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Absehen von Strafe


Begriff und Bedeutung des Absehens von Strafe

Das Absehen von Strafe ist ein Rechtsinstitut im deutschen Strafrecht, das es ermöglicht, von der Verhängung einer Strafe trotz erfüllten Straftatbestandes abzusehen. Dieses Instrument dient dazu, in bestimmten gesetzlich geregelten Ausnahmefällen auf eine Bestrafung zu verzichten, obwohl ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten vorliegt. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, Fälle gerecht zu behandeln, in denen das staatliche Strafbedürfnis vollständig oder teilweise entfällt und eine Strafe als unverhältnismäßig oder entgegenstehend zu höherrangigen Interessen empfunden wird.


Gesetzliche Grundlagen

Absehen von Strafe im Strafgesetzbuch

Die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen finden sich im Strafgesetzbuch (StGB) sowie in Spezialgesetzen. Besonders relevante Normen sind:

  • § 60 StGB (Absehen von Strafe): Regelt, dass unter bestimmten Voraussetzungen etwa bei tätiger Reue keine Strafe zu verhängen ist.
  • § 46a StGB (Tätige Reue): Schafft die Möglichkeit, bei erfolgreicher Wiedergutmachung von Schädigungen oder ernsthaften Bemühungen in diese Richtung, von Strafe abzusehen.
  • Sonderregelungen in Nebenstrafgesetzen: Beispielsweise im Betäubungsmittelgesetz (§ 31a BtMG) oder im Steuerstrafrecht (§ 371 AO Selbstanzeige).

Verfahrensrechtliche Aspekte

Das Absehen von Strafe erfolgt im Rahmen des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens und wird im Urteil festgestellt. Es handelt sich nicht um einen Freispruch, sondern um eine richterliche Entscheidung, mit der von einer Strafe abgesehen wird, obwohl die Schuld des Täters festgestellt wurde.


Anwendungsbereiche

Allgemeine Anwendung nach § 60 StGB

Gemäß § 60 StGB kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die bereits erlittenen Folgen der Tat so schwer wiegen, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Voraussetzung ist regelmäßig, dass sowohl das Unrecht der Tat als auch die Schuld des Täters durch andere Umstände, etwa gesundheitliche Schäden oder gesellschaftliche Auswirkungen, ausreichend kompensiert werden.

Beispiel: Ein Verkehrsunfall, bei dem der Fahrer einen nahen Angehörigen verloren hat, kann dazu führen, dass das Strafbedürfnis erloschen ist.

Absehen von Strafe bei tätiger Reue, §§ 46a, 46b StGB

Das Institut der tätigen Reue gibt dem Straftäter die Möglichkeit, durch umfassende Offenbarungen, Schadenswiedergutmachung oder durch Aufdeckung von Mitbeteiligten, Rückkehr zur Legalität zu demonstrieren. Bei Vorliegen der Voraussetzungen kann das Gericht von einer Bestrafung absehen.

Wiedergutmachung des Schadens

Ist ein entstandener Schaden vollständig wieder gut gemacht und bemüht sich der Täter ernsthaft um Versöhnung mit dem Opfer, sieht das Gesetz in bestimmten Fällen ein Absehen von Strafe vor.

Aufklärungshilfe

In sogenannten Kronzeugenregelungen kann bei Aufklärungsbeiträge, die zur Ermittlung schwerer Straftaten helfen, ebenfalls von Strafe abgesehen werden.

Spezialgesetzliche Regelungen

Betäubungsmittelgesetz (§ 31a BtMG)

Das Ermittlungs- oder Strafverfolgungsinteresse kann beim Besitz geringer Mengen Betäubungsmittel entfallen, sofern kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. In diesen Fällen kann von Strafe abgesehen und das Verfahren eingestellt werden.

Abgabenordnung (§ 371 AO, Selbstanzeige)

Wird eine Steuerhinterziehung umfassend und rechtzeitig offengelegt, sieht das Gesetz von einer Bestrafung ab, sofern sämtliche Steuern nachgezahlt werden.


Abgrenzungen

Unterschied zum Strafaufhebungsgrund

Das Absehen von Strafe ist vom Strafaufhebungsgrund zu unterscheiden. Während Strafaufhebungsgründe (z. B. Amnestie) die Strafbarkeit nachträglich entfallen lassen, wird beim Absehen von Strafe das Schuldprinzip anerkannt, jedoch verzichtet der Staat aus besonderen Gründen auf die Strafe.

