Amtshaftung
Die Amtshaftung bezeichnet in Deutschland die gesetzliche Verpflichtung des Staates und seiner Organe, für Schäden aufzukommen, die Dritten im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten durch rechtswidriges Verhalten von Amtsträgern entstehen. Das Prinzip der Amtshaftung stellt somit einen zentralen Bestandteil des Systems der Staatshaftung dar und bildet die rechtliche Grundlage für Schadensersatzansprüche gegen den Staat und seine Körperschaften.
Rechtsgrundlagen der Amtshaftung
Die gesetzliche Grundlage der Amtshaftung findet sich in § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in Verbindung mit Artikel 34 des Grundgesetzes (GG). Während § 839 BGB die persönliche Haftung des Amtswalters regelt, sieht Art. 34 GG vor, dass bei hoheitlichem Handeln grundsätzlich der Staat beziehungsweise die betroffene juristische Person des öffentlichen Rechts einzustehen hat.
§ 839 BGB
Nach § 839 BGB ist ein Amtsträger zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes eine ihm obliegende Amtspflicht verletzt und hierdurch einem Dritten einen Schaden zufügt.
Art. 34 GG
Art. 34 GG schließt die persönliche Inanspruchnahme des Amtsträgers bei hoheitlichem Handeln aus. Die Haftung wird unmittelbar auf den Staat bzw. die zuständige Körperschaft übertragen, etwa auf Bund, Länder, Gemeinden oder sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts.
Voraussetzungen der Amtshaftung
Damit ein Schadensersatzanspruch aufgrund Amtshaftung besteht, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
1. Amtspflichtverletzung
Zentral ist eine Verletzung einer Amtspflicht. Eine Amtspflicht ist jede Pflicht, die einem Amtsträger bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben obliegt. Die Amtspflichtverletzung kann sowohl durch Tun als auch durch Unterlassen erfolgen.
2. Ausübung eines öffentlichen Amtes
Die Handlung des Amtswalters muss im Rahmen der hoheitlichen Betätigung, das heißt im Rahmen eines öffentlichen Amtes, erfolgen. Private Tätigkeiten oder Verwaltungsakte im fiskalischen Bereich sind hiervon grundsätzlich ausgeschlossen.
3. Verschulden des Amtsträgers
Für die Haftung bedarf es eines Verschuldens seitens des Amtsträgers. Dies kann in Fahrlässigkeit oder Vorsatz bestehen. Blanke Gefährdungshaftung gibt es im Bereich der Amtshaftung grundsätzlich nicht.
4. Rechtswidrigkeit
Die Pflichtverletzung muss rechtswidrig sein, das heißt, sie darf nicht durch gesetzliche Rechtfertigungsgründe gedeckt sein.
5. Zusammenhang zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden
Es muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen zwischen der Amtspflichtverletzung und dem entstandenen Schaden beim Geschädigten.
6. Kausalität und Zurechenbarkeit
Der Schaden muss kausal auf die Pflichtverletzung zurückzuführen und dem Handeln des Amtsträgers zurechenbar sein.
Persönlicher Anwendungsbereich
Amtsträger im Sinne der Amtshaftung sind alle Personen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung im hoheitlichen Bereich wahrnehmen. Dies umfasst Beamte, Angestellte im öffentlichen Dienst, sonstige Bedienstete, ehrenamtlich Tätige und auch Privatpersonen, die hoheitliche Aufgaben wahrnehmen (sogenannte Beliehene).
Objektiver Anwendungsbereich
Die Amtshaftung findet ausschließlich bei hoheitlichen, also öffentlich-rechtlichen Tätigkeiten Anwendung. Dazu zählen etwa Maßnahmen der Polizei und Ordnungsbehörden, Tätigkeiten der Steuerverwaltung, hoheitliche Bauaufsicht sowie richterliche und staatsanwaltschaftliche Maßnahmen. Fiskalisches Handeln (Aufgaben der öffentlichen Hand, die privatwirtschaftlicher Natur sind) fällt nicht unter die Amtshaftung, sondern unter die allgemeine zivilrechtliche Haftung.
