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Abgeordnetenbestechung


Begriff und rechtliche Einordnung der Abgeordnetenbestechung

Die Abgeordnetenbestechung bezeichnet im deutschen Recht die strafbare unzulässige Einflussnahme auf die unabhängige Mandatsausübung von Mitgliedern eines Parlamentes oder einer sonstigen Volksvertretung. Sie umfasst die Annahme oder das Fordern von Vorteilen durch Abgeordnete im Zusammenhang mit deren parlamentarischer Tätigkeit sowie das Anbieten, Versprechen oder Gewähren solcher Vorteile durch Dritte. Ziel solcher Handlungen ist es, das freie Mandat und die Integrität der parlamentarischen Willensbildung zu schützen.


Historische Entwicklung der Strafbarkeit

Frühe Regelungen und Notwendigkeit einer Gesetzesausweitung

Bereits in der Weimarer Republik existierten rechtliche Ansätze zur Bekämpfung der Bestechlichkeit im öffentlichen Dienst. Eine spezifische Regelung für die Bestechung von Mandatsträgern fehlte jedoch lange Zeit im deutschen Strafgesetzbuch (StGB). Erst in den 1990er Jahren, vor allem unter dem Eindruck internationaler Antikorruptionsinitiativen wie der UNO-Konvention gegen Korruption, wurde eine explizite Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung geschaffen.

Reform von 2014

Mit dem Gesetz zur Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung vom 21. Februar 2014 wurde die bisherige eng gefasste Regelung (§ 108e altes StGB) durch eine umfassendere Neufassung ersetzt. Ziel war es, die Vorgaben internationaler Standards, insbesondere der Strafrechtskonvention des Europarates und der UN-Konvention, in deutsches Recht umzusetzen.


Tatbestand der Abgeordnetenbestechung nach § 108e StGB

Wortlaut des § 108e StGB

Der Straftatbestand ist in § 108e StGB („Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern“) geregelt und lautet auszugsweise:

(1) Wer als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes, der Länder, der Europäischen Union oder einer Gebietskörperschaft des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornehme oder unterlasse, wird bestraft.

Geschütztes Rechtsgut

Der Tatbestand dient vorrangig dem Schutz der Unabhängigkeit und Integrität parlamentarischer Entscheidungen sowie der Wahrung des öffentlichen Vertrauens in die parlamentarische Demokratie.


Detaillierte Voraussetzungen der Strafbarkeit

Täterkreis

Der Täterkreis des § 108e StGB erfasst Mitglieder der deutschen Bundestage, der Landtage, des Europäischen Parlaments und der kommunalen Volksvertretungen (z. B. Stadträte). Ebenfalls erfasst werden Mitglieder ausländischer rechtsfähiger parlamentarischer Versammlungen, sofern diese mit einer deutschen Volksvertretung vergleichbar sind.

Tathandlungen

Die Norm unterscheidet zwischen zwei Verhaltensweisen:

  • Bestechlichkeit (Annahme- bzw. Fordern-Seite): Das Mitglied einer Volksvertretung fordert, lässt sich versprechen oder nimmt einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür an, dass es im Rahmen seiner parlamentarischen Tätigkeit eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornimmt oder unterlässt.
  • Bestechung (Gewähren-Seite): Ein Dritter bietet, verspricht oder gewährt dem Mandatsträger einen ungerechtfertigten Vorteil mit dem Ziel, dessen Verhalten bei der Mandatsausübung zu beeinflussen.

Begriff des Vorteils

Der Begriff „Vorteil“ ist weit auszulegen und umfasst alle objektiv messbaren Zuwendungen, die eine Person wirtschaftlich, rechtlich oder auch ideell besserstellen können, z. B. Geldzahlungen, Sachwerte, Dienstleistungen oder Vergünstigungen.

Unrechtmäßiger Vorteil

Ein Vorteil ist „ungerechtfertigt“, wenn keine sozialadäquate Rechtfertigung vorliegt oder wenn keine gesetzlich erlaubte Zuwendung (wie beispielsweise amtliche Diäten oder zulässige Aufwandsentschädigungen) gegeben ist.

Handlung im Auftrag oder auf Weisung

Strafbar ist nur die Annahme oder das Gewähren eines Vorteils für eine künftige Handlung des Mandatsträgers, die auf Basis einer konkreten Vereinbarung im Auftrag oder auf Weisung des Vorteilsgewährenden erfolgen oder unterlassen werden soll. Bloß allgemeine politische Gefälligkeiten reichen nicht aus.


Strafmaß und Folgen

Strafen nach deutschem Recht

Der Gesetzgeber sieht bei einer Verurteilung nach § 108e StGB eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. In minder schweren Fällen kann das Strafmaß auf Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu drei Jahren herabgesetzt werden.

Nebenstrafen und weitere Konsequenzen

Neben der eigentlichen Strafsanktion kommt insbesondere der Verlust des Mandates, mögliche Verwirkung von Ruhegehalts- oder Versorgungsanwartschaften sowie berufsrechtliche Konsequenzen (z. B. Aberkennung der Wählbarkeit) infrage.


