Begriff und rechtlicher Hintergrund der Ausgleichsabgabe
Die Ausgleichsabgabe ist eine öffentlich-rechtliche Abgabe, die Arbeitgeber in Deutschland nach § 160 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) dann entrichten müssen, wenn sie die vorgeschriebene Anzahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen. Ziel der Verpflichtung ist es, die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben sicherzustellen und bestehende Benachteiligungen auszugleichen. Neben der finanziellen Lenkwirkung ist die Ausgleichsabgabe Teil eines umfassenden Maßnahmenkatalogs zum Schutz und zur Förderung schwerbehinderter Menschen im Sinne des deutschen Sozialrechts.
Rechtsgrundlagen
Gesetzliche Verankerung
Die Ausgleichsabgabe ist maßgeblich in den §§ 154 ff. SGB IX geregelt. Die wichtigsten Paragraphen sind:
- § 154 SGB IX – Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen
- § 160 SGB IX – Ausgleichsabgabe
- § 161 SGB IX – Staffelung und Höhe der Abgabe
- § 162 SGB IX – Verwendung der Abgabe
- § 163 SGB IX – Kontrolle und Überwachung
Daneben sind weitere einschlägige Vorschriften im SGB IX sowie in zahlreichen Verwaltungsvorschriften und Durchführungsbestimmungen enthalten.
Verpflichtete Arbeitgeber
Nach § 154 Abs. 1 SGB IX sind alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen verpflichtet, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen.
Definition des Arbeitsverhältnisses
Als Arbeitsplätze gelten nach § 156 SGB IX alle Arbeitsverhältnisse in Voll- oder Teilzeit, soweit diese eine Beschäftigung von mehr als acht Wochen beinhalten und keinen nur vorübergehenden Charakter haben.
Ausnahmefälle
Kleinere Betriebe unterhalb der 20-Arbeitnehmer-Grenze sind von der Verpflichtung befreit. Weitere Ausnahmen und Sonderregelungen regelt § 154 Abs. 2 ff. SGB IX.
Bemessung und Zahlung der Ausgleichsabgabe
Höhe der Ausgleichsabgabe
Die Höhe der Ausgleichsabgabe richtet sich nach der Zahl der nicht besetzten Pflichtarbeitsplätze und ist gestaffelt gemäß § 160 Abs. 2 SGB IX. Die Staffelung ist wie folgt ausgestaltet:
- Kategorie I (Arbeitsplatzanteil 3 bis unter 5 Prozent): 140 Euro monatlich pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz
- Kategorie II (Arbeitsplatzanteil 2 bis unter 3 Prozent): 245 Euro monatlich pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz
- Kategorie III (Arbeitsplatzanteil weniger als 2 Prozent): 360 Euro monatlich pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz
(Alle Beträge: Stand 2024, sie sind gesetzlich anpassbar.)
Sonderregelungen für kleinere Unternehmen
Unternehmen mit weniger als 40 und weniger als 60 Arbeitsplätzen unterliegen reduzierten Beschäftigungspflichten und entsprechender Abgabenstaffel (§ 160 Abs. 3 SGB IX).
Berechnung
Der Meldezeitraum ist jeweils das Kalenderjahr. Arbeitgeber ermitteln jährlich die Anzahl ihrer Pflichtarbeitsplätze sowie die Zahl tatsächlich beschäftigter schwerbehinderter Menschen. Die Differenz ergibt die Anzahl nicht besetzter Pflichtarbeitsplätze. Dies wird der zuständigen Agentur für Arbeit bis spätestens 31. März des Folgejahres gemeldet.
Fälligkeit und Entrichtung
Die Ausgleichsabgabe wird nachträglich entrichtet und ist bis spätestens 31. März des Folgejahres an die zuständige Agentur für Arbeit zu zahlen (§ 160 Abs. 5 SGB IX).
Verwendung der Ausgleichsabgabe
Die Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe stehen ausschließlich dem Ausgleichsfonds zur Verfügung. Dieser Fonds wird von der Bundesagentur für Arbeit verwaltet. Die Mittel werden primär eingesetzt für:
- Leistungen zur Verbesserung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben
- Förderung von Integrationsprojekten und Werkstätten für behinderte Menschen
- Investitionen zur behindertengerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen
- Beratung und Informationsangebote für Arbeitgeber und schwerbehinderte Menschen
Eine zweckwidrige Verwendung ist gesetzlich ausgeschlossen (§ 162 SGB IX).
