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Beförderungspflicht

Begriff und Systematik der Beförderungspflicht

Die Beförderungspflicht bezeichnet die rechtliche Verpflichtung bestimmter Verkehrsunternehmen, Personen unter festgelegten Bedingungen zu befördern. Sie dient der Sicherstellung verlässlicher Mobilität und ist vor allem im öffentlichen Verkehr und im konzessionierten Gelegenheitsverkehr (etwa bei Taxis) von Bedeutung. Der Umfang der Pflicht, ihre Grenzen und die Rechte der Fahrgäste ergeben sich aus allgemeinen Gesetzen, aus unternehmensbezogenen Beförderungsbedingungen sowie aus europäischen Regelungen zum Schutz von Fahrgästen.

Im Kern bedeutet Beförderungspflicht: Wer Verkehrsdienstleistungen unter bestimmten Rahmenbedingungen anbietet, muss geeignete Personen grundsätzlich transportieren, solange dies sicher, möglich und tarifgerecht ist. Zugleich bestehen rechtlich anerkannte Gründe, eine Beförderung zu verweigern, etwa bei Sicherheitsrisiken, fehlender Kapazität oder Verstößen gegen Tarif- und Beförderungsbedingungen.

Geltungsbereich und Akteure

Öffentlicher Personenverkehr (Busse und Bahnen)

Im liniengebundenen Verkehr besteht eine weitreichende Verpflichtung, Fahrgäste mitzunehmen, wenn diese die allgemeinen Bedingungen erfüllen. Das betrifft städtische und regionale Busse sowie Nah- und Fernverkehr auf der Schiene. Die Beförderungspflicht ist auf den veröffentlichten Fahrplan, die festgelegten Haltestellen und die vorhandene Kapazität bezogen.

Linienverkehr und Gelegenheitsverkehr

Im Linienverkehr (feste Fahrpläne und Haltepunkte) ist die Beförderungspflicht besonders ausgeprägt. Im Gelegenheitsverkehr – hierzu zählen beispielsweise Ausflugsfahrten oder Gelegenheitsangebote – richtet sich der Umfang der Pflicht stärker nach dem individuellen Vertragsabschluss und den veröffentlichten Bedingungen.

Taxi- und Mietwagenverkehr

Taxiunternehmen unterliegen innerhalb ihres genehmigten Einsatzgebietes grundsätzlich einer Mitnahmepflicht, wenn die Beförderung zumutbar, sicher und mit den geltenden Tarifen vereinbar ist. Mietwagen- und Ride-Hailing-Dienste treffen demgegenüber erst nach Annahme eines Auftrags vertragliche Beförderungspflichten; eine generelle Pflicht zur Annahme besteht dort in der Regel nicht.

Luftverkehr

Im Luftverkehr beginnt die Pflicht zur Beförderung regelmäßig mit dem wirksam zustande gekommenen Beförderungsvertrag. Vor Vertragsschluss besteht keine allgemeine Pflicht, eine Buchung anzunehmen. Nach Vertragsschluss greifen umfassende Fahrgastrechte, insbesondere bei Verspätungen, Annullierungen oder einer verweigerten Beförderung. Diese Rechte ergänzen und begrenzen zugleich die Beförderungspflicht der Fluggesellschaften.

Schiffs- und Fährverkehr

Im Fährverkehr gelten vergleichbare Grundsätze wie im sonstigen öffentlichen Verkehr: Die Beförderungspflicht bezieht sich auf die angebotenen Verbindungen, die Kapazität und die veröffentlichten Bedingungen. Sicherheits- und Wetterlagen können Umfang und Durchführung der Pflicht einschränken.

Inhalt der Beförderungspflicht

Annahme- und Mitnahmepflicht

Die Annahmepflicht bedeutet, Fahrgäste mitzunehmen, sofern die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sind. Dies umfasst insbesondere die Einhaltung der Beförderungsbedingungen, das Vorhandensein ausreichender Kapazität und den Betrieb innerhalb der vorgesehenen Zeiten, Linien und Haltestellen.

Voraussetzungen der Beförderung

Typische Voraussetzungen sind ein gültiges Ticket oder die Bereitschaft, den festgelegten Fahrpreis zu zahlen, die Beachtung von Mitnahmeregeln (z. B. zu Gepäck, Tieren, Kinderwagen), die Einhaltung von Sicherheits- und Ordnungsvorschriften sowie das Fehlen von Ausschlussgründen wie Gefahrgut oder erheblicher Beeinträchtigung des Betriebsablaufs.

Informations- und Sorgfaltspflichten

Unternehmen müssen den Betrieb verlässlich organisieren, über wesentliche Umstände informieren und die Sicherheit der Fahrgäste wahren. Dazu zählen Hinweise zu Fahrplänen, Tarifen, Störungen und alternativen Verbindungen, soweit verfügbar. Personal ist zu einer ordnungsgemäßen Abwicklung der Beförderung verpflichtet.

