Begriff und Einordnung
Auswahlermessen bezeichnet die Freiheit einer Behörde, unter mehreren rechtlich zulässigen Maßnahmen, Mitteln oder Adressaten die konkrete Auswahl zu treffen. Es setzt voraus, dass der Anwendungsbereich einer Ermächtigung eröffnet ist und dass die Behörde bereits entschieden hat, tätig zu werden. Während die Entscheidung, ob überhaupt gehandelt wird, anderen Formen des Ermessens zugeordnet wird, betrifft das Auswahlermessen die Frage, wie und gegenüber wem gehandelt wird.
Definition
Auswahlermessen liegt vor, wenn die Rechtsordnung mehrere gleich geeignete, rechtlich mögliche Handlungsoptionen bereithält und die Verwaltung die jeweils passende Option auswählen darf. Typischerweise geht es um die Wahl der Maßnahme (zum Beispiel mildere oder intensivere Eingriffe), die Wahl des Mitteladressaten (zum Beispiel Störer oder Nichtstörer im Ordnungsrecht) oder die Auswahl zwischen mehreren Bewerbungen oder Anträgen bei knappen Ressourcen.
Abgrenzung
Zum Entschließungsermessen
Entschließungsermessen betrifft das Ob des Einschreitens. Auswahlermessen knüpft daran an und regelt das Wie und Gegen Wen. Häufig bestehen beide Formen nebeneinander: Zunächst wird über das Tätigwerden entschieden, anschließend über die konkrete Ausgestaltung.
Zur gebundenen Entscheidung
Bei gebundenen Entscheidungen gibt es nur eine rechtlich zulässige Lösung; die Behörde hat keinen Spielraum. Beim Auswahlermessen bestehen hingegen mehrere rechtmäßige Optionen.
Zum Beurteilungsspielraum
Beurteilungsspielräume betreffen die fachliche Bewertung von Tatsachen, Prognosen oder Eignungen. Auswahlermessen betrifft die Rechtsfolgenseite, also die Auswahl einer Maßnahme oder eines Adressaten. Beide können zusammentreffen, sind aber eigenständig.
Struktur und Funktionsweise
Voraussetzungen und Rechtsfolgenkatalog
Ausgangspunkt ist eine Ermächtigung, die mehrere Handlungsformen erlaubt (zum Beispiel verschiedene Auflagen oder Adressaten). Eröffnet die Tatsachengrundlage die Anwendung, darf die Behörde unter den vorgesehenen Rechtsfolgen auswählen. Die Auswahl ist rechtlich gebunden an den Zweck der Ermächtigung und an allgemeine Prinzipien wie Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit.
Auswahlkriterien
Typische Kriterien sind Ziel- und Zweckbezogenheit, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme, Zuverlässigkeit und Eignung von Bewerbenden, Prioritäten der Gefahrenabwehr oder die Effektivität der Maßnahme. Zudem können Belange Dritter, zeitliche Dringlichkeit, Knappheit öffentlicher Mittel und die Vorhersehbarkeit von Folgen berücksichtigt werden.
Ermessenslenkung und Selbstbindung
Behörden verwenden häufig ermessenslenkende Vorgaben (Richtlinien, Verwaltungspraxis), um gleichartige Fälle gleich zu behandeln. Durch eine gefestigte und veröffentlichte Praxis kann eine Selbstbindung entstehen. Diese wirkt nur innerhalb der rechtlichen Grenzen und darf den Einzelfall nicht verfehlen.
Grenzen des Auswahlermessens
Allgemeine rechtliche Grenzen
- Gleichbehandlung: Vergleichbare Fälle sind gleich, ungleiche entsprechend ihrer Unterschiede zu behandeln.
- Verhältnismäßigkeit: Die ausgewählte Option muss geeignet, erforderlich und angemessen sein.
- Zweckbindung: Die Auswahl muss dem Zweck der Ermächtigung dienen; sachfremde Erwägungen sind ausgeschlossen.
