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Abwehraussperrung

Abwehraussperrung: Begriff, Einordnung und Bedeutung im Arbeitsleben

Die Abwehraussperrung ist ein Mittel des Arbeitskampfs auf Arbeitgeberseite. Sie wird als Reaktion auf eine Arbeitskampfmaßnahme einer Arbeitnehmerseite, typischerweise einen Streik, eingesetzt. Ziel ist es, den durch den Streik ausgeübten Druck auszugleichen, die Verhandlungslage zu stabilisieren und so die Verhandlungsfähigkeit über kollektive Arbeitsbedingungen zu sichern. Der Begriff ist in Deutschland verankert in der grundsätzlichen Zulässigkeit kollektiver Auseinandersetzungen zwischen den Tarifparteien.

Definition

Unter Abwehraussperrung versteht man das vorübergehende, kollektiv organisierte Fernhalten von Beschäftigten von der Arbeit durch den Arbeitgeber oder einen Arbeitgeberverband, als Reaktion auf eine Arbeitskampfmaßnahme der Arbeitnehmerseite. Während der Aussperrung ruhen die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis, insbesondere die Arbeitspflicht der Beschäftigten und die Vergütungspflicht des Arbeitgebers.

Abgrenzung zur Angriffsaussperrung

Die Abwehraussperrung reagiert auf einen bereits begonnenen Arbeitskampf (insbesondere Streik) und dient der Verteidigung. Demgegenüber zielt die Angriffsaussperrung darauf ab, ohne vorherigen Angriff der Gegenseite Druck aufzubauen, um Verhandlungen zu beeinflussen. Die rechtlichen Anforderungen an eine Abwehraussperrung sind in der Praxis weniger streng als bei einer Angriffsaussperrung, weil sie an einen konkreten Anlass anknüpft und der Wiederherstellung eines Kräftegleichgewichts dient.

Rechtsnatur und Einbettung

Die Abwehraussperrung ist Ausdruck der kollektiven Betätigungsfreiheit der Arbeitgeberseite im Rahmen tariflicher Auseinandersetzungen. Sie ist an strikte inhaltliche und verfahrensbezogene Grenzen gebunden. Insbesondere muss sie sich auf ein tariflich regelbares Ziel beziehen, die Gegenseite nicht unzulässig benachteiligen und in Umfang und Dauer verhältnismäßig bleiben.

Voraussetzungen der Zulässigkeit

Anlass- und Reaktionsbezug

Voraussetzung ist ein konkreter Arbeitskampfanlass auf Arbeitnehmerseite. Die Abwehraussperrung muss zeitlich und sachlich hieran anknüpfen. Ein „Vorratsbeschluss“ ohne aktuellen Anlass genügt nicht. Der Zusammenhang mit dem laufenden Tarifkonflikt muss erkennbar sein.

Tarifbezogenheit und legitimes Ziel

Die Maßnahme muss sich auf ein Ziel beziehen, das grundsätzlich über Tarifverhandlungen erreicht werden kann, etwa Entgelt, Arbeitszeit oder sonstige Arbeitsbedingungen. Bloße Sanktionierung oder Einschüchterung von Beschäftigten ist unzulässig. Maßgeblich ist das Erreichen von Verhandlungsergebnissen oder das Wiederherstellen fairer Verhandlungsbedingungen.

Verhältnismäßigkeit

Die Abwehraussperrung muss geeignet, erforderlich und angemessen sein.

Auswahl des betroffenen Personenkreises

Betroffen sein können sowohl streikende als auch nicht streikende Beschäftigte eines betroffenen Betriebsteils oder Betriebs, wenn dies zur Verteidigungslage erforderlich ist. Eine willkürliche Auswahl einzelner Personen ist unzulässig. Die Zuordnung muss sich am sachlichen Konfliktfeld orientieren.

Dauer und Umfang

Die Maßnahme darf nicht länger andauern oder weiter reichen, als es die Konfliktlage erfordert. Mit Wegfall des Arbeitskampfanlasses ist sie zu beenden. Überschießende, unverhältnismäßig lange oder betrieblich nicht mehr gebotene Aussperrungen sind unzulässig.

