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Antragsveranlagung


Begriff und Rechtsgrundlagen der Antragsveranlagung

Die Antragsveranlagung ist ein zentraler Begriff im deutschen Steuerrecht und bezeichnet die Möglichkeit, eine Veranlagung zur Einkommensteuer auf Antrag durchführen zu lassen, sofern keine gesetzliche Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung besteht. Sie stellt das Gegenstück zur Pflichtveranlagung dar und dient insbesondere Arbeitnehmern dazu, steuerliche Vorteile geltend zu machen oder eine Steuererstattung zu erhalten.

Rechtliche Grundlagen

Die rechtlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Antragsveranlagung ergeben sich im Wesentlichen aus den Regelungen des Einkommensteuergesetzes (EStG), insbesondere §§ 46 ff. EStG sowie den korrespondierenden Vorschriften der Abgabenordnung (AO). Maßgebliche Einzelheiten zur Antragsveranlagung für bestimmte Personengruppen finden sich auch in den entsprechenden Verwaltungsvorschriften und Lohnsteuer-Richtlinien.

Voraussetzungen der Antragsveranlagung

Steuerpflichtige ohne Pflicht zur Veranlagung

Von der Möglichkeit der Antragsveranlagung können Steuerpflichtige Gebrauch machen, die nicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet sind. Dies betrifft in der Regel Personen, deren Einkünfte ausschließlich dem Lohnsteuerabzug unterliegen und bei denen im Veranlagungszeitraum keine weiteren steuerpflichtigen Einkünfte erzielt wurden.

Zeitpunkt und Form des Antrags

Der Antrag auf eine Veranlagung zur Einkommensteuer kann gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG grundsätzlich bis zu vier Jahre nach Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums beim zuständigen Finanzamt gestellt werden. Die Antragsveranlagung erfolgt durch die Abgabe einer freiwilligen Einkommensteuererklärung (sog. „Antragsveranlagung“ oder „freiwillige Veranlagung“).

Ziel und Zweck der Antragsveranlagung

Erstattung von Lohnsteuer

Ein zentraler Zweck der Antragsveranlagung ist die Korrektur überhöhter Lohnsteuerabzüge. Im Rahmen der Antragsveranlagung kann es beispielsweise zu Steuererstattungen kommen, wenn beim Lohnsteuerabzug bestimmte Freibeträge, Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen oder Werbungskosten nicht oder nicht vollständig berücksichtigt wurden.

Berücksichtigung weiterer steuerlicher Vorteile

Im Zuge der Antragsveranlagung können Steuerpflichtige verschiedene Steuervergünstigungen nachträglich in Anspruch nehmen. Dazu zählen insbesondere:

  • Abzug zusätzlicher Werbungskosten (z. B. Fahrten zur Arbeitsstätte)
  • Geltendmachung von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen
  • Anwendung von Freibeträgen, die beim Lohnsteuerabzug nicht berücksichtigt wurden

Abgrenzung zur Pflichtveranlagung

Die Antragsveranlagung unterscheidet sich von der Pflichtveranlagung dadurch, dass sie nur auf Antrag des Steuerpflichtigen erfolgt. Eine Verpflichtung zur Abgabe der Einkommensteuererklärung besteht im Falle der Antragsveranlagung grundsätzlich nicht. Pflichtveranlagungsgründe ergeben sich hingegen aus § 46 Abs. 2 EStG (z. B. bei Bezug von Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld, mehreren Arbeitsverhältnissen oder Nebeneinkünften).

Verfahrensrechtliche Aspekte

Ablauf des Antragsveranlagungsverfahrens

Das Verfahren beginnt mit der freiwilligen Abgabe der Einkommensteuererklärung bei dem für den Wohnsitz des Steuerpflichtigen zuständigen Finanzamt. Nach Prüfung der Angaben erlässt das Finanzamt einen Steuerbescheid, aus dem sich eine Nachzahlung, Erstattung oder Nullfestsetzung ergeben kann.

