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Atypisch stille Gesellschaft


Begriff und rechtliche Einordnung der atypisch stillen Gesellschaft

Die atypisch stille Gesellschaft stellt eine besondere Form der stillen Beteiligung an einem Handelsgewerbe dar. Sie unterscheidet sich von der klassischen (typisch) stillen Gesellschaft insbesondere durch die weitergehende Ausgestaltung der Rechte und Pflichten des stillen Gesellschafters sowie deren Auswirkungen auf die steuerrechtliche und handelsrechtliche Behandlung. In Deutschland ist die atypisch stille Gesellschaft als Innengesellschaft gesetzlich nicht umfassend geregelt, sondern wird aus den §§ 230 ff. HGB für die typische stille Gesellschaft und durch richterliche Rechtsfortbildung sowie steuerrechtliche Vorgaben konkretisiert.

Abgrenzung: Typische und atypische stille Gesellschaft

Typische stille Gesellschaft

Bei einer typisch stillen Gesellschaft erfolgt die Beteiligung des stillen Gesellschafters am Handelsgewerbe eines Unternehmers (Inhabers), indem er eine Einlage erbringt. Der stille Gesellschafter bleibt nach außen anonym und beteiligt sich lediglich am Gewinn und eventuell am Verlust, nicht jedoch am Gesellschaftsvermögen oder an den stillen Reserven.

Atypische stille Gesellschaft

Im Unterschied dazu erhält der atypisch stille Gesellschafter weitergehende Mitverwaltungsrechte und ist am Gesellschaftsvermögen einschließlich der stillen Reserven sowie dem Firmenwert beteiligt. Daraus folgt eine mitunter gesellschaftsähnliche Position, sodass steuer- und handelsrechtlich Besonderheiten entstehen.

Rechtsnatur und Charakteristika

Die atypisch stille Gesellschaft ist eine rechtsfähige Innengesellschaft (Geheimgesellschaft), die gegenüber Dritten in der Regel anonym bleibt. Ein Vertrag begründet das Gesellschaftsverhältnis, in dem die Modalitäten der atypischen Merkmale vereinbart werden.

Wesentliche Charakteristika sind:

  • Mitwirkung bei Geschäftsführung und Kontrollrechten
  • Teilhabe am Gesellschaftsvermögen, inkl. stiller Reserven
  • Beteiligung am Verlust und Mitspracherechte bei entscheidenden Geschäftsvorfällen
  • Regelmäßige Einflussnahme auf Grundsatzentscheidungen

Vertragliche Gestaltung

Für die Entstehung der atypisch stillen Gesellschaft ist ein Gesellschaftsvertrag notwendig, der die atypischen Rechte klar regelt. Dazu zählen besonders:

  • Umfang der Mitverwaltungsrechte
  • Beteiligung am Vermögen und stillen Reserven
  • Modalitäten der Gewinn- und Verlustverteilung
  • Regelungen zu Ausscheiden und Nachfolge

Handelsrechtliche Behandlung

Die atypisch stille Gesellschaft ist aus handelsrechtlicher Sicht weiterhin eine stille Gesellschaft im Sinne der §§ 230 ff. HGB, allerdings mit deutlich ausgeprägteren Rechten des stillen Gesellschafters. Die Gesellschaft tritt nicht nach außen auf und besitzt keine eigene Firma. Sie ist selbst nicht rechtsfähig und nimmt am Geschäftsverkehr nur mittelbar über den Inhaber des Handelsgeschäftes teil.

Geschäftsführung und Kontrollrechte

Dem atypisch stillen Gesellschafter können durch Vereinbarung weitreichende Mitwirkungs-, Kontroll- und Informationsrechte eingeräumt werden. Dies unterscheidet ihn maßgeblich von einem typisch stillen Gesellschafter, der im Regelfall lediglich Kontrollrechte ausübt (§ 233 HGB).

Haftung

Die Haftung im Außenverhältnis trifft grundsätzlich nur den Inhaber des Handelsgeschäfts. Der atypisch stille Gesellschafter haftet alleine im Innenverhältnis und kann Verluste bis zur Höhe seiner Einlage tragen, sofern dies vereinbart wurde.

