Besitzarten
Überblick
Der Begriff Besitzarten bezeichnet im deutschen Zivilrecht die verschiedenen Erscheinungsformen des Besitzes an einer Sache. Besitz ist die von einem natürlichen Willen getragene tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache (§ 854 Abs. 1 BGB). Die genaue Unterscheidung der Besitzarten entfaltet erhebliche praktische und rechtliche Bedeutung, insbesondere im Sachenrecht. Die einzelnen Besitzarten beeinflussen zahlreiche Rechtsfolgen, etwa im Hinblick auf Herausgabeansprüche, Besitzschutz oder Eigentumserwerb durch Ersitzung.
Rechtliche Grundlagen des Besitzes
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) enthält in den §§ 854 ff. zentrale Vorschriften zum Besitz. Besitz ist ein rechtlich geschütztes tatsächliches Herrschaftsverhältnis. Im Unterschied zum Eigentum ist Besitz nicht zwingend mit einem Rechtsanspruch auf eine Sache verbunden, sondern stellt lediglich die tatsächliche Sachherrschaft dar.
Besitzschutz
Dem Besitz innewohnt ein umfassender Schutz vor Störungen und Eingriffen Dritter (§§ 858 ff. BGB). Dies gilt unabhängig davon, ob der Besitz rechtmäßig oder unrechtmäßig erworben wurde. Die Unterscheidung der Besitzarten wirkt sich maßgeblich darauf aus, welche Rechte und Pflichten aus dem Besitzverhältnis resultieren.
Überblick über die wichtigsten Besitzarten
Die Besitzlehre unterscheidet verschiedene Besitzarten, die nach unterschiedlichen Kriterien systematisiert werden:
Unmittelbarer und mittelbarer Besitz
Unmittelbarer Besitz (§ 854 BGB) liegt vor, wenn eine Person die unmittelbare tatsächliche Gewalt über eine Sache hat. Wer die Sache also physisch innehat oder bewacht, ist unmittelbarer Besitzer.
Mittelbarer Besitz (§ 868 BGB) besteht, wenn die Sachherrschaft durch einen anderen für den mittelbaren Besitzer ausgeübt wird. Typisch ist das Besitzmittlungsverhältnis, etwa bei Vermietung oder Verleih: Der Mieter ist unmittelbarer, der Vermieter mittelbarer Besitzer.
Eigenschaften des mittelbaren Besitzes:
- Besitzmittlungsverhältnis: Rechtsverhältnis, aufgrund dessen der Besitz auszuüben ist (z. B. Miete, Leihe, Verwahrung)
- Herausgabeanspruch: Der mittelbare Besitzer kann die Herausgabe vom unmittelbaren Besitzer verlangen (§ 868 BGB)
Besitzdiener und Besitzmittler
Der Besitzdiener (§ 855 BGB) übt die tatsächliche Gewalt über die Sache für einen anderen als Teil eines sozialen Abhängigkeitsverhältnisses aus, etwa Arbeitnehmer für einen Arbeitgeber. Rechtlich wird hierbei allein der „Herr“ als Besitzer angesehen, nicht der Besitzdiener selbst.
Im Unterschied dazu ist beim Besitzmittlungsverhältnis (§ 868 BGB) gerade der Besitzmittler (z. B. Mieter) Besitzer.
Eigenbesitz und Fremdbesitz
Eigenbesitzer ist nach § 872 BGB, wer eine Sache als ihm gehörend besitzt, also mit dem Willen, wie ein Eigentümer darüber zu verfügen.
Fremdbesitz liegt vor, wenn der Besitzer die Sache für einen anderen besitzt, etwa ein Mieter für den Vermieter. Der Fremdbesitzwille ist charakteristisch: Der Besitzer erkennt das Eigentum eines anderen ausdrücklich an.
Alleinbesitz und Mitbesitz
- Alleinbesitz: Eine Person besitzt allein die tatsächliche Gewalt über die Sache.
- Mitbesitz (§ 866 BGB): Mehrere Personen üben gemeinschaftlich Besitz an der Sache aus, beispielsweise Miteigentümer einer Wohnung. Es wird zwischen Bruchteilbesitz und Gesamtbesitz unterschieden.
Teilbesitz
Teilbesitz (§ 865 BGB) ist gegeben, wenn jemand in Ausübung der Sachherrschaft nur einen räumlich abgegrenzten Teil der Sache besitzt, wie etwa der Mieter einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus.
Besitzrechtsdogmatik und Abgrenzung
Die Differenzierung der Besitzarten hat Auswirkungen auf Folgefragen wie Gutglaubenserwerb, Besitzschutz, Herausgabeansprüche, Haftung, Ersitzung und Verjährung. Die Besitzart beeinflusst beispielsweise, ob ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten möglich ist (§ 932 BGB), oder ob eine Person im Rahmen von Besitzwehr- (§ 859 BGB) oder Besitzkehrrechten geschützt ist.
