Legal Lexikon

Absorptionsprinzip


Grundlagen des Absorptionsprinzips im Recht

Das Absorptionsprinzip ist ein bedeutsamer Begriff im deutschen Rechtssystem und findet insbesondere im Strafrecht, aber auch in anderen Rechtsgebieten, Anwendung. Es regelt, wie bei der gleichzeitigen Verwirklichung mehrerer Straftatbestände oder Ordnungswidrigkeiten deren rechtliche Konsequenzen bewertet und zusammengefasst werden. Das Absorptionsprinzip stellt eine Alternative zum Kumulationsprinzip und zum Asperationsprinzip dar und ist entscheidend für die Berechnung von Strafen sowie Bußgeldern.


Definition und Abgrenzung

Das Absorptionsprinzip bedeutet, dass bei einer Person, die mehrere Straftatbestände oder Ordnungswidrigkeiten verwirklicht hat, nur die schwerwiegendste Tat in der Strafzumessung berücksichtigt wird. Die weniger schweren Delikte „gehen“ in der Strafverfolgung und Sanktionierung der schwersten Tat auf und werden somit absorbiert. Im Unterschied dazu steht das Kumulationsprinzip, bei dem für jedes Delikt eine Einzelstrafe oder Bußgeld verhängt wird, und das Asperationsprinzip, bei dem eine Gesamtstrafe gebildet wird, welche die Einzeltaten in ihrer Schwere berücksichtigt.


Anwendungsbereiche des Absorptionsprinzips

Strafrecht

Mehrfachtäterschaft

Im deutschen Strafrecht spielt das Absorptionsprinzip insbesondere bei der Bewertung der Mehrfachtäterschaft eine Rolle. Hier findet es bei Handlungseinheit gemäß § 52 StGB Anwendung: Werden durch eine Handlung mehrere Strafgesetze verletzt, so wird nach dem schwersten Gesetz bestraft (sog. Gesetzeskonkurrenz). Dies meint, dass bei einer natürlichen Handlungseinheit (eine Handlung verletzt mehrere Strafnormen) die Strafe nach dem schwersten Delikt verhängt wird.

Gesetzeskonkurrenz

Die Gesetzeskonkurrenz beschreibt das Verhältnis verschiedener Strafnormen im Hinblick auf eine oder mehrere Handlungen. Das Absorptionsprinzip ist dabei als Unterfall der Gesetzeskonkurrenz zu sehen. Kommt beispielsweise ein Täter durch eine Handlung sowohl wegen Diebstahls als auch wegen Hausfriedensbruch in Betracht, wird nach dem schwereren Delikt (hier: Diebstahl) bestraft, während das leichtere Delikt (Hausfriedensbruch) im Rahmen seines Unrechtsgehalts im Strafmaß mitschwingt, aber nicht separat sanktioniert wird.

Verhältnis zum Asperationsprinzip

Das Asperationsprinzip findet bei Tatmehrheit (§ 53 StGB) Anwendung, während das Absorptionsprinzip vor allem bei Tateinheit (§ 52 StGB) zur Anwendung gelangt. Während das Absorptionsprinzip dem Täter nur die Strafe des schwersten Delikts auferlegt, erfolgt bei Tatmehrheit eine Gesamtstrafenbildung unter Berücksichtigung aller Einzelstrafen.


Ordnungswidrigkeitenrecht

Im Recht der Ordnungswidrigkeiten ist das Absorptionsprinzip in § 19 OWiG geregelt. Hier wird im Falle mehrerer gleichzeitig begangener Ordnungswidrigkeiten grundsätzlich nur für die schwerste Tat eine Sanktion, die im Einzelfall zulässig wäre, verhängt. Dennoch besteht die Möglichkeit, die Strafe zu erhöhen, wenn die Gesamtschuld es rechtfertigt.


Steuer- und Verwaltungsrecht

Auch im Steuerrecht sowie im allgemeinen Verwaltungsrecht kann das Absorptionsprinzip Anwendung finden. Hier steht die Frage im Raum, ob bei mehreren Pflichtverletzungen eine einzelne, umfassende Sanktion verhängt wird oder mehrere Sanktionen kumuliert werden. Das Absorptionsprinzip wird dabei in der Praxis besonders bei verwaltungsrechtlichen Bußgeldverfahren angewandt.


Rechtsdogmatische Herleitung und Begründung

Ziel des Absorptionsprinzips

Das Absorptionsprinzip dient vor allem dem Gedanken des Schuldprinzips und der Vermeidung einer strafrechtlichen Überverfolgung. Es verhindert eine übermäßige Sanktionierung des Täters, indem eine künstliche Kumulierung von Strafen für ein und denselben Lebenssachverhalt verhindert wird. Gleichzeitig trägt es dem Unrechtsgehalt mehrerer Delikte Rechnung, indem der schwerste Rechtsverstoß maßgeblich für die Strafzumessung wird.

