Legal Lexikon

Aussteuerung

Aussteuerung: Bedeutung, Ablauf und rechtliche Einordnung

Als Aussteuerung wird im Sozialleistungsrecht der Zeitpunkt bezeichnet, an dem der Anspruch auf Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung für eine bestimmte Erkrankung endet. Dies ist der Fall, wenn die gesetzlich festgelegte Höchstdauer des Krankengeldbezugs ausgeschöpft ist. Die Aussteuerung markiert häufig einen Übergang zu anderen Absicherungen, etwa zu Leistungen der Arbeitsförderung, zur Rehabilitation oder zu einer Erwerbsminderungsrente. Der Begriff beschreibt somit keinen eigenständigen Leistungsanspruch, sondern das Ende eines bestehenden Anspruchs mit vielfältigen Folgewirkungen.

Ablauf und zeitliche Grenzen

Beginn und Dauer des Krankengeldbezugs

Bei Arbeitsunfähigkeit erhalten Beschäftigte zu Beginn in der Regel bis zu sechs Wochen Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Anschließend kann Krankengeld durch die gesetzliche Krankenversicherung gezahlt werden. Der Anspruch auf Krankengeld besteht für dieselbe Krankheit längstens bis zu 78 Wochen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren. Die Zeiträume einer vorausgehenden Entgeltfortzahlung werden dabei angerechnet, weil die Arbeitsunfähigkeit fortbesteht.

Blockfrist und Einordnung von Erkrankungen

Die Berechnung der Höchstdauer erfolgt innerhalb einer sogenannten Blockfrist. Diese beginnt mit dem ersten Tag der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit wegen der betreffenden Erkrankung und umfasst drei Jahre. Innerhalb dieser Frist werden alle Zeiten der Arbeitsunfähigkeit aufgrund derselben Ursache zusammengezählt. Treten mehrere Krankheiten gleichzeitig auf und führen gemeinsam zur Arbeitsunfähigkeit, können sie für die Anspruchsdauer wie eine einheitliche Ursache behandelt werden. Tritt eine neue, unabhängige Erkrankung auf, kann sie eine eigenständige Anspruchsbetrachtung auslösen.

Ende des Anspruchs und Mitteilungen

Mit Erreichen der Höchstdauer endet der Krankengeldanspruch für die betroffene Erkrankung. Die Krankenkasse informiert üblicherweise über den bevorstehenden Ablauf. Eine erneute Anspruchsprüfung erfolgt erst, wenn ein neuer Dreijahreszeitraum beginnt oder die Voraussetzungen für einen neuen Anspruch vorliegen.

Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis

Fortbestand des Arbeitsvertrags

Die Aussteuerung beendet das Arbeitsverhältnis nicht automatisch. Das Beschäftigungsverhältnis kann fortbestehen, auch wenn keine Entgeltzahlung und kein Krankengeld mehr erfolgt. Ob und in welchem Umfang Beschäftigte ihre Arbeitsleistung erbringen können, richtet sich nach dem Gesundheitszustand und ärztlichen Feststellungen.

Kündigungsrechtliche Aspekte und Schutzmechanismen

Eine Kündigung wegen Krankheit unterliegt strengen Voraussetzungen. Zu berücksichtigen sind insbesondere Dauer und Prognose der Erkrankung, Auswirkungen auf den Betrieb und die Interessenabwägung. Für länger erkrankte Beschäftigte ist zudem das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) von Bedeutung, das der Arbeitsplatzsicherung und der Überwindung von Arbeitsunfähigkeit dient. Weiterer Schutz kann sich aus besonderen persönlichen Merkmalen, wie einer anerkannten Schwerbehinderung, ergeben.

Stufenweise Wiedereingliederung

Die stufenweise Wiedereingliederung ermöglicht eine schrittweise Rückkehr an den Arbeitsplatz. Sie setzt fortbestehende Arbeitsunfähigkeit voraus und wird ärztlich begleitet. Während der Maßnahme werden Leistungen abhängig von der jeweils zuständigen Stelle getragen, etwa durch Krankenkasse, Rentenversicherung oder Arbeitgeber, sofern entsprechende Voraussetzungen erfüllt sind.

Leistungen nach der Aussteuerung

Arbeitslosengeld trotz eingeschränkter Verfügbarkeit (Nahtlosigkeit)

Nach der Aussteuerung kann ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehen, auch wenn die gesundheitliche Leistungsfähigkeit noch eingeschränkt ist. In solchen Fällen greift eine besondere Regelung, die eine Zahlung vorsieht, wenn die Erwerbsfähigkeit gemindert scheint und die endgültige Klärung durch die Rentenversicherung noch aussteht. Die Agentur für Arbeit stellt hierfür den Gesundheitszustand eigenständig fest und sichert den Lebensunterhalt bis zur Entscheidung über Reha- oder Rentenleistungen.

