Legal Lexikon

Allzuständigkeit


Begriff und Grundlagen der Allzuständigkeit

Die Allzuständigkeit bezeichnet in der Rechtssprache das Prinzip oder die rechtliche Konstruktion, nach der eine Behörde, ein Gericht oder ein Organ für alle Angelegenheiten eines bestimmten Bereichs oder Sachgebiets zuständig ist, sofern keine spezielle Zuständigkeit einer anderen Stelle ausdrücklich bestimmt wurde. Die Allzuständigkeit stellt somit das Gegenstück zur Einzel- oder Sonderzuständigkeit dar, bei der einer Instanz lediglich bestimmte, abschließend definierte Aufgaben übertragen sind.

Die Allzuständigkeit kann sowohl in der öffentlichen Verwaltung als auch in der Gerichtsbarkeit und teilweise im internationalen Recht eine Rolle spielen. Sie dient dem Zweck, eine umfassende Wahrnehmung von Aufgaben durch eine zentrale Stelle zu gewährleisten, wenn ansonsten Regelungslücken bestehen würden oder die sachliche Notwendigkeit einer zentralen Steuerung besteht.

Historische Entwicklung der Allzuständigkeit

Das Prinzip der Allzuständigkeit hat sich historisch aus der Notwendigkeit entwickelt, staatliches Handeln effektiv zu organisieren, bevor eine differenzierte Verwaltungs- und Gerichtsbarkeit entstanden war. In der Entstehungsphase moderner Staaten war die Allzuständigkeit beispielsweise typischer Wesenszug monarchischer Zentralgewalten oder der Verwaltungsgerichte des 19. Jahrhunderts. Das Fehlen spezialisierter Behörden oder Gerichte führte dazu, dass eine Stelle grundsätzlich für sämtliche Rechtsstreitigkeiten oder Verwaltungsvorgänge zuständig war, soweit gesetzlich nichts Anderes geregelt war.

Mit fortschreitender Spezialisierung der Staatsaufgaben haben Rechtsordnungen zunehmend Sonderzuständigkeiten geschaffen. Dennoch spielen allzuständige Stellen bis heute eine wichtige Rolle, etwa im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit, bei Verwaltungsbehörden mit Generalkompetenz oder im föderalen System bei Kompetenzvermutungen.

Allzuständigkeit in der deutschen Rechtsordnung

Allgemeines Verwaltungsrecht

Im allgemeinen Verwaltungsrecht ist Allzuständigkeit insbesondere bei Behörden mit Generalkompetenz zu finden. Ein klassisches Beispiel für Allzuständigkeit ist § 3 Absatz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), wonach die Behörden zur Durchführung von Verwaltungsverfahren grundsätzlich zuständig sind, soweit kein anderes Gesetz eine spezielle Zuständigkeit vorsieht.

Auch das sogenannte “One-Stop-Shop”-Prinzip auf Ebene der Gemeinden im Rahmen der Selbstverwaltung kann allzuständige Strukturen ausbilden, insbesondere bei der Erledigung von Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises.

Gerichtsbarkeit

Die ordentliche Gerichtsbarkeit (Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte, Bundesgerichtshof) ist nach § 13 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) grundsätzlich für alle bürgerlichen und strafrechtlichen Streitigkeiten zuständig, sofern nicht durch Gesetz eine spezielle Gerichtsbarkeit (z.B. Arbeits-, Verwaltungs-, Finanz- oder Sozialgerichtsbarkeit) begründet ist. Dies wird als “generelle Allzuständigkeit” bezeichnet.

Die Allzuständigkeit sichert eine lückenlose gerichtliche Kontrolle im originären Zuständigkeitsbereich und verhindert Kompetenzstreitigkeiten, solange keine explizite Sonderzuständigkeit anderweitig zugewiesen ist.

Verfassungsrecht

Im Verfassungsrecht begegnet der Begriff der Allzuständigkeit vor allem bei der Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Dem Prinzip nach besitzen die Länder gemäß Art. 30 Grundgesetz (GG) die Allzuständigkeit zur Gesetzgebung und Verwaltung, sofern das Grundgesetz dem Bund nicht bestimmte Kompetenzen ausdrücklich zuweist (sog. Kompetenzvermutung zugunsten der Länder).

Allzuständigkeit im internationalen Recht

Im internationalen Recht oder in supranationalen Organisationen wie der Europäischen Union kann Allzuständigkeit sowohl zum Zwecke der Rechtssicherheit als auch als Instrument der Kompetenzordnung dienen. Hier wird häufig eine Kompetenzzuweisung zugunsten der Mitgliedstaaten angenommen, solange keine ausdrückliche Allzuständigkeit eines Organs oder einer Zentralgewalt besteht.

Im internationalen Vertragsrecht und im Bereich der Kollisionsnormen kann Allzuständigkeit auch als Auffangzuständigkeit bestimmter internationaler Gerichte oder Schiedsgerichte ausgestaltet sein, etwa wenn keine spezifische Zuständigkeit anderweitig begründet wurde.

