Begriff und Bedeutung der Befangenheit
Befangenheit bezeichnet im rechtlichen Kontext die fehlende Unvoreingenommenheit einer entscheidenden oder mitwirkenden Person in einem Verfahren. Maßgeblich ist nicht nur tatsächliche Parteilichkeit, sondern bereits der begründete Anschein mangelnder Neutralität. Entscheidend ist, ob aus Sicht einer vernünftigen, an den Verfahrensumständen orientierten Person Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit der betroffenen Person zu zweifeln. Das dient dem Schutz des fairen, geordneten und vertrauenswürdigen Verfahrensablaufs.
Zu unterscheiden ist zwischen einer zwingenden Mitwirkungsausschließung (etwa bei besonders engen persönlichen oder sachlichen Verbindungen) und der Befangenheit im engeren Sinne, bei der die Sorge vorliegt, die Person könnte im konkreten Verfahren nicht neutral entscheiden. Beide Konstellationen haben das Ziel, das Vertrauen in die Integrität des Verfahrens zu sichern.
Anwendungsbereiche
Gerichte und ehrenamtliche Richterinnen und Richter
Das Prinzip der Unvoreingenommenheit gilt für Berufsrichterinnen und Berufsrichter ebenso wie für ehrenamtliche Mitwirkende. Es umfasst auch Personen, die gerichtliche Entscheidungen vorbereiten oder daran organisatorisch beteiligt sind, soweit deren Mitwirkung Einfluss auf das Ergebnis haben kann.
Behörden und Verwaltungsverfahren
Auch in Verwaltungsverfahren ist Neutralität wesentlich. Mitarbeitende von Behörden sollen Entscheidungen ohne persönliche Interessen oder sachfremde Erwägungen treffen. Befangenheit kann etwa bei persönlicher Nähe zu Beteiligten oder bei eigenem Interesse am Verfahrensausgang in Betracht kommen.
Schieds- und Mediationsverfahren
In schiedsgerichtlichen Verfahren ist Unparteilichkeit der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter ein grundlegender Verfahrensgrundsatz. Bei Mediationen ist Neutralität eine zentrale Rolle der vermittelnden Person, um das Vertrauen aller Beteiligten zu wahren.
Sachverständige, Dolmetschende und weitere Verfahrensbeteiligte
Personen, die Beweise erheben, erläutern oder vermitteln, unterliegen ebenfalls Neutralitätsanforderungen. Befangenheit kann etwa bei Sachverständigen angenommen werden, wenn wirtschaftliche oder persönliche Verbindungen zu Beteiligten bestehen oder wenn eine vorgefasste Meinung erkennbar ist.
Typische Gründe für Befangenheit
- Persönliche Nähe oder Feindschaft: enge familiäre, wirtschaftliche oder enge freundschaftliche Beziehungen zu einer Partei, oder ausgeprägte Antipathie.
- Eigenes Interesse: finanzielles, berufliches oder sonstiges konkretes Interesse am Ausgang des Verfahrens.
- Vorbefassung mit dem Streitstoff: frühere beratende oder vertretende Tätigkeit für eine Partei oder entscheidende Mitwirkung in derselben Sache in anderer Funktion.
- Öffentliche oder nicht-prozedurale Äußerungen zum Fall: vorverurteilende Kommentare, die auf eine Festlegung schließen lassen.
- Geschenke, Zuwendungen oder Abhängigkeiten: Zuwendungen, Sponsoring, wirtschaftliche Abhängigkeit oder Nebeninteressen.
- Sonstige Umstände, die Misstrauen rechtfertigen: wiederholte unsachliche Äußerungen, herabwürdigendes Verhalten, oder Verfahrensführung, die den Anschein von Parteilichkeit begründet.
Kein Befangenheitsgrund ist allein die Tatsache, dass eine Entscheidung ungünstig ausfällt oder eine bestimmte Rechtsauffassung vertreten wird. Sachliche, rechtlich vertretbare Entscheidungen begründen für sich genommen keinen Anschein von Befangenheit.
Abgrenzungen
Ausschluss von der Mitwirkung
In bestimmten Konstellationen ist eine Mitwirkung schon kraft objektiver Unvereinbarkeit ausgeschlossen, etwa bei unmittelbarer Beteiligung am Sachverhalt oder bei klaren Interessenkollisionen. Diese Fälle sind von der Befangenheit im engeren Sinne abzugrenzen, verlangen aber ebenfalls eine personelle Entbindung.
Vorverständnis versus Vorfestlegung
Berufliche Vorerfahrung oder allgemeine Fachkenntnis führen nicht zur Befangenheit. Entscheidend ist, ob im konkreten Fall eine erkennbare Vorfestlegung besteht, die die Offenheit für neue Argumente oder Beweise beeinträchtigt.
Höfliche Bekanntschaft
Eine bloße Bekanntschaft ohne besondere Nähe, wie sie im beruflichen Umfeld häufig vorkommt, begründet für sich genommen regelmäßig keinen Befangenheitsverdacht.
Verfahren bei Befangenheit
Offenlegung und Selbstprüfung
Werden Umstände bekannt, die die eigene Unvoreingenommenheit in Frage stellen können, ist eine frühzeitige Offenlegung üblich. Dadurch wird eine neutrale Prüfung ermöglicht, ob eine Mitwirkung fortgesetzt werden kann oder eine Ablösung angezeigt ist.
