Legal Lexikon

Akzidentalien


Begriff und Definition der Akzidentalien

Der Begriff Akzidentalien bezeichnet in der Rechtswissenschaft jene Nebenbestandteile eines Rechtsgeschäfts, welche über die gesetzlich vorgesehenen essentialia negotii – die erforderlichen Mindestbestandteile eines Vertrages – hinausgehen. Akzidentalien sind demnach zusätzliche, vertraglich vereinbarte Regelungen, die jedoch weder für das Zustandekommen noch für die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts zwingend erforderlich sind.

Akzidentalien dienen dazu, Rechtsgeschäfte individuell auszugestalten und auf spezifische Bedürfnisse der Vertragsparteien anzupassen. Sie können dabei vielfältige Gegenstände umfassen, beispielsweise Nebenpflichten, Modalitäten der Erfüllung oder Regelungen zu Rücktritt, Fristen oder Vertragsstrafen.

Rechtsdogmatische Einordnung

Essentialia Negotii und Akzidentalien

Die Abgrenzung von Akzidentalien (Nebenpunkten) gegenüber den essentialia negotii (Hauptpunkten) ist von zentraler Bedeutung für die rechtliche Beurteilung von Willenserklärungen und Verträgen:

  • Essentialia negotii: Vertragsbestandteile, deren Einigung Voraussetzung für das Zustandekommen eines Vertrags ist (z. B. Kaufpreis und Kaufgegenstand beim Kaufvertrag).
  • Akzidentalien: Vertragsinhalte, die hinzugefügt werden können, ohne dass ihre Vereinbarung für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts erforderlich ist (z. B. Zahlungsmodalitäten, Erfüllungszeitpunkt, Gewährleistungserweiterungen).

Fehlt eine Einigung über Akzidentalien, so steht dies dem Zustandekommen eines Vertrages im Allgemeinen nicht entgegen, sofern über die essentialia negotii Konsens besteht.

Typische Erscheinungsformen von Akzidentalien

Akzidentalien werden in Rechtsgeschäften meist im Rahmen individueller Vertragsverhandlungen vereinbart. Typische Beispiele sind:

  • Vereinbarungen über Vertragsstrafen (pönale Klauseln)
  • Rücktrittsrechte oder auflösende Bedingungen
  • Regelungen zum Gerichtsstand oder anwendbaren Recht
  • Erklärungen zur Übernahme von Nebenpflichten
  • Spezifische Leistungsfristen
  • Zahlungsbedingungen und Modalitäten der Abwicklung

Im Schuldrecht zählen ferner Klauseln zur Fälligkeit, Verzugszinsen oder Sicherungsabreden zu den gebräuchlichen Akzidentalien.

Rechtliche Bedeutung der Akzidentalien

Einigung über Akzidentalien

Bei Vertragsverhandlungen kann eine Einigung über Akzidentalien für die Parteien erhebliche praktische Bedeutung besitzen. Im Falle von Meinungsverschiedenheiten über Akzidentalien ist zu prüfen, ob diese von den Parteien per ausdrücklicher oder zumindest konkludenter Vereinbarung zur „conditio sine qua non“ gemacht wurden – also als ebenso wesentlich betrachtet wurden wie die essentialia negotii. Nur dann hindert das Fehlen einer Einigung über einen Akzidentalienpunkt das Zustandekommen des Vertrags.

Auslegung und ergänzende Vertragsauslegung

Da Akzidentalien häufig Anlass zu Auslegungsfragen geben, spielen Regeln zur Auslegung von Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) sowie die ergänzende Vertragsauslegung (§ 315 BGB) eine bedeutsame Rolle. Bleiben Lücken hinsichtlich Akzidentalien bestehen, ist im Zweifel der hypothetische Parteiwille maßgeblich. Fehlt ein eindeutiges Ergebnis, tritt die gesetzliche Regelung an die Stelle der nicht getroffenen Vereinbarung.

Bedeutung im Handelsrecht und internationalen Privatrecht

Im Handelsrecht und internationalen Vertragsrecht besitzen Akzidentalien besondere Brisanz. Hier werden sie häufig durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) gestaltet oder dem dispositiven Recht unterstellt, sofern keine ausdrückliche Regelung getroffen wurde. Im internationalen Privatrecht kann durch Akzidentalien etwa das anwendbare Recht oder der Gerichtsstand effektiv bestimmt werden.