Organisation und Beschluss

Abwehraussperrungen können durch einzelne Arbeitgeber oder koordiniert durch einen Arbeitgeberverband veranlasst werden. Erforderlich ist eine klare Entscheidungslage und eine transparente Bekanntgabe gegenüber den Betroffenen. Interne Verfahrensregeln (z. B. verbandliche Beschlusslagen) sind einzuhalten.

Grenzen und Missbrauchsverbot

Die Abwehraussperrung darf nicht der gezielten Zerschlagung kollektiver Betätigung oder der Umgehung bestehender Schutzrechte dienen. Sie ist kein Instrument zur Beendigung individualrechtlicher Konflikte. Der Einsatz fremder Arbeitskräfte zur Unterlaufung eines Arbeitskampfs unterliegt gesetzlichen Beschränkungen. Besondere Schutzpflichten, etwa zum Erhalt von Leib und Leben oder zur Abwehr erheblicher Gefahren, bleiben unberührt.

Rechtsfolgen der Abwehraussperrung

Arbeitsverhältnis während der Aussperrung

Während der rechtmäßigen Abwehraussperrung ruht das Arbeitsverhältnis in seinen Hauptleistungspflichten. Beschäftigte müssen nicht arbeiten; der Arbeitgeber zahlt kein Arbeitsentgelt. Nebenpflichten, wie Treue- und Rücksichtnahmepflichten, bestehen fort. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses bleibt unberührt.

Entgelt- und Sozialleistungen

Ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht für die ausgesperrte Zeit grundsätzlich nicht. Unterstützungsleistungen können durch kollektive Organisationen der Arbeitnehmerseite gewährt werden. Ansprüche auf staatliche Entgeltersatzleistungen sind während eines laufenden Arbeitskampfs typischerweise ausgeschlossen. Der sozialversicherungsrechtliche Status richtet sich nach besonderen Regeln; der Versicherungsschutz in der Krankenversicherung bleibt in der Regel bestehen, wobei die Beitragslage von der konkreten Konstellation abhängen kann.

Betriebliche Mitbestimmung und Schutzrechte

Die Entscheidung über eine Abwehraussperrung unterliegt nicht der Zustimmung des Betriebsrats. Informations- und Kommunikationspflichten im Betrieb bestehen fort. Benachteiligungsverbote und besondere Schutzrechte, etwa für Mandatsträger, sind zu beachten.

Drittauswirkungen

Abwehraussperrungen können Lieferketten, Kundschaft und verbundene Betriebe betreffen. Der Einsatz von Leiharbeit oder Werkverträgen im Umfeld eines Arbeitskampfs ist rechtlich limitiert und darf die Arbeitskampfparität nicht unterlaufen.

Abgrenzende Fallgruppen und Sonderfragen

Teilbetriebliche vs. betriebsweite Aussperrung

Je nach Konfliktlage kann eine Abwehraussperrung auf einzelne Abteilungen, Betriebsteile oder den gesamten Betrieb begrenzt oder ausgedehnt werden. Entscheidend sind sachliche Gründe und Verhältnismäßigkeit.

Aussperrung nicht streikender Beschäftigter

Nicht streikende Beschäftigte können einbezogen werden, wenn dies zur Abwehrlage erforderlich ist, etwa um einen Stillstand zu ordnen oder die Funktionsfähigkeit des Betriebs in der Konfliktphase einheitlich zu regeln. Eine diskriminierende Auswahl ist unzulässig.

Verbandstarifliche und betriebliche Konstellationen

Abwehraussperrungen treten sowohl im Rahmen großflächiger Verbandstarifkonflikte als auch in betrieblichen Auseinandersetzungen auf. Die Maßstäbe zur Zulässigkeit bleiben gleich; die organisatorische Umsetzung variiert.