Kritik und Grenzen

Strafzumessung

Kritiker des Absorptionsprinzips bemängeln, dass der Täter so unter Umständen für mehrere Rechtsverletzungen nur einmal bestraft wird und der spezifische zusätzliche Unrechtsgehalt nicht immer ausreichend Berücksichtigung findet. Dies kann in Einzelfällen dazu führen, dass das Absorptionsprinzip als zu milde empfunden wird.

Sperrwirkung und Ausnahmefälle

In bestimmten Fällen sind gesetzliche Sperrwirkungen vorgesehen, so dass das Absorptionsprinzip nicht anwendbar ist. Dies gilt dann, wenn das Gesetz ausdrücklich eine zusätzliche oder kumulative Bestrafung mehrerer Delikte vorsieht. Auch im Nebenstrafrecht, beispielsweise bei Verfall oder Einziehung, kann das Absorptionsprinzip durch spezielle gesetzliche Regelungen eingeschränkt werden.


Praxisrelevanz und Bedeutung in der täglichen Rechtsanwendung

Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden

Für Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte bietet das Absorptionsprinzip eine erhebliche Erleichterung in der Verfahrenshandhabung. Es erlaubt eine pragmatische Bearbeitung von Fällen mit mehreren Rechtsverletzungen, ohne dass eine Vielzahl von Einzelverfahren notwendig wird. Auch bei der Strafzumessung berücksichtigen die Gerichte regelmäßig etwaige weitere Delikte im Rahmen des tatbestandlichen Unrechts und der Schwere der Schuld.

Auswirkungen auf die Verteidigung und Betroffene

Der Betroffene einer Sanktion kann sich darauf berufen, dass bei Vorliegen einer Handlungseinheit ausschließlich das schwerste Delikt bei der Strafzumessung Berücksichtigung findet. Dies ist sowohl im Bußgeld-, als auch im Strafverfahren von Bedeutung und kann für die Bemessung der Sanktion entscheidend sein.


Zusammenfassung

Das Absorptionsprinzip stellt ein zentrales und praxisrelevantes Instrument zur verfahrensökonomischen und sachgerechten Ahndung mehrerer Rechtsverletzungen dar. Es sorgt für eine angemessene Sanktionierung des schwersten Unrechts, vermeidet jedoch eine übermäßige Belastung des Täters durch künstliche Kumulation mehrerer Strafen. Die Anwendungsbereiche umfassen das Strafrecht, das Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Teile des Verwaltungsrechts. Gleichsam erfährt das Absorptionsprinzip durch gesetzliche Rückausnahmen und Richterrecht eine kontinuierliche Fortentwicklung und Anpassung. Im deutschen Recht zählt es zu den grundlegenden Prinzipien der Strafzumessung und Sanktionierung von Mehrfachtätern.


Gesetzliche Grundlagen (Auswahl)

  • § 52 StGB (Tateinheit)
  • § 19 OWiG (Ordnungswidrigkeitenrecht)

Siehe auch

  • Kumulationsprinzip
  • Asperationsprinzip
  • Gesetzeskonkurrenz
  • Tatmehrheit und Handlungseinheit
  • Strafzumessung im Strafrecht

Literaturhinweise

  • Fischer, Thomas: Strafgesetzbuch und Nebengesetze. Kommentar, München.
  • Roxin, Claus: Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, München.
  • Karlsruher Kommentar zum OWiG.

Hinweis: Die Nennung von Paragraphen und Rechtsquellen erfolgt ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Aktualität. Rechtsanwender sollten stets den aktuellen Gesetzestext und einschlägige Rechtsprechung berücksichtigen.

Häufig gestellte Fragen

Wie wirkt sich das Absorptionsprinzip auf die Strafzumessung bei mehreren Tatvorwürfen aus?