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und Erwerbsminderungsrente

Leistungen zur Rehabilitation verfolgen das Ziel, die Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen. Besteht voraussichtlich auf Dauer eine deutlich reduzierte Leistungsfähigkeit, kommt eine Erwerbsminderungsrente in Betracht. Die Rentenversicherung prüft hierfür die medizinischen Voraussetzungen sowie die verbliebene Arbeitsfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt. Es gilt der Grundsatz „Reha vor Rente“.

Grundsicherung für Arbeitsuchende (Bürgergeld)

Ist kein Anspruch auf Arbeitslosengeld gegeben oder erschöpft, kann eine Sicherung des Lebensunterhalts über die Grundsicherung für Arbeitsuchende in Betracht kommen. Hierbei werden Einkommen, Vermögen und Bedarf geprüft. Während des Leistungsbezugs sind Regelungen zur Mitwirkung und zur gesundheitlichen Leistungsfeststellung zu beachten.

Übergangsgeld während Rehabilitationsleistungen

Während medizinischer oder beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen kann Übergangsgeld geleistet werden. Es überbrückt Zeiten, in denen aufgrund der Maßnahme kein Arbeitsentgelt erzielt wird, und richtet sich nach der vormaligen Einkommenssituation sowie dem Maßnahmeträger.

Medizinische Begutachtung und Mitwirkung

Feststellung der Arbeitsunfähigkeit

Die Arbeitsunfähigkeit wird ärztlich festgestellt. Die Krankenkasse kann den Medizinischen Dienst mit einer Begutachtung beauftragen. Dessen Einschätzung hat wesentlichen Einfluss auf die Leistungsgewährung, die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit und auf Entscheidungen zur Aussteuerung.

Mitwirkungsobliegenheiten

Leistungsberechtigte haben Mitwirkungspflichten, etwa zur Vorlage von Bescheinigungen, zur Teilnahme an Begutachtungen oder zur Offenlegung medizinischer Unterlagen im erforderlichen Umfang. Unterbleibt die Mitwirkung, können Leistungen ruhen oder versagt werden.

Krankenversicherung und Beiträge

Mitgliedschaft nach der Aussteuerung

Nach Ende des Krankengeldes bleibt die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung zunächst bestehen. Ohne anderweitige Absicherung entsteht regelmäßig eine freiwillige Weiterversicherung mit Beitragspflicht. In bestimmten Fällen kommt eine beitragsfreie Familienversicherung in Betracht, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind.

Beiträge bei anderen Leistungen

Während des Bezugs von Arbeitslosengeld trägt die Agentur für Arbeit die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Beim Bezug von Bürgergeld werden die Beiträge über die zuständige Stelle sichergestellt. Bei Übergangsgeld während Rehabilitationsmaßnahmen ist die Absicherung über den jeweiligen Leistungsträger geregelt.

Besondere Konstellationen

Teilzeit, Minijob und selbstständige Tätigkeiten

Bei Teilzeit und Minijob gelten die Grundsätze zur Aussteuerung entsprechend, sofern eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung mit Krankengeldanspruch besteht. Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung haben nur dann Anspruch auf Krankengeld, wenn ein entsprechender Wahltarif oder eine Option gewählt wurde; die Höchstdauer und das Prinzip der Aussteuerung gelten dann sinngemäß.

Mehrere Erkrankungen und Kassenwechsel

Ein Wechsel der Krankenkasse beeinflusst laufende Blockfristen nicht; sie knüpfen an die Person und die Erkrankung an. Mehrere gleichzeitig bestehende Erkrankungen werden im Rahmen der Anspruchsprüfung daraufhin bewertet, ob sie gemeinsam zur Arbeitsunfähigkeit führen oder getrennt zu betrachten sind.

Schutzzeiten bei Schwangerschaft und Mutterschaft

Während gesetzlich geschützter Zeiten rund um Geburt und Mutterschutz ruht das Krankengeld in der Regel, weil vorrangige Leistungen gewährt werden. Dies kann den zeitlichen Verlauf von Ansprüchen beeinflussen, ohne die grundsätzliche Systematik der Aussteuerung zu ändern.

Schwerbehinderung

Bei anerkannter Schwerbehinderung können besondere Schutzrechte, etwa ein erweiterter Kündigungsschutz und Beteiligungsrechte weiterer Stellen, relevant sein. Diese wirken sich nicht unmittelbar auf die Dauer des Krankengeldes aus, sind jedoch für die arbeitsrechtliche Situation bedeutsam.

