Angehörigenschmerzensgeld – Rechtliche Grundlagen und aktuelle Entwicklungen
Begriff und rechtliche Einordnung
Das Angehörigenschmerzensgeld bezeichnet einen eigenständigen Anspruch auf Schmerzensgeld, der nahen Angehörigen einer verletzten bzw. getöteten Person zustehen kann. Im Unterschied zu dem klassischen Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB) knüpft dieser Anspruch nicht an ein selbst erlittenes primäres Verletzungsereignis an, sondern an seelische Belastungen, die Angehörige durch erhebliche Verletzungen oder den Tod einer nahe stehenden Person erleiden. Das Angehörigenschmerzensgeld ist Teil des deutschen Deliktsrechts, wurde aber auch im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention und aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben diskutiert und gesetzlich geregelt.
Gesetzliche Grundlagen
§ 844 Abs. 3 BGB – Einführung des Anspruchs
Mit Wirkung zum 22. Juli 2017 wurde das Angehörigenschmerzensgeld ausdrücklich in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. § 844 Abs. 3 BGB regelt erstmals die Voraussetzungen und Reichweite eines Anspruchs:
„Im Falle der Tötung eines Menschen kann der Ersatzpflichtige dem Ehegatten, dem Lebenspartner oder einem Kind oder Elternteil des Getöteten eine angemessene Entschädigung in Geld für das ihnen zugefügte seelische Leid schulden.“
Diese Norm stellt klar, dass nahe Angehörige einen eigenen Geldentschädigungsanspruch bei Tötung eines Menschen geltend machen können. Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob den Hinterbliebenen selbst eine Körperverletzung zugefügt wurde.
Erweiterung auf schwere Körperverletzungen
Neben der Tötung wurde der Anspruch um Fälle schwerster Verletzungen erweitert. Maßgeblich hierfür ist die höchstrichterliche Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs (BGH), der auch Angehörigen bei erheblicher selbst erlebter Gesundheitsverletzung eines nahestehenden Menschen Ansprüche zubilligt, wenn die psychische Beeinträchtigung Krankheitswert erreicht.
Anspruchsvoraussetzungen
Kreis der Anspruchsberechtigten
Der Gesetzestext nennt ausdrücklich Ehegatten, Lebenspartner, Kinder und Eltern als Berechtigte. Die Rechtsprechung zieht ggf. auch weitere, besonders enge Angehörige, wie etwa Geschwister, in Betracht, wenn eine vergleichbar enge persönliche Bindung besteht. Lebenspartnerschaften sind dem Institut der Ehe gleichgestellt.
Schadensereignis und Anspruchsgrund
Voraussetzungen für das Angehörigenschmerzensgeld sind:
- Ein haftungsbegründendes Ereignis (z. B. ein Unfall durch schuldhaftes Verhalten einer Dritten Person)
- Der Tod oder eine schwerste Verletzung des Geschädigten
- Eine besondere persönliche Nähe zwischen dem Geschädigten und dem Anspruchsteller
- Eine durch das Ereignis ausgelöste erhebliche seelische Beeinträchtigung des Angehörigen, die über allgemeines Trauerempfinden hinausgeht (bei Verletzung)
- Kausalität zwischen dem Schadensereignis und der Beeinträchtigung
Besonderheiten bei psychischen Beeinträchtigungen
Nach ständiger Rechtsprechung muss die psychische Beeinträchtigung des Angehörigen Krankheitswert aufweisen („Schockschaden“), um ersatzfähig zu sein. Dies gilt grundsätzlich dann, wenn die seelischen Belastungen zu einer Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB führen. Der krankheitswertige Schockschaden setzt eine intensive traumatische Erfahrung voraus, wie etwa das unmittelbare Erleben des tödlichen Unfalls eines nahen Angehörigen.
Anspruchsinhalte und Bemessung
Höhe des Angehörigenschmerzensgeldes
Die Bemessung erfolgt nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind dabei unter anderem:
- Intensität und Dauer der seelischen Beeinträchtigung
- Näheverhältnis zum Getöteten oder Schwerverletzten
- Besondere Umstände des Schadensereignisses (z. B. Unfallhergang, Verantwortung des Schädigers)
- Verhalten der Haftpflichtversicherung
Die Beträge bewegen sich nach aktueller Rechtsprechung typischerweise zwischen 5.000 und 25.000 Euro, in Extremfällen auch darüber. Einheitliche Tabellen oder eine mathematische Methode gibt es nicht, die Einzelfallabwägung ist maßgebend.
Ausschluss und Einschränkungen des Anspruchs
Mitverschulden und Mitverantwortung
Im Fall eines Mitverschuldens des Geschädigten oder der anspruchsberechtigten Person kann das Angehörigenschmerzensgeld gemäß § 254 BGB anteilig gekürzt werden.
