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Ausnüchterungs-Gewahrsam


Definition und rechtlicher Rahmen des Ausnüchterungs-Gewahrsams

Der Ausnüchterungs-Gewahrsam ist eine polizeiliche Maßnahme, die der vorübergehenden Unterbringung alkoholisierter oder berauschter Personen dient, um Gefahren für die betreffende Person selbst oder für Dritte abzuwenden. Die Unterbringung erfolgt in einer polizeilichen Gewahrsamseinrichtung, meist mit dem Ziel, dem Betroffenen eine sichere Ausnüchterung zu ermöglichen und akute Gefahrenlagen zu beseitigen. Die rechtlichen Regelungen hierzu sind in den Polizeigesetzen der Länder sowie in spezialgesetzlichen Vorschriften verankert.

Gesetzliche Grundlagen

Die Befugnis zum Ausnüchterungs-Gewahrsam ergibt sich in Deutschland in erster Linie aus den jeweiligen Polizeigesetzen der Bundesländer, insbesondere aus den Vorschriften zum sogenannten „präventiven Polizeigewahrsam“. Dabei handelt es sich um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. Zentrale rechtliche Grundlage bilden regelmäßig die §§ 29 ff. des Musterpolizeigesetzes, in denen die allgemeinen Voraussetzungen für die Ingewahrsamnahme geregelt sind. Die konkrete Ausgestaltung kann je nach Landesrecht variieren.

Beispielhafte gesetzliche Regelungen

  • Bayern (Art. 17 PAG): Hier ist die Ingewahrsamnahme zum Schutz der Person vor Gefahren für Leib oder Leben, beispielsweise durch Alkoholintoxikation, ausdrücklich vorgesehen.
  • Nordrhein-Westfalen (§ 35 PolG NRW): Die Polizei kann Personen in Gewahrsam nehmen, wenn sie hilflos sind oder sich in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise verhalten, insbesondere bei erheblichem Alkoholkonsum.

Zweck und Zielsetzung

Ziel des Ausnüchterungs-Gewahrsams ist in erster Linie die Gefahrenabwehr. Es soll verhindert werden, dass stark alkoholisierte oder berauschte Personen Schaden anrichten oder selbst zu Schaden kommen. Dies betrifft insbesondere das Risiko von Stürzen, Erfrierungen, Suizidgefahr oder aggressivem Verhalten gegenüber Dritten. Die Maßnahme dient jedoch ausdrücklich nicht der Strafverfolgung, sondern ist eine Gefahrenabwehrmaßnahme im polizeilichen Gefahrenabwehrrecht.

Voraussetzungen für die Anordnung des Ausnüchterungs-Gewahrsams

Gefahrenlage

Zwingende Voraussetzung ist das Bestehen einer konkreten Gefahr für die Person selbst oder für Dritte. Dies muss durch die Trunkenheit oder den Rauschzustand verursacht werden. Ein bloßer Verdacht oder allgemeines Unwohlsein reicht nicht aus. Die Polizei muss vor der Anordnung prüfen, ob mildere Maßnahmen, wie etwa die Übergabe an Angehörige oder Freunde, ausreichend erscheinen.

Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit

Der Ausnüchterungs-Gewahrsam setzt zwingend voraus, dass er geeignet und erforderlich ist, um die vorliegende Gefahr abzuwenden. Zudem darf die Maßnahme nicht außer Verhältnis zur Gefahr stehen. Vor einer Ingewahrsamnahme sind stets die Verhältnismäßigkeit und der Grundsatz der geringstmöglichen Einschränkung von Grundrechten zu wahren.

Dauer der Maßnahme

Die Freiheitsentziehung ist zeitlich auf das zur Abwendung der Gefahr erforderliche Maß zu beschränken. Die zulässige Höchstdauer beträgt in der Regel maximal 24 Stunden, kann jedoch durch richterliche Entscheidung verlängert werden, sofern dies zur Gefahrenabwehr zwingend erforderlich ist.

Durchführung des Ausnüchterungs-Gewahrsams

Policeiliche Maßnahmen und Verfahrensablauf

Nach Feststellung der Voraussetzungen erfolgt die Zuführung der betroffenen Person in eine speziell gesicherte Gewahrsamseinrichtung, meist in sogenannten Ausnüchterungszellen. Während des Aufenthalts ist die Person regelmäßig ärztlich zu überwachen. Insbesondere bei Verdacht auf Alkoholvergiftung, Mischintoxikation oder gesundheitliche Beeinträchtigungen ist pflichtgemäß eine ärztliche Untersuchung durchzuführen.

Rechte der betroffenen Person

Im Verlauf der Freiheitsentziehung muss die betroffene Person über die Gründe der Maßnahme, ihre Rechte (insbesondere das Recht auf Anhörung und das Recht, eine Vertrauensperson zu verständigen) sowie über die voraussichtliche Dauer informiert werden. Die Kontaktaufnahme zu einem Angehörigen oder einer Vertrauensperson ist zu ermöglichen, soweit nicht überwiegende polizeiliche Gründe entgegenstehen.