Besonderheiten im Besitzmittlungsverhältnis
Das Besitzmittlungsverhältnis schafft ein gestuftes Besitzverhältnis. Der unmittelbare Besitzer besitzt die Sache für den mittelbaren Besitzer. Die rechtliche Qualität des Besitzmittlungsverhältnisses entscheidet darüber, wie weitreichend die Rechte des mittelbaren Besitzers reichen.
Besitz und Besitzschutz
Besitzschutzansprüche (§§ 858-861 BGB) greifen für alle Besitzarten, also auch für Mieter, Pächter oder beliebige sonstige Besitzer, unabhängig davon, ob sie Eigen- oder Fremdbesitzer sind.
Besitzarten im Rechtsverkehr
Die Unterscheidung der Besitzarten ist nicht rein akademisch, sondern hat praktische Auswirkungen in zahlreichen Rechtsbereichen:
- Übertragung von Besitz und Eigentum: Beim Eigentumserwerb durch Übereignung (z. B. nach § 929 S. 1, S. 2 BGB) kommt es auf den Übergang des Besitzes in unterschiedlichen Formen an, etwa Übergabe (verschaffen unmittelbaren Besitzes) oder Besitzmittlungsverhältnis (Verschaffung mittelbaren Besitzes).
- Sicherung von Ansprüchen und Herausgabe: Für die Geltendmachung von Herausgabeansprüchen (z. B. § 985 BGB) ist konkret zu bestimmen, wer Besitzer welcher Besitzart ist.
- Besitz im Miet- und Pachtrecht: Der Besitzbegriff spielt bei der Abgrenzung von Rechtsverhältnissen wie Miete, Pacht, Leihe oder Verwahrung eine zentrale Rolle.
Besitzarten im internationalen Kontext
Im internationalen Privatrecht werden oftmals unterschiedliche Besitzkonzepte vertreten, insbesondere im Vergleich zum deutschen Recht. In vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen finden sich vergleichbare Unterscheidungen, während im anglo-amerikanischen Rechtssystem die Gleichsetzung von Besitz und Eigentum verbreiteter ist.
Besitzarten – Zusammenfassung
Die Differenzierung der Besitzarten ermöglicht eine präzise Erfassung des tatsächlichen und rechtlichen Herrschaftsverhältnisses über Sachen. Sie legt die Grundlage für die Anwendung sachenrechtlicher Normen, die Bestimmung von Berechtigungen und die Zuweisung von Schutzrechten. Die genaue Unterscheidung ist für die Durchsetzung und Abwehr von Ansprüchen, für die Bestimmung der Haftung und für den gutgläubigen Erwerb von besonderer Bedeutung. Das Verständnis der verschiedenen Besitzarten bildet daher einen zentralen Baustein des Sachenrechts.
Häufig gestellte Fragen
Welche Unterscheidungen gibt es bei Besitzarten im deutschen Recht?
Im deutschen Recht werden verschiedene Besitzarten unterschieden, wobei vor allem zwischen unmittelbarem und mittelbarem Besitz differenziert wird. Unmittelbarer Besitz liegt vor, wenn eine Person die tatsächliche Gewalt über eine Sache selbst ausübt (§ 854 Abs. 1 BGB). Mittelbarer Besitz hingegen ergibt sich, wenn die tatsächliche Sachherrschaft durch einen Besitzmittler ausgeübt wird, der die Sache zwar unmittelbar besitzt, jedoch aufgrund eines Besitzmittlungsverhältnisses (etwa Miete, Leihe oder Verwahrung) für einen anderen (den mittelbaren Besitzer) hält (§ 868 BGB). Daneben gibt es noch den Eigen- und Fremdbesitz. Eigenbesitzer ist, wer eine Sache als ihm gehörend besitzt; Fremdbesitzer ist, wer die Sache als zum Besitz eines anderen gehörend ansieht (§ 872 BGB). Weitere Unterscheidungen bestehen zwischen Allein-, Mit- und Teilbesitz sowie zwischen Besitzdiener (§ 855 BGB) und Besitzmittler.
Wie unterscheiden sich unmittelbarer und mittelbarer Besitz voneinander?
Der unmittelbare Besitzer hat die tatsächliche Gewalt über eine Sache direkt inne, das heißt, die Sache befindet sich in seiner physischen Herrschaftssphäre, so dass er jederzeit darauf zugreifen kann. Beispiele hierfür sind der Eigentümer eines Autos, das in seiner Garage steht, oder die Bewohnerin einer Wohnung. Der mittelbare Besitzer hingegen hat keine unmittelbare Sachherrschaft, sondern hält die Besitzposition lediglich aufgrund eines rechtlichen Verhältnisses. Der Besitzmittler übt für ihn den unmittelbaren Besitz aus. Mittelbarer Besitz entsteht, wenn etwa bei einer Vermietung der Vermieter weiterhin mittelbarer Besitzer der vermieteten Wohnung bleibt, während der Mieter unmittelbarer Besitzer ist. Ein sogenanntes Besitzmittlungsverhältnis (zum Beispiel Miet- oder Leihvertrag) ist Voraussetzung für das Bestehen eines mittelbaren Besitzes.
