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Aussetzung des Strafausspruchs


Aussetzung des Strafausspruchs

Die Aussetzung des Strafausspruchs ist ein Begriff aus dem deutschen Strafprozessrecht. Er bezeichnet die gerichtliche Entscheidung, den endgültigen Ausspruch über die Art und Höhe einer Strafe zunächst zurückzustellen, um noch bestehende Zweifel über die Schuld oder über bestimmende Umstände für die Strafzumessung aufzuklären. Die Aussetzung des Strafausspruchs unterscheidet sich wesentlich von der Aussetzung der Vollstreckung einer Strafe zur Bewährung und ist in ihrer rechtlichen Ausgestaltung streng geregelt.


Rechtsgrundlagen

Die Aussetzung des Strafausspruchs ist gesetzlich insbesondere in der Strafprozessordnung (StPO) normiert. Maßgeblich hierfür ist § 265 Abs. 4 StPO. Ziel ist es, im Strafverfahren die Feststellung der schuldhaften Verantwortlichkeit sowie aller entscheidungserheblichen Tatsachen vor dem Urteil abschließend zu klären.

§ 265 Abs. 4 StPO

Nach § 265 Abs. 4 StPO kann das Gericht, wenn noch entscheidungserhebliche Tatsachen aufzuklären sind – beispielsweise über den Zustand des Angeklagten zur Tatzeit oder über weitere Schuld- und Strafzumessungstatsachen -, das Verfahren durch Urteil auf die Schuld- oder Tatfrage beschränken und den Strafausspruch aussetzen. In diesen Fällen spricht man auch von einem sogenannten „Teilurteil“.


Zweck der Aussetzung des Strafausspruchs

Die Aussetzung des Strafausspruchs soll gewährleisten, dass keine vorschnelle oder rechtsfehlerhafte Entscheidung über die Sanktion des Angeklagten getroffen wird. Sie dient dem Schutz des Angeklagten und dem Grundsatz des fairen Verfahrens sowie der materiellen Gerechtigkeit.

Die wichtigsten Zwecke im Überblick:

  • Verhinderung eines rechtsfehlerhaften Urteils bei noch ungeklärten, die Strafe betreffenden Tatsachen
  • Sicherstellung, dass die Strafe auf einer vollständigen und zutreffenden Sachverhaltsgrundlage basiert
  • Möglichkeit der Fortsetzung eines begonnenen Verfahrens hinsichtlich der Strafzumessung, ohne die Feststellungen zur Schuldfrage neu treffen zu müssen

Anwendungsfälle

Die gerichtliche Praxis kennt verschiedene Konstellationen, in denen eine Aussetzung des Strafausspruchs geboten sein kann:

1. Zweifel an der Schuldfähigkeit

Bestehen während der Hauptverhandlung Zweifel an der Schuldfähigkeit des Angeklagten, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche erheblich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) oder Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB), kann es erforderlich sein, die Schuldfrage und die Voraussetzung für eine Strafe genauer aufzuklären. In einem solchen Fall wird zunächst ein Feststellungsurteil über die Tat selbst („Schuldspruch“) gefällt; der Strafausspruch wird bis zur Sachaufklärung ausgesetzt.

2. Ungewisse Voraussetzungen für Strafrahmenverschiebungen

Sind die tatsächlichen Voraussetzungen für gesetzliche Milderungsgründe oder Strafschärfungen nicht abschließend geklärt, kann eine Aussetzung des Strafausspruchs ebenfalls erfolgen.

3. Nachträglich eingetretene, strafmildernde oder -erhöhende Umstände

Treten nach Abschluss der Hauptverhandlung, aber vor dem Urteil, Umstände auf, die maßgeblichen Einfluss auf die Strafzumessung haben (z. B. ein umfassendes Geständnis oder neue Belastungen/Entlastungen), kann der Strafausspruch ausgesetzt werden, um diesen Einfluss zu prüfen.


Verfahren bei der Aussetzung des Strafausspruchs

Ablauf

  1. Feststellung der aufzuklärenden Tatsache: Das Gericht erkennt, dass für die Strafzumessung unerlässliche Tatsachen noch ungeklärt sind.
  2. Urteil über den Schuld- oder Tatbestand: Das Gericht spricht ein Teilurteil über die Schuldfrage.
  3. Aussetzung der Entscheidung über die Strafe: Die Entscheidung über Strafform und Strafmaß wird zurückgestellt.
  4. Weitere Aufklärung/Beschaffung von Beweisen: Während der Aussetzungsphase werden die fehlenden Tatsachen weiter aufgeklärt (z. B. durch Einholung von Sachverständigengutachten).
  5. Nachholung des Strafausspruchs: Nach Abschluss der weiteren Tatsachenermittlung erfolgt die Entscheidung über die Strafe in einer gesonderten Hauptverhandlung.

Bindungswirkung

Das in der ersten Instanz (beispielsweise durch ein Landgericht) ausgesprochene Erkenntnis zur Schuldfrage ist grundsätzlich bindend. Im Rahmen der Nachholung der Strafzumessung werden nur die strafrelevanten Tatsachen erneut geprüft, nicht aber die bereits festgestellte Schuld.


