz
Die berechtigte Ausübung der Besitzkehr erfordert, dass zuvor tatsächlicher Besitz bestanden hat. Bloße Anwartschaften oder rein rechtliche Ansprüche genügen nicht; es muss eine tatsächliche Herrschaftsausübung vorgelegen haben.
Entziehung durch verbotene Eigenmacht
Der Besitz muss ohne Willen der besitzenden Person und ohne rechtliche Befugnis entzogen worden sein. Einverständnis, vertragliche Erlaubnisse oder behördliche Maßnahmen schließen die Annahme verbotener Eigenmacht aus.
Unmittelbarkeit der Rückholung
Besitzkehr ist nur „sofort“ zulässig. Erforderlich ist ein enger zeitlicher und situativer Zusammenhang mit der Entziehung. Gemeint ist ein Handeln auf frischer Tat oder in unmittelbarem Anschluss, typischerweise ohne nennenswerte Verzögerung und oft am selben Ort oder im Rahmen einer kurzen Verfolgung. Mit zunehmendem Zeitablauf entfällt die Möglichkeit der Besitzkehr, und es kommen vorrangig andere Rechtsbehelfe in Betracht.
Zulässige Mittel und Grenzen
Die Rücknahme darf unter Einsatz angemessener körperlicher Einwirkung erfolgen, jedoch nur in dem Umfang, der zur Wiedererlangung erforderlich ist. Die Mittel müssen verhältnismäßig sein; schwerwiegende Eingriffe sind unzulässig. Die Besitzkehr dient allein der Wiederherstellung des früheren Besitzes, nicht der Ahndung oder Sicherung weitergehender Interessen.
Gegen wen richtet sich die Besitzkehr?
Adressat ist grundsätzlich die Person, die den Besitz entzogen hat, einschließlich Personen, die unmittelbar bei der Entziehung mitwirken. Gegen unbeteiligte Dritte oder nachgelagerte Erwerbspersonen richtet sich die Besitzkehr nicht. Besondere Einschränkungen gelten bei bestehenden Gemeinschafts- oder Mitbesitzverhältnissen.
Anwendungsbereiche
Bewegliche Sachen
Bei beweglichen Sachen kommt Besitzkehr typischerweise in Situationen vor, in denen die Wegnahme unmittelbar bemerkt und die Rückholung direkt oder im Rahmen einer kurzen Verfolgung vorgenommen wird. Der örtliche und zeitliche Zusammenhang ist maßgeblich.
Grundstücke und Räume
Bei Grundstücken und Räumen bezieht sich die Besitzkehr auf die unmittelbare Verdrängung der eindringenden Person vom Besitz. Auch hier ist die Nähe zur Tat entscheidend: Handeln auf frischer Tat oder in unmittelbarem Anschluss an das unbefugte Betreten oder Verbleiben.
Gemeinsamer Besitz und mehrstufige Besitzverhältnisse
Bei gemeinsamem Besitz (Mitbesitz) besteht regelmäßig keine Befugnis, eine andere mitbesitzende Person durch Besitzkehr vollständig auszuschließen, da alle Mitbesitzenden Teilhabe am Besitz haben. In mehrstufigen Besitzverhältnissen (etwa bei Überlassung an Dritte) kann diejenige Person handeln, die die tatsächliche Obhut innehat. Die Reichweite richtet sich nach der konkreten Besitzordnung.
Gewerbliche Situationen
In Verkaufs- oder Dienstleistungsumgebungen kommt Besitzkehr vor allem beim unmittelbaren Rückholen entwendeter Ware vor, sofern die Situation noch frisch ist und die Mittel verhältnismäßig bleiben. Ziel ist allein die Wiederherstellung des vorherigen Warenbesitzes.
Digitale Inhalte und Daten
Besitzkehr schützt die tatsächliche Herrschaft über körperliche Sachen. Nichtkörperliche Güter wie rein digitale Inhalte fallen nicht unter den klassischen Besitzschutz. Für solche Konstellationen gelten andere rechtliche Instrumente.
