Begriff und Grundzüge der Anrufungsauskunft
Die Anrufungsauskunft ist ein im deutschen Steuerrecht verankertes Instrument, das es Steuerpflichtigen ermöglicht, in bestimmten Fällen eine verbindliche Auskunft der Finanzverwaltung über die steuerrechtliche Beurteilung eines geplanten Sachverhalts zu erhalten. Insbesondere bei Auslegungsunsicherheiten oder komplexen steuerlichen Fragen besteht mit der Anrufungsauskunft ein Mittel zur Klärung, um nachteilige steuerliche Folgen zu vermeiden. Sie ist insbesondere in § 42e Einkommensteuergesetz (EStG), im Bereich des Lohnsteuerabzugs, geregelt. Von der allgemeinen verbindlichen Auskunft nach § 89 Absatz 2 Abgabenordnung (AO) unterscheidet sich die Anrufungsauskunft durch ihren engeren Anwendungsbereich und ihre spezifische Funktion.
Rechtsgrundlagen der Anrufungsauskunft
Gesetzliche Regelungen
Hauptsächlich wird die Anrufungsauskunft in folgenden Vorschriften normiert:
- § 42e EStG (Lohnsteuerabzugsverfahren)
- Einzelbestimmungen in weiteren Gesetzen, beispielsweise im Umsatzsteuergesetz (§ 27 Absatz 2 UStG als entsprechende Regelung)
- Hinweise und Ausführungen in den Lohnsteuer-Richtlinien (LStR)
Die Regelung erlaubt es sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern, aber auch Dritten in bestimmten Fällen, eine verbindliche Erklärung der Finanzverwaltung zur lohnsteuerlichen Behandlung eines Sachverhalts einzuholen.
Verwaltungsanweisungen und Rechtsprechung
Die finanzbehördliche Verwaltungspraxis, insbesondere BMF-Schreiben und Erlasse der obersten Finanzbehörden, konkretisieren die gesetzlichen Regelungen. Zudem trägt die Rechtsprechung der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofs entscheidend zur Auslegung und Handhabung der Anrufungsauskunft bei.
Zweck und Funktion der Anrufungsauskunft
Zielsetzung
Zweck der Anrufungsauskunft ist es, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für Beteiligte im Vorfeld einer steuerlichen Handlung zu schaffen. Insbesondere unsichere, zweifelhafte oder atypische lohnsteuerliche Sachverhalte können so verbindlich geklärt werden. Dies schützt Steuerpflichtige davor, unbewusst Steuern zu hinterziehen oder nachträglichen Steuernachforderungen ausgesetzt zu sein.
Abgrenzung zu anderen Auskunftstypen
Die Anrufungsauskunft ist abzugrenzen von der allgemeinen verbindlichen Auskunft gemäß § 89 Absatz 2 AO. Während letztere jede Steuerart und jeden Sachverhalt abdecken kann, ist die Anrufungsauskunft im Regelfall auf bestimmte Abzugsverfahren (wie Lohnsteuer oder Kapitalertragsteuer) beschränkt, wobei ihr eigentlicher Fokus im Bereich der Lohnsteuerabführung liegt.
Anwendungsbereich
Personenkreis
Anrufungsauskunftsberechtigt sind:
- Arbeitgeber, i.d.R. für Fragen zur Besteuerung von Arbeitslohn ihrer Mitarbeiter
- Arbeitnehmer, insbesondere bei Unsicherheiten über die steuerliche Behandlung ihrer Einkünfte
- In Einzelfällen auch Dritte, sofern sie vom Gesetz explizit genannt sind
Sachliche Reichweite
Die Auskunft kann zu allen lohnsteuerlich relevanten Sachverhalten beantragt werden, etwa:
- Steuerliche Einordnung neuer oder untypischer Vergütungsformen
- Bewertung von Sachzuwendungen
- Anwendung von Steuerbefreiungen oder Pauschalierungsregelungen
Verfahren der Anrufungsauskunft
Antragstellung
Der Antrag auf Erteilung einer Anrufungsauskunft ist grundsätzlich schriftlich bei dem zuständigen Finanzamt zu stellen. Im Regelfall muss der Antragsteller den zu beurteilenden Sachverhalt vollständig und wahrheitsgemäß schildern. Je nach Bundesland und Finanzamt ist auch eine elektronische Antragstellung möglich.
Inhalt des Antrags
Erforderlich sind:
- Detaillierte Darstellung des Sachverhalts
- Rechtsfrage, die beurteilt werden soll
- Angabe der Beteiligten
Bearbeitung durch das Finanzamt
Das Finanzamt prüft den Antrag und gibt eine schriftliche Auskunft ab, die für den konkreten Einzelfall verbindlich ist. Die Auskunft bleibt verbindlich, solange der dargestellte Sachverhalt zutrifft und keine Gesetzesänderungen, Rechtsprechungsänderungen oder abweichende Verwaltungsanweisungen ergehen.
