Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Strafrecht»Anzeigepflicht (Strafrecht)

Anzeigepflicht (Strafrecht)


Begriff und Bedeutung der Anzeigepflicht im Strafrecht

Die Anzeigepflicht im Strafrecht bezeichnet die gesetzliche Verpflichtung bestimmter Personen, den Verdacht einer Straftat gegenüber den zuständigen Strafverfolgungsbehörden, insbesondere der Polizei oder Staatsanwaltschaft, anzuzeigen. Diese Rechtspflicht unterscheidet sich wesentlich von der sogenannten Anzeigeerstattung, die jeder Bürger freiwillig vornehmen kann. Die Anzeigepflicht nach Strafrecht besteht ausschließlich in gesetzlich geregelten Fällen und wird insbesondere im deutschen Rechtssystem durch § 138 des Strafgesetzbuches (StGB) normiert.


Rechtsgrundlagen der Anzeigepflicht

Gesetzliche Regelung (§ 138 StGB)

Die zentrale Norm zur Anzeigepflicht im deutschen Strafrecht ist § 138 StGB – Nichtanzeige geplanter Straftaten. Nach diesem Paragraphen macht sich strafbar, wer von der Planung bestimmter schwerwiegender Straftaten (z. B. Mord, Totschlag, Raub, Hochverrat) zuverlässige Kenntnis erhält und diesen Umstand nicht unverzüglich der zuständigen Behörde mitteilt, sofern die Tat noch abgewendet werden kann oder die Strafverfolgung noch möglich ist.

Tatbestandsmerkmale

  1. Erfahren von einer geplanten und besonders schweren Straftat: Die Vorschrift erfasst lediglich die in § 138 Abs. 1 StGB abschließend aufgeführten Katalogtaten.
  2. Unverzügliche Anzeige: Die Mitteilung muss „unverzüglich“ erfolgen, d.h. ohne schuldhaftes Zögern.
  3. Abwendungsbefugnis: Die Anzeigepflicht besteht nur, solange die Tat noch abgewendet oder deren Folgen verhindert werden können.

Erweiterte Anzeigepflichten in Sondergesetzen

Neben § 138 StGB finden sich Anzeigepflichten auch in besonderen Rechtsvorschriften, beispielsweise:

  • § 14 Abs. 2 WaffG: Anzeigespflicht für sicherheitsempfindliche Sachverhalte im Zusammenhang mit Waffen.
  • Betäubungsmittelgesetz (BtMG): Hier bestehen in bestimmten Fällen Mitteilungspflichten gegenüber Behörden.

Dogmatische Einordnung der Anzeigepflicht

Die Anzeigepflicht zählt zu den sogenannten echten Unterlassungsdelikten im deutschen Strafrecht, das heißt, das Gesetz schreibt aktives Verhalten vor und sanktioniert die Nichtvornahme der erforderlichen Handlung. Die Anzeigepflicht steht somit im Spannungsfeld zwischen Schweigepflicht, Schutzverhältnissen und staatlichem Strafverfolgungsinteresse.

Verhältnis zu Verschwiegenheitspflichten

Bestimmte Berufsgruppen, wie beispielsweise Ärzte oder Seelsorger, unterliegen gesetzlichen Schweigepflichten. § 139 StGB regelt Ausnahmen zur Anzeigepflicht für Berufsgeheimnisträger und beschränkt deren Verpflichtung, geplante Straftaten anzuzeigen, erheblich zum Schutz des Vertrauensverhältnisses.


Umfang und Grenzen der Anzeigepflicht

Anzeigepflichtige Straftaten

Der Pflicht zur Anzeige unterliegen nur die in § 138 Abs. 1 StGB genannten, besonders schweren Straftaten. Hierzu gehören u. a.:

  • Vorbereitung eines Angriffskrieges
  • Hochverrat
  • Mord und Totschlag
  • Raubüberfälle
  • bestimmte Sexualdelikte
  • Verursachen einer Sprengstoffexplosion

Für sonstige, nicht katalogisierte Straftaten besteht keine gesetzliche Anzeigepflicht.

Erkennbarkeit und Zumutbarkeit

Die Pflicht zur Anzeige setzt voraus, dass die Person von der geplanten Straftat zuverlässige Kenntnis erlangt hat und ein verständiger Mensch unter Berücksichtigung aller Umstände eine ernsthafte Tatbegehung erwarten würde.

Die Anzeigepflicht entfällt, wenn

  • der Täter bereits Maßnahmen zur Abwendung ergriffen hat,
  • der Person eine Anzeige aus eigenem Verschulden unmöglich ist,
  • eine besondere Schutzpflicht, wie z. B. gegenüber Familienangehörigen (§ 138 Abs. 3 StGB), besteht.

