Legal Lexikon

Archivgut


Definition und rechtliche Grundlagen von Archivgut

Als Archivgut werden im deutschen und europäischen Kontext in der Regel alle Unterlagen bezeichnet, die durch öffentliche oder private Stellen, Personen oder Institutionen produziert, empfangen oder übernommen wurden, und die zur dauerhaften Aufbewahrung, Sicherung, Erschließung sowie Nutzung in ein Archiv übernommen werden. Archivgut stellt einen zentralen Bestandteil des kulturellen Erbes dar und unterliegt einer besonderen rechtlichen Behandlung. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen ergeben sich sowohl aus nationalem Recht als auch aus europäischen Vorgaben.

Entstehung und Arten von Archivgut

Öffentliche und private Provenienz

Archivgut unterscheidet sich nach seiner Herkunft:

  • Öffentliches Archivgut: Umfasst Unterlagen, die bei Behörden, Gerichten, öffentlichen Unternehmen oder sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit entstanden sind.
  • Privates Archivgut: Bezieht sich auf Dokumente privater Herkunft, etwa von Verbänden, Unternehmen, Parteien, Stiftungen oder Privatpersonen, die einen bleibenden historischen Wert besitzen.

Materialien und Formen

Archivgut besteht nicht nur aus klassischen Papierdokumenten, sondern umfasst:

  • Akten, Urkunden, Karten, Zeichnungen, Pläne
  • Bild-, Film- und Tondokumente
  • Elektronische und digitale Unterlagen

Der Begriff ist damit medienneutral und orientiert sich am dauerhaften Zeugnis- und Dokumentationswert.

Gesetzliche Grundlagen und Regelungen in Deutschland

Bundes- und Landesarchivgesetze

Die rechtlichen Anforderungen an Archivgut werden in Deutschland maßgeblich durch Archivgesetze geregelt:

  • Das Bundesarchivgesetz (BArchG) regelt das Archivwesen auf Bundesebene, insbesondere für Unterlagen der Bundesverwaltung.
  • Zusatzregelungen bestehen in den Archiven der Länder, welche jeweils eigene Archivgesetze vorhalten (z.B. Bayerisches Archivgesetz, Archivgesetz Nordrhein-Westfalen), insbesondere hinsichtlich kommunaler Behörden und regionaler Einrichtungen.

Diese Gesetze bestimmen unter anderem:

  • Die Definition und Abgrenzung des Archivguts
  • Die Anbietungspflicht von Behörden
  • Auswahlverfahren für archivwürdige Unterlagen (Archivwürdigkeit)
  • Die Verzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten
  • Fragen der Überlieferungsbildung und Kassation

Anbietungs- und Ablieferungspflicht

Behörden und öffentliche Einrichtungen sind gesetzlich verpflichtet, nicht mehr benötigte Unterlagen, die Möglichkeiten für eine dauerhafte Aufbewahrung bergen, dem jeweils zuständigen Archiv anzubieten. Das Archiv prüft anschließend die Archivwürdigkeit und bestimmt, welche Unterlagen als Archivgut dauerhaft übernommen und welche vernichtet werden (Kassation).

Archivwürde und Kassation

Nicht jede Unterlage ist automatisch Archivgut. Die Bewertung, ob ein Dokument dauerhaft aufzubewahren ist, erfolgt unter Gesichtspunkten der historischen, rechtlichen, administrativen und kulturellen Bedeutung. Die Kriterien werden in den jeweiligen Archivgesetzen und Verwaltungsvorschriften konkretisiert.

Rechtspositionen und Schutz des Archivguts

Schutzrechte, Eigentum und Verfügung

Grundsätzlich tritt mit der Übernahme von Archivgut regelmäßig eine Übertragung des Eigentums von der abgebenden Stelle auf das Archiv ein. Bei privaten Abgaben verbleiben die Eigentumsrechte je nach Vereinbarung beim Einlieferer oder gehen auf das Archiv über.

Datenschutz, Urheberrecht und Persönlichkeitsrecht

  • Datenschutz: Archivgut kann personenbezogene Daten enthalten. Für dessen Nutzung besteht gemäß Archivgesetzen eine spezielle Zweckbindung und eingeschränkte Zugänglichkeit, insbesondere bei sensiblen oder schutzwürdigen Daten. Die Schutzfristen werden im Bundesarchivgesetz (§11) und den Landesarchivgesetzen konkret geregelt (i.d.R. 30 Jahre nach Entstehung der Unterlage, 10 Jahre nach Tod der betroffenen Person).
  • Urheberrecht: Urheberrechtlich geschützte Werke bleiben auch im Archiv urheberrechtlich geschütztes Material, sodass Nutzungen den urheberrechtlichen Schranken unterliegen und etwaige Nutzungsgenehmigungen erforderlich machen können.
  • Persönlichkeitsrecht: Dritte können bei besonders sensiblen Archivunterlagen, z.B. aus dem medizinischen Bereich, Anspruch auf Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte haben. Hier greifen ergänzend Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sowie der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Zugänglichkeit und Nutzung

Die Nutzung und Zugänglichmachung von Archivgut unterliegt spezifischen rechtlichen Vorgaben. Grundsätzlich besteht ein Informationsanspruch der Öffentlichkeit („Nutzungspflicht der Archive“), der jedoch eingeschränkt werden kann, wenn Schutzfristen laufen oder schutzwürdige Belange Dritter betroffen sind.

