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Außergerichtliche Streitbeilegung


Begriffsbestimmung und grundlegende Einordnung der Außergerichtlichen Streitbeilegung

Die Außergerichtliche Streitbeilegung (englisch: Alternative Dispute Resolution, kurz ADR) umfasst sämtliche Verfahren und Praktiken, durch die Rechtsstreitigkeiten zwischen Parteien ohne Einschaltung der ordentlichen Gerichte gelöst werden. Ziel dieser Verfahren ist es, den Parteien eine schnellere, kostengünstigere und häufig flexiblere Möglichkeit der Konfliktlösung anzubieten, als es im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens möglich wäre. In vielfältigen Rechtsgebieten, wie im Zivilrecht, Verbraucherrecht, Wirtschaftsrecht oder Arbeitsrecht, stellt die außergerichtliche Beilegung von Konflikten eine regelmäßig anerkannte Mittel dar, um Eskalationen zu vermeiden und tragfähige Lösungen zu erzielen.

Historische Entwicklung und rechtlicher Hintergrund

Ursprung und Entwicklung

Die außergerichtliche Streitbeilegung hat eine lange Tradition, die bis zu antiken Gesellschaften zurückreicht. In der Moderne gewann sie vor allem ab dem späten 20. Jahrhundert stetig an Bedeutung, insbesondere durch steigende Belastung der Gerichtsbarkeit und der Wunsch vieler Parteien nach effektiveren Konfliktlösungsinstrumenten. Den entscheidenden Aufschwung in Europa erhielt die außergerichtliche Streitbeilegung durch diverse europäische Richtlinien sowie die Förderung alternativer Verfahren im nationalen Recht.

Gesetzliche Grundlagen in Deutschland und Europa

In Deutschland gibt es unterschiedliche gesetzliche Regelungen, die außergerichtliche Verfahren regeln oder zur Anwendung empfehlen. Zu den wichtigsten zählen:

  • Mediationsgesetz (MediationsG): Regelt die Förderung der Mediation als einem eigenständigen Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung.
  • §§ 278, 278a Zivilprozessordnung (ZPO): Enthalten spezielle Regelungen zur gerichtlichen Mediation und außergerichtlichen Streitschlichtung.
  • Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG): Führt Schlichtungsstellen für Verbraucherstreitigkeiten ein und verpflichtet Unternehmen zur Information über die Bereitschaft, an einem solchen Verfahren teilzunehmen.
  • Richtlinie 2013/11/EU über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten: Vorgibt europaweite Mindeststandards zur Förderung außergerichtlicher Streitschlichtungsverfahren.

Verfahren und Formen außergerichtlicher Streitbeilegung

Mediation

Die Mediation ist ein strukturiertes Verfahren, bei dem ein neutraler Dritter (Mediator) beide Parteien unterstützt, eigenverantwortlich eine einvernehmliche Lösung ihres Konflikts zu erarbeiten. Die Beteiligten bestimmen den Verlauf und das Ergebnis selbst und sichern so die Nachhaltigkeit einer wahrt, meist verbindlich protokollierten Vereinbarung.

Rechtliche Besonderheiten:

  • Die Mediation ist freiwillig und vertraulich.
  • Das Mediationsgesetz regelt Mindeststandards, Rechte und Pflichten der beteiligten Personen.
  • Die erzielte Einigung kann rechtlich verbindlich gestaltet werden, beispielsweise durch einen vollstreckbaren Vergleich.

Schlichtung (Schiedsverfahren)

Bei der Schlichtung unterstützt eine neutrale Stelle (Schlichter oder Schlichtungskommission) dabei, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Im Gegensatz zum Schiedsverfahren gibt der Schlichter einen unverbindlichen Lösungsvorschlag ab.

Rechtliche Besonderheiten:

  • Die Teilnahme am Schlichtungsverfahren ist meist freiwillig, in bestimmten Streitfällen jedoch gesetzlich vorgeschrieben (z. B. bei Nachbarschaftsstreitigkeiten in einigen Bundesländern).
  • Schlichtungseinrichtungen (z. B. Verbraucherschlichtungsstellen) unterliegen besonderen Zulassungsvoraussetzungen nach dem VSBG.

Schiedsverfahren

Das Schiedsverfahren ist ein privates, formelles Streitbeilegungsverfahren, bei dem die Parteien einen oder mehrere Schiedsrichter auswählen. Die Entscheidung (Schiedsspruch) ist rechtlich bindend und kann wie ein gerichtliches Urteil vollstreckt werden.

