Definition und rechtliche Einordnung der Behindertenwerkstatt
Eine Behindertenwerkstatt (abgekürzt WfbM, Werkstatt für behinderte Menschen) ist eine nach deutschem Sozialrecht anerkannte Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. Sie verfolgt das Ziel, behinderten Menschen, die wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung aktuell nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu bieten. Die rechtlichen Grundlagen, die die Ausgestaltung und den Betrieb von Behindertenwerkstätten bestimmen, sind insbesondere im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) festgelegt.
Rechtliche Grundlagen der Behindertenwerkstatt
Gesetzliche Grundlagen im SGB IX
Die zentrale gesetzliche Grundlage für Behindertenwerkstätten bildet das SGB IX (§§ 219 ff. SGB IX). Dieses regelt die Aufgaben, die Zielgruppen, die Aufnahmevoraussetzungen, die Förderung sowie den Betrieb von Werkstätten für behinderte Menschen.
Zweck und Aufgaben gemäß § 219 SGB IX
Werkstätten für behinderte Menschen haben die Aufgabe, behinderten Menschen Teilhabe am Arbeitsleben und zur Förderung ihres Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt Angebote zu machen. Sie fördern die Persönlichkeitsentwicklung, Eigenständigkeit und die Entwicklung von Erwerbsfähigkeiten.
Zielgruppe und Aufnahme
Nach § 219 Abs. 1 SGB IX richten sich Behindertenwerkstätten an Personen, die wegen Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können. Die Aufnahme setzt eine Eingliederungshilfe oder ein gleichwertiges Verfahren der Feststellung voraus. Eine medizinische, psychologische bzw. sozialpädagogische Begutachtung ist dafür in vielen Fällen erforderlich.
Struktur und organisationale Ausgestaltung
Bereiche und Phasen in der Behindertenwerkstatt
Gemäß § 219 SGB IX gliedern sich Behindertenwerkstätten in verschiedene Bereiche:
Eingangsverfahren
Das Eingangsverfahren (dauert maximal drei Monate) dient der Feststellung, ob die Beschäftigung in der Werkstatt den individuellen Bedürfnissen entspricht sowie der Erstellung eines Eingliederungsplans.
Berufsbildungsbereich
Im Berufsbildungsbereich (in der Regel 24 Monate) werden die Grundlagen beruflicher Bildung und Fertigkeiten vermittelt. Ziel ist die Entwicklung von Fähigkeiten, die entweder eine Versetzung in den Arbeitsbereich der Werkstatt oder idealerweise einen Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen. Rechtsgrundlage ist insbesondere die Werkstättenverordnung (WVO).
Arbeitsbereich
Der Arbeitsbereich ist für Menschen bestimmt, die zunächst (noch) nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden können. Hier werden angemessene Arbeitsangebote unter dem Rahmen der individuellen Leistungsfähigkeit gemacht. Arbeitsentgelt wird auf Basis des im SGB IX geregelten Entgeltsystems gezahlt.
Rechtsverhältnis der Beschäftigten der Behindertenwerkstatt
Kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts
Beschäftigte in der Behindertenwerkstatt stehen nicht in einem Arbeitsverhältnis nach Maßgabe des allgemeinen Arbeitsrechts (BGB, Arbeitsrecht, Tarifrecht), sondern in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis zum Träger der Werkstatt (§ 221 SGB IX). Hierdurch entsteht kein Anspruch auf einen Arbeitsvertrag nach allgemeinem Arbeitsrecht, jedoch bestehen pflichten- und ansprücheähnliche Rechte hinsichtlich Beschäftigung, Vergütung und sozialer Absicherung.
Arbeitsentgelt und Sozialversicherung
Beschäftigte in einer Werkstatt für behinderte Menschen erhalten ein Arbeitsentgelt, das sich aus einem Grundbetrag (§ 221 Abs. 2 SGB IX), der vom Bund jährlich neu festgelegt wird, und einem leistungsbezogenen Steigerungsbetrag zusammensetzt. Finanzielle Leistungen werden u.a. aus Mitteln der Rehabilitationsträger, der Eingliederungshilfe sowie aus Einnahmen der Werkstatt erbracht.
In sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht genießen Beschäftigte gesetzliche Renten-, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung (§ 221 SGB IX). Die Beiträge werden von den jeweiligen Rehabilitationsträgern und durch Eigenbeiträge aufgebracht.
Anerkennung und Trägerschaft der Behindertenwerkstatt
Voraussetzungen und Anerkennung der Werkstatt
Um als Werkstatt für behinderte Menschen anerkannt zu werden, müssen Einrichtungen laut § 225 SGB IX und Werkstättenverordnung (WVO) bestimmte fachliche, personelle und räumliche Voraussetzungen erfüllen. Die Anerkennung erfolgt durch die jeweils zuständige Landesbehörde.
Zu den Anforderungen zählen insbesondere:
- Angebote aus den Bereichen Eingangsverfahren, Berufsbildungsbereich und Arbeitsbereich,
- Nachweis eines eigenen Sozialdienstes,
- Konzept zur Förderung des Übergangs in den allgemeinen Arbeitsmarkt,
- Beteiligung der Werkstatträte.
Träger der Behindertenwerkstatt
Träger können sowohl öffentliche als auch freie (gemeinnützige, kirchliche oder sonstige) Organisationen sein. Einzelne Bundesländer regeln Zulassungs- und Aufsichtsvorgaben durch Landesrecht und ergänzende Vorschriften.
Förderung und Finanzierung im Rechtssystem
Finanzierung durch Rehabilitationsträger
Die Finanzierung der Leistungen der Werkstatt für behinderte Menschen wird maßgeblich durch sogenannte Rehabilitationsträger (z.B. die Bundesagentur für Arbeit, Unfallversicherungsträger, Rentenversicherungsträger, Integrationsamt) getragen. Die Sozial- und Eingliederungshilfe gemäß SGB IX und SGB XII trägt ebenfalls zur Finanzierung bei.
Entgelt und Steuern
Das für Beschäftigte ausgezahlte Arbeitsentgelt ist steuer- und sozialversicherungsrechtlich privilegiert: In der Regel sind Entgelte aus der Beschäftigung in einer Behindertenwerkstatt steuerfrei und werden nicht auf Sozialleistungen angerechnet (Ausnahmen bestehen bei bestimmten Sozialleistungen, wie beispielsweise Grundsicherung nach SGB XII).
Rechte und Mitwirkungsorgane in der Behindertenwerkstatt
Werkstattrat und Frauenbeauftragte
Das Recht auf Selbstvertretung der Beschäftigten wird durch den Werkstattrat (§§ 5 ff. WMVO – Werkstätten-Mitwirkungsverordnung) und eine Frauenbeauftragte (§ 39a WMVO) gewährleistet. Sie haben Mitwirkungsrechte bei wesentlichen Angelegenheiten der Werkstatt, etwa zu Arbeitszeiten, Vergütung oder sozialen Angeboten. Die Mitwirkung ist rechtlich verbindlich ausgestaltet.
Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und rechtliche Förderinstrumente
Unterstützte Beschäftigung und Budget für Arbeit
Zur Förderung des Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt stehen den Beschäftigten spezielle rechtliche Instrumente zur Verfügung, namentlich die „Unterstützte Beschäftigung“ (§ 55 SGB IX) und das „Budget für Arbeit“ (§ 61 SGB IX). Das Budget für Arbeit ermöglicht werkstattberechtigten Menschen einen finanziellen Ausgleich, wenn sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden. Rehabilitationsträger und Eingliederungshilfen fördern die individuelle berufliche Integration, auch durch Jobcoaching und Lohnkostenzuschüsse.
Stellung im System der Sozialen Sicherung und Inklusion
Die Behindertenwerkstatt ist ein zentrales Element der Eingliederungshilfe im deutschen Sozialrecht. Ihre Aufgabe ist die Verwirklichung von Inklusion und gleichberechtigter Teilhabe am Arbeitsleben. Die Regelungen führen den Anspruch auf gesellschaftliche Partizipation und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen, wie es seit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) auch international gefordert wird, fort.