Verhältnis zu weiteren Ansprüchen
Das Angehörigenschmerzensgeld tritt neben andere Schadensersatzansprüche (z. B. Unterhalt, Beerdigungskosten, klassisches Schmerzensgeld) und konkurriert nicht mit diesen. Eine Doppelerstattung für denselben immateriellen Schaden ist jedoch ausgeschlossen.
Prozessuale Durchsetzung und Verjährung
Der Anspruch wird in der Regel im Rahmen eines zivilrechtlichen Gerichtsverfahrens geltend gemacht. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt nach § 195 BGB drei Jahre, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und die anspruchsberechtigte Person von den anspruchsbegründenden Umständen erfahren hat (§ 199 BGB).
Entwicklung und Kritik
Die ausdrückliche Einführung des Angehörigenschmerzensgeldes wurde lange gefordert, um die bis dahin bestehenden Gerechtigkeitslücken zu schließen. Kritisiert wird im Einzelfall, dass die Höhe der Entschädigung nicht an internationale Standards (etwa Frankreich, Großbritannien) heranreicht. Auch bleibt der Kreis der Anspruchsberechtigten im Gesetz relativ eng bestimmt, wodurch nahe Lebensgemeinschaften in Ausnahmefällen leer ausgehen können.
Bedeutung im Versicherungsrecht
Im Bereich der Haftpflicht- und insbesondere Kfz-Haftpflichtversicherung spielt das Angehörigenschmerzensgeld eine zunehmende Rolle. Es ist von den Versicherungsunternehmen im Haftpflichtschadensfall zu prüfen und – bei Vorliegen der Voraussetzungen – zu ersetzen.
Zusammenfassung:
Das Angehörigenschmerzensgeld stellt einen eigenständigen Ausgleich für seelisches Leid naher Angehöriger bei Tötung oder schwerster Verletzung eines Menschen dar. Seine rechtliche Grundlage findet sich in § 844 Abs. 3 BGB. Für die Höhe und Zuerkennung des Anspruchs sind die konkreten Umstände und das Näheverhältnis zum Geschädigten entscheidend. In der Praxis gewinnt der Anspruch zunehmend an Bedeutung, bleibt aber im internationalen Vergleich noch ausbaufähig.
Häufig gestellte Fragen
Unter welchen Voraussetzungen kann Angehörigenschmerzensgeld nach deutschem Recht geltend gemacht werden?
Damit ein Anspruch auf Angehörigenschmerzensgeld nach deutschem Recht entsteht, müssen spezifische rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Grundsätzlich sehen § 844 Abs. 3 BGB sowie höchstrichterliche Rechtsprechung vor, dass Hinterbliebene ein solches Schmerzensgeld beanspruchen können, wenn ein naher Angehöriger durch ein Schadensereignis – zumeist einen tödlichen Unfall oder eine schwere Körperverletzung – getötet oder schwer verletzt wurde. Die anspruchsberechtigte Person muss in einer besonderen persönlichen Nähebeziehung zum Geschädigten stehen, beispielsweise als Ehegatte, Lebenspartner, Kindeseltern oder Kind. Neben dem Nachweis dieser nahen Beziehung wird verlangt, dass dem Hinterbliebenen infolge des Ereignisses eine schwerwiegende seelische Beeinträchtigung von Krankheitswert entstanden ist. Eine bloße Trauer oder Schmerz reicht nach deutschem Recht nicht aus; es muss vielmehr eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in besonderem, atypischen Ausmaß vorliegen. Das Gericht prüft im Einzelfall, inwiefern eine erhebliche psychische Belastung oder Erkrankung, wie beispielsweise eine Anpassungsstörung oder Depression, nachweisbar ist, wobei hierzu regelmäßig medizinische Gutachten eingeholt werden. Schließlich muss die Anspruchsgegnerseite fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt haben, sodass eine haftungsbegründende Pflichtverletzung gegeben ist.
Wer gilt im Sinne des Angehörigenschmerzensgeldes als „naher Angehöriger“?
Die Frage, wer als „naher Angehöriger“ anerkannt wird, ist im Gesetz (§ 844 Abs. 3 BGB) beispielhaft, aber nicht abschließend geregelt. Klassischerweise zählen Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Eltern und Kinder zum Kreis der Anspruchsberechtigten. Auch Lebensgefährten, die in einer auf Dauer angelegten eheähnlichen Gemeinschaft mit dem Verstorbenen lebten, können ersatzberechtigt sein, sofern die emotionale und tatsächliche Verbundenheit hinreichend nachgewiesen werden kann. Darüber hinaus erkennt die Rechtsprechung in Ausnahmefällen weitere nahe Bezugspersonen (beispielsweise Geschwister oder Stiefkinder) an, wenn eine besonders enge persönliche Bindung belegt werden kann. Der Nachweis erfolgt regelmäßig durch Zeugenaussagen, gemeinsame Haushaltsführung oder andere Indizien für die Intensität der Beziehung.
