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Befreiung von der Zuzahlung


Begriff und Grundlagen der Befreiung von der Zuzahlung

Die Befreiung von der Zuzahlung ist ein zentrales sozialrechtliches Instrument im deutschen Gesundheitssystem. Sie ermöglicht gesetzlich Versicherten, sich von Eigenbeteiligungen an Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) befreien zu lassen, sobald eine individuell festgelegte finanzielle Belastungsgrenze innerhalb eines Kalenderjahres erreicht wurde. Die Befreiung umfasst in der Regel Zuzahlungen zu Arzneimitteln, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhausaufenthalten, Fahrkosten sowie anderen Leistungen der GKV. Rechtsgrundlage dieser Regelungen bildet das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), insbesondere § 61 SGB V sowie nachfolgende Vorschriften.


Rechtlicher Rahmen der Zuzahlung

Zuzahlungspflicht gesetzlich Versicherter

Gemäß § 61 SGB V sind Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet, sich an einigen Leistungen durch Zuzahlungen finanziell zu beteiligen. Ziel dieser Zuzahlungen ist es, die Wirtschaftlichkeit und Selbstverantwortung im Umgang mit medizinischen Leistungen zu fördern. Art und Höhe der Zuzahlungen sind gesetzlich definiert und betreffen beispielsweise:

  • Arzneimittel (§ 31 Abs. 3 SGB V)
  • Heilmittel (§ 32 Abs. 2 SGB V)
  • Hilfsmittel (§ 33 Abs. 8 SGB V)
  • Krankenhausbehandlungen (§ 39 Abs. 4 SGB V)
  • Fahrkosten (§ 60 Abs. 1 SGB V)

Grundsätzlich ist bei Erwachsenen eine Zuzahlung in Höhe von 10 %, mindestens jedoch 5 € und maximal 10 € pro Leistung fällig. Für Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres besteht eine generelle Zuzahlungsfreiheit mit wenigen Ausnahmen.

Belastungsgrenze gemäß § 62 SGB V

Um unzumutbare finanzielle Belastungen zu vermeiden, sieht das Gesetz eine Belastungsgrenze vor. Nach § 62 SGB V beträgt die individuelle Belastungsgrenze höchstens 2 % des jährlichen Bruttoeinkommens des Haushalts. Für chronisch Kranke gilt eine reduzierte Grenze von 1 %. Nach Erreichen dieser Grenze innerhalb eines Kalenderjahres sind die betroffenen Personen für den Rest des Jahres von weiteren Zuzahlungen befreit.


Voraussetzungen und Verfahren der Befreiung von der Zuzahlung

Anspruchsvoraussetzungen

Die Befreiung von der Zuzahlung setzt voraus, dass die maßgebliche Belastungsgrenze erreicht oder überschritten wurde. Zur Ermittlung der individuellen Belastungsgrenze wird das sogenannte „Familieneinkommen“ aller Haushaltsmitglieder berücksichtigt. Abzuziehen sind Freibeträge, beispielsweise für Kinder und Ehegatten, die im Haushalt leben.

Besondere Regelungen für chronisch Kranke

Für Personen mit einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung reduziert sich die Belastungsgrenze auf 1 % des jährlichen Bruttoeinkommens. Hierzu ist der Nachweis der Chronizität erforderlich. Dies erfolgt üblicherweise durch eine ärztliche Bescheinigung, aus der die Dauer und Schwere der Erkrankung hervorgehen.

Nachweis und Antragstellung

Die Befreiung ist nicht automatisch, sondern muss bei der Krankenkasse beantragt werden. Versicherte weisen durch gesammelte Quittungen, Belege oder durch die sogenannte elektronische Gesundheitskarte nach, dass ihre Belastungsgrenze überschritten wurde. Die Krankenkasse prüft die eingereichten Belege und gewährt nach positiver Prüfung eine Befreiungsbescheinigung für den Rest des Kalenderjahres.


Umfang und Dauer der Befreiung

Umfasste Leistungen

Die Zuzahlungsbefreiung erstreckt sich auf alle gesetzlichen Zuzahlungen nach dem SGB V, wie etwa:

  • Medikamente (ausgenommen sind individuelle Gesundheitsleistungen)
  • Verbandmittel
  • Heil-, Hilfsmittel und deren Reparaturen
  • Krankenhausaufenthalte (Regelzuzahlung pro Tag)
  • häusliche Krankenpflege und Rehabilitation
  • Fahrkosten (bei medizinischer Notwendigkeit)

Nicht umfasst sind privatärztliche Leistungen, Eigenanteile für Zahnersatz außerhalb des Festzuschusses sowie Zuzahlungen, die über die gesetzlichen Regelungen hinausgehen.