Melde- und Nachweispflichten
Anzeige des Arbeitgebers
Arbeitgeber sind verpflichtet, die Erfüllung der Beschäftigungspflicht jährlich der zuständigen Agentur für Arbeit mittels der vorgeschriebenen Anzeige zu melden (§ 163 Abs. 2 SGB IX). Die Anzeige ist elektronisch zu übermitteln, unter Nutzung der Software REHADAT-Elan oder vergleichbarer Systeme.
Kontrolle und Sanktionen
Die Agentur für Arbeit überprüft die Meldungen stichprobenartig und ist berechtigt, Auskünfte und Unterlagen beim Arbeitgeber einzuziehen. Werden Meldepflichten verletzt oder die Ausgleichsabgabe nicht oder verspätet entrichtet, drohen empfindliche Bußgelder und Nachforderungen (§ 238 SGB IX).
Rechtsfolgen der Nichtbeachtung
Ordnungswidrigkeiten und Sanktionen
Die Nichtzahlung oder verspätete Zahlung der Ausgleichsabgabe sowie die unterlassene Meldung der Pflichtarbeitsplätze stellen Ordnungswidrigkeiten dar und können nach § 238 SGB IX mit Geldbußen geahndet werden.
Nachforderung der Abgabe
Die Agentur für Arbeit kann Ausgleichsabgaben nachfordern, wenn die Beschäftigungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt wurde. Dies gilt auch rückwirkend für mehrere Jahre, sofern eine vorsätzliche Umgehung vorliegt.
Verhältnis zur Beschäftigungspflicht und Nachweispflicht
Die Ausgleichsabgabe ist kein Ersatz, sondern lediglich ein Ausgleich für die Nichterfüllung der gesetzlichen Beschäftigungspflicht. Arbeitgeber sind weiterhin verpflichtet, sich aktiv um die Besetzung offener Stellen mit schwerbehinderten Menschen zu bemühen (§ 164 SGB IX). Eine wiederholte Zahlung der Ausgleichsabgabe entbindet nicht von dieser Anstrengungspflicht und kann bei nachweisbarem Desinteresse zu weiteren Sanktionen führen.
Ausnahmeregelungen und Sondertatbestände
Anrechnung von Werkstattbeschäftigungen
Arbeitgeber können Werkstattaufträge an anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen auf ihre Beschäftigungsquote anrechnen lassen (§ 156 SGB IX). So können bis zu 50 Prozent der auf einen Arbeitsplatz entfallenden Wertschöpfung angerechnet werden.
Befreiungen
In besonderen Fällen können Arbeitgeber auf Antrag befristet von der Abgabepflicht befreit werden, vor allem bei struktureller Unmöglichkeit der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen (z.B. im Bereich schwerer körperlicher Tätigkeiten oder besonderer Anforderungen).
Steuerliche Behandlung
Die Ausgleichsabgabe ist als betrieblicher Aufwand abziehbar und mindert somit die Steuerlast im Rahmen der Gewinnermittlung. Sie stellt jedoch keinen Ersatz für Lohnkosten dar.
Europarechtlicher Kontext und Entwicklung
Das deutsche Modell der Ausgleichsabgabe ist europaweit beachtet, vergleichbare Regelungen bestehen in mehreren EU-Mitgliedsstaaten. Die Verpflichtung zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen ist unionsrechtlich durch die UN-Behindertenrechtskonvention und die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien flankiert.
Kritik und Reformüberlegungen
Während die Ausgleichsabgabe als wichtiges Instrument zur Förderung der Inklusion gilt, wird gelegentlich kritisiert, dass finanzkräftige Unternehmen die Zahlung der Abgabe der tatsächlichen Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vorziehen. Reformen zur Anhebung der Beschäftigungsquote, zur Anpassung der Bemessung und zur stärkeren Förderung betrieblicher Inklusionskonzepte sind daher regelmäßig Gegenstand der politischen und rechtlichen Diskussion.