Besonderheiten und Einschränkungen
Subsidiarität der Amtshaftung
Ist für den durch eine Amtspflichtverletzung entstandenen Schaden ein anderer Ersatzpflichtiger vorhanden (z.B. ein privater Dritter), ist gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB die Amtshaftung subsidiär.
Richterliche Unabhängigkeit
Nach § 839 Abs. 2 BGB haften Richter grundsätzlich nicht für Schäden, die durch ein rechtswidriges Urteil oder eine andere richterliche Amtshandlung verursacht werden, es sei denn, die Pflichtverletzung erfolgte vorsätzlich.
Organhaftung und Überleitung auf den Staat
Art. 34 GG sieht vor, dass die Haftung des Amtsträgers im Außenverhältnis auf den Staat übergeleitet wird. Dieser kann jedoch im Innenverhältnis Rückgriff beim Amtsträger nehmen, falls dieser vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat.
Verjährung und Klageweg
Ansprüche aus Amtshaftung verjähren gem. § 195 BGB grundsätzlich binnen drei Jahren ab Kenntnis des Geschädigten von Schaden und Schädiger. Für Schäden aus Leben, Körper, Gesundheit sowie aus Freiheitsentziehung bestehen gem. § 199 BGB abweichende Regelungen.
Für die Geltendmachung ist in der Regel der Zivilrechtsweg gegeben. Es besteht keine zwingende Vorschrift zur vorherigen Durchführung eines Verwaltungsverfahrens.
Amtshaftung in anderen Rechtsordnungen
Auch andere Staaten kennen vergleichbare Institute der Amtshaftung, etwa die „State Liability“ im Vereinigten Königreich oder die „Tort liability of public authorities“ in den USA. Umfang und Voraussetzungen können sich jedoch erheblich unterscheiden.
Bedeutung und Funktion der Amtshaftung
Die Amtshaftung dient dem Schutz des Bürgers gegenüber dem Staat und seinen Organen, indem sie einen Ausgleich für Schäden schafft, die durch rechtwidrige hoheitliche Handlungen entstehen. Sie fördert die Rechtstreue öffentlicher Stellen und stärkt das Vertrauen in einen rechtsstaatlich organisierten Verwaltungsaufbau.
Siehe auch:
- Staatshaftungsrecht
- Diensthaftung
- Öffentliches Recht
- Organstreitverfahren
Literatur:
- BVerfG, Urteil v. 19.10.1965, 1 BvR 512/62, BVerfGE 19, 263
- Schmidt-Aßmann, Die Staatshaftung, 4. Aufl., 2011
- Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl., 2018
Weblinks:
Häufig gestellte Fragen
Wer kann Ansprüche aus Amtshaftung geltend machen?
Ansprüche aus der Amtshaftung können grundsätzlich jede natürliche oder juristische Person geltend machen, die durch das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten eines Amtsträgers in Ausübung eines öffentlichen Amtes einen Schaden erlitten hat. Es ist hierbei unerheblich, ob der Geschädigte Inländer oder Ausländer ist und ob er seinen Wohnsitz im Inland oder Ausland hat. Voraussetzung ist allein, dass ein unmittelbarer Schaden im Sinne eines Vermögens- oder eines bestimmten Nichtvermögensschadens entstanden ist. Nicht anspruchsberechtigt ist dagegen, wer durch den hoheitlichen Eingriff nur reflexhaft, also lediglich mittelbar betroffen ist – etwa als Gläubiger oder Arbeitgeber des durch Amtspflichtverletzung geschädigten Bürgers. Die Legaldefinition im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG) beschränkt die Antragsberechtigung nicht weiter.
Gegen wen richtet sich der Amtshaftungsanspruch?