Bedeutung im Kontext von Informationsfreiheit und Transparenz

Archivgut nimmt eine wichtige Rolle im System der Informationsfreiheit ein. Nach den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder sowie dem Umweltinformationsgesetz sind bestimmte Archive verpflichtet, Zugang zu ihren Beständen zu gewähren. Dabei sind die Regelungen des Archivrechts vorrangig zu beachten.

Europäische und internationale Vorschriften

Auf europäischer Ebene finden sich Bezüge zum Archivgut insbesondere im Kontext der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), welche Archivierungszwecken im öffentlichen Interesse besondere Bedeutung zuweist (Art. 89 DSGVO). Die UNESCO-Konventionen zum Schutz des Kulturguts umfassen ebenfalls Anforderungen an die Bewahrung und Sicherung von Archivgut.

Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Regelungen zum Archivgut

Die Verletzung archivrechtlicher Vorschriften kann sowohl verwaltungsrechtliche als auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. Beispielsweise können eigenmächtige Vernichtung, Unterschlagung oder die unerlaubte Herausgabe von Archivgut, das besonders geschützte Daten enthält, strafbewehrt sein (§133 StGB – Vernichtung wichtiger Unterlagen).

Zusammenfassung und Ausblick

Archivgut ist ein rechtlich hochkomplexer Begriff, der die dauerhafte Sicherung, Aufbewahrung und Zugänglichmachung von Unterlagen mit Zeugnischarakter für Verwaltung, Wissenschaft und Öffentlichkeit sicherstellt. Die umfassende rechtliche Ausgestaltung durch Bundes- und Landesgesetze, ergänzt um europäische Bestimmungen und internationale Standards, gewährleistet den Schutz und die geordnete Nutzung dieses bedeutsamen Bestandteils des kulturellen Gedächtnisses. Die Abwägung zwischen öffentlichem Interesse, Datenschutz, Urheberrecht und Persönlichkeitsrecht prägt die rechtliche Behandlung von Archivgut maßgeblich.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist rechtlich befugt, Archivgut zu nutzen?

Die Berechtigung zur Nutzung von Archivgut richtet sich nach den einschlägigen Archivgesetzen des Bundes oder der Länder sowie nach weiteren spezialgesetzlichen Regelungen. Öffentliches Archivgut steht in der Regel der Allgemeinheit zur Verfügung, sofern keine rechtlichen Schutzfristen oder Einschränkungen entgegenstehen. Der Zugang kann aus Gründen des Datenschutzes (z. B. personenbezogene Daten), des Urheberrechts oder zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen eingeschränkt werden. Besonders bei personenbezogenem Archivgut besteht häufig eine Schutzfrist von 10 bis 30 Jahren nach dem Tod der betroffenen Person oder nach der Entstehung der Unterlagen. Die Einhaltung der Schutzfristen und die Voraussetzungen für deren Verkürzung oder Verlängerung sind im jeweiligen Archivgesetz festgelegt. Forschungsvorhaben können unter bestimmten Voraussetzungen privilegiert sein, wobei jedoch regelmäßig besondere Verpflichtungserklärungen abzugeben sind und spezielle Vorkehrungen zur Wahrung von Persönlichkeitsrechten getroffen werden müssen.

Unterliegen alle Unterlagen automatisch dem Archivrecht?

Nicht alle Unterlagen unterliegen per se dem Archivrecht, sondern zunächst dem Aktenführungs- und Aufbewahrungsrecht der jeweiligen Behörde oder Institution. Erst nach Ablauf der behördlichen Aufbewahrungsfristen und einer daran anschließenden Bewertung (Archivwürdigkeit) werden Unterlagen als Archivgut übernommen und unterliegen dann dem Archivrecht. Privatarchive oder Unterlagen aus Privatbesitz fallen erst dann unter das Archivrecht, wenn sie explizit an ein öffentliches Archiv abgegeben oder durch Gesetz erfasst werden (z. B. bei Nachlässen bedeutender Persönlichkeiten). Bis zu diesem Zeitpunkt gelten ggf. andere rechtliche Rahmenbedingungen, etwa das Zivilrecht, das Urheberrecht oder das Datenschutzrecht.

Welche Schutzfristen gelten für Archivgut und wie werden sie berechnet?

