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Auflösung einer Versammlung


Begriff und rechtlicher Rahmen der Auflösung einer Versammlung

Die Auflösung einer Versammlung stellt einen bedeutsamen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 8 des Grundgesetzes (GG) dar. Sie bezeichnet in der rechtlichen Praxis das behördliche Beenden einer laufenden Versammlung, durch das diese ihren Charakter als Versammlung verliert. Die Auflösung ist von Maßnahmen wie dem Verbot (präventiv untersagend) und der unmittelbaren Beendigung einzelner Versammlungsteile abzugrenzen. Die rechtlichen Voraussetzungen, Verfahrensmodalitäten und Wirkungen der Auflösung sind insbesondere im Versammlungsgesetz (VersG) sowie in Landesgesetzen und ergänzenden Rechtsvorschriften geregelt.

Rechtliche Grundlagen

Verfassungsrechtliche Ausgangslage

Die Versammlungsfreiheit ist nach Artikel 8 GG ein Grundrecht und schützt sowohl die Veranstaltung als auch die Durchführung einer Versammlung. Einschränkungen sind nur durch oder aufgrund eines Gesetzes zulässig. Die Auflösung einer Versammlung ist eine der im Versammlungsgesetz vorgesehenen Beschränkungsmaßnahmen und muss stets die Verhältnismäßigkeit und andere verfassungsrechtlichen Schranken beachten.

Bundesrechtliche Regelungen (Versammlungsgesetz)

Das Versammlungsgesetz des Bundes (VersG) regelt die Voraussetzungen und das Verfahren zur Auflösung einer Versammlung. Die wesentlichen Bestimmungen enthält insbesondere § 15 Abs. 3 VersG für öffentliche Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel. Aufgrund der Föderalismusreform haben einige Bundesländer eigenständige Versammlungsgesetze erlassen (z.B. Bayern, Sachsen, Nordrhein-Westfalen), deren Regelungen in den Grundzügen ähnlich, hinsichtlich Detailregelungen jedoch unterschiedlich ausfallen können.

Begriffsabgrenzung: Verbot, Auflösung, Beendigung

  • Verbot: Untersagt eine geplante Versammlung bereits im Vorfeld.
  • Auflösung: Beendet eine bereits begonnene Versammlung durch behördlichen Hoheitsakt.
  • Beendigung: Die Verantwortlichen (Veranstalter, Leiter) können eine Versammlung eigenständig beenden; dies ist von der staatlichen Auflösung abzugrenzen.

Voraussetzungen für die Auflösung einer Versammlung

Materielle Voraussetzungen

Die Behörde darf gemäß § 15 Abs. 3 VersG eine Versammlung nur auflösen, wenn die bisher erteilten Maßnahmen oder Auflagen nicht ausreichen, um eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden. Die Gefahr muss sich auf gewichtige Rechtsgüter beziehen, wie etwa Leben, körperliche Unversehrtheit oder das öffentliche Gemeinwesen.

Typische Gründe für eine Auflösung sind unter anderem:

  • Begehung oder unmittelbare Drohung erheblicher Straftaten aus der Versammlung heraus.
  • Verstöße gegen angeordnete Auflagen, die den Schutz wichtiger Rechtsgüter bezwecken.
  • Der Leiter der Versammlung kommt seinen Pflichten (§ 7, § 8 VersG) nicht nach und ist eine ordnungsgemäße Durchführung nicht mehr gewährleistet.

Die Auflösung ist stets letztes Mittel (ultima ratio); mildere Mittel wie Platzverweise oder die Anwendung von Auflagen müssen zuvor erfolglos geblieben oder offensichtlich unzureichend sein.

Formelle Voraussetzungen

Die Auflösung ist ein Verwaltungsakt, der folgende formelle Anforderungen erfüllen muss:

  • Die Maßnahme wird in der Regel ausdrücklich und für die Versammlungsteilnehmer unmissverständlich bekanntgegeben (z.B. per Lautsprecherdurchsage).
  • Es muss – soweit möglich – eine angemessene Frist eingeräumt werden, damit die Versammlungsteilnehmer die Versammlung verlassen können.
  • Die Gründe für die Auflösung sind grundsätzlich mitzuteilen, soweit nicht Gefahr im Verzug vorliegt.

Rechtsfolgen der Auflösung einer Versammlung

Unmittelbare Konsequenzen

Mit der rechtswirksamen Auflösung endet der Schutz der Versammlungsfreiheit. Die Versammlungsteilnehmer sind verpflichtet, den Veranstaltungsort umgehend zu verlassen. Ein weiterer Aufenthalt am Versammlungsort oder die Fortsetzung der Versammlung kann als unbefugte Teilnahme oder Verstoß gegen platzbezogene Maßnahmen geahndet werden.

