Begriff und rechtliche Einordnung: Anfall der Erbschaft
Der Anfall der Erbschaft stellt einen zentralen Begriff im Erbrecht dar und beschreibt den rechtlichen Übergang des Nachlasses vom Erblasser auf den oder die Erben im Todesfall. Maßgeblich hierfür ist § 1922 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Mit dem Tod des Erblassers treten die Erben als sogenannte Gesamtrechtsnachfolger unmittelbar in die Rechte und Pflichten des Erblassers ein. Der Erbanfall markiert damit den maßgeblichen Zeitpunkt und die rechtliche Grundlage für sämtliche nachfolgenden erbrechtlichen Prozesse.
Voraussetzungen für den Anfall der Erbschaft
Tod des Erblassers als auslösendes Ereignis
Der Anfall der Erbschaft ist zwingend an das Ableben einer natürlichen Person gebunden. Nach § 1922 BGB geht mit dem Moment des Todes der gesamte Nachlass als einheitliches Ganzes (Universalsukzession) auf den oder die Erben über.
Bestimmung des Erbenstatus
Wer Erbe wird, ist entweder durch Gesetz (gesetzliche Erbfolge) oder durch Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) bestimmt. Entscheidend ist hierbei allein die Rechtslage zum Zeitpunkt des Erbfalls. Bestehen Zweifel an der Person des Erben, etwa im Fall konkurrierender Verfügungen oder unklarer Verwandschaftsverhältnisse, erfolgt eine Prüfung und ggf. Feststellung durch die Nachlassgerichte.
Rechtsfolgen des Erbanfalls
Gesamtrechtsnachfolge und Nachlassumfang
Mit dem Erbanfall tritt der oder treten die Erben als Gesamtrechtsnachfolger in das Vermögen des Erblassers ein (§ 1922 BGB). Dies umfasst sämtliche Vermögenswerte ebenso wie sämtliche Verbindlichkeiten des Nachlasses. Der Nachlass bleibt während einer möglichen Erbengemeinschaft ungeteilt.
Verfügungsrecht der Erben
Die Erben erwerben mit dem Anfall zunächst grundlegend das Recht, über den Nachlass zu verfügen. Einzelne Einschränkungen bestehen etwa durch bestehende Testamentsvollstreckungen (§ 2205 BGB) oder aufschiebend bedingte Zuwendungen, bei welchen der Anfall zeitlich hinausgeschoben ist bis zum Eintritt der Bedingung.
Haftung für Nachlassverbindlichkeiten
Der Anfall der Erbschaft hat auch zur Folge, dass der oder die Erben für die Nachlassverbindlichkeiten haften (§ 1967 BGB). Die Haftung ist grundsätzlich unbeschränkt, kann jedoch durch bestimmte Maßnahmen wie die Nachlassverwaltung oder die Nachlassinsolvenz begrenzt werden.
Ausschlagung und Annahme der Erbschaft
Möglichkeit der Ausschlagung
Obwohl der Anfall der Erbschaft grundsätzlich von Gesetzes wegen geschieht, steht dem Erben die Möglichkeit offen, die Erbschaft gemäß § 1942 BGB auszuschlagen. Die Ausschlagung bewirkt, dass der Anfall der Erbschaft rückwirkend entfällt. Die Ausschlagungsfrist beträgt regelmäßig sechs Wochen ab Kenntnis des Anfalls und des Grundes der Erbenberufung.
Wirkung der Annahme
Durch ausdrückliche oder konkludente Annahme bestätigt der Erbe den Anfall der Erbschaft und kann über den Nachlass uneingeschränkt verfügen. Nach Annahme ist eine Ausschlagung ausgeschlossen.
Zeitlicher und persönlicher Anfall der Erbschaft
Zeitpunkt des Erbanfalls
Der Stichtag für den Anfall der Erbschaft ist stets der Todestag des Erblassers. Verfügungen von Todes wegen werden erst mit Eintritt dieses Ereignisses wirksam. Bei aufschiebend bedingten Erbeinsetzungen verschiebt sich der Erbanfall auf den Moment des Bedingungseintritts.
