Begriff und Definition des Angriffskriegs
Ein Angriffskrieg ist ein militärischer Konflikt, der durch eine völkerrechtswidrige und nicht gerechtfertigte militärische Aggression eines Staates gegen einen anderen Staat beginnt. Der Begriff spielt sowohl in der völkerrechtlichen als auch in innerstaatlichen Strafrechtsordnung eine zentrale Rolle. Ein Angriffskrieg unterscheidet sich grundlegend von anderen Formen militärischer Gewaltanwendung, da er per Definition das Gewaltverbot des Völkerrechts sowie spezifische nationale Gesetze verletzt.
Historische Entwicklung des Angriffskriegsverbots
Völkerrechtliche Grundlagen
Die Ächtung des Angriffskriegs als Instrument der Politik wurde im 20. Jahrhundert durch mehrere völkerrechtliche Verträge und Verordnungen festgeschrieben:
- Völkerbundsatzung (1919): Legte erstmals bestimmte Verfahrensregeln zur friedlichen Streitbeilegung fest, verbot jedoch den Angriffskrieg nicht explizit.
- Briand-Kellogg-Pakt (1928): Mit dem sogenannten „Kriegsächtungspakt“ wurde erstmals international verbindlich vereinbart, Krieg als Mittel der Politik zu verbieten.
- Charta der Vereinten Nationen (1945): Die UN-Charta verankert in Artikel 2 Absatz 4 das Verbot der Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates, was das allgemeine Angriffskriegsverbot darstellt.
Entwicklung im deutschen Recht
In Deutschland wurde das Verbot des Angriffskriegs nach dem Zweiten Weltkrieg in das Grundgesetz sowie in das Strafgesetzbuch integriert, insbesondere als Reaktion auf die Nürnberger Prozesse, bei denen das „Verbrechen gegen den Frieden“ (Planung und Führung eines Angriffskriegs) erstmals strafrechtlich verfolgt wurde.
Rechtliche Merkmale und Definitionen
Völkerrechtliche Definition gemäß UN-Charta
Nach der Charta der Vereinten Nationen ist jeder nicht durch Verteidigungsgründe oder Sicherheitsratsmandat gedeckte bewaffnete Angriff ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Erforderlich sind bewaffnete Gewaltanwendung, die kein Rechtfertigungsgrund (z. B. Selbstverteidigung) vorliegt, sowie die Verletzung der Souveränität eines anderen Staates.
Ausnahmen vom Gewaltverbot
- Selbstverteidigung: Artikel 51 UN-Charta gesteht jedem angegriffenen Staat das Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung zu.
- Mandat des Sicherheitsrats: Militärische Maßnahmen auf Grundlage eines Mandates des UN-Sicherheitsrats sind völkerrechtlich zulässig.
Deutsches Strafrecht: § 80 StGB (bis 2017)
Bis zur Reformierung des deutschen Strafgesetzbuchs im Jahr 2017 war der Angriffskrieg gemäß § 80 StGB ausdrücklich als Straftatbestand geregelt. Er stellte die Vorbereitung oder Führung eines Angriffskriegs unter Strafe. Mit dem Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB) wurde der Straftatbestand präzisiert und an internationale Standards angepasst.
Völkerstrafgesetzbuch (VStGB)
Nach § 13 VStGB ist die Beteiligung an der Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Angriffskriegs – im Wortlaut „Verbrechen der Aggression“ – unter Strafe gestellt. Hierzu zählen höchste politische und militärische Führungspersönlichkeiten, welche in der Lage sind, die Handlungen eines Staates zu kontrollieren oder zu leiten.
Das Verbrechen der Aggression im internationalen Strafrecht
Internationaler Strafgerichtshof (IStGH)
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag behandelt das Verbrechen der Aggression als eines der Kernverbrechen des Völkerstrafrechts (Art. 8bis Römisches Statut des IStGH). Die Voraussetzungen umfassen:
- Handlung einer Führungsperson eines Staates, die Kontrolle über die politische oder militärische Steuerung ausübt,
- Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung eines Angriffshandlungs,
- die Handlung muss einen offensichtlichen Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen darstellen.
Definition der Aggression (Resolution der UN-Generalversammlung 3314)
Die Resolution 3314 der UN-Generalversammlung von 1974 definiert den Begriff der Aggression mit einer Liste konkreter Handlungen wie der Invasion, Bombardierung, Blockade oder Besetzung fremden Territoriums.
Strafbarkeit und Sanktionen
Nationale Strafbarkeit (Deutschland)
Im deutschen Rechtssystem ist die Planung, Vorbereitung oder Durchführung eines Angriffskriegs durch Entscheidungsträger*innen nach dem Völkerstrafgesetzbuch strafbar. Die Strafen sehen mehrjährige Haftstrafen bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe vor.