Rechtsfolgen und Abgrenzungen
Wirkung der Besitzkehr
Die Besitzkehr stellt den vorherigen Besitzzustand wieder her. Sie begründet keine neuen Rechte an der Sache und entscheidet nicht über Eigentumsfragen. Sie wirkt lediglich faktisch und kurzfristig stabilisierend.
Folgen bei unzulässiger Besitzkehr
Wird außerhalb der engen Voraussetzungen oder mit unverhältnismäßigen Mitteln gehandelt, kann das Verhalten selbst als unbefugter Eingriff in den Besitz der Gegenseite oder als sonstige Rechtsverletzung gewertet werden. Dies kann zivilrechtliche Ansprüche und strafrechtliche Risiken auslösen.
Verhältnis zu gerichtlichem Besitzschutz
Die Besitzkehr ist eine sofortige Selbsthilfemaßnahme. Unabhängig davon bestehen gerichtliche Ansprüche auf Schutz und Wiederherstellung des Besitzes. Diese dienen der nachträglichen Klärung und Sanktionierung unzulässiger Eingriffe.
Verhältnis zu anderen Rechtfertigungsgründen
Besitzkehr steht neben allgemeinen Rechtfertigungstatbeständen wie Verteidigungssituationen. Während diese auf die Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs zielen, ist die Besitzkehr auf die unmittelbare Rückholung nach bereits eingetretener Entziehung zugeschnitten.
Beispiele
Kurzbeispiele zur Veranschaulichung
- Jemand nimmt eine Tasche weg; die vorherige Besitzerin bemerkt dies sofort und nimmt die Tasche unmittelbar wieder an sich.
- Eine Person dringt unbefugt in einen abgeschlossenen Raum ein; der Inhaber stellt dies fest und setzt die Person auf der Stelle wieder hinaus.
- Ein Fahrrad wird während des Abstellens weggerissen; der bisherige Besitzer verfolgt den Entzieher auf kurzer Strecke und nimmt das Rad ohne übermäßige Gewalt zurück.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet „sofort“ im Zusammenhang mit Besitzkehr?
„Sofort“ verlangt einen engen zeitlichen und situativen Zusammenhang mit der Entziehung, typischerweise Handeln auf frischer Tat oder unmittelbar danach. Mit zunehmender Verzögerung entfällt die Zulässigkeit.
Gegen wen darf sich die Besitzkehr richten?
Sie richtet sich gegen die Person, die den Besitz unbefugt entzogen hat, sowie gegen unmittelbar Mitwirkende. Unbeteiligte Dritte werden nicht erfasst.
Gilt Besitzkehr auch für Grundstücke und Räume?
Ja. Bei Grundstücken und Räumen umfasst sie die unmittelbare Verdrängung der unbefugt eindringenden oder verbleibenden Person, sofern dies auf frischer Tat oder im unmittelbaren Anschluss geschieht.
Welche Mittel sind bei der Besitzkehr zulässig?
Zulässig sind nur die zur Rückholung erforderlichen und verhältnismäßigen Mittel. Überschießende, gefährliche oder nicht erforderliche Eingriffe sind unzulässig.
Unterscheidet sich Besitzkehr von Besitzwehr?
Ja. Besitzwehr dient der Abwehr einer laufenden Störung, während Besitzkehr nach bereits eingetretener Entziehung die sofortige Wiedererlangung ermöglicht.
Welche Folgen hat eine unzulässige Besitzkehr?
Unzulässiges Vorgehen kann zu zivilrechtlicher Haftung und strafrechtlichen Risiken führen, etwa bei Verletzung von Personen oder Eingriffen in fremden Besitz.
Gilt Besitzkehr zwischen Vermietenden und Mietenden?
Der Besitz an überlassenen Räumen steht grundsätzlich den Mietenden zu. Eigenmächtige Eingriffe, etwa das Aussperren, sind regelmäßig keine zulässige Besitzkehr.
Erfasst Besitzkehr digitale Inhalte?
Nein. Besitzkehr bezieht sich auf körperliche Sachen. Für digitale Inhalte greifen andere rechtliche Mechanismen, da sie nicht dem klassischen Sachbegriff unterfallen.