Das Absorptionsprinzip hat eine zentrale Bedeutung im Bereich des deutschen Strafrechts, insbesondere bei der Aburteilung mehrerer, selbständiger strafbarer Handlungen in einem Verfahren. Es besagt, dass bei der Bildung einer einheitlichen Strafe aus mehreren Einzelstrafen nicht einfach sämtliche Strafen addiert werden, sondern die schwerste Strafe „absorbiert“ die minder schweren Strafen. Die Gesamtstrafe richtet sich demnach vorrangig nach der höchsten Einzelstrafe, zu der die übrigen in einem angemessenen Verhältnis hinzugerechnet werden (sog. nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 54 StGB). Dieses Prinzip soll einerseits verhindern, dass die Gesamtstrafe durch bloße Addition unverhältnismäßig hoch wird, und andererseits dem Schuldprinzip Rechnung tragen, wonach die Strafe dem Unrecht und der Schuld des Täters entsprechen muss. Das Gericht ist im Rahmen der Gesamtstrafenbildung gehalten, für sämtliche abgeurteilten Taten eine Gesamtbewertung anzustellen und dabei insbesondere auch die Persönlichkeit des Täters, das Verhältnis der einzelnen Straftaten zueinander und ihre Gesamtbedeutung zu würdigen. Ein wesentliches Ziel des Absorptionsprinzips ist daher die Herstellung eines gerechten Strafmaßes, das die verschiedenen Rechtsgüterverletzungen angemessen berücksichtigt, ohne zu einer Überbestrafung zu führen.

Unterliegt das Absorptionsprinzip gesetzlichen Beschränkungen oder Ausnahmeregelungen?

Das Absorptionsprinzip ist im deutschen Recht vor allem durch die Vorschriften der §§ 52 bis 55 StGB (Strafgesetzbuch) geregelt. Dabei gibt es sowohl gesetzliche Grenzen als auch spezifische Ausnahmen: Eine wesentliche Beschränkung besteht etwa darin, dass das Prinzip nicht auf Straftaten angewendet wird, die in „Tateinheit“ begangen wurden, da hier das Gesetz von vornherein die Bestrafung nach der schwersten verwirklichten Strafvorschrift vorsieht. Bei „Tatmehrheit“ hingegen – also mehreren rechtlich selbständigen Straftaten – ist das Absorptionsprinzip anwendbar. Eine Ausnahme gilt außerdem bei bestimmten Ordnungswidrigkeiten und im Jugendstrafrecht, wo spezifische Sanktionierungsmodelle greifen. Des Weiteren verbleibt dem Gericht ein erheblicher Ermessensspielraum bei der Bemessung des Umfangs der „Absorption“, was insbesondere bei extrem unterschiedlichen Unrechts- bzw. Schuldgehalten der Einzeltaten entscheidend ist. Auch ist zu beachten, dass bei besonders gravierenden Delikten (wie etwa Mord neben geringfügigen Eigentumsdelikten) die minder schweren Taten oft zu einer nur marginalen Erhöhung der Gesamtstrafe führen.

Welche Bedeutung hat das Absorptionsprinzip bei der Aussetzung der Gesamtstrafe zur Bewährung?

Im Kontext der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 StGB kommt dem Absorptionsprinzip eine besondere Rolle zu. Da bei mehreren zusammengerechneten Strafen durch das Absorptionsprinzip meist eine verhältnismäßig niedrigere Gesamtstrafe festgesetzt wird, kann dies entscheidend dafür sein, ob die Grenze für eine Bewährungsstrafe (in der Regel zwei Jahre Freiheitsstrafe) unterschritten wird. Das Gericht muss dabei prüfen, ob die gebildete Gesamtstrafe noch innerhalb des Rahmens bleibt, der eine Bewährung rechtlich ermöglicht. Die Anwendbarkeit des Absorptionsprinzips kann damit eine günstigere strafrechtliche Lösung für den Angeklagten bedeuten und dem Grundsatz entgegenwirken, dass eine rein rechnerische Addition der Einzelstrafen nahezu immer zu einer nicht mehr bewährungsfähigen Sanktion führen würde. Es wird jedoch stets im Einzelfall geprüft, inwieweit das Vertrauensprinzip, die Gefährlichkeit des Verurteilten und die Schutzwürdigkeit der Allgemeinheit zu einer Bewährungsentscheidung beitragen können.

Besteht im europäischen Rechtsvergleich ein Äquivalent zum deutschen Absorptionsprinzip?

Das Absorptionsprinzip ist kein ausschließlich deutsches Rechtsinstitut, sondern findet in ähnlicher Form auch in anderen europäischen Rechtsordnungen Anwendung, wenngleich die konkrete Ausgestaltung variieren kann. Beispielsweise kennen viele kontinentaleuropäische Strafrechtsordnungen das Prinzip der „concurrence“ (Frankreich) oder der „cumulo“ (Italien), die vergleichbare Zielrichtungen verfolgen, also einer Überbestrafung bei Mehrfachdelikten entgegenzuwirken und die Bildung einer maßvollen Gesamtstrafe zu ermöglichen. Unterschiede zeigen sich aber insbesondere im Detail der Gesamtstrafenbildung, im Umfang des richterlichen Ermessens und im Verhältnis zu spezialgesetzlichen Regelungen. Im angloamerikanischen Recht existiert dieses Prinzip hingegen eher in der Form von parallel oder konsekutiv vollstreckten Einzelstrafen, wobei dort das Zusammenspiel von Strafen in mehrfacher Hinsicht divergiert. Zu betonen ist, dass das deutsche Absorptionsprinzip insbesondere im Rahmen der strafrechtlichen Schuld- und Unrechtserwägungen einen im europäischen Rechtsvergleich recht differenzierten Anwendungsbereich aufweist.

