Allgemeine Unfallversicherung
Die Allgemeine Unfallversicherung ist ein zentrales Element des Sozialversicherungssystems im deutschen und österreichischen Recht. Sie dient dem Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie weiteren versicherten Personen vor den wirtschaftlichen Folgen von Arbeitsunfällen, Wegeunfällen und Berufskrankheiten. Zudem umfasst sie entsprechende Präventionsmaßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Gesundheitsgefährdungen. In Deutschland ist die Allgemeine Unfallversicherung in wesentlichen Teilen im Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) geregelt, in Österreich im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) sowie im dazugehörigen Unfallversicherungsgesetz (UVG).
Rechtliche Grundlagen der Allgemeinen Unfallversicherung
Deutschland
Die gesetzliche Unfallversicherung ist ein Pflichtversicherungssystem, das einen integralen Bestandteil des deutschen Sozialversicherungssystems darstellt. Die zentralen Rechtsgrundlagen finden sich im SGB VII.
- Träger: Hauptträger sind die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen sowie die Gemeindeunfallversicherungsverbände.
- Versicherten Personen: In der Regel sind alle abhängig Beschäftigten, Auszubildenden, Kinder in Tageseinrichtungen, Schüler, Studierende und bestimmte ehrenamtlich Tätige kraft Gesetzes pflichtversichert. Zudem besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung für bestimmte Personengruppen (§ 6 SGB VII).
- Versicherungsfall: Der Versicherungsschutz umfasst Arbeitsunfälle (§ 8 SGB VII), Wegeunfälle sowie Berufskrankheiten (§ 9 SGB VII).
Österreich
Die gesetzliche Unfallversicherung in Österreich basiert auf dem ASVG und UVG.
- Träger: Zuständig ist vor allem die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA).
- Versicherte Personen: Pflichtversichert sind grundsätzlich unselbständig Erwerbstätige, Lehrlinge, Schüler, Studierende und Kinder in Betreuungseinrichtungen sowie bestimmte weitere gesetzlich definierte Personengruppen.
- Leistungstatbestände: Versicherungsschutz besteht bei Arbeitsunfällen, Wegunfällen sowie Berufskrankheiten.
Umfang des Versicherungsschutzes
Versicherte Risiken
Die Allgemeine Unfallversicherung deckt insbesondere folgende Risiken ab:
- Arbeitsunfall: Ein Unfall, der sich im Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit ereignet und zu einem Gesundheitsschaden oder Tod führt.
- Wegeunfall: Unfälle auf dem direkten Weg zur oder von der Arbeitsstätte (bzw. Ausbildungsstätte).
- Berufskrankheit: Gesundheitsschäden, die durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden sind und als Berufskrankheit anerkannt sind.
Voraussetzungen für den Versicherungsschutz
Für die Anerkennung eines Versicherungsfalls müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:
- Versicherte Tätigkeit: Die schädigende Einwirkung muss während einer Tätigkeit erfolgt sein, für die Versicherungsschutz besteht.
- Kausalität: Es muss ein ursächlicher Zusammenhang (Kausalität) zwischen der beruflichen Tätigkeit und dem eingetretenen Schaden bestehen.
- Plötzliche Einwirkung: Bei Unfällen ist grundsätzlich eine plötzliche Einwirkung von außen erforderlich.
Leistungen der Allgemeinen Unfallversicherung
Hauptleistungen
Die Leistungsarten der gesetzlichen Unfallversicherung sind umfassend und umfassen unter anderem:
- Heilbehandlung und medizinische Rehabilitationsmaßnahmen: Unverzügliche und umfassende Versorgung zur Wiederherstellung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit.
- Berufliche und soziale Rehabilitation: Maßnahmen zur Wiedereingliederung in das Arbeitsleben und zur sozialen Teilhabe.
- Verletztengeld: Lohnersatzleistung während der Arbeitsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls.
- Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder bei Tod: Dauerhafte finanzielle Unterstützung bei bleibenden Gesundheitsschäden oder Hinterbliebenenleistungen.
- Hilfsmittel und Pflegeleistungen: Bereitstellung technischer Hilfsmittel und Pflegeleistungen zur Kompensation von Unfallfolgen.
Leistungen bei Tod
Im Todesfall eines Versicherten erbringt die Unfallversicherung u.a.:
- Sterbegeld
- Überführungskosten
- Witwen-/Witwerrente
- Waisenrente
- Elternrente
- Abfindungen bei Tod
Beitragsfinanzierung und Arbeitgeberpflichten
Die Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgt in Deutschland üblicherweise ausschließlich durch die Arbeitgeber, in Österreich größtenteils ebenso. Die Beiträge sind nach Gefahrklassen und Lohnsumme bemessen (§§ 157 ff. SGB VII).
Berechnung der Beiträge
- Gefahrklassen: Betriebe werden nach der Art der Tätigkeit unterschiedlichen Gefahrklassen zugeordnet, um das Risiko zu kalkulieren.