Internationale Strafverfolgung
Beim Internationalen Strafgerichtshof können Einzelpersonen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit zur Verantwortung gezogen werden, sofern das Verbrechen nach dem Römischen Statut Justiziabilität besitzt und die Tat nach 1. Juli 2002 begangen wurde. Einschränkungen der Gerichtsbarkeit bestehen, insbesondere hinsichtlich der Notwendigkeit eines UN-Sicherheitsratsbeschlusses bei Staaten, die das Statut nicht ratifiziert haben.
Rechtsdogmatische Abgrenzungen
Abgrenzung: Angriffskrieg – Verteidigungsfall
Ein zentraler dogmatischer Unterschied liegt zwischen dem Angriffskrieg und einem militärischen Engagement im Verteidigungsfall. Der Angriffskrieg ist immer völkerrechtswidrig und kriminell, während der Verteidigungskrieg nach Artikel 51 UN-Charta erlaubt ist.
Abgrenzung zu anderen Straftatbeständen
Zu unterscheiden sind darüber hinaus das Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Während diese Tatbestände oft im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten auftreten, adressiert das Verbrechen des Angriffskriegs bereits die ungerechtfertigte Einleitung eines militärischen Konflikts.
Angriffskrieg in der Rechtsprechung und Praxis
Nürnberger Prozesse
Die rechtliche Verfolgung des Führungspersonals des Dritten Reichs bei den Nürnberger Prozessen setzte erstmals Maßstäbe hinsichtlich der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit für internationale Verbrechen wie den Angriffskrieg.
Aktuelle internationale Praxis
Seit der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs ist die praktische Verfolgung des Aggressionsverbrechens weiterhin eingeschränkt, insbesondere durch politische Rahmenbedingungen und die Notwendigkeit umfassender internationaler Kooperation.
Literatur und weiterführende Hinweise
- Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs
- UN-Charta und Resolution 3314 der UN-Generalversammlung
- Völkerstrafgesetzbuch (VStGB)
- BeckOK StGB, § 13 VStGB
- Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze
Fazit
Der Angriffskrieg nimmt eine zentrale Stellung im internationalen und nationalen Rechtssystem ein. Während das Völkerrecht und das nationale Strafrecht das Führen und die Vorbereitung eines Angriffskrieges umfassend ahnden, stellt insbesondere das Verbot des Angriffskriegs ein Kernprinzip des gegenwärtigen internationalen Rechtssystems zum Schutz des Friedens und der Souveränität von Staaten dar. Die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Angriffskrieg dienen als wichtige Grundlage internationaler Sicherheitsarchitektur und als Bollwerk gegen die Anwendung militärischer Gewalt im Widerspruch zu kollektiven Sicherheitsinteressen.
Häufig gestellte Fragen
Unter welchen Bedingungen gilt ein Angriffskrieg nach internationalem Recht als völkerrechtswidrig?
Ein Angriffskrieg wird nach Artikel 2 Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen ausdrücklich als völkerrechtswidrig angesehen, da die Anwendung oder Androhung von Gewalt im internationalen Verkehr grundsätzlich verboten ist. Demnach stellen militärische Angriffe eines Staates auf einen anderen grundsätzlich eine schwere Verletzung des Gewaltverbots dar. Ausgenommen hiervon sind lediglich zwei eng begrenzte Ausnahmen: das Vorliegen eines Mandats des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen nach Kapitel VII der UNO-Charta zur Wahrung oder Wiederherstellung des internationalen Friedens und der Sicherheit sowie das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung nach Artikel 51, wenn ein bewaffneter Angriff stattfindet. Fehlt eine dieser Rechtfertigungen, gilt der Einsatz militärischer Gewalt als Angriffskrieg und damit als völkerrechtswidrige Handlung.
Welche strafrechtlichen Konsequenzen hat ein Angriffskrieg für die handelnden Personen?
Im Völkerstrafrecht ist die Führung eines Angriffskriegs als sogenanntes Verbrechen der Aggression ausgestaltet und damit eine individuell strafbare Handlung. Nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), insbesondere Artikel 8bis, kann eine Person strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie an der Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung eines Angriffskriegs beteiligt ist. Voraussetzung dafür ist, dass die Person tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates entscheidend zu beeinflussen („führende Stellung“). Auch im deutschen Strafrecht ist nach § 13 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) die Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskrieges unter Strafe gestellt. Verantwortliche, zumeist hohe politische und militärische Entscheidungsträger, können demnach sowohl vor internationalen als auch vor nationalen Gerichten belangt werden.
Wie wird ein Angriffskrieg durch internationale Gerichte verfolgt?