Verhältnis zu anderen Strafvorschriften

Abgrenzung zur Vorteilsannahme und Bestechlichkeit bei Amtsträgern (§§ 331 ff. StGB)

Die Abgeordnetenbestechung unterscheidet sich von der Bestechlichkeit und Bestechung von Amtsträgern (§§ 331 ff. StGB) insbesondere darin, dass das freie Mandat einen anderen Schutzbereich aufweist, da Gewissensautonomie und Weisungsunabhängigkeit zentrale Grundprinzipien des parlamentarischen Systems darstellen.

Verhältnis zum Parteiengesetz und Abgeordnetengesetz

Weitere relevante Regelungen finden sich im Parteiengesetz (z. B. Transparenz von Parteispenden) und im Abgeordnetengesetz (u. a. Erklärungspflichten zu Nebentätigkeiten und Einkünften). Ein Verstoß gegen dortige Vorschriften kann zwar disziplinarische, aber keine strafrechtlichen Folgen im Sinne des § 108e StGB nach sich ziehen.


Internationale Perspektive und Bedeutung

EU- und Völkerrecht

Mit der Ratifizierung internationaler Antikorruptionsübereinkommen (zum Beispiel der UN-Konvention gegen Korruption und der Europarats-Konvention) wurde die Verpflichtung übernommen, auch Handeln von Parlamentsabgeordneten umfassend strafrechtlich zu ahnden. Die deutsche Regelung in § 108e StGB dient daher auch der Einhaltung solcher internationaler Verpflichtungen.


Praxisrelevanz und aktuelle Entwicklungen

Fallbeispiele und Ermittlungen

Bekannt gewordene Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Abgeordnetenbestechung zeigen, dass die praktische Anwendung der Vorschrift besondere Anforderungen an Nachweisbarkeit und Beweisführung stellt. Die richterliche Auslegung ist bislang von Zurückhaltung geprägt, da die genaue Definition „im Auftrag oder auf Weisung“ hohe Anforderungen an den Nachweis einer unzulässigen Absprache stellt.

Gesellschaftliche Bedeutung

Im Kontext zunehmender Sensibilisierung für Transparenz und Integrität im öffentlichen Leben nimmt die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung eine wichtige Rolle bei der Sicherung demokratischer Grundprinzipien ein.


Literatur und weiterführende Quellen

  • Strafgesetzbuch (StGB, § 108e): Gesetzestext und amtliche Begründungen
  • Gesetz zur Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung vom 21. Februar 2014
  • UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC)
  • Europarats-Konvention über Korruption
  • Kommentar: Fischer, Strafgesetzbuch

Zusammenfassung

Die Abgeordnetenbestechung ist ein zentrales Instrument zur Sicherung der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung und der Integrität von Volksvertretungen. Die Strafvorschrift des § 108e StGB schafft einen rechtlich klar umrissenen Schutzraum für die unabhängige Mandatsausübung und entspricht sowohl nationalen Anforderungen als auch internationalen Verpflichtungen im Kampf gegen Korruption im politischen Bereich. Die konsequente Anwendung dieser Vorschrift trägt bedeutend zur Stärkung des öffentlichen Vertrauens in Demokratie und Parlamentarismus bei.

Häufig gestellte Fragen

Welche gesetzlichen Regelungen finden auf die Abgeordnetenbestechung Anwendung?

Das maßgebliche Gesetz zur Abgeordnetenbestechung in Deutschland ist § 108e Strafgesetzbuch (StGB). Diese Vorschrift umfasst sowohl das Anbieten, Versprechen oder Gewähren eines Vorteils an einen Abgeordneten („Bestechung“), als auch das Fordern, Sich-Versprechen-Lassen oder Annehmen eines Vorteils durch einen Abgeordneten („Bestechlichkeit“) in Bezug auf deren Mandatsausübung. Es handelt sich hierbei um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, welches sowohl Mitglieder des Deutschen Bundestages, eines Landtages, der Bundesversammlung als auch des Europäischen Parlaments und anderer Vertretungen auf Landesebene erfasst. Die Norm wurde im Zuge der Umsetzung internationaler Verpflichtungen, insbesondere der UN-Konvention gegen Korruption, in mehreren Schritten verschärft. Sie ist eng mit anderen Korruptionstatbeständen wie § 331 ff. StGB (Vorteilsannahme und Bestechlichkeit bei Amtsträgern) verwandt und grenzt sich durch den spezifischen Bezug auf Abgeordnetenmandate ab. Neben dem Strafgesetzbuch sind weitere Regelungen im Abgeordnetengesetz (AbgG) sowie in den einschlägigen Geschäftsordnungen der Parlamente zu beachten, die vor allem Transparenz- und Offenlegungspflichten normieren.

Welche Handlungen können den Tatbestand der Abgeordnetenbestechung erfüllen?