Mehrere Erben und Erbengemeinschaft
Bei mehreren Erben fällt der Nachlass gemeinschaftlich an diese Personen, die bis zur Auseinandersetzung eine Erbengemeinschaft bilden. Jeder Miterbe ist bezüglich seines Anteils zur Gesamthand berechtigt, nicht aber zu einem bestimmten Bruchteil des Nachlasses in Form von einzelnen Sachen (§ 2032 ff. BGB).
Besonderheiten beim Anfall der Erbschaft
Anwachsung (Akkreszenz)
Bei Wegfall eines Erben (z.B. durch Ausschlagung, Tod, Enterbung) kann das Erbrecht auf einen oder mehrere verbleibende Erben anwachsen, sofern dies von der Verfügung des Erblassers vorgesehen oder gesetzlich geregelt ist.
Erwerb durch Vermächtnisnehmer
Ein Vermächtnisnehmer ist nicht Erbe, sondern erwirbt beim Erbfall lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegenüber dem Erben. Der Anfall der Erbschaft selbst betrifft ihn daher grundsätzlich nicht.
Sonderregelungen
Bei minderjährigen oder unter rechtlicher Betreuung stehenden Personen wird der Anfall der Erbschaft durch besondere Vorschriften flankiert, etwa durch eine Genehmigungspflicht bei der Annahme oder Ausschlagung (§ 1643 BGB).
Steuerrechtliche Aspekte beim Anfall der Erbschaft
Mit dem Anfall der Erbschaft entsteht nach dem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) die Steuerpflicht für das übertragene Vermögen. Maßgeblicher Zeitpunkt für alle steuerlichen Bemessungen ist auch hier der Todestag des Erblassers (§ 9 ErbStG).
Zusammenfassung
Der Anfall der Erbschaft bildet den rechtlichen Ausgangspunkt aller weiteren erbrechtlichen Vorgänge und regelt den Übergang des Vermögens und der Verpflichtungen vom Erblasser auf den oder die Erben. Die rechtlichen Folgen, Rechte und Pflichten der Erben, Ausschlagungs- und Annahmemöglichkeiten, Besonderheiten bei aufschiebenden Bedingungen sowie steuerrechtliche Konsequenzen sind zentrale Aspekte, die im Zusammenhang mit dem Anfall der Erbschaft zu beachten sind. Die exakte Kenntnis dieser Wirkungen und Regelungen ist für die schnelle und fehlerfreie Abwicklung von Nachlässen unabdingbar.
Häufig gestellte Fragen
Wann tritt der Erbfall im rechtlichen Sinne ein?
Der Erbfall tritt im rechtlichen Sinne mit dem Tod des Erblassers ein (§ 1922 BGB). Ab diesem Zeitpunkt geht das gesamte Vermögen (sogenannter Nachlass) einschließlich Rechten und Pflichten des Verstorbenen kraft Gesetzes unmittelbar auf den oder die Erben über. Die Feststellung des Todeszeitpunkts erfolgt in der Regel durch ein ärztliches Attest. Für den Eintritt des Erbfalls ist es unerheblich, ob die Erben zu diesem Zeitpunkt bereits Kenntnis vom Tod erlangt haben oder ob die Erbfolge noch ungeklärt ist. Das deutsche Erbrecht kennt keine Wartezeiten oder Aufschiebungen bei Eintritt des Erbfalls; relevant ist ausschließlich der tatsächliche Todeszeitpunkt laut Personenstandsgesetz.
Welches Gericht ist beim Anfall der Erbschaft zuständig?
Mit dem Tod des Erblassers wird das sogenannte Nachlassgericht örtlich zuständig. Das Nachlassgericht ist eine Abteilung des Amtsgerichts am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Verstorbenen, § 343 FamFG. Zu dessen Aufgaben zählen unter anderem die Erteilung des Erbscheins, die Eröffnung von Testamenten und die Entgegennahme von Ausschlagungserklärungen. Falls sich der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers im Ausland befand, kann die Zuständigkeit auf das Amtsgericht Schöneberg in Berlin übergehen, sofern kein anderer deutscher Bezug besteht.
Wie erfolgt die Feststellung der Erben beim Anfall der Erbschaft?