In welcher Höhe wird Angehörigenschmerzensgeld zugesprochen?
Die Höhe des Angehörigenschmerzensgeldes ist nicht gesetzlich festgelegt, sondern wird von den Gerichten nach Billigkeitsgrundsätzen und unter Heranziehung der Umstände des Einzelfalls bestimmt. Regelmäßig orientieren sie sich an bereits entschiedenen Fällen und erstellen eine vergleichende Bewertung vergleichbarer Sachverhalte. Üblich sind Schmerzensgelder im Bereich von 10.000 € bis 30.000 €, wobei in besonders schweren Fällen – etwa bei besonders traumatischen Todesumständen oder mehrfacher Traumatisierung – auch höhere Beträge möglich sind. Kriterien für die Bemessung sind u.a. die Intensität und Dauer der psychischen Beeinträchtigung, das Verhältnis zum Verstorbenen, das Alter und die Gesundheit der Betroffenen sowie die Schwere des schuldhaften Verhaltens des Schädigers. Die tatsächliche Auszahlungssumme hängt stets von der gerichtlichen Einzelfallabwägung ab und kann durch außergerichtliche Vergleiche beeinflusst werden.
Wie erfolgt der Nachweis einer „schwerwiegenden seelischen Beeinträchtigung“?
Im Zivilverfahren trägt grundsätzlich der Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer schwerwiegenden seelischen Beeinträchtigung. Der bloße Vortrag reiner Trauer oder allgemeiner psychischer Belastung ist nicht ausreichend. Vielmehr sind konkrete Tatsachenanteile darzulegen, die das Vorliegen einer Erkrankung von Krankheitswert – beispielsweise eine Depression, Anpassungsstörung oder posttraumatische Belastungsstörung – belegen. Häufig wird hierfür die Vorlage ärztlicher Atteste, psychotherapeutischer Gutachten oder psychiatrischer Sachverständigengutachten erforderlich. Das Gericht kann zudem die Einholung eines eigenen Gutachtens anordnen. Entscheidend ist, dass die psychische Störung in Intensität und Dauer über das übliche, alters- oder kulturbedingt zu erwartende Maß hinausgeht.
Besteht ein Anspruch auf Angehörigenschmerzensgeld auch bei nicht tödlichen Verletzungen?
Grundsätzlich ist der Anspruch auf Angehörigenschmerzensgeld nicht nur bei tödlichen Unfällen möglich, sondern in Ausnahmefällen auch bei schwersten nicht tödlichen Verletzungen, sofern der Geschädigte so massiv verletzt wurde, dass der nahstehende Angehörige eine gravierende seelische Erschütterung mit Krankheitswert erleidet. Allerdings ist ein Anspruch in diesen Fällen deutlich restriktiver, da deutsche Gerichte besondere Anforderungen an die Unzumutbarkeit und das Ausmaß der psychischen Belastung stellen. Die Hürde, eine atypisch gravierende Störung nachzuweisen, ist sehr hoch; ein Anspruch wird meist nur anerkannt, wenn beim Angehörigen tatsächlich eine psychische Erkrankung nachweisbar ausgelöst wurde und eine extrem enge persönliche Bindung bestand.
Wie werden konkurrierende Schadensposten, wie etwa Unterhalt oder Beerdigungskosten, zum Angehörigenschmerzensgeld abgegrenzt?
Das Angehörigenschmerzensgeld unterscheidet sich grundsätzlich von anderen Schadensersatzansprüchen, wie beispielsweise den Erstattungspflichten für Beerdigungskosten nach § 844 Abs. 1 BGB oder den Unterhaltsansprüchen nach § 844 Abs. 2 BGB. Während Letztere Vermögensschäden ausgleichen, adressiert das Angehörigenschmerzensgeld ausdrücklich immaterielle Schäden in Gestalt seelischen Leids. Es darf keine Doppelkompensation erfolgen, sodass etwa bereits abgegoltenes Leid unter anderen Anspruchsposten abgezogen werden kann. Eine klare Trennung erfolgt durch die gerichtliche Prüfung, ob es sich um einen auf unmittelbare psychische Beeinträchtigung (Angehörigenschmerzensgeld) oder um eine objektive materielle Einbuße (Unterhalt, Beerdigungskosten) handelt.
Welche Verjährungsfristen gelten für den Anspruch auf Angehörigenschmerzensgeld?
Der Anspruch auf Angehörigenschmerzensgeld unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsberechtigte von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 199 Abs. 1 BGB). Im Falle besonders gravierender Schadensereignisse, etwa im Verkehrs- oder Medizinrecht, können Sonderregelungen, beispielsweise aus dem Arzneimittelgesetz oder dem Produkthaftungsgesetz, greifen. Eine rechtzeitige Geltendmachung ist notwendig, da mit Eintritt der Verjährung der Anspruch zivilrechtlich nicht mehr durchgesetzt werden kann.