Abgrenzung und Verhältnis zur Einzel- bzw. Sonderzuständigkeit

Allzuständigkeit ist stets abzugrenzen von der Einzel- oder Sonderzuständigkeit, bei der ein Organ, Gericht oder eine Behörde ausschließlich im Umfang konkreter, gesetzlich definierter Aufgabenbereiche tätig wird. Die Allzuständigkeit wird dort relevant, wo weder Gesetz noch Verordnung eine Sonderzuständigkeit ausdrücklich zuweist oder regelt.

Die praktische Bedeutung der Allzuständigkeit liegt darin, Rechtslücken im Bereich der Organisationskompetenz zu vermeiden und eine durchgehende Zuständigkeit zu sichern. Sie findet regelmäßig Anwendung als „Auffangkompetenz” oder „Generalklausel”.

Kritik und Bewertung der Allzuständigkeit

Das Prinzip der Allzuständigkeit ist nicht unumstritten. Einerseits gewährleistet es eine umfassende Handlungsfähigkeit und schließt Zuständigkeitslücken, andererseits kann unzureichende Spezialisierung die Qualität von Verwaltungshandeln oder Rechtsprechung beeinträchtigen. Die Allzuständigkeit wird daher in modernen Staaten zunehmend durch spezialgesetzliche Zuständigkeitsregelungen eingeschränkt oder präzisiert.

Ferner besteht – insbesondere bei Behörden mit Allzuständigkeit – die Gefahr der Überlastung, Ineffizienz und mangelnden Sachkompetenz in hochspezialisierten Rechtsfragen.

Zusammenfassung

Die Allzuständigkeit ist ein grundlegendes Organisationsprinzip im Recht, das sowohl in der Verwaltung als auch in der Gerichtsbarkeit und im Kompetenzrecht eine bedeutende Rolle spielt. Sie sichert eine umfassende Zuständigkeit staatlicher Organe dort, wo Spezialzuständigkeiten fehlen, und gewährleistet die kontinuierliche Erfüllung hoheitlicher Aufgaben. Ihre beschreibende Funktion im Gefüge staatlicher Zuständigkeiten bleibt trotz fortschreitender Spezialisierung und differenzierter Kompetenzverteilungen ein wichtiger Bestandteil des rechtsstaatlichen Organisationsprinzips.

Häufig gestellte Fragen

Wer entscheidet im Rechtsstaat über die konkrete Allzuständigkeit eines Organs?

Im Rechtsstaat ist es Aufgabe der jeweiligen Verfassung oder der einschlägigen gesetzlichen Regelungen, die Allzuständigkeit eines Organs zu bestimmen oder einzuschränken. In Deutschland etwa obliegt dem Grundgesetz die abschließende Kompetenzordnung, die festlegt, welche Organe universelle oder aufgabenbezogene Zuständigkeiten besitzen. Eine Allzuständigkeit kann beispielsweise einem Parlament zukommen, sofern keine spezialgesetzlichen Ausschlüsse vorliegen. Im Gegensatz hierzu sind Exekutivorgane und Gerichte in der Regel funktional und sachlich auf ihre jeweiligen Aufgabenfelder beschränkt. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten erfolgt teils durch das Prinzip der Gewaltenteilung, teils durch Zuständigkeitskataloge. Bei Kompetenzkonflikten entscheidet bisweilen das Bundesverfassungsgericht oder eine vergleichbare Instanz, um Zuständigkeitsüberschneidungen oder Kompetenzüberschreitungen auszuschließen. Die Bestimmung der Allzuständigkeit ist daher Ausdruck der verfassungsrechtlichen Organisationsordnung und dient der Sicherung rechtsstaatlicher Prinzipien.

Welche rechtlichen Grenzen bestehen für die Allzuständigkeit staatlicher Organe?

Die Allzuständigkeit eines staatlichen Organs findet rechtlich ihre Grenzen insbesondere im Grundsatz der Gewaltenteilung und in spezialgesetzlichen Kompetenzzuweisungen. Nach dem deutschen Grundgesetz beispielsweise ist die Macht des Bundestages nicht allumfassend, da grundrechtliche Schranken, föderalistische Kompetenzverteilungen sowie das Prinzip der Verfassungsmäßigkeit Gesetze und Maßnahmen begrenzen. Weiterhin verhindern völkerrechtliche Verpflichtungen und das Unionsrecht der Europäischen Union eine unbeschränkte nationale Allzuständigkeit. Auch muss jede Maßnahme auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, das sogenannte Gesetzmäßigkeitsprinzip der Verwaltung. In föderalen Systemen muss zudem zwischen Bundes- und Landeskompetenzen unterschieden werden, sodass den politisch Verantwortlichen klare Grenzen gesetzt sind.