Öffentlicher Dienst und kritische Infrastrukturen

In Bereichen mit besonderer Bedeutung für die Allgemeinheit sind gesteigerte Anforderungen an Notfall- und Sicherungsmaßnahmen zu beachten, um unverhältnismäßige Beeinträchtigungen Dritter zu vermeiden. Notdienste und Sicherheitsvorkehrungen müssen so organisiert werden, dass grundlegende Schutzgüter gewahrt bleiben.

Beendigung der Abwehraussperrung und Nachwirkungen

Aufhebung und Wiederaufnahme der Arbeit

Mit Beendigung des Anlasses oder einer Einigung im Tarifkonflikt ist die Abwehraussperrung aufzuheben. Danach werden die regulären Arbeitsbeziehungen fortgeführt. Die Rückkehr in den Arbeitsalltag erfolgt grundsätzlich geordnet und unter Beachtung betrieblicher Abläufe.

Nachlaufende Pflichten und Ansprüche

Ansprüche, die von tatsächlicher Arbeitsleistung abhängen, können für Aussperrungszeiträume entfallen. Beschäftigungszeiten und Fristen können betroffen sein; Urlaub und sonstige zeitbezogene Ansprüche sind nach den zugrunde liegenden Regeln zu beurteilen.

Dokumentation und Kommunikation

Die Dokumentation von Beginn, Umfang, Dauer und Beendigung dient der Klarheit im Betrieb und der späteren Zuordnung von Zeiten und Ansprüchen. Eine klare Kommunikation reduziert Missverständnisse und erleichtert die geordnete Wiederaufnahme der Arbeit.

Häufig gestellte Fragen zur Abwehraussperrung

Wann gilt eine Abwehraussperrung als zulässig?

Zulässig ist sie, wenn sie als Reaktion auf eine Arbeitskampfmaßnahme erfolgt, ein tariflich regelbares Ziel verfolgt und in Umfang und Dauer verhältnismäßig ist. Sie muss anlassbezogen sein und darf nicht primär der Sanktionierung dienen.

Dürfen auch nicht streikende Beschäftigte ausgesperrt werden?

Ja, sofern dies zur Verteidigungslage erforderlich und verhältnismäßig ist. Die Auswahl muss sachlich begründet sein; eine willkürliche oder diskriminierende Einbeziehung ist unzulässig.

Erhalten Beschäftigte während der Abwehraussperrung Lohn?

Nein. Während der rechtmäßigen Abwehraussperrung ruhen die Hauptleistungspflichten; ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht grundsätzlich nicht. Unterstützungsleistungen können außerhalb des Arbeitsverhältnisses gewährt werden.

Wie wirkt sich eine Abwehraussperrung auf die Sozialversicherung aus?

Der Versicherungsschutz besteht im Grundsatz fort, Details zu Beiträgen und Leistungsansprüchen richten sich nach speziellen Regeln. Entgeltersatzleistungen aus der Arbeitslosenversicherung sind während eines laufenden Arbeitskampfs typischerweise ausgeschlossen.

Welche Rolle hat der Betriebsrat bei einer Abwehraussperrung?

Der Betriebsrat hat keine Zustimmungskompetenz zur Anordnung. Informationsrechte und die Wahrung von Schutz- und Benachteiligungsverboten bleiben bestehen.

Wann endet eine Abwehraussperrung?

Sie endet mit Wegfall des Anlasses, typischerweise mit der Beendigung des Streiks oder einer Einigung im Tarifkonflikt. Danach werden die regulären Arbeitsbeziehungen fortgesetzt.

Ist der Einsatz von Leiharbeit während einer Abwehraussperrung zulässig?

Der gezielte Einsatz zur Unterlaufung des Arbeitskampfs unterliegt rechtlichen Beschränkungen. Maßgeblich ist, dass die Parität der Tarifparteien nicht untergraben wird.

Gibt es besondere Regeln für kritische Infrastrukturen?

Ja. In Bereichen mit hoher Bedeutung für die Allgemeinheit sind Notdienste und Sicherungsmaßnahmen zu gewährleisten, um erhebliche Gefährdungen zu vermeiden.