Begriff und Grundverständnis des „Abergläubischen Versuchs“
Definition und Rechtsnatur
Der Begriff „abergläubischer Versuch“ ist ein Rechtsbegriff aus dem deutschen Strafrecht und beschreibt das Verhalten einer Person, die zur Verwirklichung eines bestimmten Unrechts einen tatsächlich untauglichen Versuch unternimmt, wobei das gewünschte Ziel mit Mitteln verfolgt wird, denen nach allgemeiner Überzeugung keinerlei Wirksamkeit zukommt, etwa durch Magie, Beschwörungen oder ähnliche Handlungen. Wesensmerkmal ist dabei, dass das Mittel objektiv ungeeignet ist, das gewünschte Ergebnis herbeizuführen, weil es auf abergläubischen Vorstellungen und nicht auf in der Realität wirksamen Ursachen beruht.
Historische Entwicklung
Die Problematik des abergläubischen Versuchs geht zurück auf die frühen Entwicklungsphasen des Strafrechts, in denen das Verhältnis zwischen Glaube, Aberglaube und Rechtsverwirklichung noch unscharf zu trennen war. Im Zuge moderner Kodifikationen wurde dieser Versuchstypus ausdrücklich geregelt und als strafrechtlich unbeachtlich qualifiziert.
Strafrechtliche Einordnung des abergläubischen Versuchs
Allgemeine Regelung im Strafgesetzbuch
Der abergläubische Versuch findet seine rechtliche Grundlage in § 23 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB), der besagt:
„Handlungen, die zur Ausführung eines Tatbestandes nach der Vorstellung des Täters vorgenommen werden, aber nach der allgemeinen Anschauung zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges von vornherein ungeeignet sind, sind nicht strafbar.“
Damit sind sogenannte untaugliche Versuche aus dem Bereich des Aberglaubens ausdrücklich aus dem Strafrecht ausgenommen.
Merkmale des abergläubischen Versuchs
Ein abergläubischer Versuch zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
- Der Täter handelt in der Vorstellung, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen.
- Die Mittel zur Tatverwirklichung beruhen allein auf abergläubischen, das heißt auf objektiv unwirksamen Handlungen.
- Aus Sicht vernünftiger Menschen besteht keine Möglichkeit, dass die Handlung den strafrechtlich relevanten Erfolg eintreten lässt.
Abgrenzung zu anderen Versuchsstadien
Der abergläubische Versuch ist eine Unterform des „untauglichen Versuchs“, dem weitere Erscheinungsformen wie der Wahndelikt-Versuch oder der grob untaugliche Versuch zugeordnet werden können. Der Unterschied liegt in der völligen Ungeeignetheit des eingesetzten Mittels aufgrund fehlender naturwissenschaftlich-rationaler oder rechtlicher Wirksamkeit.
Beispiele und Fallgruppen
- Durchführung eines Schadenszaubers mit dem Ziel, eine Person zu verletzen oder zu töten
- Versuche, durch Segnungen, Gebete oder Beschwörungen einen Vermögensschaden herbeizuführen
- Ritualhandlungen im festen Glauben, damit strafrechtliche Tatbestände zu verwirklichen
In allen Fällen fehlt die tatsächliche Verknüpfung zwischen Handlung und Erfolgseintritt.
Dogmatische Einordnung und Funktion
Zweck der Regelung
Die Regelung des abergläubischen Versuchs dient dem Schutz vor übermäßiger Sanktionierung bloßer Fantasieakte. Sie verhindert die Ausweitung des Strafrechts auf Handlungen ohne jedwede reale Gefährlichkeit und sichert damit den Grundsatz der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit.
Verhältnis zum subjektiven Tatbestand
Obwohl der Täter subjektiv mit Straferfolg rechnet, fehlt das objektiv erforderliche Kausalitätsverhältnis. Das Gesetz stellt damit klar, dass ein strafbarer Versuch stets eine zumindest potentiell realisierbare Gefahr voraussetzt. Rein abergläubische Vorstellungen allein begründen keine Versuchsstrafbarkeit.
