Legal Wiki

Wiki»Legal Lexikon»Strafrecht»Alternativverurteilung

Alternativverurteilung

Begriff und Grundidee der Alternativverurteilung

Alternativverurteilung bezeichnet einen Schuldspruch, bei dem das Gericht feststellt, dass die angeklagte Person sicher eine strafbare Handlung begangen hat, jedoch offenlässt, welcher von mehreren sich gegenseitig ausschließenden Sachverhalts- oder Deliktsvarianten zutrifft. Es werden also Alternativen benannt, zwischen denen das Gericht nicht mit letzter Sicherheit unterscheiden kann, die aber sämtlich strafbar wären.

Kerndefinition

Im engeren Sinne liegt eine Alternativverurteilung vor, wenn der Tenor des Urteils die Schuldzuweisung in einer „entweder-oder“-Form enthält (z. B. „wegen A oder B“). Im weiteren Sprachgebrauch wird der Begriff häufig für Konstellationen genutzt, in denen das Gericht zwar nicht alle Einzelheiten klären kann, aber eine rechtlich tragfähige, alternative Feststellung trifft, die zum Schuldspruch führt.

Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen

Alternativanklage

Die Anklage kann Alternativen benennen, wenn bereits bei Erhebung nicht sicher ist, welche rechtliche Einordnung oder welcher Tathergang vorliegt. Das Gericht ist daran nicht gebunden und muss am Ende über eine konkrete Verurteilung, einen Freispruch oder eine zulässige alternative Feststellung entscheiden.

Wahlfeststellung

Die Wahlfeststellung ist eine besondere Form der alternativen Feststellung. Sie wird in der gerichtlichen Praxis nur ausnahmsweise akzeptiert und setzt voraus, dass feststeht, dass die angeklagte Person sicher eine Straftat begangen hat, unklar ist aber, welche von zwei (oder wenigen) Alternativen. Die Alternativen müssen in ihrer rechtlichen Bewertung und Vorwerfbarkeit vergleichbar sein und dieselbe Tat betreffen.

Wahldeutung

Bei der Wahldeutung ordnet das Gericht unklare Tatsachen einer der in Betracht kommenden rechtlichen Deutungen zu, ohne den Schuldspruch im Tenor alternativ zu formulieren. Dabei wird regelmäßig der für die betroffene Person günstigere Deutungsweg gewählt, um die Bestimmtheit des Urteils zu wahren.

Rechtliche Grundlagen und Leitprinzipien

Bestimmtheit des Schuldspruchs

Ein Schuldspruch muss so bestimmt sein, dass klar erkennbar ist, wofür eine Person verurteilt wurde. Alternativverurteilungen berühren dieses Bestimmtheitsgebot, weil sie eine offene Form enthalten. Zulässig ist dies nur, wenn die Alternativen eng umgrenzt, sachlich deckungsgleich im Kern und in ihrer rechtlichen Schwere vergleichbar sind.

Unschuldsvermutung und Beweismaß

Grundsätzlich gilt: Bestehen unaufklärbare Zweifel, geht dies zulasten des Staates. Eine alternative Feststellung kommt nur in Betracht, wenn Ungewissheiten sich nicht darauf beziehen, ob überhaupt eine Straftat begangen wurde, sondern allein darauf, welche von mehreren gleichwertigen Varianten vorliegt. Der Kern der Tat muss sicher nachgewiesen sein.

Schuldprinzip und Tatidentität

Alternativen dürfen sich nur auf dieselbe Tat beziehen. Es darf nicht offenbleiben, ob die Person diese oder eine andere, selbständige Tat begangen hat. Das Schuldprinzip verlangt, dass die Strafe an die gesicherte, persönliche Verantwortlichkeit anknüpft; das begrenzt alternative Schuldsprüche auf eng umschriebene Fälle.

Zulässigkeit und Grenzen

Wann ist eine Alternativverurteilung unzulässig?