Literatur und weiterführende Regelwerke
- Sozialgesetzbuch IX, Teil 2 (§§ 219-225 SGB IX)
- Werkstättenverordnung (WVO)
- Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO)
- Integrationsamt-Richtlinien und -Kommentare
- Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM)
Zusammenfassend definiert sich die Behindertenwerkstatt in Deutschland durch ein ausdifferenziertes Geflecht rechtlicher Normen. Sie stellt eine geschützte Einrichtung dar, die Menschen mit Behinderung individuell unterstützt, beruflich bildet und am Arbeitsleben beteiligt und dabei umfassend in das System der sozialen Sicherung eingebunden ist. Sie unterliegt speziellen gesetzlichen Voraussetzungen hinsichtlich Anerkennung, Organisation, Mitwirkungsrechten und finanzieller Ausstattung und leistet so einen Beitrag zur Umsetzung der Ziele der sozialen Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen.
Häufig gestellte Fragen
Welche gesetzlichen Grundlagen regeln die Arbeit in einer Behindertenwerkstatt?
Die Arbeit in einer sogenannten Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) wird in Deutschland hauptsächlich durch das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) geregelt. Ferner spielen das SGB XII sowie einschlägige Verordnungen, wie die Werkstättenverordnung (WVO) und die Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO), eine zentrale Rolle. Das SGB IX enthält insbesondere Regelungen zu den Voraussetzungen für die Aufnahme, zu Anspruchsberechtigten, zu Zielsetzungen der Werkstattarbeit sowie zu den rechtlichen Beziehungen zwischen Werkstatt, Beschäftigten und Kostenträgern. Die WVO konkretisiert Anforderungen an die Werkstätten, etwa bezüglich der personellen und sachlichen Ausstattung, der Mitbestimmungsmöglichkeiten der Werkstattbeschäftigten und der Sicherstellung von geeigneten Arbeitsbedingungen. Hinzu kommen Vorschriften zum Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie Bestimmungen des Arbeitsrechts, wobei besonderer Wert auf die Teilhabe am Arbeitsleben und die Förderung individueller Entwicklung gelegt wird. Rechtsprechung und Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit können die Anwendung und Auslegung der genannten Normen weiter präzisieren.
Welche Rechte haben Beschäftigte in einer Behindertenwerkstatt im Vergleich zu Arbeitnehmern auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt?
Beschäftigte in einer Behindertenwerkstatt besitzen einen besonderen Rechtsstatus, der sich grundlegend vom klassischen Arbeitsverhältnis unterscheidet. Sie gelten im rechtlichen Sinne nicht als Arbeitnehmer, sondern als „Werkstattbeschäftigte“ gemäß § 219 SGB IX. Dadurch finden das Arbeitszeitgesetz, das Kündigungsschutzgesetz und andere arbeitsrechtlichen Vorschriften nur eingeschränkt Anwendung. Dennoch haben sie einen Anspruch auf ein angemessenes Arbeitsentgelt (sogenannter „Lohnersatzprozess“, meist bestehend aus einem Grundbetrag und einem leistungsbezogenen Steigerungsbetrag), auf Arbeitsförderung, begleitende Hilfen und einen umfassenden Schutz im Rahmen des Teilhaberechts. Sozialversicherungsrechtlich sind sie in der Renten-, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung abgesichert, wobei die Beiträge überwiegend von den Kostenträgern getragen werden. Zusätzlich besteht ein besonderer Kündigungsschutz und ein Recht auf Mitbestimmung innerhalb der Werkstatt.
Wie erfolgt die Aufnahme in eine Behindertenwerkstatt und welche rechtlichen Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
Für die Aufnahme in eine WfbM ist gemäß § 219 SGB IX ein Antrag beim zuständigen Rehabilitationsträger erforderlich, häufig bei der Bundesagentur für Arbeit. Eine wesentliche Voraussetzung ist, dass die betreffende Person aufgrund der Schwere der Behinderung noch nicht, noch nicht wieder oder nicht mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein kann, aber ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen kann. Darüber hinaus muss zuvor in der Regel ein Eingangsverfahren und ein Berufsbildungsbereich durchlaufen werden, um die individuelle Eignung und Entwicklungsfähigkeit festzustellen. Die Entscheidung über die Aufnahme trifft der zuständige Kostenträger, der hierfür eine umfassende Begutachtung vornimmt. Rechtsmittel gegen eine ablehnende Entscheidung sind im Rahmen des Sozialverwaltungsverfahrens zulässig.