Dokumentationspflichten

Die gesamte Maßnahme ist detailliert zu dokumentieren. Hierzu zählen die genaue Uhrzeit der Ingewahrsamnahme, der Verlauf der Maßnahme, medizinische Kontrollen sowie Zeitpunkt und Umstände der Entlassung.

Rechtsgrundlagen – Verfassungsrechtliche Vorgaben

Freiheit der Person

Die Anordnung des Ausnüchterungs-Gewahrsams stellt einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) dar. Eingriffe in dieses Grundrecht sind nur auf gesetzlicher Grundlage und bei strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig.

Richtervorbehalt

Gemäß Art. 104 Abs. 2 Grundgesetz ist bei längerem Entzug der Freiheit, der nicht lediglich kurzfristig ist, unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. In der Praxis ist die Polizei verpflichtet, umgehend das zuständige Amtsgericht zu informieren, sofern der Gewahrsam über einen eng begrenzten Zeitraum hinaus andauert.

Rechtsfolgen unrechtmäßigen Ausnüchterungs-Gewahrsams

Ein nicht rechtmäßig angeordneter oder durchgeführter Ausnüchterungs-Gewahrsam kann zivilrechtliche Schadensersatzansprüche (Amtshaftung) und strafrechtliche Verantwortlichkeiten (z.B. Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB) nach sich ziehen. Auch eine Verletzung der Menschenwürde nach Art. 1 GG kann in besonders gravierenden Fällen vorliegen.

Abgrenzung zu anderen Maßnahmen der Freiheitsentziehung

Polizeigewahrsam

Der polizeiliche Gewahrsam dient im weiteren Sinne sowohl der Gefahrenabwehr als auch der Sicherung der Durchführung von Straf- oder Ermittlungsmaßnahmen. Der Ausnüchterungs-Gewahrsam ist jedoch formal von strafprozessualen Maßnahmen zu unterscheiden, da er rein präventiv erfolgt.

Unterbringung nach Betäubungsmittel- und Psychisch-Krankenrecht

In besonderen Fällen, etwa bei schweren Rauschzuständen oder psychiatrischen Notlagen, kann stattdessen eine Unterbringung nach den Psychisch-Kranken-Gesetzen der Länder oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) in Betracht kommen.

Europarechtliche Vorgaben und besondere Schutzregelungen

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) enthält in Art. 5 spezifische Anforderungen an die Freiheitsentziehung, zu denen das Recht auf richterliche Kontrolle, auf rechtsstaatliches Verfahren und auf Information gehört. Der Ausnüchterungs-Gewahrsam muss auch diesen Standards entsprechen.

Praxisrelevanz und statistische Bedeutung

Der Ausnüchterungs-Gewahrsam wird bundesweit regelmäßig angewandt, insbesondere in urbanen Zentren mit ausgeprägtem Nacht- und Veranstaltungsleben. Statistiken der Landespolizeibehörden dokumentieren eine Vielzahl von Fällen, insbesondere im Zusammenhang mit Großereignissen, Festen oder öffentlichen Feiern.

Zusammenfassung

Der Ausnüchterungs-Gewahrsam ist eine besonders eingriffsintensive polizeiliche Maßnahme der Gefahrenabwehr zum Schutz der Allgemeinheit und des Einzelnen vor den Folgen übermäßiger Alkohol- oder Betäubungsmittelaufnahme. Seine Anordnung ist an strenge materielle und formelle Voraussetzungen geknüpft und unterliegt umfassenden rechtsstaatlichen Schutzmechanismen. Die Maßnahme ist strikt zeitlich zu begrenzen, unterliegt der Dokumentations- und Informationspflicht und bedarf im Falle ihrer Fortdauer regelmäßig der richterlichen Kontrolle. Eine rechtmäßige Durchführung schützt sowohl die öffentliche Sicherheit als auch die individuellen Grundrechte der betroffenen Person.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Anordnung des Ausnüchterungs-Gewahrsams vorliegen?

Für die Anordnung des Ausnüchterungs-Gewahrsams müssen nach deutschem Recht bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst muss eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bestehen, die von der betroffenen, stark alkoholisierten Person ausgeht. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn die Person aufgrund ihres Alkoholisierungsgrades handlungsunfähig ist, sich oder andere gefährdet oder erheblich die öffentliche Ordnung stört. Die polizeirechtlichen Vorschriften der Bundesländer, wie etwa § 18 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) oder § 35 des Berliner Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG Bln), regeln die Einzelheiten. Eine Ausnüchterung in Gewahrsam ist stets das letzte Mittel („Ultima Ratio“) und darf nur erfolgen, wenn mildere Maßnahmen, etwa die Übergabe an Angehörige oder eine ärztliche Versorgung, ausgeschlossen sind. Zudem muss die polizeiliche Maßnahme verhältnismäßig sein, das heißt, sie darf nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen.

Wie lange darf der Ausnüchterungs-Gewahrsam höchstens andauern?