Rechtliche Bedeutung und Abgrenzung

Abgrenzung zur Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung

Die Aussetzung des Strafausspruchs beschränkt sich auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Voraussetzungen die Entscheidung über die Strafe getroffen wird. Macht das Gericht später von der Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung Gebrauch (§§ 56 ff. StGB), steht dies am Ende des Verfahrens, nachdem sämtliche Umstände aufgeklärt wurden und eine Entscheidung über die Strafe selbst getroffen wurde.

Abgrenzung zum Freispruch und vorläufigen Einstellung

Im Gegensatz zum Freispruch, bei dem dem Angeklagten die Tat nicht nachgewiesen werden kann oder ein Rechtfertigungsgrund greift, wird bei der Aussetzung des Strafausspruchs die Schuldfrage bereits entschieden. Ein Unterschied zur vorläufigen Einstellung (§ 153a StPO) besteht darin, dass das Verfahren nicht beendet, sondern nur hinsichtlich des Strafmaßes prozessual unterbrochen wird.


Rechtsfolgen und Wirkung im Rechtsmittelverfahren

Nach der Nachholung des Strafausspruchs ist das Urteil vollumfänglich im Instanzenzug anfechtbar. Rechtsmittel richten sich sowohl gegen den bereits entschiedenen Schuldspruch als auch gegen die nachgeholte Strafzumessungsentscheidung. Die betroffenen Parteien können Revision oder Berufung hinsichtlich beider Aspekte einlegen.


Praxisbeispiele

  • Im Fall einer Körperverletzung mit Todesfolge, bei der zunächst die Zurechnungsfähigkeit des Täters fraglich ist, kann die Strafkammer zunächst lediglich feststellen, dass der Angeklagte die Tat begangen hat, und die eigentliche Strafzumessung aussetzen, bis beispielsweise ein psychiatrisches Gutachten vorliegt.
  • Kommt während der Verhandlung eines Betrugsverfahrens heraus, dass über die Höhe des Schadens und damit über die Strafzumessung noch weitere Beweise erhoben werden müssen, kann der Strafausspruch suspendiert werden.

Fazit

Die Aussetzung des Strafausspruchs ist ein wesentliches Instrument der deutschen Strafprozessordnung und dient der Sicherstellung einer rechtsstaatlichen und gerechten Strafzumessung. Sie garantiert, dass das Gericht seine Entscheidung erst trifft, wenn der Sachverhalt umfassend und vollständig aufgeklärt ist. Infolge der strikten gesetzlichen Vorgaben und der rechtlichen Bindungswirkungen ist die Anwendung dieses Verfahrenschritts klar reglementiert und unterliegt strenger Kontrolle im Instanzenzug.


Siehe auch:

  • Strafzumessung
  • Strafprozessordnung (StPO)
  • Teilurteil im Strafverfahren
  • Bindungswirkung im Strafprozess

Literaturhinweis:
Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 66. Auflage, § 265 Rn. 41 ff.
Fischer, Strafgesetzbuch, 71. Auflage, § 21 Rn. 38d.
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 265 Rn. 51.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für die Aussetzung des Strafausspruchs vorliegen?

Die Aussetzung des Strafausspruchs erfordert das Vorliegen bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen, die im Einzelfall geprüft werden müssen. Maßgeblich ist, ob die Rechtslage bei Aburteilung unklar gewesen ist, ernsthafte Zweifel an der Schuld oder Strafzumessung bestehen oder neue Tatsachen oder Beweismittel hervorgetreten sind, die zu einem milderen Urteil führen könnten. Zudem wird die Aussetzung häufig im Zusammenhang mit einer Vorlage an ein höheres Gericht oder bei drohenden Revisionserfolgen diskutiert. Wesentlich ist stets, dass die Rechtsunsicherheit oder die ungeklärte Sachlage so gravierend ist, dass trotz Schuldfeststellung eine abschließende Strafentscheidung nicht möglich oder nicht sachgerecht erscheint. Die gerichtliche Entscheidung zur Aussetzung erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen unter besonderer Beachtung des gesetzlich verankerten Schuldprinzips und des fairen Verfahrens.

In welchen Fällen kann ein Gericht den Strafausspruch aussetzen?

Die Aussetzung des Strafausspruchs kommt insbesondere in Konstellationen in Betracht, in denen zum Beispiel im Strafbefehlsverfahren das Einspruchsverfahren noch aussteht oder im Falle zulässiger Sprungrevision, bei welcher bereits Zweifel an der Sachverhaltswürdigung oder an der rechtlichen Einordnung bestehen. Auch kann ein Strafausspruch ausgesetzt werden, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer zu klärenden Vorfrage abhängt, etwa wenn Verfassungsbeschwerden anhängig sind oder die Entscheidung eines übergeordneten Gerichts (wie des Bundesgerichtshofs) abgewartet werden muss. Ebenfalls üblich ist die Aussetzung, wenn zu erwarten ist, dass im Anschluss an ein Urteil weitere Erkenntnisse aus verbundenen Ermittlungs- oder Strafverfahren auf die Beurteilung Einfluss haben könnten.