In welchen Fällen spielt die Abgrenzung zur Einzelzuständigkeit in der rechtlichen Praxis eine besondere Rolle?

Die Abgrenzung von Allzuständigkeit zur Einzelzuständigkeit ist in der Rechtsanwendung maßgeblich für die Bewertung, welches Organ oder welche Behörde für eine Entscheidung, Maßnahme oder Rechtssetzung zuständig ist. Besonders relevant wird dies im Verwaltungsrecht, etwa im Rahmen der Übertragung von Aufgaben auf spezialisierte Behörden wie die Polizei, das Ordnungsamt oder Sonderverwaltungen. Im Verfassungs- und Verwaltungsprozessrecht kann eine fehlerhafte Zuordnung zu Kompetenzkonflikten führen, die regelmäßig gerichtlich überprüft werden können. Auch bei Normenkontrollverfahren, Organstreitverfahren oder im Rahmen von Föderalismusstreitigkeiten tritt die Notwendigkeit einer präzisen Abgrenzung auf. Die Zuordnung entscheidet über die Wirksamkeit verwaltungsrechtlicher Akte sowie deren Anfechtbarkeit vor Gericht.

Wie wird mit Konflikten um Allzuständigkeit zwischen staatlichen Ebenen umgegangen?

Konflikte um die Allzuständigkeit zwischen verschiedenen staatlichen Ebenen, wie Bund und Ländern, werden durch sogenannte Kompetenzverteilungsregeln gelöst. In Deutschland sind diese im Grundgesetz insbesondere in den Artikeln 70 ff. geregelt, die den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung und die ausdrücklichen Gesetzgebungskompetenzen statuieren. Häufig werden Konflikte zunächst durch Verhandlungen oder Vermittlungsverfahren behandelt, etwa im Bundesrat oder durch Einsetzung vermittelnder Ausschüsse. Können sie nicht auf diese Weise beigelegt werden, ist eine abschließende Klärung durch das Bundesverfassungsgericht möglich. Das Gericht prüft dann, welches Organ im konkreten Fall über die Kompetenz verfügt und ob eine Überschreitung oder Anmaßung der Allzuständigkeit vorliegt.

Welche Rolle spielt das Prinzip der gesetzlichen Grundlage bei der Frage der Allzuständigkeit?

Das Prinzip der gesetzlichen Grundlage ist zentral für die Zulässigkeit jeder Inanspruchnahme von Zuständigkeiten im staatlichen Bereich, insbesondere auch im Zusammenhang mit Allzuständigkeit. Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes dürfen Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche und wesentliche Entscheidungen grundsätzlich nur auf gesetzlicher Grundlage erfolgen. Das heißt, selbst wenn ein Organ formal allzuständig erscheint, darf es diese Befugnis nicht nach Belieben ausüben, sondern ist stets an Recht und Gesetz gebunden. Eine solche Bindung sichert nicht nur die Rechtsstaatlichkeit, sondern verhindert Machtmissbrauch und schützt die Bürger vor unkontrollierten Eingriffen. Somit stellt das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage einen wirksamen rechtlichen Filter gegen eine uneingeschränkte Allzuständigkeit dar.

Gibt es im deutschen Recht aktuelle Beispiele für (fast) allzuständige Organe?

Aktuelle Beispiele für nahezu allzuständige Organe existieren vorwiegend auf kommunaler Ebene, etwa in Form der sogenannten ‘Allzuständigkeit der Kommunalvertretung’. Nach den Kommunalverfassungen der Länder sind Gemeindevertretungen grundsätzlich befugt, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu regeln, soweit nicht gesetzliche Regelungen entgegenstehen oder Zuständigkeiten explizit zugewiesen wurden. Im Gegensatz hierzu sind auf Bundesebene durch die starke Ausdifferenzierung der Gewaltenteilung und die hohe Anzahl spezialgesetzlicher Regelungen echte Allzuständigkeiten kaum noch anzutreffen. Theoretisch käme sie dem Parlament zu, wird jedoch durch diverse Schranken praktisch erheblich beschränkt.

Wie wirkt sich die Allzuständigkeit im Verhältnis zwischen Grundrechten und staatlichem Handeln aus?

Die Allzuständigkeit eines staatlichen Organs findet ihre die wirksamste Schranke im Bereich der Grundrechte, die jedem staatlichen Handeln übergeordnet sind. Gemäß Artikel 1 Absatz 3 Grundgesetz sind die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden. Auch und gerade ein “allzuständiges” Organ darf daher seine Kompetenzen nicht dazu nutzen, Grundrechte zu verletzen oder auszuhöhlen. Kommt es zu Grundrechtsbeeinträchtigungen, unterliegen diese in der Regel dem strengen Maßstab der Verhältnismäßigkeit und der gerichtlichen Kontrolldichte. Die Durchsetzung und Bewahrung der Grundrechte fungiert somit als gewichtiger Gegenspieler unbeschränkter staatlicher Handlungsbefugnisse.