Welche Rolle spielt das Absorptionsprinzip bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung?

Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung tritt gemäß § 55 StGB immer dann in den Fokus, wenn eine oder mehrere rechtskräftige Verurteilungen bereits bestehen, jedoch bezüglich weiterer Straftaten ein neues Urteil ergeht. In solchen Fällen wird geprüft, ob eine Zusammenfassung mit früheren Strafen im Sinne des Absorptionsprinzips möglich ist. Voraussetzung ist, dass die betreffenden Taten noch nicht vor Erlass des ersten Urteils abgeurteilt wurden. Die nachträgliche Zusammenfassung sorgt dafür, dass auch im Falle gestaffelter Aburteilung mehrerer Taten das Übermaßverbot gewahrt bleibt. Das Gericht hat bei der Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe einen weiten Ermessensspielraum, es muss jedoch die Gesamtpersönlichkeit des Täters, dessen Entwicklung nach früheren Urteilen sowie das gesamte Tatbild und die erzieherische sowie spezialpräventive Funktion der Strafen berücksichtigen. Dieses Vorgehen verhindert, dass der Täter schlechter gestellt wird als im Falle einer gleichzeitigen Aburteilung aller Taten.

Wie wird das Absorptionsprinzip im Unterschied zum Kumulationsprinzip angewendet?

Im Rahmen des Absorptionsprinzips wird bei mehreren selbstständigen Straftaten keine bloße Summation („Kumulation“) der Einzelstrafen vorgenommen. Das Kumulationsprinzip bedeutet, dass sämtliche Einzelstrafen vollständig addiert und hintereinander vollstreckt werden – ein Ansatz, der im modernen deutschen Strafrecht keine Geltung mehr hat, da er regelmäßig zu unangemessen hohen Gesamtstrafen führen würde. Das Absorptionsprinzip hingegen sorgt dafür, dass die höchste Einzelstrafe den Ausgangspunkt der Gesamtstrafenbildung bildet, während die weiteren Einzelstrafen das Maß der Gesamtstrafe lediglich „modifizieren“, indem sie in die Erhöhung der Gesamtdauer einfließen, ohne deren Ausmaß unverhältnismäßig ansteigen zu lassen. Die Praxis orientiert sich hierbei an der Systematik des § 54 StGB. Ein Übergang zum Kumulationsprinzip ist lediglich bei spezialgesetzlichen Vorschriften vorgesehen, etwa bei der Festsetzung von Geldbußen im Ordnungswidrigkeitenrecht.

Gibt es spezifische Rechtsprechung zum Absorptionsprinzip, die für die Praxis besonders relevant ist?

Die Auslegung des Absorptionsprinzips wurde durch eine Vielzahl höchstrichterlicher Entscheidungen maßgeblich geprägt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass bei der Bemessung einer Gesamtstrafe die schwerste Einzelstrafe den Schwerpunkt bildet und die übrigen Einzelstrafen unter schuldangemessener Berücksichtigung (§ 54 Abs. 1 Satz 3 StGB) in einer maßvollen Erhöhung münden sollen (vgl. BGH, Beschl. v. 2.3.1995 – 1 StR 50/95). Das Gericht ist verpflichtet, in seinen Urteilsgründen nachvollziehbar darzulegen, wie die Gesamtstrafenbildung erfolgt ist und welche Erwägungen für die Anwendung des Absorptionsprinzips maßgeblich waren. Besonders relevant für die Praxis ist, dass eine Gesamtstrafe nicht zwingend am oberen gesetzlich möglichen Rahmen liegen muss, sondern vielmehr der individuellen Schuld und der konkreten Tatsituation Rechnung getragen werden muss. Jede Abweichung vom Normalfall ist explizit zu begründen und unterliegt der revisionsgerichtlichen Überprüfung. Die Rechtsprechung dient der Auslegung und konkretisiert die Grenzen richterlichen Ermessens im Zusammenhang mit der Gesamtstrafenbildung nach dem Absorptionsprinzip.