Was ist der Unterschied zwischen Eigenbesitz und Fremdbesitz?
Die Unterscheidung zwischen Eigen- und Fremdbesitz richtet sich nach dem Besitzwillen des Besitzers. Eigenbesitz (§ 872 Satz 1 BGB) liegt vor, wenn der Besitzer eine Sache mit dem Willen besitzt, Besitzer und Eigentümer zu sein („Als ihm gehörend“). In der Praxis sind das in der Regel die Eigentümer oder solche, die sich als solche betrachten. Fremdbesitz (§ 872 Satz 2 BGB) besteht, wenn jemand die tatsächliche Sachherrschaft ausübt, jedoch ausdrücklich anerkennt, dass der Besitz einem anderen zusteht. Ein klassisches Beispiel wäre der Mieter einer Wohnung, der diese zwar bewohnt (unmittelbarer Besitzer), sie jedoch als Eigentum des Vermieters anerkennt und damit fremdbesitzt.
Welche Rolle spielt das Besitzmittlungsverhältnis?
Das Besitzmittlungsverhältnis ist das zentrale Element für die Begründung des mittelbaren Besitzes (§ 868 BGB). Es handelt sich dabei um ein rechtliches Verhältnis, welches typischerweise auf schuldrechtlichen Verträgen wie Miet-, Pacht-, Leih- oder Verwahrungsverträgen basiert. Dieses Verhältnis begründet die Pflicht des unmittelbaren Besitzers (Besitzmittler), die Sache für den mittelbaren Besitzer zu besitzen und ihm den Besitz auf dessen Verlangen herauszugeben. Fehlt ein solches Besitzmittlungsverhältnis oder endet es, so erlischt regelmäßig auch der mittelbare Besitz. Voraussetzung ist zudem, dass eine Herausgabeverpflichtung tatsächlich besteht und durchgesetzt werden kann.
Was versteht man unter Besitzdiener und Besitzmittler und wie grenzen sie sich ab?
Der Besitzdiener gemäß § 855 BGB übt die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft aufgrund eines sozialen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses aus, beispielsweise ein Angestellter gegenüber seinem Arbeitgeber. Besitzer bleibt hier der Dienstherr. Der Besitzmittler dagegen ist nach § 868 BGB jemand, der aufgrund eines Besitzmittlungsverhältnisses (z.B. Miete) die Sache für einen anderen besitzt, jedoch mit eigener Rechtsmacht und regelmäßig selbst als Besitzer in Ansprüchen involviert sein kann. Besitzdiener tritt nach außen nicht als Besitzer auf, während der Besitzmittler im Außenverhältnis als Besitzer gilt.
Können mehrere Personen gleichzeitig Besitzer derselben Sache sein?
Ja, im deutschen Sachenrecht ist auch ein sogenannter Mit- oder Teilbesitz (§ 866 BGB) möglich. Beim Mitbesitz steht mehreren Personen die tatsächliche Gewalt über eine Sache gemeinschaftlich zu, etwa bei Eheleuten, die zusammen ein Haus bewohnen. Hierbei hat jeder Mitbesitzer das Recht zur Mitbenutzung. Beim Teilbesitz wird die tatsächliche Gewalt von mehreren Personen an verschiedenen Teilen derselben Sache ausgeübt, wie es bei verschiedenen abgesperrten Räumen in einem Gebäude regelmäßig vorkommt. Die genaue Form und Ausgestaltung des Besitzes hängt dabei stets vom tatsächlichen Herrschaftsbereich und vom Willen der Beteiligten ab.
In welchen Fällen endet der Besitz und welche rechtlichen Folgen hat dies?
Der Besitz endet, wenn die tatsächliche Sachherrschaft vollständig aufgegeben wird, zum Beispiel durch Übertragung an einen neuen Besitzer (Übereignung) oder durch bloßen Besitzverlust (Verlust, Diebstahl, Wegwerfen). Juristisch relevant ist dies insbesondere hinsichtlich besitzrechtlicher Ansprüche wie etwa dem Herausgabeanspruch (§ 985 BGB) oder dem Besitzschutz (§§ 858 ff. BGB). Der Besitzverlust kann dazu führen, dass bestimmte Rechte und Ansprüche entfallen, z.B. bei Wegfall des mittelbaren Besitzes mit Beendigung des Besitzmittlungsverhältnisses, oder dass Schutzvorschriften gegenüber Dritten (insbesondere Besitzschutzklagen) nicht mehr in Anspruch genommen werden können. Auch die Gutgläubigkeit beim Erwerb von Sachen (§ 932 BGB) ist häufig davon abhängig, wer derzeit Besitzer ist.