Begriff und rechtlicher Hintergrund der Abschalteinrichtung
Eine Abschalteinrichtung ist ein technisches System oder eine Funktion in Kraftfahrzeugen, die dazu dient, die Wirkung von Emissionskontrollsystemen unter bestimmten Bedingungen ganz oder teilweise zu verringern. Der Begriff wurde insbesondere im Kontext von Dieselfahrzeugen und dem sogenannten „Abgasskandal“ bekannt. Die rechtliche Bewertung und Regulierung von Abschalteinrichtungen ist in der Europäischen Union und in Deutschland umfassend gesetzlich geregelt und Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren.
Definition und technische Funktionsweise
Abschalteinrichtungen sind in der Kfz-Technik Vorrichtungen, durch die die Wirksamkeit eines Emissionskontrollsystems reduziert wird. Sie führen dazu, dass etwaige Emissionswerte während bestimmter Betriebszustände (z. B. außerhalb des Prüfzyklus) höher ausfallen dürfen als unter sonstigen Bedingungen.
Typische Beispiele für Abschalteinrichtungen sind Softwaresteuerungen in der Motorsteuerung, die erkennen, ob sich das Fahrzeug in einem amtlichen Prüfzyklus befindet, und daraufhin die Emissionsminderung anpassen. Auch temperaturabhängige Steuerungen (Thermofenster) fallen unter diese Definition.
Rechtliche Grundlagen
Europarechtliche Vorschriften
Die maßgebliche europarechtliche Grundlage für die Bewertung von Abschalteinrichtungen bildet die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Genehmigung von Kraftfahrzeugen in Bezug auf Emissionen aus leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5/6-Verordnung). Insbesondere Artikel 5 Abs. 2 untersagt grundsätzlich den Einsatz von Abschalteinrichtungen. Dort heißt es:
„Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems verringern, ist untersagt.“
Eine Ausnahme hiervon ist nur zulässig, wenn
- die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen oder um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu ermöglichen, oder
- das System nur bei bestimmten Bedingungen bestimmungsgemäß betrieben werden kann (etwa bei extremen Umgebungstemperaturen).
Deutsches Recht
Das deutsche Typgenehmigungsrecht (insbesondere Straßenverkehrsrecht und die Vorschriften zur Betriebserlaubnis nach § 20 u. § 21 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, StVZO) und die Fahrzeuggenehmigungsverordnung (FZV) übernehmen die europäischen Vorgaben. Die Verwendung nicht genehmigter Abschalteinrichtungen kann zur Unwirksamkeit der EG-Typgenehmigung führen und ist gemäß § 19 Abs. 2 StVZO unzulässig.
Umweltrechtliche Aspekte
Aus umweltrechtlicher Sicht werden Abschalteinrichtungen als unzulässige Manipulationen eingestuft, da sie zur Überschreitung gesetzlicher Emissionsgrenzwerte führen und die Luftreinhalteziele der EU sowie des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) gefährden.
Verbraucherrechtliche Implikationen
Die Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen kann auch zivilrechtliche Folgen nach sich ziehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) kann insbesondere ein Käufer eines betroffenen Fahrzeugs Mängelrechte (z. B. Rücktritt, Schadensersatz) geltend machen, da das Fahrzeug wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht die vereinbarte bzw. gewöhnliche Beschaffenheit (§ 434 BGB vor der Reform, nun § 434 und § 435 BGB n.F.) aufweist.
Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Folgen
Der Einsatz unzulässiger Abschalteinrichtungen kann auch straf- und bußgeldrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit illegalen Abschalteinrichtungen kann als Täuschung im Rechtsverkehr gemäß § 263 ff. StGB (Betrug) bzw. als Ordnungswidrigkeit nach dem Straßenverkehrsrecht geahndet werden.
Rechtsprechung und Praxis
EuGH-Urteile zu Abschalteinrichtungen
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mehrfach zur Auslegung des Begriffs „Abschalteinrichtung“ und der Ausnahmevorschriften Stellung genommen. In mehreren Urteilen wurde klargestellt, dass die Ausnahmen eng auszulegen sind und vor allem nicht der Herstellerinteressen, sondern allein dem Schutz der Motoren dienen dürfen. So wurde z. B. entschieden, dass sogenannte Thermofenster grundsätzlich unzulässig sind, sofern diese nicht zwingend zum Motorschutz erforderlich sind (Urteil vom 14. Juli 2022, C-128/20).
Nationale Gerichte
Auch deutsche Bundesgerichte (z. B. BGH-Urteil vom 25. Mai 2020, VI ZR 252/19) sowie zahlreiche Oberlandesgerichte haben sich mit den zivilrechtlichen Folgen illegaler Abschalteinrichtungen befasst und insbesondere die deliktische Haftung der Hersteller bejaht.
