Legal Lexikon

Bankenabwicklung


Begriff und Bedeutung der Bankenabwicklung

Die Bankenabwicklung stellt einen zentralen Rechtsbegriff im Banken- und Insolvenzrecht dar. Sie beschreibt den gesetzlich geregelten Prozess zur strukturierten Bewältigung von Bankenkrisen, insbesondere im Fall der drohenden oder bestehenden Insolvenz eines Instituts. Das Ziel der Bankenabwicklung besteht darin, die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Finanzsystems zu sichern und Risiken für die Allgemeinheit, speziell für Steuerzahler und die Volkswirtschaft, zu minimieren, während Einleger geschützt werden.

Rechtsrahmen der Bankenabwicklung in Deutschland und der EU

Europäische Grundlagen

Die rechtlichen Vorgaben für die Abwicklung von Kreditinstituten sind insbesondere in der Richtlinie 2014/59/EU („Bankenabhwicklungsrichtlinie“ – BRRD: Bank Recovery and Resolution Directive) sowie der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 über den einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism – SRM) geregelt. Ziel ist es, einen einheitlichen Ordnungsrahmen für Abwicklungsverfahren innerhalb des Europäischen Binnenmarkts zu schaffen.

Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD)

Die BRRD normiert Mindestanforderungen und Instrumente, die nationale Abwicklungsbehörden im Abwicklungsfall ergreifen müssen. Sie schreibt auch vor, dass Kreditinstitute sogenannte „Abwicklungspläne“ erstellen, die umfangreiche Informationen zur Struktur, Geschäftstätigkeit und dem Abwicklungsprozess enthalten.

Einheitlicher Abwicklungsmechanismus (SRM)

Für Banken, die dem Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM) unterliegen, ist der einheitliche Abwicklungsmechanismus (SRM) maßgeblich. Er zentralisiert wichtige Entscheidungen auf die Ebene des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (Single Resolution Board – SRB).

Deutsches Recht: Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG)

In Deutschland ist die Bankenabwicklung vorrangig im Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) geregelt. Das SAG setzt die BRRD und die SRM-Verordnung in nationales Recht um und enthält ausführliche Bestimmungen zu den Zuständigkeiten der Abwicklungsbehörde (Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung – FMSA, heute Bafin), den Abwicklungsinstrumenten, zur Gläubigerbeteiligung (Bail-in) und zur Einlagensicherung.

Zielsetzungen und Grundprinzipien

Das Ziel der Bankenabwicklung liegt darin, Institute, die in Schieflage geraten sind, geordnet und ohne destabiliserende Wirkungen für das Finanzsystem abzuwickeln. Dabei gelten folgende Grundsätze:

  • Minimierung systemischer Risiken
  • Wahrung öffentlicher Interessen
  • Schutz gesicherter Einlagen und lebenswichtiger Funktionen
  • Einhaltung der Haftungskaskade (Bail-in-Prinzip)
  • Schutz des Steuerzahlers vor Verlusten

Voraussetzungen der Abwicklung

Abwicklungsfähigkeit

Eine Bank wird nur dann abgewickelt, wenn sie als „nicht mehr überlebensfähig, aber auch nicht anderweitig sanierbar“ gilt. Das bedeutet:

  1. Die Bank ist ausfallend oder ein Ausfall ist wahrscheinlich (z. B. wenn die Eigenmittel zur Deckung der Kapitalanforderungen nicht mehr ausreichen).
  2. Eine private Sanierung erscheint aussichtslos oder wirtschaftlich nicht vertretbar.
  3. Die Abwicklung ist im öffentlichen Interesse erforderlich.

Rolle der Abwicklungsbehörden

Die Abwicklungsbehörden sind verpflichtet, regelmäßig Abwicklungspläne für alle Institute zu erarbeiten und zu prüfen, ob die Institute abwicklungsfähig sind oder Hindernisse bestehen, die beseitigt werden müssen.

