Legal Lexikon

Anonyme Werke


Anonyme Werke – Rechtliche Definition und Einordnung

Anonyme Werke sind ein bedeutsamer Begriff im Urheberrecht, insbesondere im deutschen und europäischen Rechtsraum. Sie spielen sowohl im Hinblick auf die Schutzdauer von Urheberrechten als auch bezüglich der Zuordnung von Urheberpersönlichkeitsrechten eine wichtige Rolle. Der folgende Lexikonartikel behandelt die Definition, die rechtlichen Besonderheiten sowie die Abgrenzung anonymer Werke, inklusive typischer Fallgestaltungen und Relevanz für den Urheberrechtsschutz.


Begriff und rechtliche Abgrenzung

Definition des anonymen Werks

Ein anonymes Werk ist ein Werk, dessen Urheber bei der Veröffentlichungen des Werks nicht genannt oder nicht identifizierbar ist. Nach § 7 des deutschen Urheberrechtsgesetzes (UrhG) ist Urheber die Person, welche das Werk geschaffen hat. Wird das Werk aber ohne Angabe des bürgerlichen Namens oder eines eindeutigen Pseudonyms veröffentlicht, handelt es sich um ein anonymes Werk im Sinne des § 66 UrhG.

Abgrenzung zu Pseudonymen Werken

Wird bei der Veröffentlichung ein Pseudonym verwendet, sodass der Urheber im Rechtsverkehr nicht bestimmt werden kann, handelt es sich um ein pseudonymes Werk. Ein Werk gilt jedoch nur dann als pseudonym, wenn das Pseudonym keinen Rückschluss auf die Identität des Urhebers bietet. Es ist zwischen eindeutig identifizierbaren und nicht identifizierbaren Pseudonymen zu unterscheiden, wobei Letztere ähnlich wie anonyme Werke behandelt werden.


Rechtsfolgen der Anonymität

Urheberrechtliche Schutzdauer

Die Anonymität des Urhebers hat erhebliche Auswirkungen auf die Dauer der urheberrechtlichen Schutzfrist. Nach § 66 UrhG beginnt die Schutzfrist für das anonyme Werk mit der Veröffentlichung des Werkes und beträgt 70 Jahre ab dem Jahr der Veröffentlichung. Wird der Urheber innerhalb dieser Frist identifiziert, beginnt die reguläre Schutzfrist von 70 Jahren ab dem Tod des Urhebers.

Schutzumfang und Rechteausübung

Mangels Kenntnis des Urhebers kann die Wahrnehmung der Urheberrechte für anonyme Werke herausfordernd sein. In diesen Fällen sehen die gesetzlichen Regelungen – sowohl im deutschen als auch im europäischen Recht – vor, dass bestimmte Rechte von demjenigen ausgeübt werden, der das Werk veröffentlicht hat. Typischerweise ist dies der Verleger oder Herausgeber, der rechtlich als Vertretungsberechtigter für das Werk handelt. Diese Vertretungsregelung erfasst unter anderem das Recht zur Geltendmachung von Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen sowie weitere urheberrechtliche Ansprüche.


Besondere Konstellationen und praktische Relevanz

Offenbarung der Urheberschaft

Wird die Identität des Urhebers nach der Veröffentlichung eines zunächst anonymen Werkes bekannt gegeben, hat dies erhebliche rechtliche Folgen. Gemäß § 66 Abs. 2 UrhG gilt ab dem Zeitpunkt der Offenlegung die reguläre Schutzfrist des § 64 UrhG, also 70 Jahre post mortem auctoris (nach dem Tod des Urhebers).

Zu beachten ist ferner, dass die Schutzdauer maximal 70 Jahre ab Veröffentlichung beträgt, wenn der Urheber nicht innerhalb dieses Zeitraums bekannt wird.

Besonderheiten bei mehreren Urhebern

Bei anonymen Werken mit mehreren Urhebern ist relevant, ob sämtliche Urheber anonym bleiben oder nicht. Wird von einer Gemeinschaft mehrerer Personen ein Werk anonym veröffentlicht, gilt die Frist nach § 66 UrhG nur dann, wenn die Urheberschaft sämtlicher Mitschöpfer unbekannt ist. Andernfalls richtet sich die Frist nach § 65 oder § 64 UrhG.