Der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung verlangt eine „Unrechtsvereinbarung“ zwischen dem Vorteilsgeber und dem Abgeordneten darüber, dass der Vorteil im Gegenzug für eine konkrete Handlung oder Unterlassung im Zusammenhang mit dem Mandat gewährt bzw. angenommen wird. Zu diesen Handlungen zählen namentlich Abstimmungen, Redebeiträge, Ausschusstätigkeiten, Stimmabgaben oder jede andere Form der Mandatswahrnehmung. Der Vorteil kann wirtschaftlicher Natur sein (z. B. Geld, Sachleistungen), aber auch immateriell (Einladungen, Ehrenämter). Entscheidend ist, dass eine Verbindung zwischen der Mandatsausübung und der Vorteilsgewährung besteht, wobei nach der seit 2014 geltenden Fassung des § 108e StGB nicht mehr nur der spezifische Bezug auf eine Abstimmung erforderlich ist, sondern jede rechtmäßige und unrechtmäßige Tätigkeit im Rahmen des Mandats erfasst wird.

Wer kann Täter einer Abgeordnetenbestechung sein?

Täter können sowohl Abgeordnete im Sinne des § 108e StGB (d. h. Mitglieder eines Gesetzgebungsorgans des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder Gemeindeverbände sowie des Europäischen Parlaments) als auch Dritte sein, die einem Abgeordneten einen Vorteil anbieten, versprechen oder gewähren. Die Strafbarkeit knüpft jeweils an die Beteiligung an der Unrechtsvereinbarung an, wobei auch versuchte Taten strafbar sind. Darüber hinaus umfasst der Straftatbestand nicht lediglich die „klassische“ Bestechung, sondern auch Fälle der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung ohne eine unmittelbar gegenleistungsbezogene Diensthandlung.

Welche Strafen drohen bei einer Verurteilung wegen Abgeordnetenbestechung?

Die Abgeordnetenbestechung ist mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bedroht. In besonders schweren Fällen, insbesondere wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, erhöht sich das Strafmaß auf eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr. Neben der eigentlichen Strafe können zusätzliche Nebenfolgen eintreten, darunter das Verbot der Ausübung des Mandats oder von öffentlichen Ämtern (vgl. § 45 StGB) sowie der Verfall von erlangten Vorteilen. Die Strafe richtet sich dabei nach dem Unrechtsgehalt der Tat, der Bedeutung der Mandatsausübung und dem Umfang der gewährten oder angenommenen Vorteile.

Wie gestaltet sich das Verfahren bei Verdacht auf Abgeordnetenbestechung?

Das Ermittlungsverfahren richtet sich grundsätzlich nach den normalen Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO). Allerdings genießen Abgeordnete gemäß Art. 46 GG während der Ausübung ihres Mandats Immunität, die ein Ermittlungsverfahren und die Anklageerhebung gegen sie zunächst ausschließt. Die Aufhebung der Immunität erfolgt durch das jeweilige Parlament, meist im Rahmen eines standardisierten Verfahrens auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Erst danach kann gegen den betroffenen Abgeordneten strafrechtlich vorgegangen werden. Nach Abschluss der Ermittlungen kann eine Anklage erhoben und – nach formaler Aufhebung der Immunität für das Strafverfahren – ein öffentliches Gerichtsverfahren durchgeführt werden.

Welche Rolle spielen Offenlegungs- und Transparenzpflichten bei der Abgeordnetenbestechung?

Die strafrechtlichen Vorschriften werden durch Offenlegungs- und Transparenzpflichten flankiert, wie sie insbesondere im Abgeordnetengesetz (AbgG) und in Geschäftsordnungen der Parlamente geregelt sind. Abgeordnete müssen wesentliche Teile ihrer Einkünfte und Nebentätigkeiten offenlegen. Diese Regelungen fördern die Nachvollziehbarkeit möglicher Einflussnahmen und können Anhaltspunkte für Ermittlungen liefern. Zwar begründen Verstöße gegen die Offenlegungspflichten nicht zwangsläufig den Tatbestand der Abgeordnetenbestechung, sie können aber ein Indiz für unzulässige Einflussnahmen liefern und den Verdacht auf eine Straftat begründen. Die Einhaltung und Prüfung der Transparenzpflichten obliegt den jeweiligen Parlamentsverwaltungen und den Präsidien der Parlamente.

Gibt es Unterschiede zwischen der Ahndung von Abgeordnetenbestechung auf Bundes- und Landesebene?

Grundsätzlich gilt der Straftatbestand des § 108e StGB einheitlich für alle Abgeordneten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sowie im Europäischen Parlament. Unterschiede können sich jedoch aus abweichenden Immunitätsregelungen, parlamentarischen Verfahren und spezifischen Offenlegungspflichten ergeben, wie sie in den Geschäftsordnungen und Landesgesetzen niedergelegt sind. Die praktischen Abläufe, insbesondere die Aufhebung der Immunität und das Disziplinarverfahren innerhalb des jeweiligen Parlaments, können unterschiedlich ausgestaltet sein und damit die Strafverfolgung beeinflussen. Auch der gesellschaftliche und politische Umgang mit Korruptionsfällen kann zwischen den Bundesländern differieren.