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Anschlussberufung

Was ist eine Anschlussberufung?

Die Anschlussberufung ist ein rechtliches Mittel in der zweiten Instanz, das derjenigen Partei offensteht, die sich gegen die erstinstanzliche Entscheidung ebenfalls wenden möchte, nachdem die Gegenseite bereits Berufung eingelegt hat. Sie ist an die Hauptberufung der Gegenseite „angehängt“ und ermöglicht eine eigenständige Überprüfung und Änderung des Urteils zu Gunsten der anschließenden Partei. Im Gegensatz zur bloßen Verteidigung gegen die Berufung zielt die Anschlussberufung auf eine aktive Verbesserung der eigenen Rechtsposition ab.

Zweck und Funktion

Die Anschlussberufung dient der prozessökonomischen und fairen Gesamtüberprüfung des erstinstanzlichen Urteils. Sie erlaubt es der im ersten Rechtszug zumindest teilweise unterlegenen Partei, die Entscheidung ebenfalls zur Überprüfung zu stellen, ohne eine eigene, fristgebundene Berufung eingelegt zu haben. Dadurch wird vermieden, dass ein an sich akzeptiertes Urteil allein vorsorglich mit Berufung angegriffen werden muss.

Abgrenzung zur einfachen Verteidigung

Ohne Anschlussberufung kann sich die beklagte Partei in der Berufungsinstanz darauf beschränken, die Entscheidung aus anderen Gründen zu verteidigen. Eine inhaltliche Verschlechterung der Lage der berufungsführenden Partei ist dabei grundsätzlich ausgeschlossen. Mit einer Anschlussberufung hingegen wird die Entscheidung aktiv angegriffen; das Gericht darf dann auch zu Lasten der ursprünglichen Berufungsführerin entscheiden, weil beide Seiten das Urteil angreifen.

Voraussetzungen der Anschlussberufung

Wer kann sie einlegen?

Anschlussberufung kann die Partei einlegen, die durch das Urteil des ersten Rechtszugs nachteilig betroffen ist und von der Gegenseite in der Berufungsinstanz in Anspruch genommen wird. Eine vollständige Obsiegenspartei hat regelmäßig kein eigenes Rechtsschutzbedürfnis für eine Anschlussberufung.

Abhängigkeit von der Hauptberufung

Die Anschlussberufung setzt eine anhängige Hauptberufung der Gegenseite voraus. Sie ist von dieser abhängig: entfällt die Hauptberufung, entfällt in der Regel auch die Anschlussberufung. Der akzessorische Charakter bedeutet zugleich, dass die Anschlussberufung nicht isoliert bestehen kann.

Frist und Zeitpunkt

Die Anschlussberufung ist innerhalb der vom Berufungsgericht gesetzten Frist zur Erwiderung auf die Berufungsbegründung einzulegen. Diese Frist wird in der Regel mit Zustellung der Berufungsbegründung gesetzt. Maßgeblich sind die konkreten Fristbestimmungen des Gerichts im Berufungsverfahren. Die Möglichkeit der Anschlussberufung entfällt, sobald die Hauptberufung nicht mehr anhängig ist.

Form und Inhalt

Die Anschlussberufung erfolgt gegenüber dem Berufungsgericht in der Form eines eigenständigen Schriftsatzes. Dieser muss erkennen lassen, in welchem Umfang das Urteil angegriffen wird und welche Abänderung begehrt wird. In Verfahren vor Gerichten, in denen Vertretungszwang besteht, erfolgt die Einlegung durch eine entsprechend vertretungsberechtigte Person. Der Schriftsatz soll die tatsächlichen und rechtlichen Gründe enthalten, die den angegriffenen Teil der Entscheidung in Frage stellen.

Wirkungen im Verfahren

Umfang der Prüfung

Mit der Anschlussberufung wird der Prüfungsumfang der Berufungsinstanz auf die zusätzlich angegriffenen Teile des Urteils erweitert. Das Berufungsgericht befasst sich dann nicht nur mit dem Angriff der Hauptberufung, sondern auch mit dem durch die Anschlussberufung eröffneten Teilbereich.

Auswirkungen auf das Risiko einer Verschlechterung

Ohne Anschlussberufung darf die zweite Instanz die Lage der berufungsführenden Partei grundsätzlich nicht verschlechtern. Wird eine Anschlussberufung eingelegt, ist eine Entscheidung zulasten der ursprünglichen Berufungsführerin möglich, soweit der angefochtene Teil betroffen ist. Die Anschlussberufung hebt die einseitige Bindung an das Verschlechterungsverbot insoweit auf.

Verhältnis zur Hauptberufung

Als akzessorisches Rechtsmittel teilt die Anschlussberufung das Schicksal der Hauptberufung. Wird die Hauptberufung zurückgenommen oder als unzulässig verworfen, verliert die Anschlussberufung grundsätzlich ihre Wirkung. Solange die Hauptberufung anhängig ist, bleibt die Anschlussberufung wirksam und wird im selben Verfahren mitentschieden.

Kosten- und Gebührenaspekte

Gegenstandswert und Kostenverteilung

Für die Gebühren der Anschlussberufung ist der wirtschaftliche Wert maßgeblich, den die anschließende Partei mit ihrer Anfechtung verfolgt. Die Verteilung der Prozesskosten richtet sich nach dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen beider Seiten im Berufungsverfahren, wobei sowohl Haupt- als auch Anschlussberufung berücksichtigt werden.