Rechtsfolgen und Sanktionierung bei Verletzung der Anzeigepflicht

Strafbarkeit nach § 138 StGB

Eine Verletzung der Anzeigepflicht kann zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder zu Geldstrafe führen. Die Sanktionierung verfolgt dabei das Ziel, schweren Gefährdungen der staatlichen und öffentlichen Sicherheit vorzubeugen.

Entfallen der Strafbarkeit

Die Strafbarkeit entfällt, wenn die Anzeige „rechtzeitig“ erstattet oder berechtigte Hinderungsgründe (z. B. familiäre Verbundenheit, Berufsgeheimnis) vorliegen.


Anzeigepflicht im internationalen Kontext

Viele Rechtssysteme kennen eigene Regelungen zur Anzeigepflicht, beispielsweise in Österreich durch § 94 StGB oder in der Schweiz durch Artikel 321 StGB. Die konkrete Ausgestaltung und der Katalog betroffener Straftaten variieren allerdings – gemein ist jedoch der präventive Schutzzweck gegenüber besonders gravierenden Verbrechen.


Abgrenzung: Freiwillige Anzeige und Strafvereitelung

Freiwillige Anzeige

Im Gegensatz zur Anzeigepflicht steht die allgemeine Möglichkeit, eine Straftat freiwillig anzuzeigen, wofür es keiner gesetzlichen Verpflichtung bedarf.

Strafvereitelung

Die Nichtanzeige von bereits begangenen, nicht in § 138 StGB gelisteten Straftaten ist grundsätzlich nicht strafbar, kann jedoch als Strafvereitelung (§ 258 StGB) geahndet werden, falls aktiv Maßnahmen ergriffen werden, um die Strafverfolgung eines Täters zu verhindern.


Bedeutung und Zweck der Anzeigepflicht im Strafrecht

Die strafrechtliche Anzeigepflicht dient dem Schutz besonders bedeutsamer Rechtsgüter, der Prävention schwerster Kriminalität und der frühzeitigen Unterbindung schwerwiegender Gefahren für Allgemeinheit und Staat. Sie stellt ein notwendiges Korrektiv zwischen individuellem Schutzinteresse (z. B. Verschwiegenheit) und öffentlichem Sicherheitsinteresse dar.


Literatur

  • Strafgesetzbuch mit Erläuterungen zu § 138 StGB
  • Tröndle/Fischer: Kommentar zum StGB
  • Küper, H.: Die Anzeige- und Offenbarungspflichten im Strafrecht, JuS 1987, S. 952 ff.

Siehe auch


Dieser Artikel bietet eine umfassende und detaillierte Darstellung der Anzeigepflicht im Strafrecht unter besonderer Berücksichtigung ihrer rechtlichen Grundlagen, Ausnahmen, Grenzen und Systematik im deutschen Recht sowie deren Bedeutung im internationalen Kontext.

Häufig gestellte Fragen

Wann besteht im Strafrecht eine Anzeigepflicht und für welche Straftaten gilt sie?

Die Anzeigepflicht im Strafrecht ist in § 138 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Sie besteht dann, wenn jemand von der Planung oder Ausführung bestimmter, besonders schwerer Straftaten Kenntnis erhält und diese nicht rechtzeitig der zuständigen Behörde anzeigt. Die Pflicht gilt insbesondere für in § 138 StGB enumerativ aufgeführte Delikte wie Mord, Totschlag, Völkermord, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme, Raubüberfälle, bestimmte staatsgefährdende Straftaten, sowie terroristische Straftaten. Die Anzeigepflicht bezieht sich in der Regel auf die Vorbereitung, nicht jedoch auf abgeschlossene Taten, mit Ausnahme einiger spezifischer Fälle, bei denen auch die Kenntnis von bereits begangenen Straftaten anzeigepflichtig sein kann, wenn dadurch die Wiederholung oder Fortsetzung der Straftat verhindert werden könnte. Die genaue Reichweite der Anzeigepflicht ergibt sich aus der detaillierten Aufzählung in § 138 StGB.

Wer ist von der Anzeigepflicht nach § 138 StGB ausgenommen?