Die Dauer des Ausnüchterungs-Gewahrsams ist grundsätzlich auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Ein konkreter Höchstzeitraum ist im Bundesrecht nicht einheitlich geregelt, jedoch schreiben fast alle Landessicherheits- oder Polizeigesetze eine schnellstmögliche Entlassung vor, sobald der Zweck – die Ausnüchterung und Abwendung der Gefahr – erreicht ist. In der Praxis beträgt der Gewahrsam meist einige Stunden und sollte 24 Stunden nicht überschreiten. Ein längerer Gewahrsam wäre nur in absolut begründeten Ausnahmefällen rechtlich haltbar. Die zuständigen Behörden sind verpflichtet, regelmäßig den Zustand der Person zu überprüfen und die sofortige Entlassung zu veranlassen, wenn keine Gefahr mehr vorliegt.

Besteht während des Ausnüchterungs-Gewahrsams ein Anspruch auf ärztliche Betreuung?

Ja, während des Ausnüchterungs-Gewahrsams besteht ein klarer Anspruch auf medizinische Betreuung, sofern dies erforderlich ist. Die Polizei hat die Pflicht, den Gesundheitszustand der betroffenen Person zu überwachen und bei ernsthaften Risiken unverzüglich ärztliche Hilfe hinzuzuziehen, um lebensbedrohliche Situationen auszuschließen. Vor allem bei Anzeichen einer Alkoholvergiftung oder weiteren Erkrankungen oder Verletzungen muss die Polizei für eine medizinische Versorgung sorgen. Dieses Vorgehen ist nicht nur aus polizeirechtlicher Sicht geboten, sondern ergibt sich auch aus dem grundgesetzlichen Schutz der Menschenwürde (Art. 1 GG) und der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG).

Welche Rechte stehen der festgehaltenen Person während des Ausnüchterungs-Gewahrsams zu?

Auch während des Ausnüchterungs-Gewahrsams hat die betroffene Person grundlegende Rechte. Hierzu zählen insbesondere das Recht auf Kontaktaufnahme zu einem Rechtsanwalt, die Information einer Vertrauensperson und das Recht auf unverzügliche Mitteilung des Gewahrsams an einen Angehörigen oder eine Person ihres Vertrauens. Weiterhin besteht das Recht, über den Grund und die Dauer des Gewahrsams ausführlich informiert zu werden. Die im Polizeigesetz vorgesehenen Sicherungs- und Schutzmaßnahmen sowie Dokumentationspflichten gewährleisten einen rechtsstaatlichen Mindeststandard während des Aufenthalts.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen gegen einen angeordneten Ausnüchterungs-Gewahrsam vorzugehen?

Gegen die Anordnung des Ausnüchterungs-Gewahrsams kann die betroffene Person Rechtsmittel einlegen. In der Regel ist dies die gerichtliche Überprüfung im Wege des sogenannten „Richtervorbehalts“ (§ 104 Abs. 2 Strafprozessordnung, für den präventiv-polizeilichen Bereich jeweiligen Landesgesetze), sofern der Gewahrsam länger als einige Stunden andauert. Das zuständige Amtsgericht kann zur Überprüfung angerufen werden. Nachträglich ist ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit möglich. Auch Beschwerde oder Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das polizeiliche Vorgehen kommen in Betracht. Ein Anspruch auf anwaltlichen Beistand besteht insbesondere dann, wenn ein längerer Gewahrsam droht.

Wer trägt die Kosten für den Ausnüchterungs-Gewahrsam?

Die Kosten für Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Ausnüchterungs-Gewahrsam, darunter Unterbringung und eventuell erforderliche medizinische Versorgung, werden zumeist der betroffenen Person auferlegt. Die Rechtsgrundlagen hierfür finden sich in den Kostengesetzen der Länder oder kommunalen Satzungen. Die Anordnung der Kostentragung erfolgt regelmäßig durch einen Kostenbescheid der zuständigen Polizei- oder Ordnungsbehörde. Unabhängig davon bleibt jedoch die Kostenpflicht des Staates für die Sicherstellung einer menschenwürdigen Behandlung und medizinischen Betreuung bestehen.

Welche Unterschiede bestehen zum strafprozessualen Polizeigewahrsam?

Der Ausnüchterungs-Gewahrsam ist sachlich von einem strafprozessualen Polizeigewahrsam zu unterscheiden. Während der Ausnüchterungs-Gewahrsam polizeirechtlicher Natur ist und dem präventiven Schutz der öffentlichen Sicherheit oder der betroffenen Person dient, wird der strafprozessuale Gewahrsam im Zusammenhang mit Ermittlungs- oder Strafverfahren angeordnet (z.B. zu Zwecken der Beweissicherung oder zur Durchsetzung einer Festnahme). Die rechtlichen Voraussetzungen, Rechte der Betroffenen und Dauer der Maßnahmen unterscheiden sich teils erheblich. Auch die Rechtsmittel richten sich nach unterschiedlichen Vorschriften.