Zwangsmittel und Durchsetzung

Die Behörde ist befugt, zur Durchsetzung der Auflösung Zwangsmittel nach den einschlägigen Polizeigesetzen (z.B. unmittelbarer Zwang, Platzverweise) einzusetzen. Dabei sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Beachtung der körperlichen Unversehrtheit maßgeblich.

Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechtliche Folgen

Wer nach Auflösung einer Versammlung den Aufforderungen der Behörde nicht nachkommt, kann sich gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG oder nach entsprechenden Bestimmungen der Landesgesetze ordnungswidrig oder strafbar machen. Dies umfasst die weitere Teilnahme an der Versammlung oder die Unterstützung ihrer Fortsetzung.

Rechtsschutz gegen die Auflösung einer Versammlung

Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Die Auflösung einer Versammlung ist als Verwaltungsakt mit unmittelbarer Wirkung ausgestaltet. Teilnehmer oder Veranstalter haben die Möglichkeit, nachträglich im Wege der Anfechtungsklage gegen die Auflösung vorzugehen. In dringenden Fällen kann der einstweilige Rechtsschutz nach § 80 V VwGO (Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung) beantragt werden, wobei die Möglichkeit eines Aufschubs vor Ort faktisch regelmäßig entfällt.

Anspruch auf Schadensersatz und Folgen für die staatliche Haftung

Sofern eine rechtswidrige Auflösung erfolgt, kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Staatshaftung in Betracht. Die Haftung richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen des Amtshaftungsrechts (§ 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG).

Besondere Konstellationen und relevante Rechtsprechung

Auflösung privater und geschlossener Versammlungen

Die Möglichkeit zur Auflösung besteht überwiegend für öffentliche, insbesondere unter freiem Himmel abgehaltene Versammlungen. Für nicht-öffentliche oder geschlossene Versammlungen gelten Einschränkungen; das Einschreiten ist hier regelmäßig nur bei konkreten und schwerwiegenden Gefahren zulässig.

Versammlungen mit besonderen Schutzgütern

Bestimmte Versammlungen wie politische Demonstrationen unterliegen einem besonders intensiven Grundrechtsschutz. Die Anforderungen an die Rechtfertigung der Auflösung sind in solchen Fällen besonders hoch.

Rechtsprechung

Die Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte, verlangt eine strikte Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Behörden müssen jeweils im Einzelfall abwägen, ob eine Auflösung wirklich erforderlich ist und ob nicht mildere, den Grundrechtsschutz stärker wahrende Maßnahmen vorrangig sind (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, 1 BvR 233, 341/81 – Brokdorf-Beschluss).

Literaturhinweise und weiterführende Vorschriften

  • Versammlungsgesetz (VersG)
  • Landesversammlungsgesetze
  • Bundesverfassungsgericht – Brokdorf-Beschluss
  • Kommentar zum Grundgesetz, Art. 8 GG
  • Polizeigesetze des Bundes und der Länder

Zusammenfassung

Die Auflösung einer Versammlung ist ein gravierender Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Sie ist an strenge rechtliche und formelle Voraussetzungen gebunden, insbesondere die konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung sowie das Fehlen milderer Mittel. Nach der behördlichen Auflösung müssen Teilnehmer den Versammlungsort verlassen, anderenfalls können Maßnahmen nach Polizei- und Ordnungsrecht erfolgen. Die gerichtliche Kontrolle und der nachträgliche Rechtsschutz stellen einen wichtigen Bestandteil zur Wahrung der Grundrechte und zur Begrenzung staatlicher Eingriffsbefugnisse dar.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist zur Auflösung einer Versammlung berechtigt?

Die Berechtigung zur Auflösung einer Versammlung obliegt grundsätzlich den zuständigen Behörden, in der Regel der Polizei oder der Ordnungsbehörde. Gemäß dem Versammlungsgesetz (VersG) kann die Auflösung einer Versammlung erfolgen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Der Versammlungsleiter hat nicht das Recht, eine behördlich genehmigte oder angezeigte Versammlung von sich aus hoheitlich aufzulösen, kann aber freiwillig die Beendigung der Veranstaltung erklären. Die hoheitliche Auflösung erfolgt ausschließlich durch eine hierzu befugte Behörde, die im Rahmen des jeweiligen Landesrechts beispielsweise durch die Landespolizei oder das Ordnungsamt vertreten ist. Voraussetzung für eine rechtswirksame Auflösung ist regelmäßig, dass die zuständige Behörde anwesend ist und die Maßnahme eindeutig kommuniziert wird.

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine Auflösung vorliegen?

