Legal Lexikon

Befangenheit


Begriff und rechtliche Bedeutung der Befangenheit

Befangenheit ist ein zentraler Begriff des deutschen Verfahrensrechts und beschreibt den Zustand, in dem eine am Verfahren beteiligte Person die Unparteilichkeit, Objektivität oder Neutralität nicht mehr wahrt oder der begründete Verdacht einer solchen fehlenden Neutralität besteht. Befangenheit betrifft vor allem Richter, Schöffen, Sachverständige, Dolmetscher sowie andere Verfahrensbeteiligte und hat weitreichende Auswirkungen auf die Unabhängigkeit und Fairness eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens.

Gesetzliche Grundlagen der Befangenheit

Befangenheit im Zivilprozessrecht

Im deutschen Zivilprozess regeln die §§ 41 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit. Nach § 42 ZPO kann ein Richter abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Eine tatsächliche Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt der „begründete Verdacht“. Entscheidendes Kriterium ist dabei der Standpunkt eines objektiven Beteiligten des Verfahrens.

Absolute und relative Ablehnungsgründe

Im Gesetz sind sogenannte absolute Ausschließungsgründe (§ 41 ZPO) benannt, etwa die Beteiligung des Richters an vorherigen Instanzen desselben Streitgegenstandes oder enge persönliche Beziehungen zu den Parteien. Darüber hinaus bestimmtes Gesetz die Ablehnung wegen sonstiger Befangenheitsgründe oder dem Anschein der Befangenheit (§ 42 ZPO).

Befangenheit im Strafprozessrecht

Im Strafprozess findet sich die Befangenheit in den §§ 24 ff. Strafprozessordnung (StPO). Hier besteht ebenfalls ein Ablehnungsrecht gegenüber Richtern und Schöffen. § 24 StPO regelt die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen mit ähnlich hohen Anforderungen an die Unparteilichkeit. Zusätzlich wird im Strafverfahren zwischen gesetzlichen Ausschlussgründen und Ablehnungsgründen wegen Besorgnis der Befangenheit differenziert.

Befangenheit in anderen Verfahrensordnungen

Auch die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie das Sozialgerichtsgesetz (SGG) enthalten ähnliche Regelungen zur Ablehnung wegen Befangenheit. In allen Fällen ist ein strenger Maßstab an die richterliche Neutralität anzulegen, um das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schützen.

Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich

Wer kann als befangen abgelehnt werden?

Bestimmungen zur Befangenheit gelten neben Richtern und Schöffen auch für Gerichtsvollzieher, Rechtspfleger, Staatsanwälte, Urkundsbeamte und sämtliche gerichtlich bestellte Personen, die durch ihre Tätigkeit Einfluss auf das Verfahren nehmen können. Befangenheit ist zudem bei Sachverständigen (§ 406 ZPO; § 74 StPO) und Dolmetschern damals festgelegt, da auch ihre Unparteilichkeit entscheidende Bedeutung besitzt.

Parteien und Beteiligte eines Verfahrens

Grundsätzlich können die Parteien, Angeklagten oder Beteiligten selbst nicht wegen Befangenheit abgelehnt werden. Die Vorschriften schützen die Neutralität der am Verfahren neutral Beteiligten, nicht jedoch die subjektive Parteilichkeit der Prozessparteien.

Verfahren bei Befangenheitsanträgen

Antragstellung und Form

Der Antrag auf Ablehnung wegen Befangenheit ist schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle zu stellen. Der Antrag muss den Grund angeben, aus dem die Ablehnung erfolgen soll, und ist unverzüglich nach Bekanntwerden des Befangenheitsgrundes zu stellen.

Prüfungsmaßstab und Entscheidung

Über den Befangenheitsantrag entscheidet das Gericht, wobei stets ein neutraler Spruchkörper gebildet wird, meist unter Ausschluss des abgelehnten Justizangehörigen. Der Maßstab ist objektiv zu bestimmen: Es genügt der Eindruck, dass bei vernünftiger Betrachtung Anlass besteht, die Objektivität des Abgelehnten in Zweifel zu ziehen.

Rechtsfolgen der Befangenheit

Stellt das Gericht eine Befangenheit fest, wird die betreffende Person vom Verfahren ausgeschlossen, und ein neutraler Ersatz wird bestimmt. Gerichtliche Entscheidungen, an denen ein tatsächlich befangener Richter mitgewirkt hat, können als nichtig oder zumindest anfechtbar gelten (§ 547 Nr. 1 ZPO; § 338 Nr. 3 StPO).