Unzulässig ist sie insbesondere, wenn:
– die Alternativen verschiedene Taten betreffen,
– die Alternativen in ihrer rechtlichen Schwere oder ihrem Unrechtsgehalt deutlich auseinanderfallen,
– besondere Rechtsfolgen nur bei einer Alternative in Betracht kommen und deshalb die Unbestimmtheit zu unklaren oder unverhältnismäßigen Folgen führen würde,
– wesentliche Tatbestandsmerkmale unaufgeklärt bleiben, die für die persönliche Vorwerfbarkeit entscheidend sind.

Voraussetzungen einer zulässigen Wahlfeststellung

Vorausgesetzt werden regelmäßig:
– sichere Feststellung, dass eine Straftat begangen wurde,
– die Alternativen betreffen denselben Lebenssachverhalt,
– die Alternativen schließen sich gegenseitig aus (es kann nur eine zutreffen),
– die Alternativen sind im Gewicht vergleichbar,
– die Unsicherheit betrifft nur die rechtliche Einordnung oder eine abgrenzbare Variante, nicht den Tatkern.

Typische Fallkonstellationen

Häufig diskutiert werden Konstellationen, in denen unklar bleibt, ob eine Person an einer Vermögensstraftat als unmittelbarer Täter beteiligt war oder ob sie erst im Anschluss eine strafbare Anschluss- oder Beteiligungshandlung verwirklichte. Ebenfalls diskutiert sind Fälle, in denen unsicher bleibt, ob jemand als Täter oder als Gehilfe agiert hat. Allen Fällen ist gemein, dass dasselbe Geschehen betroffen ist und feststeht, dass mindestens eine strafbare Variante verwirklicht wurde.

Unzulässige Konstellationen

Unzulässig sind Alternativen, die unterschiedliche Schutzrichtungen betreffen oder stark voneinander abweichende Schuld- und Unrechtsgehalte aufweisen, ebenso Alternativen über verschiedene zeitlich getrennte Taten. Auch darf die alternative Formulierung nicht dazu führen, dass unklare, nur in einer Alternative vorgesehene Nebenfolgen oder Maßnahmen angeordnet würden.

Gestaltung des Urteils

Tenorierung und Formulierung

Wird ausnahmsweise eine alternative Feststellung im Schuldspruch verwendet, müssen die Alternativen im Tenor präzise bezeichnet und auf ein Minimum reduziert sein. Die Urteilsgründe haben darzulegen, weshalb nur diese engen Alternativen in Betracht kommen und weshalb der Tatkern feststeht.

Strafzumessung bei Alternativfeststellungen

Die Strafe wird am milderen rechtlichen Rahmen ausgerichtet und an der günstigeren Bewertung für die verurteilte Person orientiert. Unsicherheiten werden nicht straferhöhend verwertet. Der Strafrahmen darf nicht aus den strengeren Elementen der Alternativen zusammengesetzt werden.

Nebenfolgen und Eintragungen

Nebenfolgen, Maßnahmen oder Folgeentscheidungen, die nur bei einer der Alternativen möglich wären, kommen nicht in Betracht. Eintragungen in amtliche Register benennen in der Regel die alternative Fassung des Schuldspruchs. Die Unbestimmtheit ist dabei zu dokumentieren, ohne den Kern des Schuldspruchs zu verwischen.

Verfahrensrechtliche Aspekte

Rolle von Anklage und Verteidigung

Bereits im Ermittlungs- und Anklageverfahren können Alternativen formuliert werden, wenn der Sachverhalt dazu Anlass gibt. Im Hauptverfahren wird der Sachverhalt aufgeklärt; am Ende entscheidet das Gericht, ob eine eindeutige Zuordnung möglich ist, ob eine zulässige Wahlfeststellung in Betracht kommt oder ob freizusprechen ist.