Zeitliche Befristung

Die Befreiung gilt stets für das laufende Kalenderjahr, für das sie beantragt wurde. Die Antragstellung kann bereits zu Beginn des Jahres durch Vorauszahlung in Höhe der voraussichtlichen maximalen Belastung erfolgen (sogenannte „Vorauszahlung“). Für jedes neue Kalenderjahr muss die Befreiung erneut geprüft und ggf. beantragt werden.


Rechtsfolgen und Besonderheiten

Rückerstattung von Überzahlungen

Haben Versicherte Zuzahlungen geleistet, die insgesamt über ihrer Belastungsgrenze liegen, sind die zu viel gezahlten Beträge von der Krankenkasse zu erstatten. Voraussetzung ist die rechtzeitige Antragstellung und der Nachweis durch Quittungen.

Auswirkungen auf Familienangehörige

Die Belastungsgrenze berücksichtigt das gemeinsame Familieneinkommen und die Zahl der Haushaltsmitglieder. Dadurch profitieren insbesondere Familien mit geringem Einkommen oder mehreren Kindern.


Unterschiede zur Befreiung im Bereich sozialer Sicherung

Die Befreiung von der Zuzahlung im Rahmen der GKV ist von eigenständigen Befreiungsregelungen in der Sozialhilfe oder Grundsicherung zu unterscheiden. Personen, die Leistungen nach SGB II oder SGB XII (z.B. Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe) erhalten, können nach anderen, zumeist günstigeren Maßgaben von Zuzahlungen befreit werden.


Rechtsgrundlagen und Literatur

  • § 61, § 62 und weitere Paragrafen des SGB V
  • Rechtsprechung der Sozialgerichte hinsichtlich der Zuzahlungsbefreiung
  • Richtlinien und Empfehlungen der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung
  • Deutsche Sozialgesetzbücher SGB V, SGB II, SGB XII

Zusammenfassung

Die Befreiung von der Zuzahlung stellt ein wesentliches Element zur sozialen Absicherung im Gesundheitswesen dar. Sie gewährt gesetzlich Versicherten, insbesondere bei niedrigen Einkommen oder chronischer Erkrankung, Schutz vor einer unzumutbaren finanziellen Belastung durch Zuzahlungen im Rahmen medizinischer Versorgung. Die Anspruchsvoraussetzungen, das Verfahren sowie die konkreten rechtlichen Rahmenbedingungen sind umfassend gesetzlich geregelt und werden von den gesetzlichen Krankenkassen praxisnah umgesetzt.

Häufig gestellte Fragen

Wie kann ein Antrag auf Befreiung von der Zuzahlung gestellt werden?

Ein Antrag auf Befreiung von der Zuzahlung wird bei der zuständigen gesetzlichen Krankenkasse eingereicht. Hierfür ist grundsätzlich ein schriftlicher Antrag erforderlich, dem Nachweise über die geleisteten Zuzahlungen sowie Einkommensnachweise und ggf. Unterlagen über besondere Lebensumstände (z.B. Familienstand, Kinderzahl) beigefügt werden müssen. Die Zuzahlungsbefreiung gilt in der Regel für das laufende Kalenderjahr, nachdem die individuelle Belastungsgrenze gemäß § 62 SGB V nachgewiesen wurde. Nach einer vollständigen Erbringung der erforderlichen Nachweise prüft die Krankenkasse die Angaben und entscheidet über die Gewährung der Befreiung. Es besteht die Möglichkeit, einen Antrag auch rückwirkend für das bereits laufende Jahr zu stellen, jedoch nicht für abgelaufene Kalenderjahre.

Welche Unterlagen müssen dem Antrag auf Befreiung beigefügt werden?