Literatur und weiterführende Quellen
- Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
- Bundesagentur für Arbeit, „REHADAT-Elan“ und Informationsportale zur Ausgleichsabgabe
- Deutscher Bundestag: Drucksachen und Gesetzesentwürfe zur Entwicklung der Ausgleichsabgabe
Hinweis: Die dargestellten Informationen zur Ausgleichsabgabe basieren auf den Regelungen zum Stand 2024. Gesetzesänderungen und Anpassungen der Abgabesätze sind möglich. Für die aktuell geltenden Bestimmungen empfiehlt sich die Konsultation der gesetzlichen Grundlagen.
Häufig gestellte Fragen
Wann muss die Ausgleichsabgabe gezahlt werden?
Arbeitgeber in Deutschland, die im Jahresdurchschnitt mindestens 20 Arbeitsplätze vorhalten, sind gesetzlich verpflichtet, auf mindestens 5 Prozent dieser Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen (§ 154 SGB IX). Wird diese Beschäftigungsquote nicht erreicht, ist die sogenannte Ausgleichsabgabe zu zahlen. Die Verpflichtung zur Zahlung entsteht jeweils zum Ende eines Kalenderjahres, wenn bei der jährlichen Anzeige festgestellt wird, dass die vorgeschriebene Anzahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigt wurde. Bemessungsgrundlage für die Feststellung ist die tatsächliche durchschnittliche Anzahl der Arbeitsplätze im Jahresverlauf, wobei zu berücksichtigten Arbeitsplätzen bestimmte Ausnahmeregelungen existieren (z.B. Saisonarbeitsplätze, Teilzeitarbeit, befristete Anstellungen). Die Zahlung erfolgt nicht monatlich, sondern jährlich im Rahmen der Abgabe der Anzeige über die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen bei der zuständigen Agentur für Arbeit. Die Ausgleichsabgabe ist dann innerhalb festgesetzter Fristen an das Integrationsamt zu entrichten.
Wie wird die Höhe der Ausgleichsabgabe bestimmt?
Die Höhe der Ausgleichsabgabe ist gestaffelt und richtet sich nach dem Grad der Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht (§ 160 SGB IX). Für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz ist ein festgelegter Betrag zu zahlen, welcher sich nach der Erfüllungsquote des Arbeitgebers staffelt: Bei einer Erfüllung von weniger als 2 Prozent beträgt sie pro unbesetzten Pflichtarbeitsplatz und Monat 360 Euro, bei einer Erfüllung von 2 bis unter 3 Prozent 245 Euro und bei 3 bis 5 Prozent 140 Euro (Stand: 2024). Für kleine Betriebe gelten abweichende Regelungen. Bei der Berechnung werden auch Teilzeitarbeitsplätze anteilig berücksichtigt sowie anrechnungsfähige Maßnahmen, z. B. eine über die Mindestquote hinausgehende Ausbildung von schwerbehinderten Menschen. Die Bemessungsgrundlage wird so gewählt, dass die tatsächliche Beschäftigungslücke finanziell sanktioniert wird und zugleich ein finanzieller Anreiz zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht entsteht.
Welche Nachweise sind für die Ausgleichsabgabe zu erbringen?
Arbeitgeber müssen jährlich bis zum 31. März des Folgejahres eine Anzeige über die Erfüllung der Beschäftigungspflicht bei der zuständigen Agentur für Arbeit einreichen (§ 163 SGB IX). Die Anzeige hat elektronisch mit dem Formular „Anzeige über die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen“ zu erfolgen. Es müssen genaue Angaben zur Zahl der Arbeitsplätze, zur Beschäftigung schwerbehinderter und gleichgestellter behinderter Menschen sowie zu Ausnahmen oder Berücksichtigungen (etwa bei Werkstätten für Behinderte oder Integrationsprojekten) gemacht werden. Zur Plausibilisierung wird ein Abgleich mit Personalunterlagen, gegebenenfalls auch mit Bescheiden über den Grad der Behinderung, gefordert. Die Agentur für Arbeit prüft die Anzeige auf Richtigkeit; bei Fehlern oder Unvollständigkeit können Rückfragen entstehen bzw. Bußgelder bei falschen Angaben verhängt werden.