Strafrechtliche Relevanz und Praxisfolgen
Straflosigkeit und praktische Bedeutung
Handlungen, die als abergläubischer Versuch qualifiziert werden, sind straflos. Eine Strafbarkeit könnte erst dann in Betracht kommen, wenn durch die Begleitumstände andere Straftatbestände verwirklicht werden, beispielsweise durch Betrug, Nötigung oder Belästigung. Der abergläubische Versuch selbst bleibt jedoch aufgrund seiner Wirkungslosigkeit gegenüber dem geschützten Rechtsgut unbeachtlich.
Prüfungsschema in der Praxis
Bei der rechtlichen Beurteilung einer Versuchshandlung ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen:
- Bestand beim Handelnden eine auf den Erfolg gerichtete innere Vorstellung (subjektives Element)?
- War das zur Zielerreichung eingesetzte Mittel nach allgemeiner Überzeugung objektiv vollständig ungeeignet?
- Handelte es sich um eine Handlung, die ausschließlich auf abergläubischen Vorstellungen beruhte?
- Lagen möglicherweise Begleithandlungen mit eigenständiger Strafbarkeit vor?
Nur bei eindeutiger Feststellung aller genannten Voraussetzungen ist die Handlung als abergläubischer Versuch einzustufen und strafrechtlich unbeachtlich.
Literatur und weiterführende Hinweise
Um die Einordnung des abergläubischen Versuchs im Kontext des deutschen Strafrechts weiter zu vertiefen, empfiehlt sich die Konsultation einschlägiger Kommentierungen zu § 23 StGB, Lehrbüchern zum Allgemeinen Teil des Strafrechts sowie historischer Darstellungen zur Entwicklung des Untauglichkeitsbegriffs im Strafrecht.
Zusammenfassung
Der abergläubische Versuch kennzeichnet im deutschen Strafrecht eine Handlung, bei der mit völlig untauglichen, auf Aberglaube beruhenden Mitteln ein strafrechtlicher Erfolg angestrebt wird. Aufgrund der objektiven Wirkungslosigkeit solcher Handlungen bleibt der abergläubische Versuch straflos; dies dient der rechtsstaatlichen Begrenzung des Strafrechts auf tatsächlich gefährliche Handlungen. Die korrekte Unterscheidung sowie die Einordnung in den Kontext des Strafrechts sind für die sachgerechte Anwendung dieses Begriffs von zentraler Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Kann ein abergläubischer Versuch strafbar sein, auch wenn eine tatsächliche Gefahr nicht besteht?
Im deutschen Strafrecht ist ein abergläubischer Versuch grundsätzlich nicht strafbar, da es an einem tauglichen Tatobjekt beziehungsweise an der tatsächlichen Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung fehlt. Der abergläubische Versuch zeichnet sich dadurch aus, dass der Täter zwar in strafbarer Absicht handelt und einen Straftatbestand verwirklichen möchte, dies jedoch mit untauglichen Mitteln, die aus abergläubischer Überzeugung eingesetzt werden. Es besteht keinerlei reale Gefahr für das geschützte Rechtsgut, da beispielsweise Zauberei, Beschwörungen oder andere magische Praktiken objektiv wirkungslos sind. Der Gesetzgeber bewertet solche Handlungen als straflos, weil das Strafrecht auf den tatsächlichen Schutz von Rechtsgütern abzielt und nicht auf die subjektive Vorstellungswelt des Täters. Einzig in Ausnahmefällen, etwa wenn andere Rechtsgüter durch Begleithandlungen verletzt werden (z.B. Körperverletzung bei einem „Zauberritual“), könnte eine Strafbarkeit wegen anderer Delikte in Frage kommen.
Wie unterscheidet sich ein abergläubischer Versuch von einem untauglichen Versuch?
Der Unterschied zwischen dem abergläubischen Versuch und dem untauglichen Versuch liegt insbesondere in der objektiven Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung. Während beim abergläubischen Versuch das eingesetzte Mittel aufgrund abergläubischer Vorstellungen objektiv völlig untauglich ist (z.B. Hexensprüche zur Tötung eines Menschen), handelt es sich beim untauglichen Versuch um einen Sachverhalt, bei dem das Mittel zwar grundsätzlich geeignet wäre, der Versuch aber wegen eines tatsächlichen oder rechtlichen Umstands fehlschlägt (z.B. Schießen auf eine Leiche in der Annahme, es handle sich um einen Lebenden). Der untaugliche Versuch ist nach § 23 Abs. 3 StGB grundsätzlich strafbar, solange nicht die Untauglichkeit des Versuchs aus grober Unverstand resultiert, während der abergläubische Versuch nach § 23 Abs. 1 StGB als straflos gilt, da bereits der Versuchsbeginn fehlt.