- Willkürverbot: Entscheidungen dürfen nicht auf bloßem Belieben beruhen.
- Transparenz und Nachvollziehbarkeit: Die tragenden Erwägungen müssen erkennbar sein.
Ermessensfehlerlehre
- Ermessensnichtgebrauch: Die Behörde nimmt fälschlich an, sie sei gebunden, oder sie prüft keine Alternativen.
- Ermessensüberschreitung: Es wird eine Option gewählt, die rechtlich nicht zulässig ist.
- Ermessensfehlgebrauch: Sachfremde, unzutreffende oder nicht zweckbezogene Erwägungen bestimmen die Auswahl; wesentliche Gesichtspunkte bleiben unberücksichtigt.
Ermessensreduzierung auf Null
In besonderen Konstellationen kann die rechtmäßige Ausübung des Auswahlermessens nur eine einzige Entscheidung zulassen. Dann ist der Spielraum faktisch auf eine Option reduziert.
Abwägungspflicht und Begründung
Wesentliche Belange sind zu erfassen, zutreffend zu gewichten und in eine nachvollziehbare Abwägung einzustellen. Die Begründung soll die maßgeblichen Kriterien erkennen lassen und so die Kontrolle ermöglichen.
Typische Anwendungsfelder
Gefahrenabwehr und Ordnungsrecht
Behörden wählen, gegen wen und mit welchem Mittel sie vorgehen. Sie entscheiden etwa zwischen mehreren Störern oder wählen mildere vor intensiveren Eingriffen, sofern der Zweck erreicht wird.
Leistungs- und Förderverwaltung
Bei knappen Ressourcen werden unter mehreren geeigneten Anträgen Empfänger ausgewählt. Maßstab sind vorher definierte Kriterien wie Eignung, Bedarf, Zielorientierung und Gleichbehandlung.
Personal- und Auswahlentscheidungen der Verwaltung
Bei Einstellungen und Beförderungen erfolgt die Auswahl unter mehreren Bewerbenden nach Eignung, Befähigung und Leistung. Bestehen mehrere gleich geeignete Personen, kommen ergänzende, sachgerechte Kriterien zur Anwendung.
Vertrags- und Vergabeentscheidungen
Bei Beschaffungen und öffentlich-rechtlichen Verträgen besteht häufig Spielraum, welcher Anbieter oder Vertragspartner gewählt wird. Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und objektive Kriterien prägen die Auswahl.
Verfahren und Kontrollebenen
Ausübung im Verwaltungsverfahren
Erforderlich sind eine sorgfältige Sachverhaltsermittlung, die Festlegung relevanter Kriterien und deren konsistente Anwendung im Einzelfall. Dokumentation und Nachvollziehbarkeit sind zentrale Elemente.
Begründung und Transparenz
Die Entscheidung soll die tragenden Auswahlgesichtspunkte benennen. Dies dient der Rechtsklarheit, der Nachprüfbarkeit und der Gleichbehandlung.
Gerichtliche Kontrolle
Gerichte prüfen, ob Grenzen und Zweck der Ermächtigung beachtet, alle relevanten Gesichtspunkte erfasst, sachfremde Erwägungen vermieden und die Grundsätze der Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit eingehalten wurden. Eine Ersetzung der behördlichen Abwägung durch eine eigene Auswahl findet nicht statt.
Rechtsfolgen von Ermessensfehlern
Bei Ermessensfehlern kann die Entscheidung aufgehoben werden. Häufig wird die Sache zur erneuten Auswahl zurückverwiesen. Entscheidend ist die Fehlerrelevanz für das Ergebnis.
Verhältnis zu verwandten Konzepten
Auswahlermessen und Beurteilungsspielraum
Beurteilungsspielräume betreffen Tatsachen- und Prognosefragen; Auswahlermessen betrifft die Rechtsfolge. Beide unterscheiden sich im Prüfungsmaßstab, können aber in einem Verfahren nebeneinander stehen.