Wie wirkt sich die Aussetzung des Strafausspruchs auf das Verfahren aus?

Durch die Aussetzung wird das Verfahren in Bezug auf den konkreten Strafausspruch zum Stillstand gebracht bzw. unterbrochen, wodurch keine Endentscheidung über das Strafmaß oder die Art der Sanktion getroffen wird. Dies betrifft jedoch regelmäßig nur den zu beurteilenden Strafausspruch selbst, während Feststellungen zur Schuld bereits getroffen und Bestand haben können. Die Aussetzung dient dabei dazu, eine möglicherweise fehlerhafte oder vorschnelle strafrechtliche Sanktionierung zu vermeiden, bis die noch offenen Aspekte abschließend geklärt sind. Das Verfahren verbleibt insoweit im Schwebezustand, wobei das Gericht regelmäßig prüft, ob der Aussetzungsgrund noch fortbesteht oder zwischenzeitlich eine abschließende Entscheidung möglich ist.

Kann ein Angeklagter gegen die Aussetzung des Strafausspruchs Rechtsmittel einlegen?

Ob und in welchem Umfang gegen die Aussetzung des Strafausspruchs Rechtsmittel möglich sind, richtet sich nach dem Verfahrensstadium und dem betroffenen Rechtsgut. Da es sich bei der Aussetzung in der Regel um eine prozessleitende Verfügung oder Entscheidung handelt, ist sie grundsätzlich nicht selbständig mit der Revision oder Beschwerde anfechtbar, sondern nur zusammen mit dem Endurteil. In Ausnahmefällen kann jedoch bei Ermessensmissbrauch oder Rechtsverletzungen ein Antrag auf Fortführung des Verfahrens oder eine Beschwerde statthaft sein, wobei dies genauer anhand der jeweiligen Prozessordnung – etwa der Strafprozessordnung (StPO) – zu prüfen ist.

Welche Folgen hat eine fehlerhafte Aussetzung des Strafausspruchs?

Eine unrechtmäßige oder unbegründete Aussetzung des Strafausspruchs kann erhebliche prozessuale und materielle Auswirkungen haben. Zum einen kann der Rechtsweg für die betroffene Person verzögert werden, zum anderen besteht die Gefahr der Verjährung oder eines unfairen Verfahrens. Bei einer darauf gestützten Revision oder Beschwerde kann das übergeordnete Gericht die fehlerhafte Aussetzung aufheben und eine Fortsetzung des Strafverfahrens anordnen oder – bei erheblichen Verfahrensverstößen – sogar die Verfahrenseinstellung oder Aufhebung des gesamten Urteils veranlassen. Die gerichtliche Fehlerkontrolle ist vor allem dann angezeigt, wenn schwerwiegende Grundrechtsverletzungen im Raum stehen.

Wie lange kann eine Aussetzung des Strafausspruchs längstens andauern?

Die Dauer der Aussetzung ist gesetzlich nicht starr normiert und richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Falles. Maßgebend ist das Erfordernis der Verfahrensbeschleunigung und des fairen Strafprozesses. Sobald die aussetzenden Gründe – etwa eine ausstehende Entscheidung eines anderen Gerichts oder das Eintreten neuer Beweismittel – weggefallen sind, hat das Gericht die unterbrochene Hauptverhandlung oder das Urteil fortzuführen und den Strafausspruch zu treffen. Das Gericht ist dabei verpflichtet, regelmäßig zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für eine weitere Aussetzung noch vorliegen und gegebenenfalls eigene Maßnahmen zur Beschleunigung zu treffen. Unverhältnismäßig lange Aussetzungen können einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot darstellen und zu Rechtsschutzansprüchen der Beteiligten führen.

Welche Rolle spielen neue Beweise für die Aussetzung des Strafausspruchs?

Neue Beweise oder nachträglich bekanntgewordene Tatsachen, die für die Beurteilung der Schuld oder für die Strafzumessung erheblich sind, bilden einen klassischen Aussetzungsgrund. Insbesondere dann, wenn diese Beweise geeignet sind, die Feststellungen zum Täterverhalten, zu Strafzumessungsaspekten oder zur rechtlichen Würdigung grundlegend zu verändern, darf der Strafausspruch nicht endgültig erfolgen, bevor die neuen Erkenntnisse umfassend geprüft und gewürdigt wurden. Ein weiteres Zuwarten ist insbesondere angezeigt, wenn die Beweiserhebung kurzfristig erwartet werden kann oder absehbar ist, dass diese Umstände eine erhebliche Auswirkungen auf die Rechtsfolge haben könnten. Auch hier gilt das Prinzip der materiellen Wahrheit und der umfassenden Sachverhaltsaufklärung als Leitgedanke.