Zulässigkeit und Ausnahmen
Nicht jede Abschalteinrichtung ist per se unzulässig. Die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 sieht in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 ausdrücklich Ausnahmen vor. Die zentrale Frage ist stets, ob die Einrichtung:
- zum Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall zwingend erforderlich ist und
- ausschließlich dem Schutz des Fahrzeugs dient (nicht etwa zur Optimierung von Prüfstandergebnissen).
Die Beweislast für das Vorliegen solcher Ausnahmen liegt in der Regel beim Hersteller.
Sanktionen und Rechtsfolgen
Behördenverfahren und Rückrufaktionen
Die zuständigen Behörden (in Deutschland das Kraftfahrt-Bundesamt, KBA) sind befugt, Fahrzeuge mit unzulässigen Abschalteinrichtungen zurückrufen zu lassen und die Betriebserlaubnis zu entziehen oder zu widerrufen.
Zivilrechtliche Ansprüche von Käufern
Fahrzeugkäufer können im Rahmen der Gewährleistung und nach deliktsrechtlichen Vorschriften Ansprüche auf Rückabwicklung, Schadensersatz oder Nachbesserung geltend machen, wenn ein Fahrzeug mit einer nicht genehmigten Abschalteinrichtung ausgestattet ist.
Strafrechtliche Konsequenzen
Im Fall vorsätzlicher Manipulation können verantwortliche Personen strafrechtlich verfolgt werden. In der Praxis werden entsprechende Ermittlungen regelmäßig gegen leitende Angestellte der Hersteller eingeleitet.
Zusammenfassung
Im rechtlichen Sinne bezeichnet die Abschalteinrichtung jede Einrichtung in Kraftfahrzeugen, die das Emissionskontrollsystem zu bestimmten Zeiten oder unter bestimmten Bedingungen beeinflusst und somit die Emissionen im normalen Betrieb steigen lässt. Die Verwendung solcher Einrichtungen ist in der EU und in Deutschland grundsätzlich verboten, es sei denn, der Motorschutz macht sie zwingend erforderlich. Der Missbrauch von Abschalteinrichtungen kann weitreichende zivilrechtliche, ordnungswidrigkeitenrechtliche und strafrechtliche Folgen haben. Entsprechende Regelungen finden sich insbesondere in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, im deutschen Straßenverkehrsrecht sowie im Zivilrecht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung betont eine restriktive Auslegung von Ausnahmen und eine deutliche Verbraucherorientierung hinsichtlich der Rechtsfolgen.
Quellen:
- Verordnung (EG) Nr. 715/2007
- Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO)
- Fahrzeuggenehmigungsverordnung (FZV)
- Bundesgerichtshof, VI ZR 252/19
- EuGH, C-128/20
- Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)
Häufig gestellte Fragen
In welchen rechtlichen Regelwerken wird der Einsatz von Abschalteinrichtungen geregelt?
Der Einsatz von Abschalteinrichtungen unterliegt in erster Linie den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen leichter Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge sowie deren Kontrolle („Euro 5/6-Verordnung“). Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung untersagt ausdrücklich den Einsatz von Abschalteinrichtungen, die die Wirksamkeit von Emissionskontrollsystemen verringern, es sei denn, ihre Verwendung ist zum Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall oder zur sicheren Funktion des Fahrzeugs erforderlich. Darüber hinaus regeln die deutsche Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) sowie das Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG) ergänzend die Anforderungen und Konsequenzen bezüglich Fahrzeuge mit unzulässigen Abschalteinrichtungen. Schärfere Sanktionen wurden 2017 mit dem § 263 StGB (Betrug) im Zusammenhang mit sogenannten „Dieselgate“-Fällen hinzugefügt. Auch das Produkthaftungsgesetz und das Umweltrecht können betroffen sein.
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen dem Hersteller bei festgestellten unzulässigen Abschalteinrichtungen?
Werden bei einem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt, drohen dem Hersteller vielfältige rechtliche Konsequenzen. Auf europäischer und nationaler Ebene kann die zuständige Typgenehmigungsbehörde die Typgenehmigung für das betreffende Modell entziehen oder aussetzen. Zudem sind Rückrufe der betroffenen Fahrzeuge und die Durchführung technischer Nachrüstungen verpflichtend anzuordnen. Darüber hinaus können empfindliche Bußgelder und Strafen verhängt werden, insbesondere nach § 37 Abs. 2 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung sowie nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG). Zivilrechtlich können Verbraucher Schadensersatzansprüche gegen den Hersteller geltend machen, wenn sie nachweisen können, dass ihnen durch den Erwerb eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung ein finanzieller oder sonstiger Schaden entstanden ist. Schließlich kommen – etwa im Kontext des Abgasskandals – auch strafrechtliche Ermittlungen wegen Betrugs (§ 263 StGB), Kapitalmarktstraftaten oder Umweltstraftaten in Betracht.
Können Fahrzeughalter für verbaute unzulässige Abschalteinrichtungen haftbar gemacht werden?
