Verwaltungsgericht Gießen bestätigt Anspruch auf Kontoeröffnung – Sparkassenpflichten gegenüber Parteien unter besonderer Berücksichtigung neutralitätsrechtlicher Grundsätze
Hintergrund des Verfahrens
Das Verwaltungsgericht Gießen hat am 2. Oktober 2023 (Az.: 8 K 2257/23.GI; Quelle: urteile.news) die Verpflichtung einer Sparkasse festgestellt, für die politische Partei „Die Heimat“ ein Geschäftsgirokonto zu eröffnen. Dem Verfahren vorausgegangen war die Weigerung der Sparkasse, dieser Partei die Eröffnung eines Kontos zu ermöglichen, unter Verweis auf bankinterne Sorgfaltspflichten und unter Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht sowie auf mögliche Reputationserwägungen.
Die Partei, die sich juristisch vor dem Verwaltungsgericht zur Wehr setzte, berief sich ihrerseits auf den öffentlich-rechtlichen Auftrag der Sparkassen, jedermann diskriminierungsfrei Zugang zu den grundlegenden Dienstleistungen des Zahlungsverkehrs zu gewähren. Die Sparkasse stützte ihre Ablehnung auf mögliche negative Auswirkungen für das eigene Ansehen und eine Abwägung im Rahmen des bankaufsichtsrechtlichen Risikoprofils.
Rechtsgrundlagen: Öffentlich-rechtlicher Versorgungsauftrag und Neutralitätsprinzip der Sparkassen
Sparkassengesetz und Gemeinwohlbindung
Sparkassen unterliegen in Deutschland als Anstalten des öffentlichen Rechts strengeren Regelungen als private Banken. Gemäß § 3 Hessisches Sparkassengesetz sind Sparkassen verpflichtet, im Rahmen ihres öffentlichen Auftrags die Bevölkerung sowie den Wirtschaftskreis ihres Geschäftsgebiets mit bankmäßigen Dienstleistungen zu versorgen. Diese Verpflichtung stellt sicher, dass allen Personen und Gruppierungen, unabhängig von deren politischer Ausrichtung, der Zugang zu essenziellen Zahlungsverkehrsleistungen gewährt wird.
Demokratische Parteien und Kontoführung als Grundvoraussetzung
Das Verwaltungsgericht betonte, dass für politische Parteien insbesondere der Zugang zu Bankkonten eine elementare Voraussetzung für die Wahrnehmung verfassungsrechtlich verbürgter Rechte darstellt. Die Finanzierung politischer Tätigkeit, die Teilnahme am politischen Wettbewerb und die Befolgung der Rechenschaftspflichten nach dem Parteiengesetz wären ohne ein Finanzkonto kaum möglich. Die Versagung eines Girokontos stellt daher einen erheblichen Eingriff in die politische Chancengleichheit dar, der nur unter engsten Voraussetzungen gerechtfertigt werden kann.
Neutralitätspflicht und Willkürverbot
Dem öffentlichen Auftrag korrespondiert eine Neutralitätspflicht: Sparkassen dürfen gegenüber allen natürlichen und juristischen Personen, insbesondere aber gegenüber Parteien, keine willkürlichen Differenzierungen vornehmen, solange keine gesetzlichen Versagungsgründe wie z. B. strafrechtliche Verdachtsmomente oder konkrete Verstöße gegen bankaufsichtsrechtliche Vorgaben vorliegen. Diese Neutralitätspflicht ist Ausfluss des Willkürverbots und des verfassungsrechtlich verbürgten Gleichheitsgrundsatzes. Insbesondere politische Gründe dürfen nach herrschender Meinung für eine Ablehnung der Kontoeröffnung nicht maßgeblich sein.
Abwägung der Interessen: Reputationsschutz vs. Gleichbehandlungsgebot
Reputationsrisiken der Sparkasse
Im Verfahren brachte die Sparkasse vor, dass eine Kontoführung für eine politisch umstrittene Partei mögliche negative Rückwirkungen auf das eigene Renommee in der Öffentlichkeit haben könnte. Das Verwaltungsgericht hat jedoch klargestellt, dass pauschale Reputationsbedenken, die nicht durch objektivierbare Risiken wie Geldwäscheverdachtsmomente oder strafrechtlich relevantes Verhalten konkretisiert werden können, im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags kein ausreichend gewichtiges Ablehnungsargument darstellen.
Präzedenzwirkung für künftige Kontoverhältnisse mit politischen Parteien
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat damit eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung; sie bestätigt, dass öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, insbesondere Sparkassen, eine besondere Funktion zur Gewährleistung demokratischer Grundrechte einnehmen. Die Eröffnung und Unterhaltung von Geschäftskonten für Parteien erweist sich als integraler Bestandteil des politischen Willensbildungsprozesses und der gleichberechtigten Teilhabe am demokratischen Wettbewerb.
Rechtlicher Ausblick und Bedeutung für Bankkunden und Kreditinstitute
Keine Suspendierung des Diskriminierungsverbots durch interne Geschäftspolitik
Das Erkenntnis unterstreicht, dass Sparkassen nicht berechtigt sind, den Zugang zu bankmäßigen Dienstleistungen auf Grundlage parteipolitischer Präferenzen oder unter dem Deckmantel institutioneller Eigeninteressen zu verweigern. Interne Richtlinien oder Reputationsüberlegungen können das gesetzlich statuierte Diskriminierungsverbot sowie die Gemeinwohlbindung der Sparkassen nicht außer Kraft setzen.
Offene Rechtsfragen und mögliche Folgeverfahren
Es bleibt offen, wie sich die Rechtslage darstellen würde, wenn einer Partei konkrete strafrechtlich relevante Handlungen nachgewiesen würden und damit ein objektivierbarer Ablehnungsgrund vorläge. Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts kann nach übereinstimmenden Medienberichten dennoch noch Rechtsmittel eingelegt werden (Stand: November 2023, Unschuldsvermutung gilt). Das Verfahren besitzt daher weiterhin grundsätzliche Relevanz, nicht zuletzt im Verhältnis zwischen Demokratie, bankaufsichtsrechtlichen Standards und zivilgesellschaftlicher Verantwortung der Geldinstitute.
Komplexe Fragestellungen zum Zugangsrecht von Unternehmen oder Parteien zu Dienstleistungen von Finanzinstituten zeigen, wie wichtig eine präzise rechtliche Einordnung und Vertretung ist. Sollten Sie als Unternehmen, institutioneller Investor oder Vermögensinhaber Fragen zur Durchsetzung oder Abwehr bankrechtlicher Ansprüche haben, empfiehlt sich eine fundierte Rechtsberatung im Bankrecht durch spezialisierte Wirtschaftsanwälte von MTR Legal.