Definition der Behauptungslast
Die Behauptungslast ist ein zentraler Begriff im deutschen Zivilprozessrecht und beschreibt die Verpflichtung einer Partei, diejenigen Tatsachen vorzutragen, welche für sie günstig sind und aus denen sie ein Recht herleiten möchte. Im Unterschied zur Beweislast betrifft die Behauptungslast die Darlegung einer Tatsache, nicht deren Beweisführung. Das Verständnis und die richtige Anwendung der Behauptungslast sind elementar für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen sowie für die Verteidigung gegenüber Ansprüchen im zivilrechtlichen Verfahren.
Abgrenzung zur Beweislast
Begriffliche Trennung
Die Behauptungslast unterscheidet sich von der Beweislast, obwohl beide Begriffe häufig gemeinsam genannt werden. Während die Beweislast regelt, welche Partei die Verantwortung trägt, die Wahrheit einer (streitigen) Tatsache nachzuweisen, legt die Behauptungslast fest, welche Partei bestimmte Tatsachen zunächst in den Prozess einführen muss. Der Grundsatz lautet: Ohne substantiierten Tatsachenvortrag kommt es nicht zur Beweisaufnahme.
Bedeutung im Zivilprozess
Nach dem sogenannten Beibringungsgrundsatz ist das Zivilverfahren darauf ausgelegt, dass die Parteien die für ihre Rechtsposition maßgeblichen Tatsachen vortragen und darlegen. Das Gericht darf grundsätzlich keine von den Parteien nicht vorgetragenen Tatsachen berücksichtigen (Dispositionsmaxime). Wer aus einer Tatsache für sich Rechte herleitet, trägt daher regelmäßig die Behauptungslast für deren Vorliegen.
Funktionsweise der Behauptungslast
Substantiierungspflicht
Die Behauptungslast verlangt von der Partei, den Sachverhalt nicht nur allgemein, sondern so detailliert und substantiell darzulegen, dass das Gericht sowie die Gegenpartei erkennen können, um welche konkreten Vorgänge oder Umstände es sich handelt. Pauschale oder formelhafte Angaben genügen nicht; der Sachverhalt muss mit bestrittenen, entscheidungserheblichen Einzeltatsachen vorgetragen werden.
Reaktion der Gegenpartei
Bestreitet die Gegenseite die dargelegten Tatsachen, wird die Frage relevant, wer die Beweislast trägt. Bestreitet die Gegenpartei Tatsachen, für welche der Gegner die Behauptungslast trägt, verbleibt es in der Regel auch bei ihm, diese zu beweisen. Schweigt die Gegenseite oder bestreitet nicht hinreichend substantiiert, kann das Gericht die behaupteten Tatsachen als zugestanden beziehungsweise unstreitig behandeln.
Rechtsgrundlagen und Bedeutung in verschiedenen Verfahrensarten
Zivilprozessordnung (ZPO)
Die gesetzlichen Grundlagen zur Behauptungslast finden sich vor allem in der Zivilprozessordnung (ZPO). Nach § 138 ZPO sind die Parteien verpflichtet, sich vollständig und der Wahrheit gemäß zu erklären. Darüber hinaus regeln § 286 ZPO (freie Beweiswürdigung) und § 253 ZPO (Bestimmtheit des Streitgegenstandes) die Anforderungen an den Tatsachenvortrag und tragen so mittelbar zur Bedeutung der Behauptungslast bei.
Zivilprozess und andere Verfahrensarten
Während die Behauptungslast im Zivilprozessrecht zentral ist, kommt ihr auch in anderen Verfahrensordnungen – etwa im Verwaltungsprozess (§ 86 VwGO), im Arbeitsrecht sowie im Strafrecht (§ 244 StPO) – Bedeutung zu. Grundsätzlich entspricht die Verteilung der Behauptungslast der Sachverhaltsstruktur, nach der die Partei, die aus einer Tatsache Rechte herleitet, den entsprechenden Vortrag übernehmen muss.
Praktische Bedeutung und Folgen der Behauptungslast
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Klage
Wer Klage erhebt, ist verpflichtet, den Klageanspruch sowohl in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht schlüssig zu begründen. Bleibt der Sachvortrag unvollständig oder fehlt die erforderliche Substanz, droht die Klageabweisung bereits mangels ausreichender Tatsachendarstellung.