Kann ein abergläubischer Versuch auch strafbar sein, wenn ein anderer Straftatbestand erfüllt wird?
Obwohl der abergläubische Versuch als solcher nicht strafbar ist, kann eine Strafbarkeit dann eintreten, wenn durch die Handlung ein anderer Straftatbestand erfüllt wird. Dies ist z.B. denkbar, wenn im Rahmen eines abergläubischen Rituals tatsächlich eine Körperverletzung, Nötigung, Sachbeschädigung oder andere Straftaten verwirklicht werden. In diesem Fall tritt die Straflosigkeit des abergläubischen Versuchs hinter die Begehung der tatsächlichen Straftat zurück. Das bedeutet, der Täter wird nicht wegen des abergläubischen Versuchs, wohl aber für die tatsächlich verwirklichte Straftat zur Verantwortung gezogen.
Wie wird der Vorsatz beim abergläubischen Versuch rechtlich bewertet?
Im Rahmen des abergläubischen Versuchs ist aus rechtlicher Sicht der Vorsatz für die eigentliche Tat objektiv nicht erfüllbar, da der Täter zwar subjektiv eine Straftat begehen möchte, jedoch objektiv kein taugliches Mittel zur Verfügung steht. Das Strafrecht knüpft bei der Versuchsstrafbarkeit jedoch an die objektive Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung an. Mangels eines realen Tatobjekts oder tauglichen Mittels scheidet ein strafrechtlich relevanter Versuch regelmäßig aus, ungeachtet des vorhandenen subjektiven Tatentschlusses. Nur in den Fällen, wo das gewählte Vorgehen objektiv geeignet ist, einen Straftatbestand zu verwirklichen, wird der Vorsatz strafrechtlich relevant.
Gibt es eine gesetzliche Grundlage für den Ausschluss der Strafbarkeit beim abergläubischen Versuch?
Ja, die rechtliche Grundlage ergibt sich aus § 22 StGB, wonach Versuch die „unmittelbare“ Ansetzung zur Verwirklichung eines Strafgesetzes ist. Der Versuch beginnt erst mit einem Verhalten, das zur Tatbestandsverwirklichung führen kann. Beim abergläubischen Versuch fehlt es an dieser „Unmittelbarkeit“, denn die eingesetzten abergläubischen Mittel haben keine reale Eignung, den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Deshalb liegt bereits kein strafbarer Versuch vor. Ergänzt wird dies durch die Kommentierung zum untauglichen Versuch, wonach der abergläubische Versuch schon tatbestandlich ausscheidet, weil es an einem tauglichen Angriff fehlt.
Welche Rolle spielt die Gefährlichkeit des Täters im Zusammenhang mit abergläubischen Versuchen?
Auch wenn vom abergläubischen Versuch im engeren Sinne keine unmittelbare Gefahr für das geschützte Rechtsgut ausgeht, kann die Gefährlichkeit eines Täters, der zu solchen Handlungen neigt, im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr oder psychologischer Begutachtung von Bedeutung sein. Strafrechtlich bleibt der abergläubische Versuch ohne Folgen, doch in anderen Rechtsgebieten, etwa dem Maßnahmenrecht (Gefahrenabwehr, Unterbringung), kann dies Anlass für präventive Maßnahmen bieten, sofern sich daraus eine absehbare Gefährdung anderer ergibt.
Ist eine Vorbereitungshandlung zum abergläubischen Versuch strafbar?
Vorbereitungshandlungen sind nach deutschem Strafrecht nur in wenigen ausdrücklich normierten Ausnahmefällen strafbar (sog. Vorbereitungstatbestände). Da der abergläubische Versuch bereits selbst nicht als Versuch im Sinne des Strafgesetzbuches gilt, sind Vorbereitungshandlungen hierzu ebenfalls straflos. Lediglich in dem äußerst seltenen Fall, dass durch die Vorbereitung bereits eigenständige Straftatbestände erfüllt werden (z.B. Herstellung verbotener Substanzen im Rahmen eines Rituals), kann dies strafrechtliche Relevanz entfalten.