Steuerrechtliche Behandlung

Die atypisch stille Gesellschaft unterliegt aus steuerlicher Sicht einer besonderen Bewertung. Das Einkommensteuergesetz (EStG) unterscheidet zwischen der typisch und der atypisch stillen Gesellschaft. Bei der atypisch stillen Gesellschaft wird der stille Gesellschafter als Mitunternehmer behandelt, was insbesondere auf die Ausgestaltung seiner Vermögensrechte zurückzuführen ist.

Mitunternehmerschaft

Die Mitunternehmereigenschaft führt dazu, dass der atypisch stille Gesellschafter als Mitunternehmer gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gilt. Voraussetzungen sind neben der Beteiligung am Vermögen und stillen Reserven insbesondere das Vorliegen maßgeblichen Unternehmerwagnisses sowie Mitunternehmerinitiative.

Steuerliche Folgen

  • Besteuerung der Einkünfte: Die Einkünfte des atypisch stillen Gesellschafters werden als Einkünfte aus Gewerbebetrieb behandelt.
  • Ermittlung des Gewinns: Der Gewinn wird nach den Grundsätzen des Mitunternehmeranteils ermittelt. Der atypisch stille Gesellschafter wird wie ein Mitunternehmer einer Personengesellschaft behandelt.
  • Verlustzuweisung: Verluste können im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben mit anderen Einkünften verrechnet werden.
  • Beteiligung an stillen Reserven: Die Beteiligung an stillen Reserven führt steuerlich zu einer Einbeziehung in das Betriebsvermögen.

Bilanzielle Behandlung

Für Bilanzzwecke wird dem atypisch stillen Gesellschafter ein Sonderkapitalkonto zugeordnet. Einlagen und Gewinnanteile sind als Eigenkapital im Sinne der Personengesellschaftsbilanz darzustellen, da der atypisch stille Gesellschafter unter Mitunternehmerschaftsgesichtspunkten bilanziell ähnlich behandelt wird.

Gesellschaftsrechtliche Aspekte

Die atypisch stille Gesellschaft ist weder eine offene Handelsgesellschaft noch eine Kommanditgesellschaft, obgleich sie aus steuer- und bilanziellen Gründen ähnliche Züge aufweist. Sie bleibt eine Innengesellschaft, deren Existenz regelmäßig nicht nach außen in Erscheinung tritt.

Vertragsfreiheit

Der weite Gestaltungsspielraum bei der Vertragsgestaltung ermöglicht die flexible Anpassung an die Interessen der Beteiligten. Die Einbringung von Sach- oder Barleistungen, die Festlegung von Ausscheidensregelungen und Gewinnverteilungen sowie umfassende Kontrollrechte können im Vertrag individuell geregelt werden.

Beendigung und Ausscheiden

Der Vertrag kann vertragliche Regelungen zum Ausscheiden oder zur Kündigung enthalten. Mit Beendigung der Beteiligung steht dem atypisch stillen Gesellschafter regelmäßig ein Auseinandersetzungsguthaben zu, das sich an seiner Beteiligung am Gesellschaftsvermögen einschließlich der stillen Reserven orientiert.

Anwendungsbereiche und praktische Bedeutung

Die atypisch stille Gesellschaft wird häufig bei Unternehmensbeteiligungen, Nachfolgemodellen oder zur Kapitalbeschaffung genutzt. Ihr Vorteil liegt in der Beteiligung am Vermögenszuwachs, ohne dass eine sichtbare Außengesellschaft entsteht. Auch im Rahmen von Joint Ventures und bei Beteiligungen von Investoren an mittelständischen Unternehmen findet sie Anwendung.

Zusammenfassung

Die atypisch stille Gesellschaft ist eine rechtlich eigenständige und flexibel gestaltbare Form der Innengesellschaft mit erweiterten Rechten und Pflichten des atypisch stillen Gesellschafters gegenüber der typisch stillen Gesellschaft. Ihre Besonderheiten liegen insbesondere in der Mitunternehmerschaft und der steuerlichen sowie bilanziellen Behandlung. Eine sorgfältige vertragliche Vereinbarung ist unerlässlich, um die wirtschaftlichen und rechtlichen Ziele der Beteiligten zu erreichen. Die atypisch stille Gesellschaft stellt ein bedeutsames Instrument der Unternehmensfinanzierung und -beteiligung im deutschen Wirtschaftsrecht dar.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für das Zustandekommen einer atypisch stillen Gesellschaft erfüllt sein?