Folgen bei Verstoß gegen die Behauptungslast
Wird eine entscheidungserhebliche Tatsache nicht behauptet, wird sie vom Gericht in der Regel als nicht eingetreten betrachtet. Folglich kann eine Partei, selbst wenn sie eigentlich im Recht wäre, allein aufgrund fehlenden Tatsachenvortrags im Nachteil sein.
Verhältnis zu anderen prozessualen Lasten
Abgrenzung zur Darlegungslast
Die Begriffe Darlegungslast und Behauptungslast werden häufig synonym verwendet. Im engeren Sinn beschreibt die Darlegungslast jedoch die Pflicht zur tatsächlichen und rechtlichen Begründung eines Anspruchs oder eines Verteidigungsmittels. Die Behauptungslast fokussiert sich allein auf die Mitteilung der zu beweisenden Tatsachen.
Dynamische Verteilung der Behauptungslast
In bestimmten Konstellationen kann sich die Behauptungslast während des Verfahrens verschieben. Dies ist insbesondere denkbar, wenn eine Partei ausreichenden Tatsachenvortrag leistet und die Gegenpartei daraufhin zu einer substanziierten Einlassung verpflichtet ist. Insbesondere im Arbeitsrecht (beispielsweise bei Kündigungsschutzklagen) und im Haftungsrecht (zum Beispiel bei typischen Schadensverläufen) bestehen dazu differenzierte Rechtsprechungsgrundsätze.
Zusammenfassung
Die Behauptungslast ist ein grundlegendes prozessuales Institut im deutschen Zivilverfahrensrecht und dient der Strukturierung des Parteivortrags. Sie verpflichtet die Partei, alle für sie günstigen, anspruchsbegründenden Tatsachen substantiiert vorzutragen, um überhaupt in den Genuss der Beweisaufnahme und letztlich, soweit die Tatsachen bewiesen werden, auch zum Obsiegen im Rechtsstreit zu gelangen. Die richtige Handhabung der Behauptungslast beeinflusst maßgeblich den Ausgang jeder prozessualen Auseinandersetzung und ist für die Geltendmachung und Abwehr zivilrechtlicher Ansprüche von zentraler Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Wer trägt im Zivilprozess grundsätzlich die Behauptungslast?
Im Zivilprozess trägt grundsätzlich die Partei, die aus einer bestimmten Tatsache ein für sich günstiges Recht ableitet, die Behauptungslast für diese Tatsache. Das bedeutet, dass sie diejenige ist, die den entsprechenden Sachverhalt substantiiert vortragen muss, damit das Gericht diesen Umstand berücksichtigen kann. Dabei ist die Behauptungslast strikt zu trennen von der Beweislast; die Behauptungslast ist bereits für die Berücksichtigung eines Sachverhalts in der gerichtlichen Prüfung erforderlich. Bleiben Tatsachen unstreitig, so spielt die Frage der Behauptungslast keine Rolle mehr, da das Gericht dann von diesem Sachverhalt ausgehen darf. Erst im Falle des Bestreitens oder wenn Unklarheit herrscht, wird die Rolle der Behauptungslast deutlich, da ohne entsprechenden Parteivortrag der Tatrichter den Aspekt unbeachtet lassen muss.
Welche Folgen hat es, wenn eine Partei ihrer Behauptungslast nicht nachkommt?
Kommt eine Partei ihrer Behauptungslast nicht nach, so berücksichtigt das Gericht die betreffende Tatsache nicht bei seiner Entscheidungsfindung. Das bedeutet, dass die Partei keinen Vorteil aus dieser – nicht vorgetragenen oder unzureichend dargelegten – Tatsache ziehen kann. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass eine Klage abgewiesen oder ein Anspruch nicht zuerkannt wird, obwohl er möglicherweise materiell-rechtlich bestünde. Die Nichtberücksichtigung mangels Vortrags betrifft sowohl neue Tatsachen als auch diejenigen, die zu beweisende Elemente eines Anspruchs oder Einwands darstellen.
