Begriff und rechtliche Einordnung der Anliegernutzung
Die Anliegernutzung ist ein zentraler Begriff im deutschen Straßen- und Wegerecht sowie im öffentlichen Baurecht. Sie definiert die Art und Weise, wie Grundstückseigentümer und Nutzungsberechtigte angrenzender Grundstücke öffentliche Straßen, Wege und Plätze in Anspruch nehmen dürfen. Die Anliegernutzung unterscheidet sich deutlich von einer allgemeinen Nutzung öffentlicher Verkehrsflächen und ist rechtlich durch verschiedene Normen, insbesondere des Bundes- und Landesrechts, geprägt.
Rechtsgrundlagen der Anliegernutzung
Anliegernutzung im Straßenrecht
Bundesfernstraßengesetz (FStrG) und Straßengesetze der Länder
Im bundesdeutschen Rechtssystem wird die Anliegernutzung insbesondere durch das Bundesfernstraßengesetz (FStrG) und die jeweiligen Landesstraßengesetze (wie beispielsweise das Sächsische Straßengesetz oder das Bayerische Straßen- und Wegegesetz) geregelt. Die dort enthaltenen Vorschriften bestimmen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Anlieger das Straßenland nutzen dürfen.
Gemäß § 7 Abs. 1 FStrG besteht ein sogenannter „Gemeingebrauch“ an öffentlichen Straßen, der grundsätzlich jedermann zur Verfügung steht. Die Anliegernutzung geht jedoch über den Gemeingebrauch hinaus und gewährt eine intensivere Nutzung, die sich auf einen konkreten Bezug zwischen Grundstück und Straße stützt.
Anliegernutzung als gesteigerte Nutzung
Anliegern wird das Recht eingeräumt, neben der allgemeinen Nutzung der Straße (z.B. zur Fortbewegung) Sondernutzungen vorzunehmen, die unmittelbar der Erreichbarkeit und Bewirtschaftung ihres Grundstücks dienen. Beispiele sind das Be- und Entladen, das kurzfristige Parken vor dem eigenen Grundstück oder das Heranfahren an das Grundstück selbst. Solche Sondernutzungen überschreiten den Rahmen des Allgemeingebrauchs nur insoweit, als sie für die Zugänglichkeit und den Aufschluss des Grundstücks erforderlich sind.
Unterschied zwischen Gemeingebrauch und Anliegernutzung
Gemeingebrauch erlaubt die Benutzung öffentlicher Verkehrsflächen durch jedermann zum Zwecke des Verkehrs. Anliegernutzung ist demgegenüber auf die im Zusammenhang mit dem angrenzenden Grundstück stehenden Bedürfnisse beschränkt und genießt daher im Einzelfall einen erweiterten Schutzumfang gegenüber dem allgemeinen Gemeingebrauch.
Abgrenzung zur Sondernutzung
Während die Anliegernutzung im Zusammenhang mit der verkehrlichen Erschließung eines Grundstücks steht, versteht man unter Sondernutzung die über den Gemeingebrauch und die Anliegernutzung hinausgehende Benutzung öffentlichen Straßenraums, z.B. das Aufstellen von Verkaufsständen oder Werbung. Sondernutzungen bedürfen regelmäßig einer behördlichen Erlaubnis, Anliegerrechte hingegen nicht.
Rechte und Pflichten im Rahmen der Anliegernutzung
Rechte der Anlieger
Typische Rechte im Rahmen der Anliegernutzung sind:
- Uneingeschränkter Zugang zu dem eigenen Grundstück über das öffentliche Straßennetz
- Benutzung der Straße zum Be- und Entladen
- Soweit zulässig, kurzfristiges Halten oder Parken zum Zwecke des Zugangs zum Grundstück
In der Regel werden diese Rechte insoweit gewährt, wie sie zur ordnungsgemäßen Nutzung des Grundstücks erforderlich sind.
Pflichten der Anlieger
Anlieger stehen in einem besonderen Rechtsverhältnis zur öffentlichen Straße. Daraus erwachsen ihnen auch Verpflichtungen:
- Straßenreinigung und Winterdienst: Insbesondere das Straßen- und Wegerecht der Länder überträgt häufig die Pflicht zur Straßenreinigung und zum Winterdienst auf die Anlieger.
- Anliegerbeiträge: Für bestimmte Aufwendungen im Zusammenhang mit der Herstellung, dem Ausbau oder der Unterhaltung der öffentlichen Straße können die Träger der Straßenbaulast Beiträge von den Anliegern erheben (vgl. Kommunalabgabengesetze der Länder).