Barrierefreiheit und Gleichbehandlung

Die Beförderungspflicht ist von Grundsätzen der Nichtdiskriminierung und der Barrierefreiheit geprägt. Menschen mit Behinderungen und mobilitätseingeschränkte Personen haben Anspruch auf eine möglichst hindernisarme Mitnahme im Rahmen der technischen und betrieblichen Möglichkeiten. Assistenzhunde und Hilfsmittel genießen regelmäßig besonderen Schutz, sofern Sicherheitsanforderungen gewahrt bleiben.

Tarif- und Beförderungsbedingungen

Unternehmen veröffentlichen Beförderungsbedingungen, die Bestandteil des Beförderungsverhältnisses werden. Sie regeln etwa Mitnahmerechte, Verhalten an Bord, Ausschlussgründe, Gepäck- und Tiermitnahme sowie besondere Angebote. Die Tarife bestimmen, welche Entgelte für welche Leistung anfallen. Diese Vorgaben konkretisieren die Beförderungspflicht und schaffen Transparenz für Fahrgäste.

Grenzen und berechtigte Beförderungsverweigerung

Sicherheitsgründe

Die Sicherheit aller Beteiligten hat Vorrang. Eine Mitnahme kann abgelehnt werden, wenn Personen andere gefährden, stark alkoholisiert sind und dadurch eine Gefahr darstellen, verbotene Waffen oder gefährliche Stoffe mitführen oder wenn die technische Ausstattung die Beförderung nicht sicher zulässt.

Kapazität und Betriebsablauf

Ist ein Fahrzeug voll ausgelastet, darf die Beförderung verweigert oder auf spätere Fahrten verwiesen werden. Auch betriebliche Notlagen, Störungen oder witterungsbedingte Einschränkungen können die Pflicht vorübergehend begrenzen, sofern eine sichere Beförderung nicht möglich ist.

Zahlungs- und Mitwirkungspflichten der Fahrgäste

Ohne gültige Fahrberechtigung oder Zahlungsbereitschaft besteht keine Pflicht zur Mitnahme. Wer Kontroll- oder Sicherheitsanweisungen nicht befolgt, kann von der Beförderung ausgeschlossen werden. Gleiches gilt bei Verstößen gegen Hausordnung oder Beförderungsbedingungen.

Hausrecht und Ordnung

Verkehrsunternehmen üben das Hausrecht aus. Es ermöglicht, die Ordnung aufrechtzuerhalten, z. B. bei aggressivem Verhalten, starker Belästigung anderer Fahrgäste oder Sachbeschädigung. Das Hausrecht steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit und muss das Gleichbehandlungsgebot beachten.

Sonderfälle

Für bestimmte Gegenstände (z. B. sperriges Gepäck, Sportgeräte) können Mitnahmebeschränkungen gelten. Tiere dürfen oft unter Auflagen mitgeführt werden. Gefährliche Güter sind regelmäßig ausgeschlossen. Bei Taxis können kurze Wartezeiten oder zumutbare Umwege verlangt werden; unzumutbare oder gefährliche Fahrten dürfen abgelehnt werden.

Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen

Aufsicht und Sanktionen

Die Einhaltung der Beförderungspflicht unterliegt behördlicher Aufsicht. Verstöße können verwaltungsrechtliche Maßnahmen nach sich ziehen, etwa Auflagen, Bußgelder oder im Wiederholungsfall Konsequenzen für Genehmigungen und Konzessionen.

Zivilrechtliche Ansprüche

Zwischen Fahrgast und Unternehmen entsteht durch Kauf eines Tickets oder Annahme eines Beförderungsauftrags ein Vertragsverhältnis. Bei Pflichtverletzungen kommen Ansprüche auf Erfüllung, Erstattung oder Schadensersatz in Betracht. Die konkrete Reichweite hängt von den Umständen des Einzelfalls und den anwendbaren Beförderungsbedingungen ab.

Pflichtverstöße von Fahrgästen

Fahren ohne gültige Fahrberechtigung kann zu einem erhöhten Entgelt und zu weiteren Forderungen führen. Auch Verstöße gegen Hausordnung oder Sicherheitsvorschriften können zivil- oder ordnungsrechtliche Folgen haben.

Verhältnis zu Passagierrechten

Verspätung, Ausfall, Überbuchung

Für Bahn- und Flugverkehr gelten europaweit besondere Fahrgastrechte. Sie begründen unter bestimmten Voraussetzungen Unterstützungsleistungen, Erstattungen oder Ausgleichszahlungen. Diese Regelungen stehen neben der Beförderungspflicht und konkretisieren die Rechte der Fahrgäste bei Störungen.

Unterstützungsleistungen und Entschädigungen

Je nach Verkehrsträger umfassen die Rechte bei Störungen Informationen, Betreuungsleistungen, alternative Beförderung oder finanzielle Ausgleichsleistungen. Voraussetzungen, Fristen und Nachweispflichten ergeben sich aus den einschlägigen Regelungen und den jeweiligen Beförderungsbedingungen.