Rechtsmittel und Überprüfung

Alternative Schuldsprüche unterliegen der vollen Überprüfung durch Rechtsmittelinstanzen. Geprüft werden insbesondere die Bestimmtheit des Tenors, die Einhaltung der engen Voraussetzungen, die Plausibilität der Beweiswürdigung sowie die Ausrichtung der Strafe am milderen Rahmen.

Bindungswirkung in anderen Verfahren

Die Bindungswirkung eines Strafurteils für andere Verfahren ist bei alternativen Schuldsprüchen eingeschränkt. Wo Folgeverfahren (etwa zivilrechtliche Auseinandersetzungen) eine konkrete Feststellung voraussetzen, kann die alternative Form die Verwertbarkeit reduzieren.

Praxisrelevanz und Kontroversen

Vorteile

Alternativfeststellungen verhindern, dass gesicherte strafbare Beteiligungen folgenlos bleiben, nur weil ein Restzweifel zwischen zwei eng verwandten Varianten nicht ausgeräumt werden kann. Sie schaffen einen Ausgleich zwischen dem Aufklärungsanspruch der Allgemeinheit und dem Schutz vor Überdehnung des Strafanspruchs.

Risiken und Kritik

Die offene Form kann die Klarheit des Schuldspruchs beeinträchtigen und Folgeentscheidungen erschweren. Kritisiert wird zudem, dass alternative Schuldsprüche an die Grenze der Unschuldsvermutung und des Bestimmtheitsgebots führen. Daher ist ihr Einsatz in der Praxis stark begrenzt und an strenge Voraussetzungen geknüpft.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet Alternativverurteilung in einfachen Worten?

Es handelt sich um einen Schuldspruch, bei dem feststeht, dass eine Straftat begangen wurde, aber offenbleibt, welche von wenigen, sich ausschließenden Varianten zutrifft. Das Urteil benennt diese Varianten als Alternative.

Ist eine Alternativverurteilung grundsätzlich erlaubt?

Nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen. Erlaubt sind eng umgrenzte alternative Feststellungen, wenn die Alternativen die gleiche Tat betreffen und im rechtlichen Gewicht vergleichbar sind. Eine offene Verurteilung ohne klaren Tatkern ist unzulässig.

Worin unterscheidet sich die Alternativverurteilung von der Wahlfeststellung?

Die Wahlfeststellung ist die anerkannte, eng begrenzte Form der Alternativverurteilung. Sie setzt eine gesicherte Tatbeteiligung voraus und beschränkt sich auf wenige, vergleichbare Alternativen. Der Begriff Alternativverurteilung wird teils weiter verwendet; rechtlich maßgeblich ist die enge Form der Wahlfeststellung.

Kann gegen eine Alternativverurteilung vorgegangen werden?

Ja. Wie jeder Schuldspruch kann auch ein alternativer Schuldspruch mit Rechtsmitteln überprüft werden. Dabei stehen Bestimmtheit, Beweiswürdigung, die Vergleichbarkeit der Alternativen und die Strafzumessung im Fokus.

Gilt eine Alternativverurteilung auch bei mehreren Taten?

Nein. Alternativen dürfen sich nur auf dieselbe Tat beziehen. Offene Schuldsprüche über verschiedene, selbständige Taten sind unzulässig.

Welche Folgen hat eine Alternativverurteilung für Nebenfolgen und Registereinträge?

Folgen, die nur bei einer Alternative möglich wären, scheiden aus. Registereinträge benennen die alternative Formulierung des Schuldspruchs und dokumentieren so die verbleibende Ungewissheit.

Gibt es typische Beispiele für zulässige alternative Schuldsprüche?

Typisch sind Fälle, in denen sicher ist, dass eine Person an einem einheitlichen Geschehen strafbar beteiligt war, aber unklar bleibt, ob sie als unmittelbarer Täter oder in einer vergleichbaren Beteiligungsform gehandelt hat. Entscheidend ist stets die enge Vergleichbarkeit der Alternativen.