Rechtliche Besonderheiten:

  • Schiedsverfahren werden nach den Regeln der Zivilprozessordnung (§§ 1025 ff. ZPO) durchgeführt.
  • Schiedsabreden sind bei vielen Vertragspartnern in bekannten Wirtschaftsverträgen üblich.
  • Ein Schiedsspruch bindet die Parteien wie ein gerichtliches Urteil und wird durch staatliche Gerichte nur in Ausnahmefällen aufgehoben.

Ombudswesen

Im Ombudswesen steht den Parteien eine neutrale Beschwerdestelle zur Verfügung, welche eigenständig zur Lösung beitragen kann. Ombudspersonen sind häufig in Branchen mit starkem Verbraucherbezug (z. B. Versicherungen, Banken, Telekommunikation) etabliert.

Rechtliche Besonderheiten:

  • Verfahren sind meist freiwillig und oft kostenlos.
  • Empfehlungen des Ombudsmannes sind in der Regel unverbindlich, gelegentlich aber für den Unternehmer bindend, sofern sich dieser freiwillig dazu verpflichtet hat.

Weitere Formen

Je nach Rechtsgebiet existieren weitere spezielle außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren, u.a. Adjudikation (im Bauwesen), Gütestellen-Verfahren oder Collaborative Law (Zusammenarbeit mit neutralen Dritten in Familien- oder Erbstreitigkeiten).

Ablauf und Charakteristika außergerichtlicher Streitbeilegung

Verfahrensablauf

Der allgemeine Ablauf einer außergerichtlichen Streitbeilegung umfasst in der Regel folgende Phasen:

  1. Einleitung des Verfahrens durch Antrag einer Partei oder gemeinsam;
  2. Auswahl der geeigneten Verfahrensform sowie eines neutralen Dritten;
  3. Durchführung von Gesprächen, Verhandlungen oder Anhörungen;
  4. Herbeiführung, Protokollierung und ggf. Vollstreckung einer Einigung.

Vorteile der außergerichtlichen Streitbeilegung

  • Zeitersparnis: Verfahren dauern oft erheblich kürzer als Gerichtsprozesse.
  • Kostengünstige Lösungen: Vermeidung hoher Gerichts- und Anwaltskosten.
  • Vertraulichkeit: Die Vertraulichkeit ist grundsätzlich gewahrt, Streitigkeiten dringen nicht ohne Weiteres an die Öffentlichkeit.
  • Erhalt der Geschäftsbeziehung: Die kooperationsorientierte Lösungsfindung fördert den Erhalt oder die Wiederherstellung geschäftlicher und privater Beziehungen.
  • Flexibilität: Parteien beeinflussen aktiv den Ablauf und das Ergebnis.

Nachteile und Grenzen

  • Fehlender Zwang: Ohne Einigungsbereitschaft der Parteien ist eine Beilegung nicht erzwingbar (außer Schiedsverfahren).
  • Unverbindlichkeit: Nicht alle Verfahren führen zu rechtlich durchsetzbaren Ergebnissen.
  • Kein Präzedenzfall: Es entsteht keine öffentliche Bindung oder Grundsatzentscheidung, wie sie ein Gerichtsurteil bieten kann.

Anwendungsbereiche und Praxisrelevanz

Verbraucherstreitigkeiten

Im Verbraucherrecht sieht das deutsche VSBG vor, dass Verbraucher und Unternehmen Streitigkeiten bei speziellen Schlichtungsstellen außergerichtlich klären können. Die Teilnahme ist für Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtend.

Wirtschaft und Handel

Im Wirtschaftsrecht ist das Schiedsverfahren von großer Relevanz, etwa bei internationalen Handelsverträgen. Viele Unternehmen bevorzugen Schiedsgerichte wegen Vertraulichkeit und Fachkenntnis der Schiedsrichter.

Arbeitsrecht

Im Arbeitsrecht finden sich außergerichtliche Einigungsstellen und betriebliche Schlichtungsverfahren, deren Durchführung in Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen geregelt ist.

Familien- und Erbrecht

In diesem Bereich ist die Mediation ein etabliertes Instrument, um familieninterne Konflikte ohne gerichtliches Verfahren zu lösen.