Auswahlermessen und Organisationsermessen
Organisationsermessen betrifft interne Strukturen und Ressourcenzuteilung innerhalb der Verwaltung. Auswahlermessen richtet sich hingegen auf die konkrete Außenmaßnahme gegenüber Dritten.
Auswahlermessen und Opportunitätsprinzip
Das Opportunitätsprinzip beschreibt die Möglichkeit, nach Zweckmäßigkeit zu handeln, soweit die Rechtsordnung Spielräume eröffnet. Auswahlermessen ist die rechtliche Ausprägung dieses Prinzips bei der Wahl zwischen zulässigen Maßnahmen.
Internationale und europäische Bezüge
Einfluss unionsrechtlicher Vorgaben
Transparenz, Gleichbehandlung und das Verbot ungerechtfertigter Diskriminierung beeinflussen Auswahlentscheidungen, insbesondere bei Förderungen, Vergaben und grenzüberschreitenden Sachverhalten.
Mehrebenenverwaltung
Wo mehrere Verwaltungsebenen zusammenwirken, ist die Auswahlentscheidung oft an kooperative Verfahren und abgestimmte Kriterien gebunden. Einheitlichkeit und Nachprüfbarkeit stehen im Mittelpunkt.
Zusammenfassung
Auswahlermessen ist der rechtlich eingeräumte Spielraum der Verwaltung, unter mehreren zulässigen Optionen die passende Maßnahme oder den geeigneten Adressaten zu bestimmen. Es ist an Zweck, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit gebunden. Fehler führen nicht zu einer Ersetzung der Entscheidung, sondern zu erneuter Auswahl unter Beachtung der rechtlichen Maßstäbe. Transparenz, nachvollziehbare Kriterien und konsistente Anwendung bilden den Kern rechtmäßiger Auswahlentscheidungen.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet Auswahlermessen?
Auswahlermessen ist der Spielraum einer Behörde, unter mehreren rechtlich zulässigen Maßnahmen oder Adressaten die konkrete Option auszuwählen. Es betrifft die Gestaltung des Handelns, nachdem feststeht, dass eingegriffen oder gehandelt wird.
Wie unterscheidet sich Auswahlermessen vom Entschließungsermessen?
Entschließungsermessen betrifft die Entscheidung, ob überhaupt gehandelt wird. Auswahlermessen knüpft daran an und betrifft die Wahl der Mittel und des Adressaten. Beide Formen können in einem Verfahren nacheinander ausgeübt werden.
Welche Grenzen hat das Auswahlermessen?
Grenzen ergeben sich aus Gleichbehandlung, Verhältnismäßigkeit, Zweckbindung, dem Verbot sachfremder Erwägungen und der Pflicht zu einer nachvollziehbaren Abwägung. Die Entscheidung darf nicht willkürlich sein.
Was ist eine Ermessensreduzierung auf Null?
Sie liegt vor, wenn aufgrund der rechtlichen und tatsächlichen Umstände nur noch eine Entscheidung als rechtmäßig in Betracht kommt. Der sonst bestehende Spielraum ist faktisch auf eine Option beschränkt.
Wie prüfen Gerichte die Ausübung von Auswahlermessen?
Gerichte kontrollieren, ob die gesetzlichen Grenzen eingehalten, relevante Gesichtspunkte berücksichtigt und sachfremde Erwägungen vermieden wurden. Eine eigene Auswahlentscheidung wird nicht an die Stelle der behördlichen gesetzt.
Welche Rolle spielen ermessenslenkende Vorgaben?
Ermessenslenkende Vorgaben strukturieren die Auswahl durch vorab festgelegte Kriterien und fördern Gleichbehandlung. Sie dürfen den Einzelfall nicht verfehlen und binden nur im Rahmen der rechtlichen Grenzen.
Welche Folgen hat ein Ermessensfehler?
Ein Ermessensfehler kann zur Aufhebung der Entscheidung führen. Regelmäßig erfolgt eine erneute Entscheidung unter Beachtung der maßgeblichen Kriterien. Maßgeblich ist, ob der Fehler das Ergebnis beeinflusst hat.