Abgrenzung zu wesentlichen Vertragsbestandteilen

Eine klare Trennung zwischen Akzidentalien und essentialia negotii ist nicht immer einfach. So können bestimmte Vertragsmodalitäten im Einzelfall so wichtig sein, dass die Parteien diesen de-facto Hauptvertragscharakter beimessen. In diesen Situationen entscheidet die individuelle Gewichtung im Verhandlungsverlauf über die rechtliche Qualifikation.

Praktische Beispiele und Anwendungsbereiche

Akzidentalien finden in nahezu sämtlichen Bereichen des Privatrechts Anwendung, insbesondere bei:

  • Kaufverträgen (bspw. Versandmodalitäten, Lieferzeiten)
  • Mietverträgen (z. B. Nebenkosten, Schönheitsreparaturen)
  • Werkverträgen (etwa Durchführungsfristen, Abnahmemodalitäten)
  • Dienstleistungsverträgen (z.B. Haftungsbeschränkungen, Stornoregelungen)

Auch im Familien- und Erbrecht treten Akzidentalien in Erscheinung, etwa bei Bestimmungen über die Testamentsvollstreckung oder Unterhaltszahlungen.

Rechtsfolgen bei Mängeln, Auslegung und Anpassung

Fehlen, Unklarheiten oder Streitigkeiten über Akzidentalien führen zu verschiedenen Rechtsfolgen. Kommt keine Einigung zustande oder besteht Auslegungsbedarf, erfolgt die Schließung der Lücke im Regelfall durch Anwendung der gesetzlichen Normen. Im Falle eines Dissenses über Akzidentalien kann § 154 BGB (offener Einigungsversuch) zur Anwendung gelangen, sofern Zweifel an der Vertragsbindung bestehen.

Zusammenfassung der Rechtslage

Akzidentalien sind vertragliche Nebenabreden, die die gesetzlich geforderten Mindestinhalte eines Rechtsgeschäfts ergänzen. Ihre Vereinbarung ist für die Wirksamkeit eines Vertrages nicht zwingend, sie gestalten jedoch maßgeblich dessen praktische Durchführung und können im Streitfall für die Auslegung entscheidend sein. Die rechtliche Einordnung verlangt eine sorgfältige Prüfung der Parteivereinbarungen und des hypothetischen Parteiwillens im Einzelfall. Akzidentalien tragen wesentlich zur Flexibilisierung und Individualisierung von Verträgen im Privatrecht bei.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtliche Bedeutung haben Akzidentalien bei der Auslegung von Verträgen?

Akzidentalien bezeichnen im rechtlichen Kontext jene Nebenpunkte oder Nebenabreden eines Vertrags, die nicht zu den wesentlichen Vertragsbestandteilen (Essentialia negotii) zählen, aber dennoch für die Parteien bei Vertragsschluss von Bedeutung sein können. Ihre rechtliche Relevanz zeigt sich insbesondere bei der Auslegung von Verträgen (§§ 133, 157 BGB). Maßgeblich ist, inwieweit Akzidentalien als individuelle Vertragsbestimmungen den Parteiwillen präzisieren, ergänzen oder auslegen helfen. Sie können zur Konkretisierung allgemeiner Regelungen oder zur Ausfüllung von Vertragslücken herangezogen werden, sofern sie eindeutig zwischen den Parteien vereinbart wurden. Dabei gilt das Prioritätsprinzip: Spezielle Bestimmungen (Akzidentalien) gehen oft allgemeinen Regelungen vor. Fehlen entsprechende Nebenabreden, greifen subsidiär die gesetzlichen Bestimmungen, wobei berücksichtigt werden muss, ob Akzidentalien nicht etwa überraschende Klauseln sind und daher den Anforderungen nach § 305c BGB genügen. In der Praxis wird durch Akzidentalien häufig ein erhöhtes Maß an Vertragssicherheit und Rechtssicherheit geschaffen, da sie individuell auf das jeweilige Schuldverhältnis zugeschnitten werden.

Können Akzidentalien den Vertragsinhalt ändern oder ergänzen?

Akzidentalien sind rechtlich dazu geeignet, den bestehenden Vertragsinhalt zu modifizieren, zu ergänzen oder abweichende Abreden zu treffen, falls dies dem tatsächlichen Parteiwillen entspricht. Voraussetzung ist stets, dass eine hinreichend klare und eindeutige Vereinbarung über die jeweilige Akzidentalie vorliegt. Im Gegensatz zu Essentialia negotii ist das Fehlen oder das Hinzutreten einer Akzidentalie für das Zustandekommen eines Vertrags nicht zwingend, wohl aber kann sie Einfluss auf die konkrete Durchführung oder Abwicklung haben. Aufgrund ihrer Ausgestaltungsfunktion können sie auch als Individualabrede den Vorrang vor vorformulierten Vertragsbedingungen (Allgemeinen Geschäftsbedingungen, § 305b BGB) erlangen. Liegt allerdings ein Widerspruch zu zwingendem Recht oder zu den wesentlichen Bestandteilen des Vertrags vor, so sind Akzidentalien insoweit unbeachtlich.