- Umlageverfahren: Die zur Finanzierung benötigten Mittel werden jährlich durch eine Umlage aufgebracht, die sich nach der Entgeltsumme des jeweiligen Betriebes und der Gefahrklasse richtet.
- Meldepflichten: Arbeitgeber sind verpflichtet, Arbeitsunfälle unverzüglich dem zuständigen Unfallversicherungsträger zu melden (§ 193 SGB VII).
Prävention und Unfallverhütung
Die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt eine zentrale Aufgabe im Bereich Prävention. Sie erarbeitet Unfallverhütungsvorschriften, berät Unternehmen in Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und kontrolliert deren Einhaltung (§§ 14-24 SGB VII). Maßnahmen sind unter anderem:
- Erstellung und Durchsetzung von Unfallverhütungsvorschriften
- Organisation von Sicherheitsunterweisungen
- Förderung der betrieblichen Gesundheitsförderung
Anspruchsverfahren und Rechtsdurchsetzung
Anzeige und Feststellung des Versicherungsfalls
Unfälle und Verdachtsfälle von Berufskrankheiten sind dem Unfallversicherungsträger zu melden. Der Träger prüft den Sachverhalt, stellt das Vorliegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit fest und entscheidet über den Umfang der zu erbringenden Leistungen. Hierbei gelten besondere Verfahrensvorschriften zum Schutz der Versicherten.
Widerspruchs- und Klagerecht
Gegen Entscheidungen des Unfallversicherungsträgers können die Betroffenen innerhalb gesetzlicher Fristen Widerspruch einlegen und, bei unzureichender Berücksichtigung, Klage vor dem Sozialgericht erheben.
Private Unfallversicherung als Ergänzung
Neben der Allgemeinen (gesetzlichen) Unfallversicherung existiert die Möglichkeit, über eine private Unfallversicherung zusätzlichen Versicherungsschutz für Unfallfolgen in Alltag und Freizeit zu erwerben. Die private und die gesetzliche Unfallversicherung unterscheiden sich im Versicherungskreis, Leistungsumfang sowie bei den versicherten Gefahren und Risiken.
Bedeutung und Entwicklung
Die Allgemeine Unfallversicherung ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Systems der sozialen Sicherheit und trägt wesentlich zur Bewältigung der finanziellen Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten bei. Die Träger setzen zunehmend auf Prävention, Digitalisierung und eine kundenorientierte Leistungsabwicklung, um aktuellen und zukünftigen Herausforderungen begegnen zu können.
Weiterführende Literatur
- Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)
- Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG)
- Unfallversicherungsgesetz (UVG)
- Kommentarliteratur zur gesetzlichen Unfallversicherung
Durch die umfassende Absicherung und Prävention leistet die Allgemeine Unfallversicherung einen maßgeblichen Beitrag zur sozialen und wirtschaftlichen Stabilität im Arbeitsleben.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist nach deutschem Recht in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversichert?
In Deutschland regelt das Siebte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) den Kreis der Personen, die kraft Gesetzes pflichtversichert sind. Zu den versicherten Personen zählen insbesondere Arbeitnehmer und Auszubildende, Praktikanten, ehrenamtlich Tätige in bestimmten Bereichen (z.B. in gemeinnützigen Organisationen), Kinder in Tageseinrichtungen, Schüler während des Unterrichts und Studierende während hochschulischer Veranstaltungen. Auch bestimmte weitere Personengruppen, etwa Pflegepersonen und einige Unternehmer kraft Satzung, sind mit einbezogen. Die Versicherung erfolgt unabhängig vom Willen der betroffenen Person automatisch mit Aufnahme einer versicherten Tätigkeit – ein besonderer Antrag ist hierfür nicht notwendig. Selbstständige und Unternehmer sind grundsätzlich nicht pflichtversichert, es sei denn, sie gehören zu speziellen Berufsgruppen (z.B. Landwirte, Erzieherinnen in Tagespflege), die nach § 2 SGB VII ausdrücklich erfasst sind oder, falls eine freiwillige Versicherung nach § 6 SGB VII abgeschlossen wurde.
Welche Unfälle sind nach dem SGB VII durch die gesetzliche Unfallversicherung gedeckt?
Die gesetzliche Unfallversicherung deckt nach § 8 SGB VII lediglich solche Unfälle ab, die „infolge einer versicherten Tätigkeit“ eintreten (Arbeitsunfälle). Dazu gehören insbesondere Unfälle am Arbeitsplatz, in der Schule, auf dem Weg zur Arbeit oder Bildungseinrichtung (Wegeunfälle) sowie bei bestimmten mit der Tätigkeit verbundenen Betriebserst- und Folgehandlungen. Nicht versichert sind hingegen Unfälle im privaten Bereich, etwa während der Mittagspause außerhalb des Betriebs oder bei privaten Umwegen auf dem Arbeitsweg. Für die Anerkennung als Arbeitsunfall muss stets ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der ausgeübten Tätigkeit und dem Unfallereignis bestehen, wobei die Rechtsprechung verlangt, dass die versicherte Tätigkeit prägend im Unfallzeitpunkt war.