Abgrenzung des Begriffs

Unterschied zu Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsminderung

Arbeitsunfähigkeit beschreibt die vorübergehende Unfähigkeit, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auszuüben. Erwerbsminderung bezieht sich auf die allgemeine Leistungsfähigkeit am Arbeitsmarkt. Aussteuerung meint demgegenüber ausschließlich das Ende der Krankengeldzahlung nach Ausschöpfung der Höchstdauer; sie trifft keine Aussage über die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit oder eine dauerhafte Erwerbsminderung.

Abgrenzung zu nicht-rechtlichen Bedeutungen

Der Begriff „Aussteuerung“ wird außerhalb des Sozialrechts unter anderem in der Tontechnik (Pegelsteuerung) und umgangssprachlich als „Aussteuer“ bei Eheschließungen verwendet. Diese Bedeutungen stehen in keinem Zusammenhang mit dem hier behandelten Ende des Krankengeldbezugs.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet Aussteuerung im Zusammenhang mit Krankengeld?

Aussteuerung bezeichnet das Ende des Anspruchs auf Krankengeld für eine bestimmte Erkrankung, weil die gesetzlich vorgesehene Höchstdauer erreicht ist. Sie markiert häufig den Übergang zu anderen Absicherungen, etwa Arbeitslosengeld bei eingeschränkter Verfügbarkeit, Rehabilitationsleistungen oder eine Erwerbsminderungsrente.

Wie wird die Drei-Jahres-Blockfrist berechnet?

Die Blockfrist beginnt mit dem ersten Tag der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit wegen der betreffenden Erkrankung und dauert drei Jahre. Innerhalb dieser Frist werden alle Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Ursache zusammengezählt. Zeiten der Entgeltfortzahlung zu Beginn zählen zur Frist, auch wenn in dieser Zeit kein Krankengeld gezahlt wird.

Endet das Arbeitsverhältnis automatisch mit der Aussteuerung?

Nein. Die Aussteuerung betrifft den Krankengeldanspruch, nicht den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsverhältnis kann fortbestehen. Arbeitsrechtliche Maßnahmen richten sich nach den allgemeinen Voraussetzungen, einschließlich der Anforderungen an krankheitsbedingte Kündigungen und der Bedeutung des betrieblichen Eingliederungsmanagements.

Kann Arbeitslosengeld bezogen werden, obwohl noch Arbeitsunfähigkeit besteht?

Ja, hierfür besteht eine besondere Regelung. Sie ermöglicht Arbeitslosengeld, wenn die Leistungsfähigkeit gesundheitlich eingeschränkt ist, die Erwerbsfähigkeit aber noch nicht abschließend geklärt wurde. Die Agentur für Arbeit prüft dabei eigenständig den Gesundheitszustand und sichert den Lebensunterhalt bis zu einer Entscheidung über Reha- oder Rentenleistungen.

Wann ist eine Erwerbsminderungsrente relevant?

Eine Erwerbsminderungsrente kommt in Betracht, wenn die allgemeine Leistungsfähigkeit am Arbeitsmarkt dauerhaft deutlich reduziert ist. Im Vorfeld wird regelmäßig geprüft, ob Rehabilitationsleistungen die Erwerbsfähigkeit wiederherstellen können. Erst wenn Reha nicht ausreicht, ist eine Rente angezeigt.

Wie ist die Krankenversicherung nach der Aussteuerung gesichert?

Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht fort. Ohne anderweitige Leistungen erfolgt in der Regel eine freiwillige Weiterversicherung mit Beitragspflicht. Bei Arbeitslosengeld oder Bürgergeld werden die Beiträge von den zuständigen Stellen getragen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Familienversicherung möglich.

Zählen neue Erkrankungen auf die 78-Wochen-Grenze mit?

Unabhängige neue Erkrankungen werden grundsätzlich gesondert betrachtet. Führen mehrere Erkrankungen gemeinsam zur Arbeitsunfähigkeit, können sie zusammengefasst werden. Maßgeblich ist die medizinische Einordnung, ob es sich um dieselbe Ursache oder um eigenständige Leiden handelt.

Welche Rolle spielt das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM)?

Das BEM dient dazu, Beschäftigten nach längerer Krankheit Wege zur Rückkehr in das Arbeitsleben zu eröffnen und erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen. Es ist für die Frage des Kündigungsschutzes bedeutsam, ändert aber nichts an der Höchstdauer des Krankengeldes und damit auch nicht unmittelbar an der Aussteuerung.