Instrumente der Bankenabwicklung

Das rechtliche Instrumentarium der Abwicklung umfasst im Wesentlichen vier Hauptmaßnahmen, die im SAG und der BRRD normiert sind:

Übertragungsinstrumente

Übertragung auf ein Brückeninstitut

Einzelne Geschäftsbereiche, Vermögenswerte oder Verbindlichkeiten werden auf ein eigens errichtetes Zweckinstitut (Brückeninstitut) übertragen. Ziel ist der Erhalt systemrelevanter Geschäftstätigkeiten.

Übertragung auf ein privates übernehmendes Institut

Gesunde Unternehmensteile werden an ein anderes Kreditinstitut veräußert, um den Fortbestand essenzieller Dienstleistungen zu sichern.

Bail-in-Instrument

Gläubiger und Anteilseigner der Bank werden nach einer gesetzlich vorgegebenen Haftungskaskade zur Verlusttragung und Rekapitalisierung herangezogen. Dies kann bis zum vollständigen Ausfall von Aktien und nachrangigen Anleihen führen.

Abspaltung von Vermögensgegenständen (Asset Separation)

Problematische oder nicht systemrelevante Vermögenswerte werden auf eine „Bad Bank“ übertragen, um das Institut zu entlasten und eine geordnete Abwicklung dieser Posten zu ermöglichen.

Liquidation und geordnete Insolvenz

Sofern keine öffentliche Relevanz besteht, kann schließlich ein geordnetes Insolvenzverfahren stattfinden. Das SAG enthält spezialgesetzliche Vorschriften, die von allgemeinen Insolvenznormen abweichen.

Gläubigerbeteiligung und Rangfolge

Ein zentrales Element der Bankenabwicklung ist der Grundsatz „Bail-in before Bail-out“. Verluste werden zunächst von Anteilseignern und Gläubigern getragen, darunter:

  1. Eigenkapitalgeber (Aktionäre)
  2. Nachrangige Gläubiger
  3. Nicht gesicherte Gläubiger
  4. Gesicherte Einleger (nach Maßgabe der Einlagensicherungssysteme)

Gesicherte Einlagen bis zu 100.000 € pro Kunde und Institut sind im Rahmen der gesetzlichen Einlagensicherung priorisiert und von der Verlustbeteiligung ausgenommen.

Rechtsfolgen und Rechtsschutz

Betroffene Beteiligte, insbesondere Gläubiger und Einleger, haben nach deutschem und europäischem Recht Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz. Die Rechtsmittel sind in den einschlägigen Gesetzen (z. B. § 82 SAG, Art. 86 SRM-VO) konkret geregelt. Darüber hinaus bestehen Entschädigungsansprüche gegen die Einlagensicherung bei entsprechendem Verlust.

Internationale Dimension und grenzüberschreitende Abwicklung

In einer zunehmend globalisierten Finanzwelt stellt die grenzüberschreitende Abwicklung eine besondere Herausforderung dar. Die BRRD und das SAG enthalten Vorschriften, die Zusammenarbeit und Koordination zwischen verschiedenen nationalen Behörden innerhalb der EU und darüber hinaus gewährleisten.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Bankenabwicklung ist ein komplexes und stark reguliertes rechtliches Verfahren zur Abwicklung von Kreditinstituten in einer Krise. Sie bezweckt den Schutz der öffentlichen Interessen und die Stabilisierung des Finanzsystems. Die rechtlichen Rahmenbedingungen entwickeln sich fortlaufend weiter, um aktuellen Entwicklungen im Bankensektor und den Erfahrungen vorangegangener Finanzkrisen Rechnung zu tragen. Die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben und eine sorgfältige Umsetzung der Abwicklungsprozesse sind essenziell für das Vertrauen in das Finanzsystem und die Vermeidung von Folgeschäden für Wirtschaft und Gesellschaft.

Häufig gestellte Fragen

Wer entscheidet über die Einleitung eines Bankenabwicklungsverfahrens?