Zu den für den Antrag erforderlichen Unterlagen zählen insbesondere sämtliche Quittungen und Nachweise über bereits geleistete Zuzahlungen im entsprechenden Kalenderjahr. Darüber hinaus sind aktuelle Nachweise über das Einkommen aller im Haushalt lebenden Familienmitglieder (wie z.B. Lohn- oder Gehaltsabrechnungen, Rentenbescheide, Bescheide über Sozialleistungen) beizufügen, um die Höhe der Belastungsgrenze feststellen zu können. Weiterhin sind gegebenenfalls Bescheinigungen über den Schwerbehindertenstatus, Nachweise über chronische Erkrankungen oder attestierte besondere Versorgungssituation einzureichen, sofern diese einen rechtlichen Einfluss auf die Zuzahlungen oder Belastungsgrenze haben.

Wer hat einen gesetzlichen Anspruch auf Befreiung von der Zuzahlung?

Ein gesetzlicher Anspruch auf Befreiung besteht für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung, die im Kalenderjahr ihre persönliche Belastungsgrenze gemäß § 62 SGB V erreicht haben. Die Belastungsgrenze beträgt grundsätzlich 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt, reduziert sich jedoch auf 1 %, wenn eine chronische Erkrankung im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen vorliegt. Kinder, Jugendliche sowie bestimmte Leistungsempfänger (z.B. Empfänger von Sozialhilfe, Grundsicherung, Arbeitslosengeld II) werden bei der Berechnung der Belastungsgrenze berücksichtigt, indem Freibeträge in Abzug gebracht werden. Der Anspruch entsteht rechtlich erst ab dem Zeitpunkt, zu dem alle erforderlichen Nachweise erbracht und die Grenze tatsächlich überschritten wurde.

Was passiert, wenn die Befreiung zu Unrecht bewilligt wurde?

Wird eine Befreiung von der Zuzahlung zu Unrecht gewährt, weil beispielsweise Einkünfte oder Zuzahlungen falsch angegeben oder Nachweise manipuliert wurden, kann die Krankenkasse die Befreiung gemäß § 48 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit aufheben und bereits gewährte Vorteile zurückfordern. Dies kann auch dann erfolgen, wenn die fehlerhafte Bewilligung auf unvollständigen Informationen beruhte. Zudem können im Falle vorsätzlich falscher Angaben strafrechtliche Konsequenzen oder Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet werden. Die Kasse ist verpflichtet, den Sachverhalt zu überprüfen und ggf. dem Auszahlungsbetrag entsprechende Rückforderungsbescheide zu erlassen.

Muss die Befreiung jedes Jahr neu beantragt werden?

Ja, die Befreiung von der Zuzahlung gilt immer nur für das jeweilige Kalenderjahr und ist nicht automatisch über mehrere Jahre gültig. Versicherte müssen jedes Jahr einen neuen Antrag bei ihrer Krankenkasse stellen und jeweils aktuelle Nachweise vorlegen, da sich sowohl die Einkommensverhältnisse als auch andere relevante Faktoren ändern können. Die Krankenkasse prüft jährlich aufs Neue, ob die individuellen Voraussetzungen für eine Befreiung vorliegen.

Welche Fristen gelten bei der Antragstellung auf Befreiung von der Zuzahlung?

Der Antrag auf Befreiung kann grundsätzlich bis zum Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres gestellt werden, eine rückwirkende Befreiung für bereits abgeschlossene Kalenderjahre ist nicht möglich. Im Falle der Nachweiserbringung für das laufende Jahr sollten Versicherte beachten, dass die Bearbeitung Zeit in Anspruch nehmen kann und etwaige Rückzahlungen oder Gutschriften zeitversetzt erfolgen. Die Rechtsgrundlagen zur Frist und eventuelle Ausnahmen ergeben sich insbesondere aus den Vorgaben der Krankenkassen sowie den Regelungen des SGB V.

Welche Zuzahlungen werden auf die Belastungsgrenze angerechnet?

Angerechnet werden nach § 62 SGB V alle gesetzlichen Zuzahlungen, die Versicherte im jeweiligen Kalenderjahr für Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet haben, wie z.B. Zuzahlungen zu Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Fahrtkosten, Krankenhausaufenthalten oder häuslicher Krankenpflege. Nicht angerechnet werden hingegen Aufwendungen für Leistungen, die nicht zum Leistungskatalog der GKV gehören oder privat zu tragen sind, sowie Eigenanteile, Praxisgebühren (inzwischen entfallen) oder freiwillige Mehrleistungen. Die genaue Zuordnung, welche Zahlungen angerechnet werden, ergibt sich aus den gesetzlichen Bestimmungen sowie ergänzenden Verwaltungsvorschriften der Krankenkassen.