Bindungswirkung
Die Anrufungsauskunft bindet die Finanzbehörde gegenüber dem Auskunftssuchenden. Wenn sich der tatsächliche Sachverhalt mit dem dargestellten deckt, darf das Finanzamt den Beteiligten nicht entgegen der erteilten Auskunft in Anspruch nehmen. Die Bindungswirkung besteht nicht, wenn später Änderungen der Rechtslage oder neue Erkenntnisse zur Beurteilung auftreten.
Rechtsschutz und Kosten
Rechtsschutzmöglichkeiten
Sofern eine Anrufungsauskunft versagt oder eine negative Auskunft erteilt wird, besteht in der Regel kein unmittelbarer gerichtlicher Rechtsschutz, da es sich nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne der Abgabenordnung handelt. Allerdings kann das in einem späteren Steuerbescheid anders beurteilt werden und ist dann im Wege des Einspruchs sowie der Klage überprüfbar.
Kosten
Die Anrufungsauskunft nach § 42e EStG wird grundsätzlich unentgeltlich erteilt. Nur die allgemeine verbindliche Auskunft unterliegt einer Gebührenpflicht.
Bedeutung in der Praxis und Abgrenzungsfragen
Praktische Bedeutung
Die Anrufungsauskunft ist ein bedeutendes Instrument im Lohnsteuerabzugsverfahren und trägt zur Vermeidung von Unsicherheiten und nachträglichen Steuernachforderungen bei. Sie stellt ein wichtiges Mittel zur Konfliktvermeidung zwischen Finanzamt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer dar.
Abgrenzung zur verbindlichen Auskunft
Die verbindliche Auskunft nach § 89 AO kann zu beliebigen steuerlichen Fragestellungen eingeholt werden, ist jedoch gebührenpflichtig. Die Anrufungsauskunft ist hingegen auf bestimmte Anwendungsbereiche beschränkt und wird gebührenfrei erteilt.
Unterschied zu allgemeinen Auskünften der Finanzverwaltung
Eine einfache telefonische oder schriftliche Auskunft durch die Finanzverwaltung hat keine Bindungswirkung und bietet keine Rechtssicherheit. Die Anrufungsauskunft ist demgegenüber verbindlich.
Literatur und Weblinks
- Einkommensteuergesetz (EStG), § 42e
- Abgabenordnung (AO), § 89
- Lohnsteuer-Richtlinien (LStR)
- BMF-Schreiben zur Lohnsteuer und Anrufungsauskunft
Hinweis: Dieser Artikel stellt eine allgemeine und umfassende Darstellung zur Anrufungsauskunft im deutschen Steuerrecht dar und dient ausschließlich der Information.
Häufig gestellte Fragen
Welche gesetzlichen Grundlagen regeln die Anrufungsauskunft im deutschen Steuerrecht?
Die Anrufungsauskunft wird im deutschen Steuerrecht durch § 42e Einkommensteuergesetz (EStG) sowie durch entsprechende Regelungen im Umsatzsteuer- und Lohnsteuerrecht geregelt. Im Bereich der Lohnsteuer ist hierzu insbesondere § 42e EStG maßgeblich, der Arbeitnehmern, Arbeitgebern und anderen Beteiligten das Recht einräumt, bei der zuständigen Finanzbehörde eine verbindliche Auskunft zu einer konkreten lohnsteuerlichen Frage zu beantragen. Diese Möglichkeit dient der Rechtssicherheit und Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten im Vorfeld. Die Finanzverwaltung selbst ist darüber hinaus durch verschiedene Anwendungserlasse, insbesondere den Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) und Verwaltungsanweisungen gebunden, die das Verfahren und den inhaltlichen Umgang mit Anrufungsauskünften konkretisieren.
Wer ist zur Einholung einer Anrufungsauskunft berechtigt?
Eine Anrufungsauskunft kann grundsätzlich von jedem erteilt werden, der an einem lohnsteuerrechtlichen Vorgang beteiligt ist oder sein könnte. Dazu gehören insbesondere Arbeitgeber, Arbeitnehmer, aber auch Dritte wie Steuerberater oder Bevollmächtigte, sofern sie nachweisen können, dass sie in einer rechtlichen Beziehung zu dem betreffenden Arbeitsverhältnis stehen oder entsprechendes Interesse nachweisen können. Voraussetzung ist stets ein berechtigtes Interesse und die konkrete Darlegung eines steuerrechtlich relevanten Sachverhaltes. Die Auskunft selbst wird in der Regel gegenüber dem Antragsteller und nicht automatisch gegenüber allen Beteiligten erteilt.