Die Entscheidung zur Einleitung eines Bankenabwicklungsverfahrens liegt im rechtlichen Kontext primär bei der zuständigen Abwicklungsbehörde. Im Euro-Währungsgebiet ist dies insbesondere der Einheitliche Abwicklungsausschuss (Single Resolution Board, SRB), während auf nationaler Ebene die jeweiligen Abwicklungsbehörden gemäß nationalem Abwicklungsgesetz, wie etwa die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) in Deutschland, zuständig sind. Die rechtliche Grundlage hierfür bilden die EU-Bankabwicklungsrichtlinie (BRRD – Bank Recovery and Resolution Directive) sowie die Verordnung über den einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM-VO). Die Behörde darf ein Abwicklungsverfahren erst dann einleiten, wenn sie feststellt, dass das Institut aus rechtlicher Sicht als „failing or likely to fail“ einzustufen ist, alle anderen alternativen Maßnahmen (z.B. private Rettungsmaßnahmen oder Restrukturierungen im Rahmen des Insolvenzverfahrens) als nicht ausreichend angesehen werden und von der Abwicklung ein öffentliches Interesse im Sinne des Gesetzes vorliegt. Die Entscheidung ist rechtlich bindend und kann von betroffenen Kreditinstituten gegebenenfalls gerichtlich überprüft werden.

Welche rechtlichen Instrumente stehen den Abwicklungsbehörden zur Verfügung?

Im Rahmen der Bankenabwicklung verfügen die zuständigen Behörden über verschiedene, im Gesetz genau definierte Abwicklungsinstrumente. Hierzu zählen das Instrument der Unternehmensveräußerung (Sale of Business Tool), mit dem Teile des Geschäfts auf einen privaten Käufer übertragen werden; das Instrument der Brückenbank (Bridge Institution Tool), bei dem Teile des Geschäftsbetriebs auf eine temporäre Zweckgesellschaft übertragen werden; das Abwicklungsinstrument des Bail-in, bei welchem Gläubiger und Eigentümer durch Herabschreibung und Umwandlung bestimmter Verbindlichkeiten an den Verlusten beteiligt werden; sowie das Instrument der Ausgliederung von Vermögenswerten (Asset Separation Tool), mit dem risikobehaftete Vermögenswerte in eine „Bad Bank“ übertragen werden können. Diese Instrumente werden unter Wahrung der europa- und nationalrechtlichen Regeln, insbesondere des Eigentumsschutzes, und unter Beachtung der Gläubigerhierarchie angewandt.

Welche rechtlichen Schutzmechanismen bestehen für Gläubiger und Eigentümer während einer Bankenabwicklung?

Bankenabwicklungsverfahren sehen verschiedene Schutzmechanismen für Gläubiger und Eigentümer vor. Die BRRD und das deutsche Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) schreiben insbesondere das sogenannte „No Creditor Worse Off“-Prinzip (NCWO) vor. Danach dürfen Gläubiger im Rahmen einer Abwicklung nicht schlechter gestellt werden, als sie es bei einer normalen Insolvenz des Instituts wären. Dies wird durch unabhängige Bewertungen (Valuations) vor, während und nach der Maßnahme sichergestellt. Darüber hinaus besteht grundsätzlich das Recht auf gerichtliche Überprüfung von Abwicklungsmaßnahmen. Besonders schützenswerte Forderungen, wie etwa Einlagen bis zur Höhe der gesetzlichen Einlagensicherung, sind vorrangig geschützt. Betroffene Gläubiger haben darüber hinaus Anspruch auf finanzielle Ausgleichszahlungen, sollten sie infolge des Abwicklungsverfahrens schlechter gestellt werden als im hypothetischen Insolvenzverfahren.

Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Insolvenzrecht und Abwicklungsrecht?