Rechtsmittel und Änderungsmöglichkeiten

Gegen den Einkommensteuerbescheid im Rahmen einer Antragsveranlagung steht dem Steuerpflichtigen das Rechtsmittel des Einspruchs zu (§§ 347 ff. AO). Die Steuerfestsetzung kann im Rahmen der gesetzlichen Fristen geändert werden, etwa im Fall nachträglicher Feststellung neuer Tatsachen (§ 173 AO).

Rücknahme und Bindungswirkung des Antrags

Mit der Antragstellung auf Veranlagung zur Einkommensteuer ist der Steuerpflichtige auch an das Ergebnis des Verfahrens gebunden, auch wenn dieses im Einzelfall zu einer Steuernachzahlung führen kann. Eine Rücknahme des Antrags ist möglich bis zur Bestandskraft des Steuerbescheides.

Anwendungsbeispiele

Die Antragsveranlagung kommt insbesondere in folgenden Konstellationen zum Tragen:

  • Arbeitnehmer mit keinen oder nur geringen Nebeneinkünften
  • Steuerpflichtige mit während des Jahres gewechseltem Arbeitgeber (z.B. Wechsel der Lohnsteuerklasse)
  • Geltendmachung erhöhter berufsbedingter Werbungskosten (z.B. doppelte Haushaltsführung)
  • Inanspruchnahme von Steuerermäßigungen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht abgebildet werden

Fristen und Verjährung

Antragsveranlagungen sind nur innerhalb der Festsetzungsfrist von vier Jahren möglich (§ 169 Abs. 2 AO). Für den Veranlagungszeitraum 2023 ergibt sich beispielsweise eine Abgabefrist bis zum 31. Dezember 2027. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist eine Antragsveranlagung ausgeschlossen.

Bedeutung in der Praxis

Die Antragsveranlagung stellt eine wichtige Möglichkeit der nachträglichen Steueroptimierung dar und trägt zur Wahrung der steuerlichen Gerechtigkeit bei, indem sie die individuellen Verhältnisse des Steuerpflichtigen umfassend berücksichtigt. Trotz fehlender Verpflichtung entscheiden sich viele Arbeitnehmer jährlich für die freiwillige Einreichung einer Einkommensteuererklärung, um eine Steuererstattung zu erhalten oder vergessene Aufwendungen steuermindernd geltend zu machen.


Zusammenfassung:
Die Antragsveranlagung ist ein zentrales Instrument im deutschen Steuerrecht, das der freiwilligen Antragstellung auf Veranlagung zur Einkommensteuer dient. Sie bietet Steuerpflichtigen die Möglichkeit, steuermindernde Sachverhalte nachträglich geltend zu machen und etwaige Steuererstattungen zu erhalten, wenn keine Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung besteht. Die Regelungen, Anwendungsvoraussetzungen und Verfahrensvorschriften sind im Einkommensteuergesetz und in der Abgabenordnung umfassend geregelt.


Weiterführende Begriffe:

Häufig gestellte Fragen

Wann ist eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG möglich?

Eine Antragsveranlagung kann nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Einkommensteuergesetz (EStG) von unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Arbeitnehmern erfolgen, wenn diese nicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet sind, aber dennoch durch Antrag eine Veranlagung zur Einkommensteuer wünschen. Diese Möglichkeit besteht insbesondere, wenn Arbeitnehmer – beispielsweise aufgrund bestimmter Freibeträge oder anrechenbarer Werbungskosten – eine Steuererstattung erwarten. Allerdings können nur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit veranlagt werden, sofern keine weiteren veranlagungspflichtigen Tatbestände nach § 46 Abs. 2 EStG oder allgemeine Veranlagungspflichten greifen. Die Antragsfrist beträgt vier Jahre nach Ablauf des jeweiligen Steuerjahres, § 169 AO. Der Antrag auf Veranlagung kann nicht widerrufen werden (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 S. 2 EStG), sobald ein Steuerbescheid ergangen ist.

Welche Frist gilt für die Abgabe einer Einkommensteuererklärung im Rahmen der Antragsveranlagung?