Gründe für eine Befangenheit

Typische Befangenheitsgründe

  • Vorbefassung: Der Richter hat bereits früher in derselben Sache entschieden oder an Ermittlungen mitgewirkt.
  • Persönliche Beziehungen: Freundschaft, Verwandtschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder mit deren Vertretern.
  • Öffentliche Äußerungen: Der Richter hat sich öffentlich zum Gegenstand des Verfahrens positioniert.
  • Finanzielle oder sachliche Interessen: Der Richter oder Sachverständige ist wirtschaftlich vom Ausgang des Verfahrens betroffen.

Nicht ausreichende Gründe

Nicht jede Kritik, Unzufriedenheit oder Gerichtshandlung rechtfertigt einen Befangenheitsantrag. Erst wenn das Verhalten geeignet ist, ernsthafte Zweifel an der Neutralität zu erregen, liegt ein Befangenheitsgrund vor.

Befangenheit im internationalen Kontext

In anderen europäischen Rechtsordnungen gibt es vergleichbare Regelungen zur Ablehnung von Richtern wegen Befangenheit. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), insbesondere Art. 6 Abs. 1 EMRK, betont das Recht auf ein unparteiisches und faires Gerichtsverfahren.

Bedeutung der Befangenheit für das Rechtswesen

Die Neutralität und Unvoreingenommenheit der Gerichtspersonen sind zentrale Voraussetzungen für das rechtsstaatliche Verfahren und für das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsprechung. Das Befangenheitsrecht dient als wichtiges Instrument zur Sicherung dieser Grundprinzipien.

Literaturhinweise

  • Thomas/Putzo: Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz
  • Löwe-Rosenberg: Strafprozessordnung
  • Kissel/Mayer: Gerichtsverfassungsgesetz

Hinweis: Dieser Artikel dient der umfassenden Information zum Begriff „Befangenheit“ im deutschen Recht und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.

Häufig gestellte Fragen

Wann und wie ist ein Antrag auf Ablehnung wegen Befangenheit zu stellen?

Ein Antrag auf Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit ist grundsätzlich unverzüglich zu stellen, sobald der betreffende Beteiligte von dem Ablehnungsgrund Kenntnis erlangt. Dabei schreibt insbesondere die Zivilprozessordnung (§ 44 ZPO) vor, dass der Antrag nicht etwa beliebig zeitlich ausgedehnt werden kann, sondern ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen muss. Für die Zulässigkeit des Ablehnungsantrags ist ferner eine substantiierte Begründung notwendig: Der Antragsteller muss die tatsächlichen Umstände umfassend darlegen, aus denen sich die behauptete Befangenheit ergibt. Die Entscheidung über den Antrag erfolgt regelmäßig durch das Gericht ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters. Wird ein Antrag verspätet oder ohne ausreichende Begründung gestellt, ist er unzulässig und wird als unbegründet zurückgewiesen. In strafrechtlichen Verfahren gelten vergleichbare Regelungen (§ 24 StPO), wobei auch hier eine genaue Darlegung der Ablehnungsgründe erforderlich ist. Die Fristen können im Einzelfall variieren, etwa im Zusammenhang mit mündlichen oder schriftlichen Verhandlungen – entscheidend ist stets der Kenntniszeitpunkt der Ablehnungsgründe.

Welche konkreten Verhaltensweisen können einen Befangenheitsgrund darstellen?

Befangenheit wird nicht bereits durch subjektives Misstrauen einer Verfahrenspartei angenommen, sondern erfordert objektive Tatsachen, die aus Sicht eines verständigen Beteiligten Anlass zu Zweifeln an der Unparteilichkeit und Neutralität des Richters geben könnten. Zu den typischen Verhaltensweisen, die zur Annahme eines Befangenheitsgrundes führen können, zählen z.B.: eindeutige Parteinahme während der Verhandlung, beleidigende oder abwertende Äußerungen gegenüber Parteien oder deren Vertretern, die ungleiche Behandlung der Beteiligten, unerklärlich häufige Verfahrensverzögerungen zu Lasten einer Partei, exzessives Ausfragen nur einer Partei oder ein Zusammenhang des Richters mit einer Partei außerhalb des Gerichts (z.B. Verwandtschaft, wirtschaftliche Beziehungen). Auch das Vorliegen einer Vorbefassung mit dem Streitgegenstand in anderer Funktion kann wie ein Befangenheitsgrund wirken. Nicht jedes als unangemessen empfundene Verhalten reicht jedoch aus; entscheidend ist stets die objektive Betrachtungsweise.