Nach Eintritt des Erbfalls ist festzustellen, wer Erbe geworden ist. Dies kann entweder durch ein Testament oder einen Erbvertrag festgelegt sein. Liegt kein solcher letzter Wille vor, greift die gesetzliche Erbfolge gemäß §§ 1924 ff. BGB. Die Feststellung erfolgt oft durch Vorlage eines Erbscheins, den das Nachlassgericht auf Antrag hin ausstellt. Für die Erteilung eines Erbscheins sind die Angaben zur Verwandtschaft oder letztwilligen Verfügung, Todeszeitpunkt und letzte Wohnanschrift des Erblassers sowie eidesstattliche Versicherungen erforderlich. Der Erbe weist hiermit seine Rechtsstellung im Rechtsverkehr nach.
Was passiert mit den Verbindlichkeiten des Erblassers beim Anfall der Erbschaft?
Nach Eintritt des Erbfalls haften die Erben grundsätzlich für die Schulden des Erblassers, § 1967 BGB. Die Haftung erstreckt sich nicht nur auf das Vermögen, sondern betrifft alle Nachlassverbindlichkeiten. Dabei werden sowohl sog. Erblasserschulden als auch Erbfallschulden (z. B. Beerdigungskosten) umfasst. Allerdings steht dem Erben ein zeitlich begrenztes Recht zu, die Erbschaft auszuschlagen (§ 1942 BGB). Nach Ablauf der Ausschlagungsfrist (in der Regel sechs Wochen ab Kenntnis des Erbfalls und Berufungsgrundes) gilt die Erbschaft als angenommen und der Erbe haftet unbeschränkt mit seinem eigenen Vermögen, es sei denn, es wird eine Haftungsbegrenzung (Nachlassverwaltung/Nachlassinsolvenz) beantragt.
Wie und binnen welcher Frist kann die Erbschaft ausgeschlagen werden?
Die Ausschlagung der Erbschaft muss entweder zur Niederschrift beim Nachlassgericht oder in öffentlich beglaubigter Form erklärt werden (§ 1945 BGB). Nach § 1944 BGB ist die Frist für die Ausschlagung der Erbschaft sechs Wochen, beginnend ab dem Zeitpunkt, zu dem der Erbe vom Anfall und dem Berufungsgrund Kenntnis erlangt. Bei einem Aufenthalt im Ausland oder bei Eintritt des Erbfalls im Ausland verlängert sich die Frist auf sechs Monate. Nach Ablauf dieser Frist gilt die Erbschaft als angenommen, selbst wenn der Erbe sie tatsächlich nicht angetreten oder ausgeschlagen hat.
Welche Rolle spielt das Nachlassverzeichnis beim Anfall der Erbschaft?
Das Nachlassverzeichnis dient der Feststellung des Umfangs und Werts des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls. Es ist insbesondere bei mehreren Erben, bei Pflichtteilsberechtigten sowie zur Haftungsbegrenzung relevant. Das Verzeichnis kann durch die Erben selbst erstellt werden, häufig ist jedoch ein notarielles Nachlassverzeichnis notwendig, beispielsweise im Rahmen der Auseinandersetzung unter Miterben oder zur Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen. Es enthält die Aktiva (Vermögenswerte) und Passiva (Verbindlichkeiten) des Erblassers zum Todeszeitpunkt und bildet so die Grundlage für die Berechnung von Erb- und Pflichtteilsansprüchen.
Welche steuerlichen Pflichten entstehen beim Anfall der Erbschaft?
Mit dem Anfall der Erbschaft entsteht für die Erben eine Anzeigepflicht gegenüber dem zuständigen Finanzamt, § 30 ErbStG. Der Erbe hat den Erwerb der Erbschaft binnen drei Monaten nach Kenntnis dem Finanzamt schriftlich anzuzeigen, falls kein notarielles Testament oder Erbvertrag vorliegt. Darüber hinaus ist eine Erbschaftsteuererklärung abzugeben, sofern der steuerpflichtige Erwerb die jeweiligen Freibeträge übersteigt. Das Finanzamt setzt anschließend die Erbschaftsteuer fest. Dabei werden sämtliche Aktiva und Passiva des Nachlasses berücksichtigt, Stichtag ist der Zeitpunkt des Erbfalls. Auch Schenkungen, die innerhalb von zehn Jahren vor dem Erbfall erfolgten, werden steuerlich einbezogen.