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Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung

Begriff und Einordnung: Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung

Das Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung bezeichnet den Übergang von einer bloßen Vorbereitung zu einem bereits begonnenen Versuch einer Straftat. Gemeint ist der Moment, in dem eine Person nach ihrem Plan so in die Ausführung eintritt, dass das geschützte Interesse (zum Beispiel Gesundheit, Eigentum oder Vermögen) bereits konkret gefährdet ist oder unmittelbar gefährdet wird. Ab diesem Zeitpunkt ist ein Versuch rechtlich bedeutsam und kann grundsätzlich bewertet und geahndet werden.

Kernidee

Der zentrale Gedanke lautet: Nicht jede Planung oder Vorbereitung ist rechtlich als Versuch relevant. Erst wenn die Handlung so dicht an der eigentlichen Tat liegt, dass ohne wesentliche Zwischenschritte der Erfolg eintreten kann, liegt ein Ansetzen vor. Aus Sicht des Handelnden beginnt jetzt die Ausführung des Plans.

Abgrenzung zur Vorbereitung

Vorbereitungen sind Maßnahmen, die den Boden für eine Tat bereiten (zum Beispiel das Besorgen von Werkzeugen oder das Auskundschaften eines Ortes). Ansetzen liegt hingegen erst vor, wenn die Umsetzung des Plans in die Tat übergeht. Die Abgrenzung ist wichtig: Vorbereitung bleibt grundsätzlich ohne Versuchsbedeutung; Ansetzen markiert den Beginn der rechtlichen Beurteilung als Versuch.

Kriterien des Ansetzens

Objektive Nähe zur Tatverwirklichung

Erforderlich ist eine tatsächliche Nähe zur Tat. Das Verhalten muss Teil der Ausführung sein, nicht nur Vorbereitung. Maßgeblich ist, ob von außen betrachtet der Schritt getan ist, nach dem der tatbestandsmäßige Erfolg ohne weitere eigenständige Zwischenschritte eintreten kann.

Subjektive Sicht des Handelnden

Entscheidend ist auch, wie die Person selbst den Handlungsablauf geplant hat. Die Frage lautet: Hält sie sich nach ihrem Plan bereits für in der Ausführung? Tritt sie aus eigener Sicht in den Abschnitt ein, in dem die Tat „jetzt losgeht“, spricht dies für ein Ansetzen.

Gefährdungslage und Opferschutz

Ein Ansetzen liegt typischerweise vor, wenn das betroffene Rechtsgut konkret gefährdet ist. Je unmittelbarer und greifbarer die Gefahr, desto eher ist die Schwelle überschritten. Dieser Gedanke dient dem Schutz potenzieller Betroffener und stützt die frühe Eingreifmöglichkeit.

Raum-zeitliche Nähe und Kontrollverlust

Auch räumliche und zeitliche Nähe spielt eine Rolle: Befindet sich die Person am Tatort, hat sie das Werkzeug in der Hand, und hängt der Erfolg nur noch von einem letzten Schritt ab, ist Ansetzen nahe. Typisch ist außerdem ein teilweiser „Kontrollverlust“: Das Geschehen hat eine Eigendynamik, in der das Risiko scharf ansteigt.

Typische Konstellationen und Beispiele

Alltagsnahe Beispiele

Wer in einem Geschäft nur die Lage prüft oder eine Maske anzieht, bereitet vor. Wer jedoch zum Tresen geht, das Messer zieht und die Kassierkraft anspricht, um Geld zu verlangen, setzt zur Tat an. Ähnlich: Das Kaufen von Gift ist Vorbereitung; das Einfüllen in das Getränk des Opfers ist Ansetzen.

Digitale Handlungen

Beim Versenden schädlicher Software ist die Programmierung Vorbereitung. Das konkrete Versenden an das Zielsystem, sodass die Beeinträchtigung unmittelbar eintreten kann, ist Ansetzen. Bei Phishing ist das bloße Erstellen einer Täuschungsseite Vorbereitung; die gezielte Versendung an bestimmte Personen und das Abrufen der Daten im vorgesehenen Ablauf markieren das Ansetzen.

Täuschung und Vermögensschäden

Wer erst Unterlagen fälscht, bereitet vor. Das Vorlegen dieser Unterlagen gegenüber der Zielperson, um eine Zahlung oder Herausgabe zu erreichen, ist in der Regel Ansetzen, weil der Vermögensnachteil nun unmittelbar droht.

Körperliche Angriffe

Das Tragen eines Messers oder das Verfolgen einer Person ist Vorbereitung. Das Ausholen zum Stich oder Schlag auf den Körper ist Ansetzen, weil der Angriff unmittelbar bevorsteht.

Grenzfälle

Grenzfälle betreffen vor allem Situationen, in denen noch einzelne, aber wesentliche Zwischenschritte fehlen. Wird eine verschlossene Tür erst aufgebrochen, kann dies je nach Plan bereits Ansetzen sein, wenn der nächste Schritt die unmittelbare Wegnahme ist. Fehlen hingegen noch mehrere eigenständige Schritte (zum Beispiel Werkzeug holen, Standort wechseln, Zugang suchen), bleibt es Vorbereitung.

Besondere Erscheinungsformen

Untauglicher Versuch

Von einem untauglichen Versuch spricht man, wenn die Tat schon objektiv nicht gelingen kann, die Person aber in Ausführung geht (zum Beispiel weil das „Tatmittel“ funktionslos ist oder der Gegenstand gar nicht existiert). Gleichwohl kann Ansetzen vorliegen, wenn nach dem Plan die Ausführung begonnen wurde.