Anwendungsfälle und Rechtsprechung zur Anliegernutzung
Einschränkungen der Anliegernutzung
Die Anliegernutzung ist nicht grenzenlos. Sie kann durch verkehrs- oder ordnungsrechtliche Maßnahmen beschränkt werden, etwa durch
- Durchfahrtsverbote mit dem Zusatzzeichen „Anlieger frei“
- Halte- oder Parkverbote, sofern das Interesse des Anliegers nicht überwiegt
Verkehrszeichen „Anlieger frei“
Das Verkehrszeichen mit dem Zusatz „Anlieger frei“ (Zeichen 250 der StVO mit Zusatzzeichen) gestattet die Durchfahrt nur solchen Personen, die berechtigterweise ein Anliegen an einem Grundstück oder Betrieb innerhalb der so gekennzeichneten Zone haben. Hierzu zählt insbesondere der Grundstückseigentümer, aber auch Personen, die durch den Grundstückseigentümer ermächtigt wurden (z.B. Besucher, Lieferdienste, Handwerker).
Aktuelle Rechtsprechung
Die Gerichte nehmen regelmäßig eine enge Auslegung vor, was unter einem berechtigten Anliegen im Zusammenhang mit der Anliegernutzung zu verstehen ist. Maßgeblich ist, dass ein tatsächliches, konkretes Anliegen an ein im Geltungsbereich der Beschränkung gelegenes Grundstück besteht (z.B. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 06.04.1995 – 4 C 3.94).
Bedeutung und praktische Relevanz der Anliegernutzung
Die Anliegernutzung stellt ein wesentliches Element der Grundstücksnutzung dar. Sie gewährleistet die Zugänglichkeit von Grundstücken und sichert deren Erschließung, Versorgung und Bewirtschaftung. Im Streitfall kann der Umfang der Anliegernutzung sowohl im Verhältnis zum Träger der Straßenbaulast als auch im Verhältnis zu anderen Verkehrsteilnehmern Bedeutung erlangen.
Fazit
Die Anliegernutzung ist ein rechtlich fest umrissenes Nutzungsrecht, das den Grundstücksanliegern im öffentlichen Straßenraum zusteht. Sie sichert einerseits die ordnungsgemäße Nutzung, Erreichbarkeit und Bewirtschaftung von Grundstücken, unterliegt jedoch gesetzlichen und tatsächlichen Begrenzungen. Die genaue Ausgestaltung und Reichweite ergeben sich dabei aus einer Vielzahl von bundes- und landesrechtlichen Vorschriften sowie der Auslegung durch die Gerichte.
Weiterführende Begriffe:
- Gemeingebrauch
- Sondernutzung
- Straßenrecht
- Verkehrszeichen „Anlieger frei“
- Anliegerbeitrag
- Erschließungsbeitrag
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Anliegernutzung erfüllt sein?
Für die rechtmäßige Inanspruchnahme einer Anliegernutzung – das heißt, das Nutzungsrecht von Straßen oder Wegen, das ausschließlich den jeweiligen Anliegern zusteht – ist entscheidend, ob der betreffende Weg durch Verkehrszeichen oder behördliche Anordnung als „Anlieger frei“ gekennzeichnet ist. Rechtlich handelt es sich dabei oft um eine verkehrsrechtliche Beschränkung nach § 45 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Ein Anlieger ist demnach, wer rechtlich oder tatsächlich eine Beziehung zu einem an dieser Straße angrenzenden Grundstück besitzt (sei es als Eigentümer, Mieter, Pächter, Lieferant oder auch als Kunde eines dort ansässigen Gewerbebetriebs). Die Nutzung beschränkt sich aber streng auf Fahrten, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Grundstück stehen – beispielsweise zur Wohnadresse, zum Arbeitsplatz, zu Dienstleistern oder Besuchszwecken. Die Einhaltung dieser Bestimmung kann von Ordnungsbehörden kontrolliert werden, etwa indem eine Anhaltung zum Nachweis des berechtigten Anliegerbezugs gefordert wird. Bei Missachtung drohen im Regelfall Verwarngelder oder Bußgelder. Entscheidend ist, dass eine bloße Durchfahrt ohne konkretes Anliegen rechtlich nicht gedeckt ist.
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei unberechtigter Nutzung einer Anliegerstraße?
Nutzt jemand eine durch das Zusatzzeichen „Anlieger frei“ beschränkte Straße ohne die dafür erforderliche Anliegereigenschaft, liegt eine Ordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO i.V.m. § 45 StVO vor. Die Behörden können in diesen Fällen Verwarn- und Bußgelder verhängen, wobei in der Regel ein Verwarnungsgeld von bis zu 50 Euro ausgesprochen wird. Hinzu kommt, dass im Falle einer Verkehrskontrolle die Beweislast beim Fahrer liegt, seinen Status als Anlieger glaubhaft zu machen. Kann keine nachvollziehbare Erklärung für die Durchfahrt gegeben werden, ist mit Sanktionen zu rechnen. In besonders schwerwiegenden Fällen oder bei wiederholtem Verstoß können darüber hinaus Punkte im Fahreignungsregister (FAER) in Flensburg eingetragen werden, wenngleich dies im Alltagsverkehr eine Ausnahme bleibt.