Rücknahme und Kostenfolgen

Die Rücknahme der Anschlussberufung ist möglich. Die Kostenfolgen ergeben sich aus den allgemeinen Regeln zur Kostenentscheidung in der zweiten Instanz und berücksichtigen insbesondere, welche Partei mit ihren Anträgen Erfolg hat und ob eine Rücknahme erfolgt ist.

Typische Konstellationen

Teilweises Unterliegen in erster Instanz

Eine Partei hat in erster Instanz einen Teilbetrag zugesprochen erhalten, einen anderen Teil aber verloren. Legt nur die Gegenseite Berufung ein, kann die obsiegende Partei durch Anschlussberufung den abgewiesenen Teil doch noch in der zweiten Instanz verfolgen.

Verteidigung und Gegenangriff kombiniert

Die beklagte Partei verteidigt das erstinstanzliche Urteil gegen die Berufung des Klägers und erhebt zugleich Anschlussberufung, um beispielsweise eine zugesprochene Nebenforderung zu beseitigen oder den Umfang einer Verurteilung zu verringern.

Erweiterung des Prüfungsumfangs

Die Hauptberufung betrifft nur einzelne Punkte (z. B. Zinsen). Durch Anschlussberufung wird der Streit auf weitere Punkte ausgedehnt (z. B. Hauptforderung), die in erster Instanz zu Ungunsten der anschließenden Partei entschieden wurden.

Besondere Fragen

Neuer Tatsachen- und Beweismittelvortrag

In der Berufungsinstanz ist neuer Vortrag nur eingeschränkt zulässig. Diese Beschränkungen gelten auch für die Anschlussberufung. Neue Tatsachen und Beweismittel werden nur unter bestimmten, eng gefassten Voraussetzungen berücksichtigt.

Bedingte Anschlussberufung

Die Anschlussberufung kann in der Praxis hilfsweise formuliert werden, etwa für den Fall, dass die Hauptberufung Erfolg hat oder als zulässig behandelt wird. Solche prozessual bedingten Anträge sind gebräuchlich und dienen der Absicherung gegen unterschiedliche Verfahrensverläufe.

Anwendungsbereich in verschiedenen Gerichtszweigen

Die Anschlussberufung ist vor allem in Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit verbreitet, insbesondere in Zivil- und arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren. In anderen Verfahrensordnungen existieren funktional vergleichbare Mechanismen, die in Einzelheiten abweichen können.

Häufig gestellte Fragen

Worin unterscheidet sich die Anschlussberufung von der Hauptberufung?

Die Hauptberufung eröffnet das Verfahren der zweiten Instanz. Die Anschlussberufung setzt eine bereits eingelegte Hauptberufung der Gegenseite voraus und hängt von ihr ab. Beide zielen auf eine Abänderung des erstinstanzlichen Urteils, die Anschlussberufung jedoch nur im Rahmen eines bereits laufenden Berufungsverfahrens.

Kann die Anschlussberufung eingelegt werden, wenn die Frist für eine eigene Berufung verstrichen ist?

Ja. Ein wesentlicher Zweck der Anschlussberufung ist es, trotz abgelaufener Berufungsfrist eine eigene Anfechtung zu ermöglichen, sofern die Gegenseite fristgerecht Berufung eingelegt hat und diese anhängig ist.

Was passiert mit der Anschlussberufung, wenn die Hauptberufung zurückgenommen wird?

Wird die Hauptberufung zurückgenommen oder als unzulässig verworfen, verliert die Anschlussberufung regelmäßig ihre Grundlage und wird wirkungslos. Der abhängige Charakter der Anschlussberufung führt dazu, dass sie ohne Hauptberufung nicht fortgeführt werden kann.

Erhöht die Anschlussberufung das Risiko einer Verschlechterung der eigenen Position?

Die Anschlussberufung schafft die Möglichkeit, dass das Berufungsgericht die Entscheidung auch zu Lasten der ursprünglichen Berufungsführerin ändert. Für die anschließende Partei ist sie ein eigenes Angriffsmittel; das allgemeine Verschlechterungsverbot greift dann nicht mehr uneingeschränkt.

Wie detailliert muss die Anschlussberufung begründet werden?

Sie muss deutlich machen, in welchem Umfang und mit welchem Ziel die erstinstanzliche Entscheidung angegriffen wird, und die tragenden Gründe hierfür benennen. Die Begründung sollte den angefochtenen Teil nachvollziehbar in Frage stellen.

Kann die Anschlussberufung auf andere Punkte zielen als die Hauptberufung?

Ja. Die Anschlussberufung ist nicht auf dieselben Streitpunkte beschränkt wie die Hauptberufung. Sie kann jeden Teil der erstinstanzlichen Entscheidung betreffen, in dem die anschließende Partei nachteilig betroffen ist.

Ist eine Rücknahme der Anschlussberufung möglich?

Eine Rücknahme ist möglich. Die konkreten prozessualen Voraussetzungen und die daran anknüpfenden Kostenfolgen richten sich nach den allgemeinen Regeln der Berufungsinstanz.