Der Amtshaftungsanspruch richtet sich ausschließlich gegen den Staat oder diejenige juristische Person des öffentlichen Rechts, in deren Dienst der handelnde Amtsträger zum Zeitpunkt der Amtspflichtverletzung stand. Die betroffene Behörde oder staatliche Einrichtung ist somit passivlegitimiert, das heißt, sie ist der richtige Anspruchsgegner. Amtsträger, die im Rahmen ihres öffentlichen Amts schuldhaft und rechtswidrig handeln, haften persönlich nur in Ausnahmefällen – beispielsweise bei Vorsatz in Form strafbarer Handlungen (Regressanspruch). Der direkte Anspruch gegen den handelnden Amtsträger ist nach Art. 34 GG ausgeschlossen, sofern er nicht außerhalb der Ausübung des Amtes oder vorsätzlich gegen besondere Vorschriften gehandelt hat.
Welche Voraussetzungen müssen für einen erfolgreichen Amtshaftungsanspruch erfüllt sein?
Für einen erfolgreichen Amtshaftungsanspruch müssen mehrere Tatbestandsmerkmale kumulativ erfüllt sein:
- Es muss sich um eine Amtspflichtverletzung handeln, die durch einen Amtsträger (im Sinne des § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG) bei der Ausübung seines öffentlichen Amtes begangen wurde.
- Die Amtspflichtverletzung muss rechtswidrig und schuldhaft (also vorsätzlich oder fahrlässig) erfolgt sein.
- Dem Geschädigten muss durch die Pflichtverletzung ein ersatzfähiger Schaden entstanden sein.
- Zwischen der Amtspflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen.
- Gegebenenfalls müssen auch fehlende anderweitige Ersatzmöglichkeiten (§ 839 Abs. 1, Satz 2 BGB) nachgewiesen werden, was etwa bei strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen relevant ist.
Der Anspruch scheitert, wenn eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt ist.
Was versteht man unter „Amtspflichtverletzung“ im Sinne des Amtshaftungsrechts?
Unter einer Amtspflichtverletzung versteht man jede objektiv rechtswidrige und schuldhafte Verletzung einer einem Amtsträger obliegenden gesetzlichen Pflicht, die ihm gerade in seiner Eigenschaft als Repräsentant des Staates oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts obliegt. Die Pflicht kann sich direkt aus gesetzlichen Vorschriften, aber auch aus untergesetzlichen Regelwerken oder innerdienstlichen Anordnungen ergeben. Es genügt, dass die für das schädigende Verhalten maßgebende Norm eine sogenannte drittschützende Wirkung aufweist, das heißt, dass sie zumindest auch dem Schutz des von der Pflichtverletzung konkret betroffenen Bürgers dient. Bloße interne Dienstpflichten ohne Außenwirkung begründen keine Amtshaftungsansprüche.
Welche Schäden sind im Rahmen der Amtshaftung ausgleichspflichtig?
Im Wege der Amtshaftung können sowohl materielle (Vermögensschäden) als auch immaterielle Schäden (Schmerzensgeld gemäß § 253 BGB) ersetzt werden. Erfasst sind etwa Schäden an Eigentum, Gesundheit oder Vermögen des Geschädigten, die durch die schuldhafte Pflichtverletzung eines Amtsträgers verursacht wurden. Immaterielle Schäden wie Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder Schmerzen kommen insbesondere bei besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen in Betracht, etwa bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Handlung. Ein ersatzfähiger Schaden muss „unmittelbar“ durch die Pflichtverletzung herbeigeführt worden sein. Reine Gefährdungsschäden oder fiktive Schadenspositionen werden nicht entschädigt.
Welche Besonderheiten gelten für die Verjährung von Amtshaftungsansprüchen?
Amtshaftungsansprüche unterliegen grundsätzlich der regelmäßigen zivilrechtlichen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB), beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Geschädigte von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 BGB). Liegen besondere Tatbestände vor, können auch die kenntnisunabhängigen Höchstfristen von zehn bzw. dreißig Jahren (§ 199 Abs. 3, 4 BGB) Anwendung finden. Die Verjährung kann etwa durch Verhandlungen oder die Einleitung eines verwaltungsrechtlichen Vorverfahrens (z.B. Widerspruchsverfahren) gehemmt werden (§ 203 BGB). Es empfiehlt sich, Ansprüche frühzeitig geltend zu machen, um den Eintritt der Verjährung zu verhindern.