Für die Antragsveranlagung muss gemäß § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) die Einkommensteuererklärung spätestens bis zum Ablauf des vierten Kalenderjahres, das auf das betreffende Steuerjahr folgt, beim Finanzamt eingegangen sein. Danach ist die Festsetzungsfrist abgelaufen, so dass ein Antrag nicht mehr zulässig bearbeitet werden kann, auch wenn der Steuerpflichtige ohne Verschulden an der früheren Abgabe gehindert war. Maßgeblich ist der Eingang der Steuererklärung beim zuständigen Finanzamt. Eine Fristverlängerung ist, anders als bei der Pflichtveranlagung, grundsätzlich nicht vorgesehen.

Welche Rechtsfolgen treten ein, wenn nach Antragsveranlagung eine Steuerzahlung gefordert wird?

Auch im Rahmen der Antragsveranlagung kann es vorkommen, dass die Berechnung des Finanzamts eine Nachzahlung ergibt. Der Steuerbescheid hängt dann in seinen Rechtswirkungen nicht davon ab, ob ursprünglich die Aussicht auf eine Erstattung bestand. Vielmehr kann eine Steuerfestsetzung ebenso auch zu steuerlichen Nachforderungen führen. Im Falle einer Nachzahlung ist der festgesetzte Betrag innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten (§ 220 AO). Ein Widerruf oder eine Rücknahme des Antrags mit dem Ziel, der Zahlungspflicht zu entgehen, ist ausdrücklich ausgeschlossen (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 S. 2 EStG).

Kann eine bereits eingereichte Antragsveranlagung zurückgenommen werden?

Ein einmal gestellter Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist unwiderruflich, sobald das Finanzamt einen Steuerbescheid erlassen hat. Vor Ergehen des Steuerbescheides ist ein Rücknahmeersuchen möglich, da der Antrag keine Bindungswirkung entfaltet. Nach Erlass des Steuerbescheids wirkt der Antrag jedoch wie eine Pflichtveranlagung; der Steuerpflichtige muss das Ergebnis des Verfahrens tragen und kann den Antrag nicht mehr zurückziehen oder aufgeben (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 S. 2 EStG).

Gibt es Ausnahmen von der Antragsveranlagung?

Die Antragsveranlagung greift nur, wenn keine gesetzliche Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung besteht. Liegt ein Tatbestand für die Pflichtveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1-7 EStG oder aus anderen Vorschriften (z. B. Nebeneinkünfte über den Freibeträgen, Steuerklasse V/VI, Lohnersatzleistungen, etc.) vor, ist ein Antrag auf Veranlagung nicht relevant, da in diesen Fällen ohnehin eine steuerliche Erklärungspflicht gegeben ist. Ebenso ist kein Antrag möglich, wenn keine positiven Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vorliegen oder eine Einkommensteuerveranlagung materiell-rechtlich nicht erfolgen kann (z. B. bei beschränkter Steuerpflicht).

Welche Besonderheiten gelten im Zusammenhang mit Ehegatten bei der Antragsveranlagung?

Ehegatten, die beide ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit beziehen, können eine gemeinsame Antragsveranlagung zur Einkommensteuer beantragen, sofern keiner von beiden zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist. Dies setzt voraus, dass beide Ehegatten unbeschränkt steuerpflichtig nach § 1 Abs. 1 EStG sind und grundsätzlich die Voraussetzungen für das Ehegattensplitting erfüllen (§ 26b EStG). Die Antragstellung erfolgt dann mit Abgabe einer gemeinsamen Einkommensteuererklärung. Auch hier gilt die Unwiderruflichkeit des Antrags nach Erlass des Steuerbescheides.

Besteht ein Rechtsanspruch auf Durchführung einer Antragsveranlagung?

Ein einkommensteuerpflichtiger Arbeitnehmer hat einen Rechtsanspruch auf Durchführung einer Antragsveranlagung, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG und die Ausschlussfrist erfüllt sind. Das Finanzamt darf einen form- und fristgerecht gestellten Antrag nicht ablehnen. Die Ablehnung wäre nur möglich, wenn festgestellt wird, dass eine Erklärungspflicht nach anderen gesetzlichen Vorgaben besteht oder die Frist nach § 169 AO abgelaufen ist. Im Streitfall kann die Versagung der Antragsveranlagung durch Einspruch oder Klage vor dem Finanzgericht angegriffen werden.