Fehlgeschlagener Versuch

Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach der Vorstellung der handelnden Person mit den ursprünglich vorgesehenen Mitteln nicht mehr zum Erfolg gebracht werden kann. Der Fehlgeschlagenheit geht begrifflich ein Ansetzen voraus. Ob ein Versuch fehlgeschlagen ist, beeinflusst spätere Fragen zur Beendigung des Versuchs und zur Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts.

Rücktritt vom Versuch (Überblick)

Der Rücktritt setzt voraus, dass bereits ein Versuch – und damit ein Ansetzen – vorliegt. Wer die weitere Ausführung aufgibt oder den Erfolg verhindert, kann unter bestimmten Voraussetzungen privilegiert werden. Maßgeblich ist der Zeitpunkt: Rücktritt ist nur denkbar, wenn die Tat nach der eigenen Vorstellung noch steuerbar erscheint.

Versuch durch Unterlassen

Auch beim Unterlassen kann ein Versuch vorliegen. Ansetzen ist gegeben, wenn die Person nach ihrem Plan in eine Phase eintritt, in der sie die gebotene Handlung unterlässt und hierdurch die konkrete Gefahr des tatbestandlichen Erfolgs geschaffen oder erhöht wird. Der maßgebliche Zeitpunkt knüpft an das Einsetzen der Pflicht zur Abwehr und die unmittelbare Gefahrenlage an.

Mehrere Beteiligte

Bei mehreren Beteiligten kann das Ansetzen unterschiedlich zu beurteilen sein. Wer als Hauptbeteiligter einen wesentlichen Teil der Ausführung übernimmt, setzt in dem Moment an, in dem sein Tatbeitrag in die unmittelbare Ausführung übergeht. Bei Anstiftung und Unterstützung kommt es darauf an, ob der jeweilige Beitrag bereits auf die Ausführung gerichtet ist und die Schwelle vom Vorbereiten zum Ausführen überschreitet.

Beweisfragen und praktische Bedeutung

Bedeutung für die Strafbarkeit und Bewertung

Das Ansetzen ist die Zäsur, ab der ein Versuch rechtlich relevant wird. Es entscheidet, ob vorbereitende Handlungen noch außerhalb der Versuchsbewertung stehen oder bereits der Versuch beginnt. Für die weitere Beurteilung – etwa Rücktritt oder Einstufung der Tat – ist der Zeitpunkt des Ansetzens Dreh- und Angelpunkt.

Indikatoren in der Beurteilung

Typische Anhaltspunkte sind: unmittelbare Nähe zum Erfolg, konkrete Gefährdung des geschützten Interesses, Wegfall wesentlicher Zwischenschritte, Beginn der eigentlichen Ausführung nach dem eigenen Plan, sowie eine Situation, in der die Ereignisse ohne weiteres Zutun zum Erfolg führen können.

Abgrenzung in der Praxis

Grenzziehungen erfolgen stets anhand des Einzelfalls. Maßgeblich sind der geplante Ablauf, die tatsächlichen Schritte, deren räumlich-zeitliche Verdichtung und die real erzeugte Gefahr. Je enger die Handlung mit dem unmittelbar bevorstehenden Erfolg verknüpft ist, desto eher liegt ein Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung vor.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung in einfachen Worten?

Es ist der Moment, in dem jemand von der Planung in die eigentliche Ausführung wechselt und die Tat so nah bevorsteht, dass ohne weitere wesentliche Schritte der Erfolg eintreten kann oder das geschützte Interesse konkret gefährdet ist.

Woran erkennt man den Unterschied zwischen Vorbereitung und Ansetzen?

Vorbereitung schafft die Voraussetzungen für die Tat, Ansetzen ist der Beginn der Ausführung. Entscheidend sind unmittelbare Nähe, konkrete Gefahr und das Fehlen eigenständiger Zwischenschritte zwischen Handlung und Erfolg nach dem eigenen Plan.

Spielt die innere Vorstellung der handelnden Person eine Rolle?

Ja. Es kommt darauf an, ob die Person nach ihrem Plan glaubt, die Ausführung begonnen zu haben und der Erfolg nun ohne wesentliche Zwischenschritte eintreten kann. Diese Sicht ergänzt die Betrachtung von außen.

Gibt es Ansetzen auch bei digitalen Handlungen?

Ja. Das Programmieren oder Vorbereiten ist Vorbereitung; das gezielte Einsetzen des schädlichen Programms oder das unmittelbare Absetzen täuschender Nachrichten in Richtung des Opfers ist Ansetzen, weil der Erfolg nun direkt droht.

Was ist der Unterschied zwischen untauglichem und fehlgeschlagenem Versuch?

Beim untauglichen Versuch kann die Tat objektiv nicht gelingen, obwohl die Ausführung begonnen wird. Beim fehlgeschlagenen Versuch war die Ausführung möglich, ist aber nach der eigenen Vorstellung mit den vorgesehenen Mitteln nicht mehr zum Erfolg zu bringen. In beiden Fällen setzt der Versuch ein Ansetzen voraus.

Welche Rolle spielt das Ansetzen beim Rücktritt vom Versuch?

Rücktritt setzt einen bereits begonnenen Versuch voraus. Erst mit dem Ansetzen ist ein Rücktritt möglich. Ob ein Rücktritt anerkannt werden kann, hängt zudem davon ab, ob die Tat nach der eigenen Vorstellung noch steuerbar ist und wie die weitere Ausführung beendet oder der Erfolg verhindert wird.

Wie wirkt sich das Ansetzen bei mehreren Beteiligten aus?

Jeder Beteiligte wird danach beurteilt, ob sein eigener Beitrag die Schwelle vom Vorbereiten zur Ausführung überschreitet. Bei arbeitsteiliger Vorgehensweise kann das Ansetzen zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgen, je nachdem, wann der jeweilige Beitrag in die unmittelbare Ausführung übergeht.