Internationale Gerichte wie der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) sind befugt, das Verbrechen der Aggression zu verfolgen, sofern die formalen Voraussetzungen erfüllt sind – insbesondere, dass der betreffende Staat das Römische Statut ratifiziert und die notwendige Zuständigkeitserklärung abgegeben hat. Die Prozessführung erfolgt nach einem genau definierten Verfahren: Der Ankläger des IStGH kann Ermittlungen aufnehmen, allerdings ist für das Verbrechen der Aggression eine vorhergehende Feststellung durch den UN-Sicherheitsrat oder entsprechende Ermittlungen der Vorverfahrenskammer des IStGH erforderlich. Verurteilungen erfolgen nur, wenn die individuelle Schuld zweifelsfrei festgestellt werden kann. Da nicht alle Staaten dem IStGH unterliegen, kann die Strafverfolgung jedoch Einschränkungen unterliegen; einzelne Staaten können jedoch auch eigenständig auf nationaler Ebene aktiv werden.
Kann Selbstverteidigung als Rechtfertigung für einen Angriffskrieg dienen?
Das Recht auf Selbstverteidigung ist im internationalen Recht grundsätzlich anerkannt, wird jedoch eng ausgelegt. Ein Kriegseinsatz – selbst offensive – ist nur dann völkerrechtlich legitimiert, wenn tatsächlich ein bewaffneter Angriff gegen den eigenen Staat oder einen verbündeten Staat stattgefunden hat. Die Selbstverteidigungshandlung muss außerdem verhältnismäßig, notwendig und unmittelbar als Reaktion auf die Aggression ergehen. Präventivschläge – sogenannte präemptive Selbstverteidigung – sind nach herrschender Meinung der Völkerrechtswissenschaft und der Praxis des UN-Sicherheitsrates unzulässig, es sei denn, der Angriff ist unmittelbar bevorstehend und unausweichlich. Missbraucht ein Staat das Selbstverteidigungsrecht zur Rechtfertigung eines Angriffskriegs ohne Vorliegen eines tatsächlichen Angriffs, bleibt der Einsatz rechtswidrig.
Welche Rolle spielt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Kontext eines Angriffskriegs?
Der Sicherheitsrat hat gemäß Kapitel VII der UN-Charta die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Stellt er einen Angriffskrieg fest, kann er Maßnahmen bis hin zur Ermächtigung zu militärischen Zwangsmaßnahmen gegen den Aggressorstaat beschließen. Wichtig ist, dass nur der Sicherheitsrat exklusive Entscheidungsbefugnis hat, kollektive Maßnahmen gegen einen Staat – wie Sanktionen oder den Einsatz von Streitkräften – zu autorisieren. Allerdings hängt die Wirksamkeit der Maßnahmen von der Einigkeit der ständigen Mitglieder ab, da jedes dieser Mitglieder ein Vetorecht besitzt. Ist ein Veto eingelegt, können Maßnahmen blockiert werden, was die Durchsetzung gegen einen Angriffskrieg erschweren kann.
Wie unterscheiden sich Angriffskrieg und bewaffneter Konflikt rechtlich voneinander?
Sollte es sich bei einem bewaffneten Konflikt um den Einsatz militärischer Mittel handeln, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass ein Angriffskrieg im Sinne des Völkerrechts vorliegt. Ein Angriffskrieg bedarf der gezielten, schwerwiegenden und nicht gerechtfertigten Verletzung des Gewaltverbots, insbesondere ist auf Ebene der politischen Führung eine geplante, umfassende Aggressionshandlung erforderlich. Kleine Grenzzwischenfälle, Bürgerkriege oder interne bewaffnete Konflikte ohne grenzübergreifende Elemente fallen rechtlich nicht unter den Begriff des Angriffskriegs, sondern können andere völkerrechtliche Regelverletzungen darstellen, etwa Kriegsverbrechen oder humanitäre Verstöße.
Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Staaten, sich gegen einen Angriffskrieg zu wehren?
Staaten können sich auf das Völkerrecht berufen und insbesondere auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UNO-Charta zurückgreifen, solange der Sicherheitsrat keine Maßnahmen ergriffen hat. Darüber hinaus können sie den Angriff durch diplomatische Mittel, durch die Mobilisierung internationaler Unterstützung und Sanktionen sowie durch den Weg vor internationale Gerichte wie den Internationalen Gerichtshof (IGH) oder den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) bekämpfen. Schließlich besteht die Möglichkeit, Bündnispartner um Unterstützung zu ersuchen, sofern kollektive Sicherheitssysteme – wie die NATO – einschlägig sind. Die zu ergreifenden Maßnahmen müssen stets im Rahmen der geltenden völkerrechtlichen Vorschriften stehen, um nicht selbst zu weiteren Rechtsverstößen zu führen.