Ist die Anliegernutzung auch für Kurzparkende oder Lieferdienste rechtlich zulässig?
Lieferdienste und kurzfristig parkende Personen sind rechtlich betrachtet dann als Anlieger zugelassen, wenn sie mit einem konkreten Anliegen ein Grundstück an der Straße aufsuchen, zum Beispiel um eine Lieferung abzugeben, einen Kunden kurz zu bedienen oder eine Dienstleistung zu erbringen. Das Zusatzzeichen „Anlieger frei“ entbindet jedoch nicht von weiteren vorhandenen Park- oder Halteverboten. Die rechtliche Legitimation entfällt, wenn lediglich eine Durchfahrt zum Zweck des Parkens ohne Bezug zum Anliegergrundstück stattfindet. Lieferdienste sind deshalb verpflichtet, ihren Auftrag nachzuweisen, etwa durch eine Auslieferungsliste, und müssen die Straßenverkehrsordnung auch hinsichtlich Halte- oder Parkverbote beachten.
Wie weit reicht das Recht der Anliegernutzung im Hinblick auf Gäste und Besucher?
Besucher gelten rechtlich als temporäre Anlieger, solange sie tatsächlich ein angrenzendes Grundstück aus einem konkreten und nachvollziehbaren Grund (zum Beispiel Familienbesuch, Handwerkertermin etc.) aufsuchen. Die Anliegernutzungskompetenz räumt ihnen während des Aufenthalts in der Straße einen Anspruch auf Zufahrt und, sofern keine gesonderten Beschränkungen bestehen, in der Regel auch auf kurzfristiges Parken ein. Allerdings endet dieses Recht mit dem Wegfall des Besuchsanlasses. Besucher, die keine Verbindung zu einem Anlieger herstellen können, verstoßen gegen die Verkehrsregelung.
Wie erfolgt rechtlich die Kontrolle und Durchsetzung der Anliegerregelung?
Die Einhaltung der Anliegerregelung wird von den Ordnungsbehörden und der Polizei im Rahmen stichprobenartiger Überwachungen kontrolliert. Fahrer müssen im Zweifelsfall gegenüber den Behörden glaubhaft darlegen, in welchem Verhältnis sie zu dem Grundstück oder dem Anlieger stehen. Als Nachweis können etwa Lieferdokumente, Einladungsschreiben oder Terminbestätigungen herangezogen werden. Die Kontrollbefugnis ist dabei rechtlich durch die StVO gedeckt, eine generelle Mitführpflicht bestimmter Dokumente besteht zwar nicht, mangelnde Glaubhaftmachung wird aber in der Regel als Ordnungswidrigkeit gewertet.
Wer trägt die Beweislast bei Konflikten hinsichtlich der Anliegereigenschaft?
Im Falle eines Rechtsstreits oder einer Kontrolle liegt die Beweislast im Regelfall beim Nutzer der Anliegerstraße. Kann er nicht glaubhaft machen, dass er die Straße rechtmäßig als Anlieger benutzt – sei es durch Eigennutzung, Besuch, Lieferung oder ähnlichen berechtigten Anlass -, wird von einem Verstoß ausgegangen. Ein pauschales Berufungsrecht auf Unwissenheit existiert nicht. Die Rechtsprechung sieht dabei die Widerlegung der Ordnungswidrigkeit erst als erbracht an, wenn konkrete und nachvollziehbare Angaben, idealerweise mit Nachweisen, vorgelegt werden.
Gilt das Anliegerrecht auch bei vorübergehenden Baustellen oder Sperrungen?
Wird eine Straße aufgrund einer Baustelle „nur für Anlieger frei“ gegeben, gelten grundsätzlich dieselben rechtlichen Regelungen wie sonst. Die Nutzung ist ausschließlich für die Anlieger sowie deren Besuchs- und Lieferverkehr gestattet. Wer etwa einer Rettungspflicht nachkommt oder notwendige Handwerksleistungen erbringt, fällt auch unter diese Regelung, sofern der Zweck klar an eine Adresse in der betreffenden Straße gebunden ist. Das Umfahren von Baustellenbeschränkungen ohne berechtigtes Anliegen wird ebenfalls als Ordnungswidrigkeit geahndet. Die temporäre Natur solcher Regelungen ändert nichts an der rechtlichen Bindung an den Anliegerstatus.