Welche Pflichten und Rechte hat die Behindertenwerkstatt gegenüber den Beschäftigten?
Die Werkstatt ist nach § 219 SGB IX und der Werkstättenverordnung verpflichtet, für geeignete Arbeitsbedingungen, individuelle Förderung und Qualifizierung der Beschäftigten zu sorgen. Sie hat dabei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bereitzustellen, die persönliche Entwicklung und das Leistungsvermögen der Beschäftigten zu fördern sowie deren Gesundheit zu schützen und zu erhalten. Ein weiteres Recht der Beschäftigten ist die Mitbestimmung in Gremien, wie dem Werkstattrat, dessen Arbeit durch das Werkstätten-Mitwirkungsgesetz geregelt wird. Die Werkstatt ist zudem verpflichtet, regelmäßige Zielvereinbarungsgespräche zu führen und Entwicklungspläne zu erstellen. Darüber hinaus muss sie die rechtlichen Vorgaben zum Entgelt, zur Sozialversicherung, zum Unfallversicherungsschutz und zur Gewährung von Freizeit einhalten.
Wie gestaltet sich die Entlohnung der Beschäftigten rechtlich und welche Ansprüche bestehen?
Die Entlohnung erfolgt auf Basis von § 221 SGB IX und ist kein Arbeitsentgelt im klassischen Sinne, sondern ein Arbeitsförderungsentgelt. Es besteht aus einem von den Rentenversicherungsträgern bundeseinheitlich festgelegten Grundbetrag und einem leistungsorientierten Steigerungsbetrag. Das Entgelt wird aus den Einnahmen der Werkstatt sowie mit Mitteln des zuständigen Trägers finanziert. Zusätzlich erhalten Beschäftigte ein Arbeitsförderungsgeld, das aus öffentlichen Haushalten stammt. Der Entgeltanspruch ist rechtlich geschützt, und Werkstattbeschäftigte dürfen bei Zahlungsschwierigkeiten nicht benachteiligt werden. Im Falle von Streitigkeiten können die Betroffenen den Werkstattrat sowie, im weiteren Verfahren, Sozialgerichte einschalten.
Welchen Kündigungsschutz genießen Beschäftigte in einer Behindertenwerkstatt?
Beschäftigte in einer Behindertenwerkstatt genießen einen besonderen Kündigungsschutz, der über den allgemeinen Arbeitnehmerkündigungsschutz hinausgeht. Kündigungen sind nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich, beispielsweise wenn schwerwiegende Verstöße gegen Werkstattregeln oder erhebliche Leistungseinschränkungen vorliegen, die eine Weiterbeschäftigung unmöglich machen. Vor einer Kündigung muss regelmäßig versucht werden, die Schwierigkeiten durch unterstützende Maßnahmen zu beheben. Es besteht zudem eine Anhörungspflicht gegenüber dem Werkstattrat, und bei schwerbehinderten Beschäftigten ist die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen (§ 170 SGB IX). Gegen eine Kündigung kann innerhalb der gesetzlichen Fristen sozialrechtlich Widerspruch eingelegt und vor dem Sozialgericht Klage erhoben werden.
Welche Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte haben Beschäftigte in der Behindertenwerkstatt?
Werkstattbeschäftigte verfügen nach dem Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO) sowie dem SGB IX über umfangreiche Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte. Sie wählen aus ihren Reihen einen Werkstattrat, der bei wesentlichen Angelegenheiten, wie Betriebsordnung, Urlaub, Arbeitszeiten, Entgeltgestaltung und Personalfragen, beteiligt wird. Der Werkstattrat hat ein Initiativrecht, ein Anhörungsrecht und kann Vorschläge und Beschwerden an die Werkstattleitung herantragen. Auch die Frauenbeauftragte wird gewählt, die speziell die Belange weiblicher Beschäftigter vertritt. Zudem besteht das Recht, an Werkstattversammlungen teilzunehmen und dort Anträge einzubringen sowie Auskunft über wirtschaftliche und organisatorische Belange der Werkstatt zu erhalten.