Unterschied zum Freispruch

Ein Freispruch erfolgt bei fehlendem Tatnachweis oder fehlender Schuld. Das Absehen von Strafe setzt hingegen voraus, dass Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld festgestellt sind, die Strafe jedoch ausnahmsweise nicht verhängt wird.


Gesellschaftliche und kriminalpolitische Aspekte

Das Absehen von Strafe trägt dazu bei, eine differenzierte und menschlichere Strafrechtspraxis zu ermöglichen. Es dient der Entlastung von Gerichten und Behörden, unterstützt die Konfliktlösung zwischen Täter und Opfer und kann motivationsfördernd auf die Resozialisierung von Straftätern wirken. Der Gesetzgeber setzt dem zugleich enge Grenzen, um Willkür zu vermeiden und den Gleichbehandlungsgrundsatz zu wahren.


Verfahrensablauf und Rechtsfolgen

Gerichtsentscheidung

Das Absehen von Strafe bedarf einer ausdrücklichen gerichtlichen Feststellung. In der Entscheidung ist nachvollziehbar zu begründen, warum eine Strafzumessung entbehrlich ist. Ein Urteil, das ein Absehen von Strafe beinhaltet, wird in das Bundeszentralregister (BZR) eingetragen, kann aber unter Umständen nach Tilgungsfristen getilgt werden.

Rechtsmittel

Gegen die Entscheidung, von Strafe abzusehen, stehen grundsätzlich die üblichen Rechtsmittel zur Verfügung. Die Revision oder Berufung kann insbesondere eingelegt werden, wenn fehlerhaft von Strafe abgesehen oder aber zu Unrecht eine Strafe verhängt wurde.


Literatur und weiterführende Informationen

  • Strafgesetzbuch (StGB), insb. §§ 46a, 60
  • Betäubungsmittelgesetz (BtMG), § 31a
  • Abgabenordnung (AO), § 371
  • Kommentarliteratur zum deutschen Strafrecht
  • Bundeszentralregistergesetz (BZRG)

Das Absehen von Strafe stellt einen bedeutenden Bestandteil des deutschen Strafrechts dar, um eine flexible und sachgerechte Lösung für außergewöhnliche Einzelfälle zu bieten, in denen das staatliche Strafbedürfnis hinter anderen berechtigten Interessen zurücktritt. Diese Regelung sorgt so für eine gerechtere Strafrechtspflege im Einzelfall.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit von Strafe abgesehen werden kann?

Ein Absehen von Strafe ist im deutschen Strafrecht nur unter bestimmten, im Gesetz klar geregelten Voraussetzungen möglich. Hierzu zählen insbesondere Fälle, in denen der Täter eine untergeordnete Rolle spielt, der Schaden vollständig wiedergutgemacht wurde oder das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung gering erscheint. Maßgebliche Rechtsgrundlagen finden sich insbesondere in §§ 153 ff. StPO (Strafprozessordnung) sowie in § 46a Nr. 1 StGB (Strafgesetzbuch) für tätige Reue und § 60 StGB für Strafaussetzung bei Bagatelldelikten. Typischerweise prüft das Gericht, ob besondere Umstände vorliegen, die eine Bestrafung als unverhältnismäßig erscheinen lassen. Hierzu zählen unter anderem die Mitwirkung des Täters an der Aufklärung der Tat, das Vorliegen einer besonderen persönlichen Notlage oder das Fehlen eines nennenswerten Schadens. Ein Absehen von Strafe ist grundsätzlich Ermessensentscheidung des Gerichts und erfolgt oft im Zusammenhang mit sogenannten Opportunitätsentscheidungen der Staatsanwaltschaft insbesondere bei minder schweren Fällen.

Welche Rechtsfolgen hat das Absehen von Strafe für den Täter?