Für das Zustandekommen einer atypisch stillen Gesellschaft müssen mehrere rechtliche Voraussetzungen vorliegen. Zunächst bedarf es eines Gesellschaftsvertrages zwischen einem Inhaber eines Handelsgeschäfts (sog. Geschäftsinhaber) und dem stillen Gesellschafter. Im Gegensatz zur klassischen stillen Gesellschaft (§§ 230 ff. HGB) ist bei der atypisch stillen Gesellschaft vereinbart, dass der stille Gesellschafter nicht nur am Gewinn, sondern auch am Wertzuwachs sowie an den stillen Reserven und dem Firmenwert des Handelsgeschäfts beteiligt wird. Das stellt das „Atypische“ dar und begründet eine mitunternehmerische Beteiligung. Der Vertrag kann formfrei geschlossen werden, sollte aber insbesondere zur steuerlichen Anerkennung in schriftlicher Form fixiert werden. Ferner ist eine Einlageleistung des stillen Gesellschafters erforderlich, wobei die genaue Höhe und Form (Bar- oder Sacheinlage) vertraglich geregelt werden. Auch die Beteiligung am Vermögen und an Verlusten sowie die Kontrollrechte und Informationsrechte des stillen Gesellschafters sollten ausführlich vertraglich geregelt sein, da diese über die Mindestvorgaben des HGB hinausgehen.

Welche Rechte und Pflichten hat der atypisch stille Gesellschafter im Unterschied zur typischen stillen Gesellschaft?

Im Rahmen der atypisch stillen Gesellschaft genießt der atypisch stille Gesellschafter eine deutlich stärkere Stellung gegenüber dem typischen stillen Gesellschafter. Seine Rechte ähneln häufig denen eines Kommanditisten. Neben der Gewinnbeteiligung ist er am Wertzuwachs des Unternehmens beteiligt und trägt auch anteilig das Risiko von Wertverlusten, inklusive stiller Reserven und Firmenwert. Zudem steht ihm häufig ein Mitspracherecht bei wichtigen Unternehmensentscheidungen zu, obwohl er nach außen nicht als Gesellschafter in Erscheinung tritt. Zu seinen Pflichten zählt vor allem die Leistung der vertraglich vereinbarten Einlage und gegebenenfalls die Beteiligung an Verlusten. Auch die Übernahme von Mitunternehmerinitiative und Mitunternehmerrisiko sind kennzeichnend. Ferner ist er berechtigt, in die Bücher Einsicht zu nehmen und sich regelmäßig über den Stand der Geschäfte zu informieren, was deutlich weiter geht als bei der typisch stillen Gesellschaft.

Welche steuerlichen Folgen ergeben sich aus der atypisch stillen Gesellschaft?

Die atypisch stille Gesellschaft führt aus steuerlicher Sicht zur sogenannten Mitunternehmerschaft. Der atypisch stille Gesellschafter wird steuerlich als Mitunternehmer behandelt, wodurch er nicht nur an den laufenden Gewinnen und Verlusten, sondern auch an den stillen Reserven und am Firmenwert beteiligt ist. Dies hat zur Folge, dass sein Anteil am Gewinn und Verlust – einschließlich Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben – im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung nach § 15 EStG festgestellt wird. Der atypisch stille Gesellschafter erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb und ist – anders als der typisch stille Gesellschafter, der Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt – gewerbesteuerpflichtig. Auch beim Verkauf der Unternehmensanteile oder bei Beendigung der Gesellschaft sind steuerliche Konsequenzen hinsichtlich der Veräußerungs- oder Aufgabegewinne zu beachten.

Besteht bei einer atypisch stillen Gesellschaft eine Eintragungspflicht ins Handelsregister?