Grundsätzlich richtet sich die Haftung für das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit unzulässigen Abschalteinrichtungen gegen den Hersteller und nicht gegen den einzelnen Halter, sofern letzterer keine Kenntnis von der unzulässigen Konstruktion hatte bzw. diese nicht in Auftrag gegeben hat. Jedoch kann die Zulassungsbehörde einem Fahrzeug, bei dem eine unzulässige Abschalteinrichtung nachgewiesen wird, die Betriebserlaubnis entziehen oder die Zulassung widerrufen. Im schlimmsten Fall droht dem Halter ein Zwangsstilllegen des Fahrzeugs, was auch versicherungsrechtliche Konsequenzen (etwa Verlust des Versicherungsschutzes) nach sich ziehen kann. Sollte der Halter jedoch nachweislich wissentlich eine unzulässige Abschalteinrichtung nachträglich eingebaut haben, etwa durch Manipulation der Abgasanlage, könnte er sich straf- bzw. ordnungswidrigkeitsrechtlichen Konsequenzen ausgesetzt sehen.
Welche Rechte haben Käufer von Fahrzeugen mit unzulässigen Abschalteinrichtungen?
Käufer von Fahrzeugen mit unzulässigen Abschalteinrichtungen haben vielfältige Rechte gegenüber dem Hersteller oder Händler. Sie können gemäß §§ 434 ff. BGB (Sachmängelhaftung) Nacherfüllung (Nachbesserung oder Nachrüstung) verlangen. Wenn dies nicht möglich ist oder scheitert, können sie eine Minderung des Kaufpreises durchsetzen oder sogar vom Kaufvertrag zurücktreten. In manchen Fällen ist auch die Geltendmachung von Schadensersatz möglich, zum Beispiel wegen Wertverlust oder erhöhtem Steueraufwand. Besonders relevant wurde dies im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Abgasskandal. Zivilrechtlich maßgeblich sind insbesondere die Vertragsbeziehungen sowie das Gewährleistungsrecht nach deutschem Zivilrecht.
Wie verhalten sich Abschalteinrichtungen zur EG-Typgenehmigung eines Fahrzeugs?
Die EG-Typgenehmigung bestätigt, dass ein Fahrzeugtyp alle maßgeblichen europäischen Regelungen hinsichtlich Sicherheit, Umwelt und Technik erfüllt. Eine unzulässige Abschalteinrichtung bedeutet regelmäßig, dass das Fahrzeug nicht mehr der genehmigten Typvariante entspricht. Gemäß Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 kann in diesem Fall die Typgenehmigung entzogen oder ausgesetzt werden. Dies hat zur Folge, dass das gesamte Modell keine Neuzulassung mehr erhalten kann und bereits zugelassene Fahrzeuge unter Umständen nachgerüstet oder sogar stillgelegt werden müssen. Die EG-Typgenehmigung ist somit unmittelbar verletzt, wenn die Prüfstandswerte durch eine Manipulation verfälscht wurden.
Welche Rolle spielt der Rückruf bei nachgewiesenen Abschalteinrichtungen?
Stellt die zuständige Behörde fest, dass ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, ordnet sie gemäß Art. 30 der Verordnung (EU) 2018/858 i. V. m. deutschem Straßenverkehrsrecht regelmäßig einen verpflichtenden Rückruf an. Im Rahmen dieses Rückrufs müssen Hersteller eine technische Lösung erarbeiten und auf eigene Kosten für alle betroffenen Fahrzeuge umsetzen (Updates, technische Nachrüstungen etc.). Die Verantwortung für die ordnungsgemäße Beseitigung der Abschalteinrichtung liegt dabei stets beim Hersteller. Halten sich Halter nicht an Rückrufanordnungen, kann im Extremfall ein Entzug der Betriebserlaubnis für das jeweilige Fahrzeug erfolgen. Rückrufe sind auch für die Transparenz und das Vertrauen der Verbraucher in die Integrität des Zulassungsprozesses von zentraler Bedeutung.
Gibt es Ausnahmen, in denen Abschalteinrichtungen zulässig sind?
Ja, jedoch sind diese Ausnahmen gesetzlich eng begrenzt. Laut Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dürfen Abschalteinrichtungen nur dann eingesetzt werden, wenn sie notwendig sind, um den Motor vor Schäden oder Unfall zu bewahren oder um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Dabei ist im Einzelfall nachzuweisen, dass die Abschalteinrichtung ausschließlich zum Schutz unmittelbarer Motorkomponenten dient und nicht primär der Manipulation der Emissionsminderung. In der Praxis ist die Anerkennung solcher Ausnahmen durch die Genehmigungsbehörden jedoch äußerst restriktiv. Die Beweislast dafür liegt immer beim Hersteller, der den technischen Nachweis führen muss, dass die Einrichtung unabdingbar ist und kein milderes, gleichsam wirksames Mittel existiert. Die Gerichte prüfen diese Rechtfertigung sehr kritisch.