Ablehnung durch Verfahrensbeteiligte
Form und Inhalt
Ein Befangenheitsgesuch richtet sich gegen die konkrete mitwirkende Person und benennt die Tatsachen, aus denen sich der Anschein der Parteilichkeit ergeben soll. Pauschale Vermutungen genügen nicht; erforderlich sind nachvollziehbare, überprüfbare Umstände.
Zeitpunkt und Verspätung
Der Einwand wird in der Regel unverzüglich nach Kenntnis der maßgeblichen Umstände erhoben. Zu spätes Vorbringen kann unberücksichtigt bleiben, insbesondere wenn bereits Verfahrenshandlungen stattgefunden haben, die von den gerügten Umständen betroffen sind.
Entscheidung und Folgen
Unabhängige Entscheidung
Über das Befangenheitsgesuch entscheidet nicht die betroffene Person selbst. Während der Prüfung nimmt die betroffene Person regelmäßig keine Entscheidungen vor, die den Ausgang des Verfahrens beeinflussen könnten, es sei denn, es besteht Eilbedürftigkeit.
Erfolg oder Zurückweisung
Wird Befangenheit oder ein Ausschlussgrund bejaht, erfolgt eine personelle Ersetzung. Wird das Gesuch zurückgewiesen, wird das Verfahren mit der bisherigen Besetzung fortgeführt. Offenkundig missbräuchliche oder unbegründete Gesuche können zurückgewiesen werden.
Beweisaufnahme und sachverständige Mitwirkung
Bei Befangenheit von Sachverständigen oder Dolmetschenden kann die Bestellung aufgehoben und eine andere Person beauftragt werden. Bereits erstattete Gutachten oder Übersetzungen verlieren ihre Grundlage, wenn sie von einer befangenen Person stammen, und können durch neue Leistungen ersetzt werden.
Rechtsfolgen bei Verstößen
Wirkt eine befangene oder ausgeschlossene Person an einer Entscheidung mit, kann dies zur Aufhebung der Entscheidung in einem Rechtsmittelverfahren führen. In gravierenden Fällen wird die Sache an eine neutrale Stelle zurückverwiesen, um den betroffenen Abschnitt des Verfahrens zu wiederholen. Fehlerfolgen betreffen insbesondere die betroffenen Verfahrenshandlungen und die darauf aufbauenden Schritte.
Kosten- und Verfahrensaspekte
Die Prüfung von Befangenheitsfragen kann den Verfahrensablauf verzögern. Abhängig vom Verfahrensrecht können Kostenfolgen entstehen, etwa wenn ein Gesuch als unbegründet verworfen wird. Zugleich dient die Prüfung der Verfahrensfairness und kann spätere Korrekturen vermeiden.
Internationale Bezüge
Die Unvoreingenommenheit der entscheidenden Stellen ist ein anerkannter Grundsatz fairer Verfahren. International wird zwischen tatsächlicher Parteilichkeit und dem objektiven Anschein unterschieden. Diese Standards finden sich in unterschiedlichen Rechtsordnungen wieder und prägen auch Verfahrensordnungen jenseits staatlicher Gerichte, etwa in der Schiedsgerichtsbarkeit.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet Befangenheit im rechtlichen Sinn?
Befangenheit liegt vor, wenn eine mitwirkende Person nicht neutral erscheint oder tatsächlich nicht neutral ist. Maßgeblich ist bereits der begründete Anschein von Parteilichkeit aus Sicht einer vernünftigen, außenstehenden Betrachtung.
Worin liegt der Unterschied zwischen tatsächlicher Befangenheit und dem Anschein?
Tatsächliche Befangenheit setzt innere Parteilichkeit voraus. Für verfahrensrechtliche Folgen genügt regelmäßig der objektive Anschein, also der nachvollziehbare Eindruck mangelnder Neutralität aufgrund äußerer Umstände.
Wer kann wegen Befangenheit abgelehnt werden?
Abgelehnt werden können insbesondere Richterinnen und Richter, ehrenamtliche Mitwirkende, Sachverständige, Dolmetschende sowie in bestimmten Verfahren auch Behördenmitarbeitende, wenn deren Mitwirkung Einfluss auf das Ergebnis haben kann.
Welche Umstände gelten typischerweise als Befangenheitsgründe?
Dazu zählen persönliche Nähe oder Feindschaft zu Beteiligten, eigene wirtschaftliche oder berufliche Interessen am Ausgang, Vorbefassung in derselben Sache, vorverurteilende öffentliche Äußerungen sowie Zuwendungen oder Abhängigkeiten.
Wie wird über ein Befangenheitsgesuch entschieden?
Über das Gesuch entscheidet eine hierfür zuständige, nicht betroffene Stelle. Die betroffene Person wirkt an dieser Entscheidung nicht mit. Während der Prüfung unterbleiben in der Regel wesentliche verfahrensgestaltende Maßnahmen durch die betroffene Person, es sei denn, es besteht Eilbedarf.
Welche Folgen hat ein festgestellter Befangenheitsgrund?
Die betroffene Person wird von der Mitwirkung entbunden und ersetzt. Bereits getroffene Entscheidungen können aufgehoben werden, wenn die Mitwirkung den Verfahrensausgang beeinflusst hat oder beeinflussen konnte.
Gilt das Befangenheitsprinzip auch für Sachverständige und Dolmetschende?
Ja. Fehlt die erforderliche Neutralität, kann die Bestellung aufgehoben und eine andere Person beauftragt werden. Leistungen, die unter dem Einfluss von Befangenheit entstanden sind, werden durch neutrale Leistungen ersetzt.