Wie wird über die Befangenheit entschieden und welche Rechtsmittel gibt es gegen diese Entscheidung?

Über einen Antrag auf Richterablehnung wegen Befangenheit entscheidet grundsätzlich das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, stets ohne dessen Mitwirkung (§ 45 Abs. 1 ZPO). Wird der Antrag abgelehnt und hält die Partei diesen Beschluss für unrichtig, stehen je nach Verfahrensordnung verschiedene Rechtsmittel zur Verfügung: Im Zivilprozess ist grundsätzlich kein Rechtsmittel gegen die Ablehnung gegeben; die Entscheidung kann im Wege der Berufung oder Revision nur gemeinsam mit der Hauptsache überprüft werden. Im Strafverfahren hingegen kann ein sofortiges, befristetes Rechtsmittel eingelegt werden (§ 28 Abs. 2 StPO). Im Verwaltungsprozess gibt es vergleichbare Regelungen (§ 54 VwGO). In besonderen Ausnahmefällen (z.B. bei groben Verfahrensfehlern) kann auch eine Beschwerde im Verfahren geltend gemacht werden. Durch die Entscheidung über die Ablehnung bleibt das Verfahren ansonsten fortgesetzt, es sei denn, dem Antrag wird stattgegeben.

Kann eine tatsächliche Befangenheit verlangt werden oder reicht schon der „böse Schein“?

Im deutschen Prozessrecht genügt bereits der sogenannte „böse Schein“ von Befangenheit; es ist mithin nicht erforderlich, dass dem Richter tatsächlich Voreingenommenheit oder Parteilichkeit nachgewiesen wird. Entscheidend ist, ob aus Sicht einer vernünftigen Partei Zweifel an der Unparteilichkeit bestehen könnten (objektiver Maßstab). Es reicht aus, wenn eine bestimmte objektive Konstellation dazu geeignet ist, Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit zu rechtfertigen – dabei kommt es weder auf das subjektive Empfinden des Ablehnenden noch auf die tatsächliche Neutralität des Richters an. Das Ziel ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Justiz zu schützen. Gibt es hinreichende, nach außen erkennbare Anhaltspunkte, wird der Richter im Zweifel vom Verfahren entbunden.

Welche Bedeutung hat die Mitwirkung an früheren Entscheidungen für einen Befangenheitsantrag?

Die Mitwirkung eines Richters an früheren Entscheidungen desselben Rechtsstreits kann insbesondere dann einen Befangenheitsgrund darstellen, wenn dadurch objektivierbare Zweifel an der Unvoreingenommenheit geweckt werden. Nach § 41 ZPO ist ein Richter beispielsweise dann kraft Gesetzes von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen, wenn er in derselben Sache bereits an einer Vorentscheidung (Urteil, Beschluss o.ä.) als Richter mitgewirkt hat. Anders ist dies hingegen, wenn ein Richter sich in einem früheren Verfahrensabschnitt ohne abschließende Entscheidung mit dem Fall befasst hat (z.B. Anordnung von vorläufigen Maßnahmen); hier reicht allein die frühere Mitwirkung regelmäßig nicht aus, um einen Befangenheitsantrag zu begründen. Entscheidend ist, ob der Richter durch frühere Aussagen oder Handlungen in eine Weise vorgeprägt ist, dass nach außen Zweifel an seiner weiteren Unparteilichkeit entstehen können.

Kann auch ein Gerichtssachverständiger oder ein Schöffe wegen Befangenheit abgelehnt werden?

Ja, das Recht auf Ablehnung wegen Befangenheit gilt nicht nur für Berufsrichter, sondern ebenfalls für ehrenamtliche Richter (beispielsweise Schöffen im Strafprozess) und Gerichtssachverständige. Die maßgeblichen Vorschriften finden sich jeweils in den einschlägigen Prozessordnungen (z.B. § 42 ZPO für Sachverständige), wobei die Ablehnungsgründe vergleichbar zu jenen für Berufsrichter ausgestaltet sind. Insbesondere bei Sachverständigen liegt Befangenheit zumeist vor, wenn persönliche, wirtschaftliche oder sonstige Beziehungen zu einer Partei bestehen, Zweifel an der Objektivität entstehen oder gar vorangegangene Äußerungen oder Verhaltensweisen eine Parteinahme nahelegen. Für Schöffen gelten die spezifischen Regelungen der Strafprozessordnung (§§ 31, 24 ff. StPO). Der Verfahrensablauf entspricht im Wesentlichen dem bei Richtern: Auch hier sind Anträge substantiiert und unverzüglich zu stellen.