Wie werden Akzidentalien von Gerichten bei Streitigkeiten bewertet?

Gerichte nehmen bei Streitigkeiten über Akzidentalien eine Auslegung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB), des objektiven und subjektiven Parteiwillens sowie der Verkehrssitte vor. Entscheidend ist die spezifische Formulierung der Akzidentalie im Vertrag und das Zustandekommen im Rahmen der Vertragsverhandlungen. Bestehen Zweifel, ob eine Nebenabrede tatsächlich als Akzidentalie vereinbart wurde, kann ergänzend auf das Verhalten der Parteien oder auf branchenübliche Gepflogenheiten zurückgegriffen werden. Gerichte prüfen zudem, ob die Akzidentalie überraschend oder intransparent ist und ob sie eventuell gegen geltendes Recht verstößt. Werden Akzidentalien als Vertragsbestandteil angesehen, sind sie für die Parteien verbindlich und bei Nichterfüllung können daraus rechtliche Ansprüche resultieren (z.B. auf Erfüllung, Schadensersatz).

Unterliegen Akzidentalien besonderen Formerfordernissen?

Grundsätzlich gilt für Akzidentalien keine allgemeine Formvorschrift, es sei denn, das Gesetz schreibt für das jeweilige Geschäft eine besondere Form (z.B. notarielle Beurkundung bei Grundstücksgeschäften nach § 311b BGB) vor. In diesen Fällen muss sich die formbedürftige Akzidentalie denselben Formerfordernissen unterwerfen wie der Hauptvertrag. Bei der Einbeziehung von Akzidentalien in Allgemeine Geschäftsbedingungen sind ferner die Transparenz- und Verständlichkeitsanforderungen aus § 307 BGB zu beachten. Fehlt eine gesetzliche Formvorgabe, können Akzidentalien formlos – auch mündlich – vereinbart werden, wobei sich im Streitfall Beweisprobleme ergeben können, falls keine schriftliche Dokumentation vorliegt.

Können Akzidentalien nachträglich abgeändert oder aufgehoben werden?

Akzidentalien können wie andere vertragliche Bestimmungen grundsätzlich einvernehmlich nachträglich modifiziert oder aufgehoben werden. Dazu ist eine entsprechende Vereinbarung der Vertragsparteien erforderlich; ist im Vertrag eine Schriftformklausel für Änderungen und Ergänzungen vorgesehen, muss auch die Modifikation der Akzidentalie dieser Form entsprechen (§ 126 BGB). Einseitige Änderungen sind in aller Regel nicht zulässig, es sei denn, eine Akzidentalie räumt ausdrücklich einem Vertragspartner Anpassungsrechte oder Kündigungsmöglichkeiten im Hinblick auf diesen Nebenpunkt ein. Sind Akzidentalien Bestandteil von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sind Änderungen häufig nur nach den für AGB vorgeschriebenen Änderungsmechanismen wirksam, insbesondere im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen.

Welche Rolle spielen Akzidentalien bei der Nichtigkeit oder Anfechtung eines Vertrags?

Die rechtliche Wirksamkeit der Akzidentalien ist abhängig von der Integrität des Gesamtvertrages. Wird der Vertrag insgesamt durch Nichtigkeit (z.B. wegen eines Verstoßes gegen zwingende Vorschriften) oder durch Anfechtung wegen Willensmängeln (§§ 119 ff. BGB) unwirksam, so entfallen in der Regel auch die Akzidentalien, sogar dann, wenn sie isoliert betrachtet für sich genommen wirksam hätten vereinbart werden können. Umgekehrt kann aber die Unwirksamkeit einzelner Akzidentalien – beispielsweise wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot oder wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) – zum Fortbestehen des übrigen Vertrags führen, sofern dieser auch ohne die betreffende Akzidentalie durchführbar bleibt (Grundsatz der Teilbarkeit, § 139 BGB). Das Verhältnis zwischen Hauptvertrag und Akzidentalien ist daher von entscheidender Bedeutung für deren rechtliche Einordnung.