Internationale Aspekte anonymer Werke

Auch im internationalen Kontext wird das anonyme Werk von den meisten Rechtsordnungen ähnlich behandelt. Die Bestimmungen der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst sehen ebenfalls eine regelhafte Frist von 50 Jahren nach erster Veröffentlichung vor, wenn der Name des Urhebers nicht bekannt ist. Viele nationale Gesetze, darunter das deutsche UrhG, gehen mit 70 Jahren über das Mindestmaß der internationalen Vereinbarungen hinaus.


Anwendungsbeispiele und Bedeutung in der Praxis

Anonyme Werke finden sich insbesondere in folgenden Bereichen:

  • Zeitungsartikel ohne Nennung eines Autors
  • Werke aus Kollektiven (z. B. Redaktionsbeiträge)
  • anonyme Texte, Gedichte oder Kunstwerke, etwa aus politischen oder gesellschaftlichen Gründen

Die Anonymität kann sowohl vom Urheber gewollt sein, als auch auf äußeren Umständen beruhen. Während früher die Anonymität häufiger zum Schutz politischer Verfolgung oder aus gesellschaftlichen Beweggründen genutzt wurde, bieten heute digitale Publikationsformen eine neue Plattform für anonyme Veröffentlichungen.


Zusammenfassung

Anonyme Werke sind nach dem Urheberrechtsgesetz solche Werke, deren Urheber bei der Erstveröffentlichung nicht namentlich genannt oder nicht identifizierbar ist. Die rechtlichen Besonderheiten betreffen vor allem die Schutzdauer, die Regelungen zur Rechteausübung, und die nachträgliche Offenbarung der Urheberschaft. Die international weitgehend einheitlichen Regelungen bieten Rechtssicherheit für die Nutzung und Verwertung solcher Werke, stellen jedoch besondere Anforderungen an den Schutz der Urheber- und Verwertungsrechte im Einzelfall.


Literaturhinweis:
Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Thema anonyme Werke empfiehlt sich der Blick in die jeweiligen Gesetzestexte, Kommentarliteratur und die einschlägige Rechtsprechung, insbesondere zu § 66 UrhG sowie zu den Vorgaben der Berner Übereinkunft.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist der Rechteinhaber eines anonymen Werkes?

Im Falle eines anonymen Werkes – also eines Werkes, bei dem der Urheber bei der Veröffentlichung nicht genannt wird – verbleiben sämtliche Urheberrechte dennoch grundsätzlich beim tatsächlichen Urheber. Da dessen Identität nicht öffentlich bekannt ist, gelten jedoch rechtliche Sonderregelungen: Häufig nimmt der Herausgeber, Verleger oder der veröffentlichende Vertragspartner die Schutzrechte treuhänderisch wahr und kann für Rechtewahrnehmung, Lizenzierung und Rechtsdurchsetzung verantwortlich sein. Allerdings erfolgt dies stets im Namen und für Rechnung des tatsächlichen Urhebers, sofern dieser sich zu erkennen gibt. Die gesetzliche Vertretung durch den Verleger ist aber erst nach Ablauf einer in § 10 UrhG genannten Frist bindend, sofern der Urheber weiter anonym bleibt. Solange der Urheber nicht öffentlich auftritt, gilt der Herausgeber oder Verleger als Ansprechpartner Dritter bezüglich der Rechte an dem Werk.

Wie lange besteht der urheberrechtliche Schutz für anonyme Werke?

Die Schutzdauer für anonyme Werke unterscheidet sich von derjenigen für Werke, bei denen der Urheber genannt wird. Nach deutschem Recht (§ 66 UrhG) erlischt das Urheberrecht an einem anonymen oder unter Pseudonym veröffentlichten Werk 70 Jahre nach Veröffentlichung. Wird der Urheber innerhalb dieses Zeitraums bekannt und zweifelsfrei identifiziert, richtet sich die Schutzdauer wie bei regulären Werken nach dem Tod des Urhebers (70 Jahre post mortem auctoris). Daher wird die längere Schutzfrist zugunsten des Urhebers immer dann angewendet, wenn der Urheber vor Ablauf der anonymen Schutzfrist seine Identität offenbart.

Unter welchen Voraussetzungen erlischt die Anonymität und welche Auswirkungen hat das?