Internationale Dimension der außergerichtlichen Streitbeilegung

Auch auf internationaler Ebene existieren anerkannte Institutionen und Vereinbarungen zu außergerichtlichen Verfahren, u.a.:

  • New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (1958)
  • Institutionen wie der Internationale Schiedsgerichtshof (ICC), das Londoner Court of International Arbitration (LCIA) oder die UNCITRAL-Regeln.

Gerade bei grenzüberschreitenden Sachverhalten bieten diese Mechanismen eine wirksame Möglichkeit zur Streitbeilegung ohne nationale Gerichte.

Fazit und rechtspolitische Bewertung

Die außergerichtliche Streitbeilegung bietet ein umfangreiches und vielfältiges Instrumentarium zur Lösung von Konflikten. Durch den Ausbau gesetzlicher Grundlagen und die europäische Rechtsprechung werden ADR-Verfahren weiter gefördert. Die Wahl des passenden Instruments sollte stets an der Streitfrage, dem Interesse an einer nachhaltigen Beziehung und der Verhandlungsbereitschaft aller Beteiligten ausgerichtet werden. Insbesondere in Bereichen mit hohen fachlichen oder internationalen Anforderungen hat sich die außergerichtliche Streitbeilegung als flexible und effiziente Alternative zum Gerichtsverfahren etabliert.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechtswirkungen hat eine außergerichtliche Streitbeilegung?

Die außergerichtliche Streitbeilegung führt grundsätzlich dazu, dass zwischen den Parteien eine verbindliche Einigung erzielt werden kann, die in Form eines Vergleichs oder einer vertraglichen Regelung niedergelegt wird. Diese Einigung hat zunächst privatrechtliche Wirkung, das bedeutet, sie entfaltet Bindungswirkung ausschließlich zwischen den beteiligten Parteien. Ein rechtskräftig abgeschlossener Vergleich, beispielsweise im Rahmen einer Mediation, kann – sofern die Parteien dies verlangen – notariell beurkundet oder vor einer anerkannten Schlichtungsstelle protokolliert werden, wodurch er gegebenenfalls vollstreckbar wird (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Wird die getroffene Vereinbarung nicht eigenständig von den Parteien erfüllt, kann die Vollstreckung nur erfolgen, wenn zuvor ein vollstreckbarer Titel geschaffen wurde. Die Einigung kann in vielen Fällen eine spätere gerichtliche Klärung verhindern und führt regelmäßig zur Erledigung der Streitigkeit. Allerdings bleibt es jedem Beteiligten, sofern kein vollstreckbarer Titel vorliegt oder die Vereinbarung unwirksam oder sittenwidrig ist, unbenommen, im Streitfall doch noch gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Ist die Teilnahme an einer außergerichtlichen Streitbeilegung verpflichtend?

Im Regelfall ist die Teilnahme an einem außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren wie der Mediation oder Schlichtung freiwillig. Eine Verpflichtung ergibt sich nur in Ausnahmefällen, wenn dies gesetzlich vorgesehen oder vertraglich ausdrücklich vereinbart wurde. In manchen Bereichen sieht das Gesetz eine vorgerichtliche Streitbeilegung vor, zum Beispiel im Nachbarrecht (§ 15a EGZPO) oder bei bestimmten Verbraucherstreitigkeiten gemäß dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG). Hier müssen die Parteien zunächst versuchen, eine außergerichtliche Einigung zu erzielen, bevor ein Gericht angerufen werden darf („Obligatorium“). Fehlt eine solche Vorschrift, kann niemand gezwungen werden, an einer außergerichtlichen Streitbeilegung teilzunehmen. Die freiwillige Einleitung und Teilnahme fördert jedoch grundsätzlich das Ziel, langwierige und kostenintensive gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Wie ist das Verhältnis zwischen außergerichtlicher Streitbeilegung und Verjährung?

Die Einleitung eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens – beispielsweise Mediation, Schlichtung oder Gütestelle – kann die Verjährung eines Anspruchs hemmen (§ 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB). Die Hemmung beginnt mit der Einreichung des Antrags auf Durchführung des außergerichtlichen Verfahrens und endet regelmäßig spätestens sechs Monate nach dessen Beendigung. Wichtig ist, dass die Streitbeilegungsstelle oder der beauftragte Mediator über die Streitigkeit tatsächlich tätig werden muss – eine bloße Verhandlungsaufnahme zwischen den Parteien bewirkt in der Regel noch keine Hemmung. Wird nach Abschluss des außergerichtlichen Verfahrens keine Einigung erzielt, bleibt den Parteien der Weg vor Gericht offen, wobei während der Zeit des Verfahrens keine Verjährung des geltend gemachten Anspruchs eintritt.