Die Bankenabwicklung stellt ein eigenständiges, spezialgesetzliches Verfahren neben dem allgemeinen Insolvenzrecht dar. Sie dient der Stabilisierung des Finanzsystems und kann eingeleitet werden, bevor ein Kreditinstitut formal insolvent ist. Das Abwicklungsrecht hat Vorrang vor insolvenzrechtlichen Vorschriften, soweit ausdrücklich geregelt. Die Abwicklungsbehörden können Maßnahmen im Interesse der Allgemeinheit ergreifen, um die Kontinuität kritischer Funktionen einer Bank und die Systemstabilität zu sichern, was im Insolvenzverfahren so nicht möglich wäre. Allerdings greifen viele Grundsätze des Insolvenzrechts, wie etwa die Gläubigerhierarchie und der Grundsatz der Gleichbehandlung, auch im Rahmen der Abwicklung, soweit dies mit den Zielen der Abwicklung vereinbar ist. Übergeordnete Vorschriften, wie die Insolvenzantragspflichten und die Pflicht zur Insolvenzeröffnung, treten zurück, sofern die Abwicklungsbehörde tätig wird.

Inwieweit ist das Eigentumsrecht im Abwicklungsverfahren eingeschränkt?

Das Abwicklungsverfahren kann erhebliche Eingriffe in das Eigentumsrecht (Art. 14 Grundgesetz bzw. Europäische Grundrechtecharta) bedeuten, insbesondere durch Maßnahmen wie das Bail-in (Herabschreibung oder Umwandlung von Forderungen und Anteilsrechten). Diese Eingriffe sind jedoch rechtlich ausdrücklich vorgesehen und an enge Voraussetzungen gebunden: Sie müssen verhältnismäßig sein, einem legitimen öffentlichen Interesse dienen (Systemstabilität und Schutz der Steuerzahler) und die Rechte der Betroffenen wahren (z.B. durch Entschädigungsansprüche im Rahmen des NCWO-Prinzips). Alle Eingriffe unterliegen der gerichtlichen Kontrolle. Das geltende Recht verlangt zudem eine unabhängige Bewertung der Vermögenswerte und Forderungen, um sicherzustellen, dass die Eigentümer und Gläubiger nicht unrechtmäßig enteignet werden.

Welche Rolle spielen Gerichte und Rechtsschutz im Bankenabwicklungsverfahren?

Die Maßnahmen der Abwicklungsbehörden sind ihrem Wesen nach Verwaltungsakte und somit grundsätzlich der gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Betroffene Institute, Anteilseigner und Gläubiger können gegen die Entscheidungen der Abwicklungsbehörde – etwa gegen die Anordnung von Abwicklungsinstrumenten oder die Bewertung von Forderungen – Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten suchen. Im Bereich der EU-Abwicklungsebene, insbesondere bei Maßnahmen des SRB, ist darüber hinaus der Rechtsschutz beim Gericht der Europäischen Union möglich. Die jeweiligen nationalen und europäischen Verfahrensordnungen sehen Eilrechtsschutz und aufschiebende Wirkungen nur eingeschränkt vor, um die Wirksamkeit und Dringlichkeit der Abwicklungsmaßnahmen sicherzustellen, gleichwohl ist eine effektive gerichtliche Überprüfung vorgesehen.

Ist die Bankenabwicklung mit Staatshilfen verbunden und wie regelt das Recht deren Einsatz?

Die Durchführung eines Bankenabwicklungsverfahrens erfolgt grundsätzlich gemäß dem Prinzip „Bail-in before bail-out“; d.h., Eigentümer und Gläubiger müssen vorrangig zur Verlusttragung herangezogen werden, bevor öffentliche Mittel, also Staatshilfen, eingesetzt werden. Sollte aber die Systemrelevanz einer Bank oder die Stabilität des Finanzsystems eine öffentliche Stützung erfordern, so ist nach EU-Beihilferecht insbesondere die Zustimmung der Europäischen Kommission einzuholen. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen bedürfen also einer beihilferechtlichen Prüfung und dürfen nur unter strengen rechtlichen Voraussetzungen und bei Erreichen spezifischer Ziele (z.B. Vermeidung eines Bank-Runs, Sicherung systemkritischer Funktionen) zum Einsatz kommen. Etwaige staatliche Stützungsmaßnahmen sind regelmäßig mit Restrukturierungsauflagen und Rückzahlungsverpflichtungen für die begünstigte Bank verbunden, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.