Die Anonymität eines Werkes erlischt, wenn der Urheber sich – durch eigene Erklärung oder durch andere öffentliche Bekanntgabe – als Schöpfer des Werkes zu erkennen gibt. Dies kann mittels offizieller Registrierung, Publikation oder anderweitigen offenen Mitteilungen geschehen. Sobald die Urheberschaft öffentlich feststeht, ändern sich die urheberrechtlichen Regelungen: Der urheberrechtliche Schutz richtet sich fortan nach den üblichen Vorschriften für genannte Werke, insbesondere hinsichtlich der Schutzdauer und der Geltendmachung von Urheberpersönlichkeitsrechten. Auch hat der Urheber fortan das Recht, gegen eine Urheberbezeichnung zu widersprechen oder Änderungen des Werks zu untersagen.

Welche Ansprüche oder Rechte kann ein Urheber eines anonymen Werks geltend machen?

Auch ohne öffentliche Nennung kann der Urheber eines anonymen Werkes sämtliche urheberrechtlichen Ansprüche geltend machen, insbesondere auf Unterlassung, Schadensersatz und Vernichtung widerrechtlich hergestellter Kopien. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Urheber sich im Zuge einer Rechtstreitigkeit gegenüber Gericht und Parteien offenbart. Der Urheber hat somit die volle Kontrolle über die Verwertung seines Werkes und kann Dritte an der Nutzung hindern, auch wenn diese sich mangels Kenntnis der Urheberschaft zunächst an den Verleger wenden. Essentiell bleibt jedoch: Die Durchsetzung der Rechte setzt in der Regel die Offenlegung der Identität voraus, insbesondere im Klageverfahren.

Wie wird bei Lizenzierung oder Übertragung der Rechte an einem anonymen Werk verfahren?

Die Lizenzierung oder Verwertung eines anonymen Werkes erfolgt i.d.R. durch den Herausgeber oder Verleger, der damit nach § 10 UrhG als Vertreter gilt. Lizenznehmer müssen daher sicherstellen, dass der Vertragspartner tatsächlich zur Rechteübertragung legitimiert ist, was gewöhnlich im Verlagsvertrag dokumentiert wird. Tritt der Urheber nachträglich aus der Anonymität hervor, kann er bestehende Lizenzen genehmigen oder nach den gesetzlichen Vorgaben widerrufen. Ohne Offenlegung der Identität bleibt die Rechtslage für Lizenznehmer jedoch im Spannungsfeld zwischen Verleger- und Urheberrechten; sie sind dazu angehalten, die Herkunft der Rechte sorgfältig zu prüfen und zu dokumentieren.

Welche Besonderheiten gelten für Gerichtsverfahren über anonyme Werke?

In Rechtsstreitigkeiten zu anonymen Werken spielt die Klagebefugnis und Passivlegitimation eine wesentliche Rolle. Wird ein Verstoß gegen Urheberrechte behauptet, ist in der Regel der Verleger oder Herausgeber klage- oder beklagefähig, solange der Urheber anonym bleibt. Jedoch kann der tatsächliche Urheber jederzeit selbst Partei werden, sobald er seine Identität offenlegt. In allen Verfahren ist die Beweisführung erschwert, da der Nachweis der Urheberschaft und damit der Anspruchsberechtigung allein auf Indizien oder geheim gehaltene Dokumente gestützt werden muss, sofern der Urheber anonym bleiben will. Das Gericht gewährt grundsätzlich Schutz der Identität, sofern keine zwingenden Gründe dagegen sprechen.

Müssen bei einem anonymen Werk besondere Hinweise auf das Urheberrecht erfolgen?

Auch für anonyme Werke empfiehlt sich die Anbringung eines Urheberrechtshinweises, um Dritte über den urheberrechtlichen Schutz zu informieren. Hierbei kann anstelle des Klarnamens des Urhebers beispielsweise der Vermerk „Urheber unbekannt“ oder der Name des Herausgebers/Verlages angegeben werden. Die Rechtswirkung des Schutzvermerks bleibt dabei erhalten, wenngleich dieser keine konstitutive Wirkung hat, sondern nur deklaratorischen Charakter. Insbesondere bei internationalen Veröffentlichungen sind die jeweiligen urheberrechtlichen Kennzeichnungspflichten zu beachten. Die Anbringung eines Schutzvermerks erleichtert jedoch die Geltendmachung von Rechten im Streitfall.