Die Schutzfristen für Archivgut sind im Wesentlichen dazu da, die Interessen Dritter oder das öffentliche Interesse zu schützen. Für personenbezogenes Archivgut gelten in Deutschland je nach Archivgesetz häufig Schutzfristen von 10, 30 oder 60 Jahren, die sich entweder am Todesdatum der betroffenen Person oder – falls dieses unbekannt ist – am Entstehungsdatum des Dokuments orientieren. Für besonders sensible Dokumente, wie etwa Akten mit Informationen über Gesundheit oder Strafverfahren, können verlängerte Fristen zum Tragen kommen. Nach Ablauf dieser Fristen wird das Archivgut grundsätzlich frei zugänglich, sofern keine anderen rechtlichen Hindernisse entgegenstehen (z. B. besondere Geheimhaltungsvorschriften, Staatswohl). Die genaue Berechnung und Auslegung regeln die jeweiligen Archivgesetze, die auch Möglichkeiten zur Verkürzung der Schutzfrist vorsehen können – etwa bei Einwilligung der Betroffenen oder im Rahmen eines wissenschaftlichen Interesses.

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen bei der Veröffentlichung von Archivgut beachtet werden?

Bei der Veröffentlichung von Archivgut sind verschiedene rechtliche Vorschriften zu berücksichtigen. Neben den Schutzfristen des Archivrechts müssen insbesondere das Persönlichkeitsrecht, das Urheberrecht sowie das Datenschutzrecht beachtet werden. Enthält das Archivgut personenbezogene Daten, ist eine Veröffentlichung nur zulässig, wenn die Betroffenen eingewilligt haben oder die entsprechenden Schutzfristen abgelaufen sind. Im Fall urheberrechtlich geschützter Inhalte (z. B. Fotografien, unveröffentlichte Werke) muss zusätzlich das Urheberrecht oder ggf. das Verlagsrecht beachtet werden. In vielen Fällen wird vom veröffentlichenden Archiv eine Prüfung und ggf. Unkenntlichmachung bestimmter Inhalte gefordert, um die Rechte Dritter zu schützen. Für die wissenschaftliche Publikation gelten teilweise Sonderregelungen, insbesondere bei der Anonymisierung personenbezogener Daten.

Dürfen Nutzerinnen und Nutzer Kopien von Archivgut anfertigen?

Das Anfertigen von Kopien (z. B. Digitalisate, Papierkopien, Fotografien) von Archivgut ist grundsätzlich zulässig, sofern keine rechtlichen Beschränkungen wie fortbestehende Schutzfristen, urheberrechtliche Vorbehalte oder besondere Nutzungsbestimmungen entgegenstehen. Die genauen Regelungen stellt das jeweilige Archiv in eigenen Nutzungsordnungen auf, die sich auf die gesetzlichen Vorgaben stützen. Bei urheberrechtlich geschütztem Material ist eine Kopienanfertigung regelmäßig nur für den privaten oder wissenschaftlichen Gebrauch im Rahmen des § 60 UrhG erlaubt. Veröffentlichungen, Vervielfältigungen und Weitergaben von Kopien bedürfen regelmäßig der Zustimmung des Rechteinhabers bzw. des Archivs.

Wer haftet bei der Verletzung rechtlicher Vorgaben im Umgang mit Archivgut?

Bei Verletzung gesetzlicher Vorgaben, etwa durch die Veröffentlichung geschützter personenbezogener Daten oder urheberrechtlich geschützter Inhalte, haftet grundsätzlich die Person, die die Rechtsverletzung begeht, also etwa die Nutzerin oder der Nutzer des Archivguts. Archive sind jedoch verpflichtet, angemessene Prüf- und Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen und informieren regelmäßig proaktiv über bestehende Schutzfristen und rechtliche Rahmenbedingungen. Darüber hinaus können Archive für grobe Pflichtverletzungen, insbesondere bei der Herausgabe oder Veröffentlichung unrechtmäßig geschützter Dokumente, ebenfalls haftbar gemacht werden. Die Haftung kann von Unterlassungsansprüchen über Schadenersatzforderungen bis hin zu strafrechtlichen Sanktionen reichen, abhängig von Art und Schwere des Verstoßes sowie den betroffenen Rechtsgütern.

Wie wird mit urheberrechtlich geschütztem Archivgut umgegangen?

Urheberrechtlich geschütztes Archivgut – beispielsweise Schriftwerke, Fotografien, Karten oder künstlerische Arbeiten – darf grundsätzlich nicht ohne Zustimmung des Rechteinhabers veröffentlicht, vervielfältigt oder verbreitet werden, sofern die gesetzliche Schutzfrist (in der Regel 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers) nicht abgelaufen ist. Archive klären in der Regel zuvor die Rechte- und Nutzungslage, sprechen ggf. Nutzungsbedingungen mit Rechteinhabern ab und weisen Nutzerinnen und Nutzer auf die Wahrung von Urheberrechten hin. Für die wissenschaftliche Nutzung greift gegebenenfalls eine Schranke des Urheberrechts, die eine eingeschränkte Nutzung ermöglichen kann. Bei Unsicherheiten muss eine Einzelfallprüfung erfolgen, um Rechtsverstöße zu vermeiden.