Eine Versammlung darf nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen aufgelöst werden. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) darf nur unter den in § 15 Versammlungsgesetz ausdrücklich genannten Bedingungen eingeschränkt werden. Wesentliche Gründe sind etwa die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, insbesondere bei Begehung von Straftaten durch Teilnehmer oder bei unmittelbarem Gefährdungspotenzial für Teilnehmer oder Dritte. Die Auflösung muss verhältnismäßig, das heißt das letzte Mittel (ultima ratio) darstellen; mildere Maßnahmen, wie etwa Auflagen oder Teilräumungen, sind vorrangig zu prüfen und zu ergreifen. Zudem ist vor der Auflösung regelmäßig eine ausdrückliche und für alle Teilnehmer hörbare Warnung notwendig.

Wie muss die Auflösung einer Versammlung rechtlich korrekt erfolgen?

Die Auflösung muss durch eine eindeutig identifizierbare, zur Durchführung berechtigte Person, zum Beispiel einen Polizeibeamten, öffentlich und für alle Teilnehmer wahrnehmbar erklärt werden. Gemäß § 15 II VersG ist eine eindeutige, meist per Lautsprecher durchzuführende Mitteilung über die Auflösung zwingend erforderlich. Besteht die Versammlung aus mehreren Gruppen, muss die Erklärung auch gegenüber diesen separat erfolgen. Darüber hinaus müssen den Teilnehmern in der Regel angemessene Zeit und Möglichkeiten gegeben werden, sich nach der Auflösung zu entfernen („Abmarschzeit“). Fehlt eine solche Bekanntgabe oder verwirklicht diese nicht sämtliche formalen Anforderungen, kann die Auflösung im Einzelfall rechtswidrig sein.

Welche Rechtsfolgen hat die behördliche Auflösung einer Versammlung?

Mit der behördlichen Auflösung endet das Recht der Teilnehmer auf Versammlungsfreiheit, das heißt, ihr weiterer Aufenthalt am Versammlungsort ist fortan nicht mehr durch Art. 8 GG geschützt. Bleiben Teilnehmer trotz wirksamer Auflösung und entsprechender Aufforderung der Polizei vor Ort oder nehmen weiter an der Versammlung teil, liegt eine strafbare Nichteinhaltung der Auflösungsaufforderung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG vor. Dies kann als Ordnungswidrigkeit oder Straftat geahndet werden. Zudem erhält die Polizei weitergehende Befugnisse, die Versammlung auch zwangsweise zu räumen, Platzverweise auszusprechen oder Identitätsfeststellungen durchzuführen.

Welche Rechtsmittel stehen gegen die Auflösung einer Versammlung zur Verfügung?

Die behördliche Auflösung einer Versammlung stellt einen Verwaltungsakt dar, gegen den grundsätzlich verwaltungsrechtliche Rechtsbehelfe zulässig sind. Dazu gehört insbesondere der Widerspruch sowie die Möglichkeit eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO beim zuständigen Verwaltungsgericht. Bei einer bereits vollzogenen (faktischen) Auflösung kommt gegebenenfalls nachträglich die Feststellung der Rechtswidrigkeit des polizeilichen Handelns in Frage (Fortsetzungsfeststellungsklage). Im Falle unmittelbaren Zwangsmaßnahmen sind zudem Rechtsbehelfe gegen polizeiliche oder ordnungsbehördliche Maßnahmen (z. B. Klage gegen Ingewahrsamnahme) zulässig.

In welchen Fällen ist die Auflösung einer Versammlung rechtswidrig?

Eine Auflösung ist rechtswidrig, wenn die im Versammlungsgesetz genannten Voraussetzungen für eine Auflösung nicht vorliegen, die Maßnahme unverhältnismäßig ist oder die erforderliche Form nicht eingehalten wurde. Fehlt beispielsweise eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit beziehungsweise liegt lediglich eine abstrakte Befürchtung vor, kann die behördliche Auflösung im Nachhinein durch die Verwaltungsgerichte als rechtswidrig beurteilt werden. Ebenso ist die Maßnahme nicht rechtmäßig, wenn vor der Auflösung nicht oder nicht ausreichend gewarnt wurde oder wenn mildernde Mittel (z. B. Auflagen) nicht ausgeschöpft wurden.

Welche Besonderheiten gelten für die Auflösung von Spontanversammlungen?

Auch Spontanversammlungen, die ohne vorherige Anmeldung zustande kommen, genießen grundsätzlich den Schutz des Art. 8 GG und des Versammlungsgesetzes. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Auflösung unterscheiden sich nicht grundsätzlich von angemeldeten Versammlungen. Allerdings ist bei der Interessenabwägung das Fehlen einer Anmeldung zu berücksichtigen, beispielsweise, wenn Ordnungsmaßnahmen kurzfristig schwer umsetzbar sind. Die Behörden müssen auch hier eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit konkret begründen, bevor sie zur Auflösung schreiten können. Eine besondere Herausforderung besteht häufig darin, die Teilnehmer klar über die Auflösung zu informieren, da keine organisatorische Struktur vorhanden ist.