Von der Anzeigepflicht nach § 138 StGB gibt es gesetzlich normierte Ausnahmen. Insbesondere sind Personen nicht verpflichtet, Anzeige zu erstatten, wenn sie selbst an der geplanten oder begangenen Straftat beteiligt waren oder die Tat nicht verhindern konnten, ohne sich selbst oder einen nahen Angehörigen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen (vgl. § 138 Abs. 2 StGB). Auch bestimmte Berufsgeheimnisträger, insbesondere Rechtsanwälte, Verteidiger, Geistliche und zum Teil Ärzte oder Psychotherapeuten, können durch ihre Schweigepflicht von der Anzeigepflicht entbunden sein, wenn sie im Rahmen ihres Berufs von der Straftat erfahren. Jedoch gelten hierbei komplexe Abwägungen, beispielsweise hinsichtlich der Pflicht zur Offenbarung im Konfliktfall.

Was sind die Rechtsfolgen einer Verletzung der Anzeigepflicht?

Wer entgegen § 138 StGB eine anzeigepflichtige straftatbezogene Planung oder Ausführung nicht rechtzeitig anzeigt, macht sich strafbar und kann mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden. Diese Vorschrift stellt ein eigenständiges Schutzgesetz dar, das verhindern soll, dass besonders gravierende Straftaten unentdeckt bleiben oder weiter durchgeführt werden. Die Strafbarkeit setzt voraus, dass die anzeigepflichtige Person tatsächliche Kenntnis und nicht nur vage Vermutungen über die geplante oder laufende Tat hat. Gleichzeitig kann die Strafe gemildert werden oder ganz entfallen, wenn rechtzeitig und erfolgreich zur Abwendung der Straftat beigetragen wird (§ 138 Abs. 4 StGB).

Wie muss eine Anzeige im Rahmen der Anzeigepflicht erstattet werden?

Eine Anzeige im Sinne von § 138 StGB muss unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen. Sie ist bei einer zuständigen Behörde wie der Polizei oder der Staatsanwaltschaft zu erstatten. Die Mitteilung muss ausreichend konkret und so präzise sein, dass die Behörde die Straftat und gegebenenfalls deren Gefährdungspotenzial erkennen und geeignete Maßnahmen ergreifen kann. Eine formlose Mitteilung reicht, es bedarf also keines Antrags oder förmlichen Strafantrags. Entscheidend ist ausschließlich, dass die Übermittlung der Informationen geeignet ist, eine Tatverhinderung zu ermöglichen.

Unterscheidet sich die Anzeigepflicht von der allgemeinen Zeugenpflicht?

Die Anzeigepflicht (§ 138 StGB) unterscheidet sich grundlegend von der allgemeinen Zeugenpflicht. Während die Zeugenpflicht dazu verpflichtet, im Strafverfahren auf Ladung Aussage zu machen, regelt die Anzeigepflicht die Obliegenheit, bereits vor einer Tat oder einem Verfahren aktiv eine anstehende oder laufende besonders schwere Straftat den Behörden zu melden, um diese zu verhindern. Die Anzeigepflicht besteht unabhängig von einem eingeleiteten Ermittlungsverfahren und zielt primär auf die Prävention und Gefahrenabwehr, während die Zeugenpflicht die Aufklärung bereits geschehener Straftaten unterstützt.

Gibt es eine Pflicht zur Anzeige bereits begangener Straftaten?

Die Anzeigepflicht nach § 138 StGB bezieht sich im Regelfall auf die Kenntnis von Vorbereitung oder Ausführung geplanter, noch nicht vollendeter Straftaten. Eine Pflicht zur Anzeige bereits vollendeter Taten besteht grundsätzlich nicht, es sei denn, durch die Anzeige könnte eine weitere schwere Straftat verhindert oder die Wiederholung abgewendet werden (z.B. Serien- oder Fortsetzungsdelikt). In den meisten Fällen ist die Pflicht zur Anzeige bereits begangener Verbrechen daher ausgenommen, es sei denn, das Gesetz nennt ausdrücklich eine Ausnahme.

Welche Bedeutung hat die subjektive Komponente (Kenntnis und Absicht) für die Anzeigepflicht?

Die Strafbarkeit wegen Nichtanzeige nach § 138 StGB setzt voraus, dass der Täter sicher Kenntnis darüber hat, dass eine anzeigepflichtige Tat vorbereitet oder ausgeführt wird. Es genügt kein bloßer Verdacht oder eine Vermutung; vielmehr muss der Anzeigepflichtige von der Tat ernsthaft überzeugt sein. Zudem ist relevant, ob dem Pflichtigen die Anzeige auch zumutbar ist – das heißt, er muss dazu in der Lage und durch keine rechtlichen Hürden (z.B. Zeugnisverweigerungsrechte oder Selbstbelastungsverbot) gehindert sein. Die subjektive Überzeugung und die Abwägung individueller Umstände spielen daher eine zentrale Rolle in der Bewertung der Strafbarkeit.