Beschwerde- und Schlichtungsverfahren

Reklamationen werden zunächst beim Unternehmen angebracht. Ergänzend bestehen branchenbezogene Schlichtungsstellen, die außergerichtliche Lösungen fördern. Ihre Zuständigkeit richtet sich nach Verkehrsträger und Unternehmenszugehörigkeit.

Regionale und vertragliche Unterschiede

Kommunale Regelungen im Taxiverkehr

Die Ausgestaltung der Beförderungspflicht im Taxiverkehr ist lokal geprägt. Städte und Landkreise bestimmen Einsatzgebiete, Tarife und Ordnungsvorgaben. Daraus können Unterschiede bei Mitnahmeregeln, Wartezeiten oder Annahmepflichten resultieren.

Unternehmensbezogene Beförderungsbedingungen

Unternehmen konkretisieren die Beförderungspflicht in ihren Bedingungen. Diese können Details zur Barrierefreiheit, Mitnahme von Kinderwagen, Fahrrädern oder Tieren, zu Sperrzeiten, Reservierungen und Serviceklassen enthalten. Maßgeblich ist stets die Fassung, die zum Zeitpunkt der Beförderung gilt.

Abgrenzungen

Mietwagen und Ride-Hailing

Bei Mietwagen- und appbasierten On-Demand-Diensten entsteht die Pflicht zur Beförderung erst mit der Annahme eines Auftrags. Eine generelle Pflicht, jeden Fahrauftrag anzunehmen, besteht regelmäßig nicht. Nach Annahme gelten jedoch die vereinbarten Bedingungen des Beförderungsvertrags.

Individuelle Fracht- und Transportverträge

Die Beförderungspflicht im Personenverkehr ist von Fracht- oder Kurierdiensten zu unterscheiden. Dort bestehen eigenständige Regelungen, die sich auf den Transport von Sachen beziehen und keinen allgemeinen Mitnahmeanspruch von Personen begründen.

Häufig gestellte Fragen

Gilt die Beförderungspflicht für alle Verkehrsunternehmen?

Nein. Sie gilt vor allem für Unternehmen des öffentlichen Personenverkehrs und für den konzessionierten Taxiverkehr. Im Luftverkehr greift sie in der Regel erst nach Vertragsschluss. Mietwagen- und Ride-Hailing-Dienste haben grundsätzlich keine allgemeine Pflicht zur Annahme, sondern Pflichten erst nach Auftragsbestätigung.

Darf eine Taxifahrerin die Mitnahme verweigern?

Ja, wenn ein rechtlich anerkannter Grund vorliegt, etwa fehlende Sicherheit, erhebliche Beeinträchtigung des Betriebs oder Verstoß gegen Beförderungsbedingungen. Ohne solche Gründe besteht innerhalb des genehmigten Einsatzgebietes grundsätzlich eine Mitnahmepflicht.

Welche Rolle spielen Beförderungsbedingungen?

Sie konkretisieren die Beförderungspflicht, legen Rechte und Pflichten beider Seiten fest und regeln unter anderem Mitnahmebeschränkungen, Verhalten an Bord, Tarife und Ausschlussgründe. Sie werden Teil des Beförderungsverhältnisses.

Gibt es eine Beförderungspflicht im Luftverkehr?

Vor Vertragsschluss besteht keine allgemeine Pflicht, eine Buchung anzunehmen. Nach wirksamem Vertrag greifen Beförderungspflichten, die durch europaweite Passagierrechte bei Verspätung, Annullierung oder verweigerter Beförderung ergänzt werden.

Was passiert bei Überfüllung?

Ist ein Fahrzeug ausgelastet, darf die Mitnahme aus Kapazitätsgründen abgelehnt oder auf spätere Verbindungen verwiesen werden. Vorrangregeln, z. B. für mobilitätseingeschränkte Personen, können je nach Beförderungsbedingungen gelten.

Welche Rechte haben mobilitätseingeschränkte Personen?

Sie haben Anspruch auf eine möglichst barrierearme Beförderung im Rahmen der technischen und betrieblichen Möglichkeiten. Hilfsmittel und Assistenzhunde genießen besonderen Schutz, sofern Sicherheitsanforderungen eingehalten werden.

Welche Folgen hat eine ungerechtfertigte Beförderungsverweigerung?

In Betracht kommen aufsichtsrechtliche Maßnahmen gegenüber dem Unternehmen sowie zivilrechtliche Ansprüche der betroffenen Person, etwa auf Erstattung oder Schadensersatz. Der Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und den geltenden Bedingungen.

Unterscheidet sich die Beförderungspflicht in Städten und auf dem Land?

Ja. Insbesondere im Taxiverkehr führen lokale Regelungen zu Unterschieden bei Einsatzgebieten, Tarifen und Annahmepflichten. Auch das Angebot im Linienverkehr und die Kapazitäten variieren nach Region.