Können im Rahmen einer außergerichtlichen Streitbeilegung Beweise gesichert oder erhoben werden?

Außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren dienen vorrangig der Verhandlung und Einigung, nicht der Beweiserhebung im prozessualen Sinn. Es können zwar Tatsachen und Beweismittel zwischen den Parteien diskutiert und dargelegt werden, eine formelle Beweissicherung – wie sie beispielsweise im selbständigen Beweisverfahren (§§ 485ff. ZPO) besteht – findet jedoch nicht statt. Es ist den Parteien grundsätzlich unbenommen, im Rahmen der Verhandlungen Gutachten, Sachverständigenmeinungen oder Urkunden beizuziehen, doch ersetzen diese keineswegs eine gerichtliche Beweisaufnahme. Sollte sich im Verfahren herausstellen, dass eine Beweissicherung erforderlich ist, bleibt der Weg zu einem entsprechenden gerichtlichen Verfahren offen.

Welche Rolle spielen Mediatoren oder Schlichter im rechtlichen Sinne?

Mediatoren, Schlichter oder Gütestellen nehmen eine vermittelnde und unterstützende Rolle ein, indem sie die Parteien bei der eigenverantwortlichen Findung einer Lösung begleiten. Sie besitzen im Gegensatz zu Richtern keine Entscheidungskompetenz oder richterliche Gewalt. Ein Mediator ist zur Neutralität verpflichtet und darf keine Partei bevorzugen; er sorgt dafür, dass die Kommunikation sachlich abläuft und Lösungen rechtskonform und praktikabel erarbeitet werden. Schlichter können – im Unterschied zum Mediator – Vorschläge für eine Einigung unterbreiten, aber auch sie verfügen nicht über Entscheidungsbefugnisse. Die rechtlichen Vorgaben für Mediatoren ergeben sich unter anderem aus dem Mediationsgesetz und weiteren Verfahrensordnungen für Schlichtungsstellen.

Ist eine außergerichtliche Einigung immer verbindlich?

Eine im Rahmen einer außergerichtlichen Streitbeilegung erzielte Einigung ist grundsätzlich so verbindlich wie jede vertragliche Abrede – sie unterliegt also dem allgemeinen Schuldvertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 241 ff. BGB). Das bedeutet, dass sich die Vertragspartner an die gemeinsam getroffenen Regelungen zu halten haben. Allerdings bedarf die Vereinbarung einer wirksamen Zustimmung beider Parteien und darf keinen sittenwidrigen, gesetzes- oder treuwidrigen Inhalt aufweisen. Wird gegen die Einigung verstoßen, stehen dem berechtigten Teil grundsätzlich die gleichen Rechte (z. B. Leistungsantrag, Schadensersatz) zu wie bei jeder anderen Vertragsverletzung; die Zwangsvollstreckung ist jedoch nur möglich, wenn der Vergleich in einer vollstreckbaren Form, etwa als notarieller Vertrag oder als gerichtlich protokollierter Vergleich, abgefasst wurde.

Wie werden die Kosten einer außergerichtlichen Streitbeilegung geregelt?

Die Kosten einer außergerichtlichen Streitbeilegung umfassen im Regelfall sowohl die Honorare von Mediatoren, Schlichtern oder Gütestellen als auch etwaige Auslagen (z. B. Gutachtenkosten). Die konkrete Kostenhöhe variiert je nach Streitwert, Dauer und Komplexität des Verfahrens sowie nach der Gebührenordnung der jeweiligen Schlichtungsstelle oder Mediationspraxis. Gesetzlich ist in der Regel keine feste Kostenteilung vorgegeben; die Aufteilung der Kosten kann frei vereinbart werden, typischerweise tragen die Parteien diese hälftig oder gemäß einer individuellen Abrede. In bestimmten Konstellationen – etwa Verbraucherstreitigkeiten – ist vorgesehen, dass die Kosten für den Verbraucher gering oder kostenfrei sind (§ 31 VSBG). Werden Rechtsanwälte oder sonstige Berater hinzugezogen, entstehen zusätzliche Kosten nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) oder auf Honorarbasis. Eine Kostenerstattung durch die unterliegende Partei, wie es im gerichtlichen Verfahren üblich ist, findet im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung nur statt, wenn dies gesondert vereinbart wurde.