Eine atypisch stille Gesellschaft ist nach deutschem Recht nicht selbst voll rechtsfähig und tritt zivilrechtlich sowie nach außen nicht in Erscheinung, da sie ein Innenverhältnis zwischen dem Geschäftsinhaber und dem stillen Gesellschafter darstellt. Infolgedessen besteht keine Pflicht, die atypisch stille Gesellschaft in das Handelsregister einzutragen. Eingetragen wird lediglich der Einzelkaufmann, die GmbH oder die KG als Geschäftsinhaber. Die Existenz und Details der atypisch stillen Gesellschaft bleiben daher regelmäßig vertraulich, was insbesondere dann von Vorteil ist, wenn stille Teilhaber anonym bleiben wollen.

Wie können Kontroll- und Mitwirkungsrechte des atypisch stillen Gesellschafters vertraglich gestaltet werden?

Anders als bei der typischen stillen Gesellschaft, in der dem stillen Gesellschafter nach § 233 HGB lediglich ein Kontrollrecht auf Vorlage der Jahresbilanz und die Erteilung von Auskünften zusteht, werden bei der atypisch stillen Gesellschaft in der Praxis oft weitergehende Kontroll- und Mitwirkungsrechte vereinbart. Im Gesellschaftsvertrag kann insbesondere geregelt werden, dass dem atypisch stillen Gesellschafter Einsichtsrechte in die Bücher und Unterlagen sowie umfangreiche Informations- und Zustimmungsrechte bei grundlegenden Unternehmensentscheidungen (z.B. Veräußerung von Unternehmensvermögen, Aufnahme neuer Gesellschafter oder Änderung der Geschäftsgrundlage) eingeräumt werden. Ebenso kann ihm ein Vetorecht oder das Recht zur Bestellung eines Beiratsmitglieds eingeräumt werden. Die genaue Ausgestaltung hängt weitgehend von den Vorstellungen der Vertragsparteien ab und sollte klar und eindeutig im Gesellschaftsvertrag fixiert werden, um Streitigkeiten zu vermeiden.

Welche Haftungsregelungen gelten für den atypisch stillen Gesellschafter?

Der atypisch stille Gesellschafter haftet gegenüber Dritten grundsätzlich nicht persönlich für die Verbindlichkeiten des Unternehmens, da sein Engagement als rein internes Gesellschaftsverhältnis ausgestaltet ist. Ihm drohen keine unmittelbaren Durchgriffshaftungsrisiken. Allerdings trägt er im Innenverhältnis das volle wirtschaftliche Risiko seiner Einlage und ggf. darüber hinaus, sofern eine Verlustbeteiligung vereinbart ist. Im Extremfall kann sein gesamter Kapitaleinsatz verloren gehen. Wichtig ist, dass er auch am wirtschaftlichen Wertverlust des Unternehmens (inklusive stiller Reserven) beteiligt werden kann. Für eine persönliche Haftungsübernahme und etwaige Bürgschaften bedarf es einer gesonderten, ausdrücklich festzulegenden Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag.

Wie kann eine atypisch stille Gesellschaft beendet werden und welche rechtlichen Folgen ergeben sich daraus?

Die atypisch stille Gesellschaft kann auf verschiedene Arten beendet werden: durch Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer, durch Kündigung einer Partei, durch Insolvenz des Geschäftsinhabers oder des stillen Gesellschafters oder auch durch Tod des stillen Gesellschafters, sofern der Vertrag keine Fortsetzungsklauseln enthält. Bei Beendigung sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch eine Auseinandersetzungsbilanz zu klären. Dem atypisch stillen Gesellschafter steht sein Anteil am Auseinandersetzungsguthaben zu, einschließlich der Beteiligung an den stillen Reserven und am Firmenwert. Steuerlich gilt die Beendigung als Veräußerung oder Aufgabe der Mitunternehmerstellung, wodurch nach § 16 EStG ein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn festgestellt und versteuert werden muss. Die Details der Abwicklung sollten deshalb im Gesellschaftsvertrag klar geregelt sein, insbesondere hinsichtlich Bewertungsmodalitäten und Zahlungsmodalitäten.