Wenn von Strafe abgesehen wird, bedeutet das, dass das Gericht eine strafbare Handlung zwar feststellt, jedoch keine Strafe verhängt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Tat nicht vorliegt oder keine negativen Folgen für den Täter entstehen. Ein Absehen von Strafe kann im Bundeszentralregister vermerkt werden und somit bei weiteren Straftaten berücksichtigt werden („Vorbelastung“). Die Nichtverhängung einer Strafe kann im Einzelfall auch für Nebenfolgen (zum Beispiel Fahrerlaubnisentzug, Disziplinarmaßnahmen in Berufen) Bedeutung haben. Zudem können zivilrechtliche Ansprüche des Opfers, etwa auf Schadensersatz, weiterhin bestehen bleiben.

Ist das Absehen von Strafe bei jeder Straftat möglich?

Nein, das Absehen von Strafe ist nicht bei jeder Straftat möglich. Grundsätzlich beschränkt sich die Möglichkeit darauf, leichtere oder geringfügigere Delikte zu erfassen, bei denen besondere Umstände vorliegen. Bei schwerwiegenden Straftaten wie Mord, Totschlag, schweren Gewalttaten oder schweren Sexualdelikten ist ein Absehen von Strafe praktisch ausgeschlossen, da das öffentliche Interesse an Strafverfolgung und die Schutzfunktion des Strafrechts überwiegen. Die gesetzlichen Regelungen weisen ausdrücklich Ausnahmen und Einzelfallbewertungen auf, sodass nicht jede Straftat erfasst werden kann.

Wer entscheidet über das Absehen von Strafe und auf welcher Grundlage?

Die Entscheidung über das Absehen von Strafe obliegt entweder der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht. Im Ermittlungsverfahren kann bereits die Staatsanwaltschaft in gewissen Fällen (etwa bei Einstellung nach § 153 ff. StPO) das Verfahren ohne Strafe einstellen. Kommt der Fall zur Hauptverhandlung, entscheidet das Gericht nach den gesetzlichen Vorschriften des StGB und der StPO. Die Richter prüfen dabei, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen und die Ermessensvorgaben für ein Absehen von Strafe erfüllt sind. Die Grundlage bilden die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und die Würdigung aller Umstände des Einzelfalls.

Wie unterscheidet sich das Absehen von Strafe von einer Einstellung des Verfahrens?

Das Absehen von Strafe und die Einstellung des Verfahrens sind zwei verschiedene Entscheidungen im Strafprozess. Beim Absehen von Strafe wird ein Urteil gefällt, in dem die Schuld des Täters festgestellt, aber ausdrücklich auf eine Strafe verzichtet wird (§ 59 StGB). Eine Einstellung des Verfahrens dagegen erfolgt häufig entweder durch die Staatsanwaltschaft (im Ermittlungsverfahren) oder durch das Gericht (im späteren Verfahrensstadium), wobei das Strafverfahren entweder wegen Geringfügigkeit oder fehlendem öffentlichen Interesse vorzeitig beendet wird – oft ohne Schuldfeststellung. Die Konsequenzen für das Vorstrafenregister und mögliche zivilrechtliche Folgen unterscheiden sich entsprechend.

Gibt es Unterschiede beim Absehen von Strafe im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht?

Ja, im Jugendstrafrecht gibt es eigene Vorschriften, die ein Absehen von Strafe noch weiter erleichtern. Nach § 45, § 47 JGG (Jugendgerichtsgesetz) kann bei Jugendlichen und Heranwachsenden das Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen eingestellt oder von einer Strafe abgesehen werden, wenn zum Beispiel der Erziehungsgedanke Vorrang hat oder außergerichtliche Maßnahmen ausreichend erscheinen. Im Erwachsenenstrafrecht gelten strengere Maßstäbe und engere Voraussetzungen nach dem StGB und der StPO, da hier der Sanktionscharakter überwiegt.

Welche Rolle spielt die Schadenswiedergutmachung beim Absehen von Strafe?

Die Wiedergutmachung des entstandenen Schadens durch den Täter ist ein zentraler Aspekt beim Absehen von Strafe. Nach § 46a StGB ist es möglich, von Strafe abzusehen, wenn der Täter das Opfer entschädigt hat oder sich in besonderer Weise um den Ausgleich des Schadens bemüht hat („Tätige Reue“). Dies zeigt die Verantwortungsübernahme durch den Täter und wirkt sich oft mildernd auf die Entscheidung des Gerichts aus. Die vollständige oder überwiegende Wiedergutmachung kann also einen bedeutenden Beitrag zu einer positiven Sozialprognose und damit zur Entscheidung für ein Absehen von Strafe leisten.