Welche Sanktionen drohen bei Nichtzahlung oder Versäumnissen?
Kommt ein Arbeitgeber seiner Meldepflicht nicht oder nicht fristgerecht nach, begeht er eine Ordnungswidrigkeit nach § 238 SGB IX. Die Agentur für Arbeit kann in einem solchen Falle ein Bußgeld von bis zu 10.000 Euro pro Verstoß verhängen. Zusätzlich kann das Integrationsamt die fällige Ausgleichsabgabe nebst Säumniszuschlägen durchsetzen; hierbei kommt als Vollstreckungsmaßnahme die Pfändung von Konten oder anderen Forderungen in Betracht. Sollte die Beschäftigungsquote dauerhaft nicht eingehalten werden, drohen weitere Prüfungen und Sanktionen durch die Behörden, zum Beispiel die Anordnung von Nachbesserungsmaßnahmen. Zudem wirkt sich die Nichterfüllung der Quote negativ auf das öffentliche Erscheinungsbild des Arbeitgebers aus, insbesondere wenn dieser im Kontext von Fördermaßnahmen oder öffentlichen Aufträgen steht.
Gibt es Möglichkeiten der Anrechnung oder Befreiung von der Ausgleichsabgabe?
Unter bestimmten Voraussetzungen können Arbeitgeber auf Antrag ganz oder teilweise von der Zahlung der Ausgleichsabgabe befreit werden (§ 161 SGB IX). Ausnahmen sind beispielsweise möglich, wenn ein Arbeitgeber nachweisen kann, dass die Erfüllung der Beschäftigungspflicht trotz intensiver Bemühungen objektiv unmöglich war (beispielsweise aufgrund fehlender Bewerber oder struktureller Gegebenheiten). Außerdem können Ersatzleistungen wie die Vergabe von Aufträgen an anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen, Blindenwerkstätten oder Integrationsfirmen anteilig auf die Ausgleichsabgabe angerechnet werden (§ 223 SGB IX). Auch die Übernahme von schwerbehinderten Auszubildenden oder Praktikanten kann sich entlastend auswirken. Die Anrechnung und Befreiung sind grundsätzlich stichhaltig zu begründen und müssen durch die zuständigen Stellen bestätigt werden.
Wie ist die Ausgleichsabgabe rechtlich von einem Bußgeld zu unterscheiden?
Die Ausgleichsabgabe ist keine Strafe, sondern eine öffentlich-rechtliche Ausgleichszahlung mit dem Ziel, finanzielle Mittel zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben zu generieren. Sie entsteht kraft Gesetzes, wenn die Beschäftigungspflicht nicht erfüllt wird. Ein Bußgeld hingegen ist eine Sanktion für pflichtwidriges Verhalten, z. B. verspätete Anzeige oder falsche Angaben. Auch wenn die Begriffe umgangssprachlich vermischt werden, ist rechtlich exakt zwischen der Ausgleichsabgabe (Erfüllungsdruck durch finanzielle Leistungspflicht) und einem Bußgeld als Ahndung einer Ordnungswidrigkeit zu unterscheiden. Während die Ausgleichsabgabe zur Mittelbereitstellung und Kompensation dient, verfolgt das Bußgeld general- und spezialpräventive Zwecke.
Inwieweit sind öffentliche Arbeitgeber von der Ausgleichsabgabe betroffen?
Die Verpflichtungen nach dem Sozialgesetzbuch IX zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen und damit auch zur Zahlung einer möglichen Ausgleichsabgabe gelten sowohl für private als auch für öffentliche Arbeitgeber. Für letztere gelten i. d. R. keine Sonderprivilegien; sie sind ebenso zur jährlichen Anzeige und Zahlung der Abgabe verpflichtet, sollten sie die Mindestbeschäftigungsquote nicht erfüllen. Allerdings sind öffentliche Arbeitgeber zur besonderen Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben aufgerufen und unterliegen im Einzelfall spezifischen landesrechtlichen Regelungen sowie Kontrollmechanismen, etwa durch Personalvertretungen oder Integrationsämter. Die eingenommenen Ausgleichsabgaben finanzieren in Teilen spezielle Integrationsmaßnahmen und Projekte des öffentlichen Sektors.