Welche Leistungen umfasst die gesetzliche Unfallversicherung aus juristischer Sicht?
Nach §§ 26 ff. SGB VII umfasst die Unfallversicherung Sachleistungen (z.B. medizinische Heilbehandlungen, Rehabilitationsmaßnahmen, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) und Geldleistungen (z.B. Verletztengeld, Verletztenrente, Hinterbliebenenrente, Sterbegeld). Die Leistungen werden primär mit dem Ziel gewährt, die Gesundheit und die Erwerbsfähigkeit des Versicherten wiederherzustellen oder zu bessern, eine Pflege zu sichern oder wirtschaftliche Nachteile auszugleichen. Die medizinischen Maßnahmen umfassen alle zur Wiederherstellung der Gesundheit erforderlichen Leistungen, einschließlich Rehabilitation und Nachsorge. Bei einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit wird eine Verletztenrente gezahlt; Witwen, Witwer, Waisen oder weitere Hinterbliebene erhalten Renten gemäß §§ 63 ff. SGB VII.
Welche Pflichten haben Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Unfallversicherung?
Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, ihre Beschäftigten unverzüglich nach Aufnahme der Tätigkeit bei der zuständigen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse anzumelden (§ 192 SGB VII). Sie müssen die Beiträge zur Unfallversicherung allein tragen; eine Umlage auf die Arbeitnehmer ist unzulässig (vgl. § 150 SGB VII). Darüber hinaus obliegt ihnen eine umfassende Meldepflicht: Jeder Arbeitsunfall, der eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen oder den Tod zur Folge hat, ist der BG binnen drei Tagen schriftlich zu melden (§ 193 SGB VII). Arbeitgeber müssen außerdem Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz ergreifen und dafür sorgen, dass die Vorschriften des Arbeitsschutzes eingehalten werden.
Wie wird eine Berufskrankheit im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt?
Eine Berufskrankheit ist nach § 9 SGB VII eine Krankheit, die in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) aufgeführt und durch besondere Einwirkungen am Arbeitsplatz verursacht ist. Für die Anerkennung muss nachgewiesen werden, dass der Versicherte einer solchen, in der BKV genannten Einwirkung im Rahmen seiner versicherten Arbeitstätigkeit in erheblichem Maße ausgesetzt war und ein Zusammenhang zwischen der Einwirkung und der Erkrankung besteht. Die Anerkennung erfolgt nach Prüfung durch die Unfallversicherungsträger im Einzelfall; ist eine Erkrankung nicht in der BKV gelistet, kann sie unter engen Voraussetzungen dennoch als „wie eine Berufskrankheit“ anerkannt werden. Die Anerkennung zieht denselben Leistungsanspruch nach sich wie bei einem Arbeitsunfall.
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen bei Ablehnung von Leistungen durch die gesetzliche Unfallversicherung?
Im Falle der Ablehnung einer beantragten Leistung durch den Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft, Unfallkasse) kann der Betroffene gemäß § 78 SGG (Sozialgerichtsgesetz) innerhalb eines Monats nach Zugang des Bescheides Widerspruch erheben. Im Widerspruchsverfahren wird der Sachverhalt erneut geprüft. Hilft der Unfallversicherungsträger dem Widerspruch nicht ab, erhält der Versicherte einen Widerspruchsbescheid. Gegen diesen Bescheid ist binnen eines Monats Klage beim zuständigen Sozialgericht möglich. Im gerichtlichen Verfahren trägt die Unfallversicherung die materielle Beweislast dafür, dass die Anspruchsvoraussetzungen (z.B. Vorliegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit) nicht bestehen; allerdings sind für den Geschädigten Mitwirkungspflichten, etwa zur Vorlage von Arztberichten, zu beachten.
Wer trägt im Schadensfall die Beweislast im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall?
Im Wege eines sozialrechtlichen Anspruchs obliegt die Beweislast, also die Pflicht zur Darlegung und Glaubhaftmachung der anspruchsbegründenden Tatsachen, grundsätzlich dem Versicherten. Der Unfallversicherungsträger ist jedoch verpflichtet, von Amts wegen zu ermitteln und durch Einschaltung von Sachverständigen, Zeugenbefragungen oder Aktenbeiziehungen alle relevanten Tatsachen zu klären (§ 20 SGB X). Für das Vorliegen des Unfalles und die Ausführung einer versicherten Tätigkeit muss der Versicherte zumindest einen sogenannten Vollbeweis führen; für den ursächlichen Zusammenhang (haftungsbegründende Kausalität) genügt zumeist ein Beweismaß der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“. Kommt das Gericht zu dem Schluss, dass Zweifel nicht ausgeräumt werden konnten und das Beweismaß nicht erreicht wurde, geht dies zulasten des Versicherten.