Kann die Behauptungslast im Laufe eines Prozesses von einer Partei auf die andere übergehen?
Grundsätzlich bleibt die Behauptungslast während des gesamten Verfahrens bei der Partei, die aus der Tatsache Rechte herleiten möchte. Der Übergang der Behauptungslast ist systemwidrig und findet in aller Regel nicht statt. Allerdings gibt es Ausnahmen im Rahmen von Prozesshandlungen wie der Geltendmachung von Einreden. Sobald ein Einwand erhoben wird, etwa eine Erfüllungseinrede, trägt nun die Einwendende Partei für die sie begünstigenden Tatsachen die Behauptungslast. Damit kann es zu einer sogenannten sekundären Behauptungslast kommen, die keine echte Verschiebung der Primär-Belastung darstellt, sondern lediglich im Sinne eines Beibringungsgrundsatzes darauf abzielt, dem Gegner erforderlichen Vortrag zu ermöglichen.
Wie unterscheidet sich die Behauptungslast von der Beweislast?
Die Behauptungslast betrifft das Erfordernis, einen bestimmten Sachverhalt vorzutragen, sodass das Gericht diesen überhaupt in die gerichtliche Sachverhaltsprüfung einbeziehen kann. Die Beweislast hingegen betrifft die Notwendigkeit, die behaupteten Tatsachen auch beweisen zu müssen, wenn sie vom Gegner substantiiert bestritten werden. Während ein unbestrittener Umstand keinen Beweis erfordert, ist die Beweislast erst relevant, wenn eine Tatsache streitig bleibt. Beide Lasten können bei derselben Partei liegen, müssen es aber nicht zwingend; insbesondere bei negativen oder gegenbeweislichen Tatsachen kann es zu Besonderheiten kommen.
Welche Rolle spielt die Behauptungslast bei negativen Tatsachen?
Bei negativen Tatsachen, beispielsweise dem Bestreiten einer Anspruchsvoraussetzung, muss differenziert werden. Grundsätzlich muss die Anspruch stellende Partei diejenigen Tatsachen behaupten und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ihr Anspruch herleitet – auch die Abwesenheit anspruchsausschließender Umstände, soweit diese zum Tatbestand gehören. In bestimmten Konstellationen wird von der beklagten Partei erwartet, dass sie zu anspruchshindernden, -vernichtenden oder -hemmenden Tatsachen zumindest substantiiert vorträgt, was zu einer sekundären Behauptungslast führen kann. Die eigentliche Behauptungslast im Rechtssinne verbleibt jedoch beim Anspruchsteller.
Ist richterliche Hinweis- und Aufklärungspflicht von der Behauptungslast betroffen?
Ja, die gerichtliche Hinweis- und Aufklärungspflicht gemäß § 139 ZPO ist eng mit der Behauptungslast verknüpft. Das Gericht hat Parteien auf Versäumnisse im Tatsachenvortrag hinzuweisen, wenn offenkundig ist, dass eine Partei eine entscheidungserhebliche Tatsache übersehen oder für unerheblich gehalten hat. Allerdings ersetzt diese Hinweispflicht keine substantiierten Parteivorträge. Sie dient lediglich dazu, den Parteien Gelegenheit zu geben, bestehende Lücken zu schließen und somit eine Benachteiligung durch Unkenntnis oder Irrtum über die Rechtslage zu vermeiden.
Welche Konsequenzen ergeben sich für die Beweisaufnahme bei nicht erfüllter Behauptungslast?
Wurden entscheidungserhebliche Tatsachen von einer Partei nicht in den Prozess eingebracht, unterbleibt insoweit auch eine Beweisaufnahme. Das Gericht darf und muss zu unbehaupteten Tatsachen keine Beweisaufnahme durchführen, selbst wenn sie aus dem Parteivortrag der Gegenseite oder aus anderen Umständen nahegelegt würden. Eine Beweisaufnahme setzt zwingend einen vorherigen, substantiierten Tatsachenvortrag voraus. Ein Verstoß gegen diese Regelung würde ein unzulässiges Ausforschungsverfahren darstellen und gegebenenfalls den Anspruch auf rechtliches Gehör der anderen Partei verletzen.