Inwieweit ist die Anrufungsauskunft für die Finanzbehörde und die Beteiligten verbindlich?
Die von der Finanzbehörde erteilte Anrufungsauskunft ist für die Finanzverwaltung in dem konkreten Einzelfall grundsätzlich verbindlich, soweit keine unzutreffenden oder unvollständigen Angaben gemacht wurden und sich der Sachverhalt nicht nachträglich wesentlich ändert. Dies schützt den Antragsteller vor nachträglichen, für ihn nachteiligen steuerlichen Maßnahmen. Eine Bindungswirkung besteht allerdings nur insoweit, als die Auskunft auf Basis der mitgeteilten Tatsachen erteilt wurde und keine Rechtsänderungen oder neue Erkenntnisse eintreten. Für die betreffenden Beteiligten entfaltet die Auskunft Rechtschutzwirkung, solange sie sich im Rahmen der Auskunft bewegen. Weicht der Antragsteller später vom dargestellten Sachverhalt ab, entfällt die Verbindlichkeit.
Welche inhaltlichen Anforderungen muss ein Antrag auf Anrufungsauskunft erfüllen?
Ein Antrag auf Erteilung einer Anrufungsauskunft muss den zu beurteilenden Sachverhalt vollständig, wahrheitsgemäß und so detailliert schildern, dass die Finanzbehörde in die Lage versetzt wird, eine rechtssichere Beurteilung vorzunehmen. Wesentliche Angaben sind insbesondere Angaben zur Art des Arbeitsverhältnisses, den zugrundeliegenden Verträgen, dem Ort der Tätigkeit, der Art der Vergütung sowie gegebenenfalls vorhandene besondere Umstände, die Einfluss auf die lohnsteuerliche Bewertung haben können. Unvollständige oder irreführende Angaben können die Verbindlichkeit der Auskunft gefährden und im schlimmsten Fall steuerliche und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Ist eine Anrufungsauskunft gebührenpflichtig?
In der Regel ist die Erteilung einer Anrufungsauskunft im Bereich der Lohnsteuer kostenlos. Eine Gebührenpflicht besteht im Gegensatz zur verbindlichen Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO, die bei komplexeren Sachverhalten oder bei Bedarf an einer umfassenden steuerlichen Beurteilung (z. B. im Körperschaftsteuer- oder Umsatzsteuerrecht) beantragt werden kann und dann mit Kosten verbunden ist. Allerdings kann es in speziellen Fällen, wie bei erheblichem Bearbeitungsaufwand oder systematischem Missbrauch, zu einer Gebührenpflicht kommen, darüber hinaus ist die Finanzbehörde verpflichtet, den Antragsteller hierauf ausdrücklich hinzuweisen.
Können gegen eine erteilte oder verweigerte Anrufungsauskunft Rechtsmittel eingelegt werden?
Gegen die Erteilung oder Ablehnung einer Anrufungsauskunft im Sinne von § 42e EStG ist grundsätzlich kein förmlicher Rechtsbehelf im eigentlichen Sinne (wie Einspruch, Klage) möglich, da diese Auskunft keinen Verwaltungsakt im Sinne der Abgabenordnung (AO) darstellt. Allerdings kann der Antragsteller im Falle einer Ablehnung durch die Finanzbehörde eine verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO beantragen oder die lohnsteuerliche Behandlung im Rahmen eines späteren Steuerbescheids überprüfen lassen, gegen den dann Rechtsbehelfe eingelegt werden können. Ferner besteht bei grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten die Möglichkeit, eine förmliche Klärung im Besteuerungsverfahren herbeizuführen.
Wie lange ist eine Anrufungsauskunft gültig und kann sie widerrufen werden?
Eine Anrufungsauskunft behält ihre Gültigkeit, solange der ihr zugrunde gelegte Sachverhalt und die dazugehörige Rechtslage unverändert bleiben. Ändern sich die tatsächlichen Verhältnisse (z. B. durch Änderung des Arbeitsvertrages) oder tritt eine neue gesetzliche Regelung oder Rechtsprechung ein, kann die Finanzbehörde die Anrufungsauskunft ändern oder widerrufen. Ein Widerruf ist in der Regel mit Wirkung für die Zukunft möglich und muss dem Betroffenen mitgeteilt werden. Retrospektive Veränderungen zum Nachteil des Steuerpflichtigen sind nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes ausgeschlossen, sofern keine falschen oder unvollständigen Angaben gemacht wurden.